FlamingO schrieb:Ich war und bin Materialistin, denke also, dass alles (auch Geist, Bewusstsein), letztendlich durch materielle Prozesse erklärt werden kann.
Und das ist der Punkt: Natürlich kann alles durch materielle Prozesse erklärt werden. Vorausgesetzt, man ist Materialist, denn dann kann man die metaphyischen Fragen entweder mittels Gleichsetzung neutralisieren, also indem man "warum" mit "wie" übersetzt, oder mit materiellen Prozessen erklären, die noch nicht entdeckt sind.
Aber nehmen wir an, es sind keine Fragen mehr offen und man kann alles mit materiellen Prozessen erklären: Die Folgerung, dass man deshalb alle anderen Erklärungen ausschließen könne, fußt in der Logik des reduktionistischen Materialismus. Man kann mit Fug und Recht Anhänger des Materialismus sein und diesen sogar als die wahrscheinlichste Erklärung bezeichnen, aber sobald man von Beweis und Widerlegung spricht, begeht man einen Zirkelschluss.
Momjul schrieb am 14.11.2014:Das liegt einmal daran, dass bestimmte Gruppen wie Religionen kein Interesse haben, einen starken Materialismus neben sich zu dulden, zum anderen aber an modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen (z. B. Relativitätstheorien), die Materie und Energie in Verbindung setzen und damit deren einstige Trennung aufheben.
Ich tue mir schwer damit, in den organisierten Religionen einen Gegenpol zum Materialismus zu sehen. Was die drei christlichen Kirchen angeht, kann ich mir außerdem nicht vorstellen, dass sie sich groß um solche Themen scheren. Besonders Orthodoxe und Protestanten wollen vor allem ihren jeweiligen weltlichen Machthabern gefallen. Historisch betrachtet bin ich mir auch nicht sicher, da die katholische Kirche den Idealismus in Gestalt der gnostischen Bewegung erbarmungslos bekämpft hat.
Was die theoretische Physik betrifft: Hebt die wirklich Trennungen auf? Oder findet sie nur neue materielle Teilchen mit bislang unerhörten Eigenschaften?
Für mich war der Gegensatz immer folgender:
Der Materialismus führt alles, was ist, auf materielle Prozesse zurück. Aus seiner Sicht ist folglich auch das Bewusstsein ein Produkt materieller Vorgänge. So etwas wie ein Bewusstsein, das ohne Körper existiert, ist dabei nicht ausgeschlossen. Man hat nur nie Hinweise auf entsprechende Prozesse gefunden und folglich keinen Grund, es in Erwägung zu ziehen.
Der Idealismus betrachtet die materielle Welt und Existenz als einen Bewusstseinszustand, genauer gesagt: einen Aggregatszustand von Bewusstsein. Er erkennt die Naturgesetze im Prinzip an - so lange es Eis ist, kann es sich nicht wie Wasser verhalten -, setzt sie aber nicht absolut. Eine Unsterblichkeit in unserem Sinne sieht er nicht vor. Wie auch? Nicht einmal Traum-Ich und Wach-Ich haben viel gemeinsam.
Keine dieser Sichtweisen ist falsifizierbar, keine steht über Kreuz mit der menschlichen Erfahrungswelt und keine bietet besonders verlockende Versprechen. (Der) Gott (, von dem fast alle Leute reden, wenn sie "Gott" sagen) ist mit beiden vereinbar, aber in keiner zwingend enthalten.
Für eine der beiden Sichtweisen Suprematie zu beanspruchen, ergibt aus meiner Sicht keinen Sinn, aber darüber zu reden, kann auf jeden Fall den Geist anregen.