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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

21.04.2022 um 04:18
Die Begründung ist sehr interessant und sehr ausführlich. Man kann den gesamten Text hier finden. https://oberlandesgericht-celle.niedersachsen.de/download/183095

Ich bin noch immer nicht überzeugt, dass das BVerfG und eventuell der EGMR die Sache genauso wie das OLG Celle sehen werden, aber es ist eine durchaus interessante juristische Auseinandersetzung.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

21.04.2022 um 08:19
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Ich bin noch immer nicht überzeugt, dass das BVerfG und eventuell der EGMR die Sache genauso wie das OLG Celle sehen werden, aber es ist eine durchaus interessante juristische Auseinandersetzung.
Da stimme ich dir zu. Ich selbst gehe davon aus, dass diese Norm gekippt werden wird. Auch das BMJ prüft ja bereits, ob es diese Reform wieder zurück nimmt.

Ich erlaube hier mal aus der Beckschen Online Kommentierung zu zitieren, die sehr eindeutig ist:
Die Erweiterung des § 362 ist nicht mit dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) in Einklang zu bringen (Arnemann NJW-Spezial 2021, 440; Aust/Schmidt ZRP 2020, 251 (252 ff.); Brade AöR 2021, 130 (173 ff.); Leitmeier StV 2021, 341; Ruhs ZRP 2021, 88 (90 f.); umfassend dazu Bohn, Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten, 2016, 217 ff.; Frister/Müller ZRP 2019, 101 (102 f.); aA Kubiciel GA 2021, 380 (382 ff.); Letzgus FS Geppert, 2011, 785 (789 ff.)). Die in § 362 Nr. 1–4 vorgesehenen Durchbrechungen des Verbots der Doppelbestrafung stehen nur deshalb in Einklang mit Art. 103 Abs. 3 GG, weil sie bereits zum Zeitpunkt der Schaffung des GG anerkannt waren und daher als immanente Grundrechtsschranken fortwirken (BVerfGE 3, 248 (252 f.); krit. hierzu Neumann FS Jung, 2007, 655 (657 ff.); Roggon BLJ 2011, 50; Zehetgruber JR 2020, 157 (158 ff.); noch weitergehender für Verfassungswidrigkeit des gesamten § 362 Bohn, Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten, 2016, 57 ff.; Brade, AöR 2021, 130 (170 f.)). Ansonsten ist der Kern des Art. 103 Abs. 3 GG geschützt und sind allenfalls „Grenzkorrekturen“ zulässig (BVerfGE 56, 22 (34 f.)). Eine Wiederaufnahme zuungunsten Freigesprochener allein aufgrund einer späteren Veränderung der Beweislage ist danach gerade nicht statthaft (Grünewald ZStW 2008, 545 (570 ff.); Marxen/Tiemann ZIS 2008, 188 (189); Scherzberg/Thiée ZRP 2008, 80 (81)). Der neu eingefügte Grund in Nr. 5 verschiebt zudem das bisher in § 362 angelegte Regel-Ausnahme Verhältnis zuungunsten des Vertrauensschutzes und stellt damit mehr als eine bloße Grenzkorrektur dar (Aust/Schmidt ZRP 2020, 251 (252 f.): Operation am offenen Herzen von „ne bis in idem“). Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hatte auch der Bundespräsident, der das Gesetz zwar ausgefertigt, aber zugleich eine erneute Prüfung durch den Gesetzgeber angeregt hat (Pressemitteilung des Bundespräsidenten v. 21.12.2021).

Die Erstreckung der Neuregelung auf Fälle, die zum Zeitpunkt der Änderung bereits rechtskräftig abgeschlossen waren, ist als echte Rückwirkung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen (Aust/Schmidt ZRP 2020, 251 (254)).

(BeckOK StPO/Singelnstein, 42. Ed. 1.1.2022, StPO § 362 Rn. 11-11a)



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21.04.2022 um 08:24
Genau. Das entspricht meiner initialen Reaktion als Jurist, als ich das erste Mal von diesem Gesetzesvorhaben gehört habe und dann auch meiner kurzen Recherche einschlägiger Verfassungsgerichtsurteile. Das OLG Celle macht sich hier die Argumentation der Bundesregierung zu eigen, dass das alles nicht so schlimm und ja nur für wenige Einzelfälle sei usw. Das aber ist eigentlich gerade nicht, wie man juristisch so einem Problem begegnet. Na ja, man wird sehen, das derzeitige BVerfG macht mir zwar keinen sonderlich mutigen Eindruck, wenn es darum geht, politisch genehme Vorgaben der Regierung zu stoppen, aber vielleicht denken die heutigen Richter doch an ihre Vorgänger, und dass diese eigentlich ganz Vernünftiges gesagt hatten.


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21.04.2022 um 08:36
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Das OLG Celle macht sich hier die Argumentation der Bundesregierung zu eigen, dass das alles nicht so schlimm und ja nur für wenige Einzelfälle sei usw.
Das ist nicht nur die Argumentation der Bundesregierung, sondern auch Auffassung der Mehrheit des Bundestages und namhafter Strafrechtler.

Und ich denke, es trifft zu, dass die Neuregelung auf ganz wenige Ausnahmefälle beschränkt bleiben wird. Das ergibt sich ja schon aus dem Gesetzestext, der abschließend (!) regelt, welche 4 unverjährbaren schwersten Verbrechen überhaupt betroffen sein können. Und da müssten dann auch erst mal alle zusätzlichen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Das wird nur alle paar Jahre vielleicht einmal der Fall sein.


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21.04.2022 um 08:41
Ein Grundrechtseingriff kann und sollte aber nie damit entschuldigt werden, dass er ja nur selten vorkommen wird. Grundrecht ist Grundrecht.

Es würde wohl auch kaum jemand auf die Idee kommen, Folter zu erlauben, wenn auch nur in ganz seltenen Fällen, die nur ganz wenige Verdächtige treffen sollte.... (so was ist vor gar nicht so langer Zeit mal vorgeschlagen worden, vor einigen Jahren, auch von sogenannten Experten, ist also nicht hanebüchen).


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21.04.2022 um 08:46
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und ich denke, es trifft zu, dass die Neuregelung auf ganz wenige Ausnahmefälle beschränkt bleiben wird.
Und vor allem dies ist der Punkt, in welchen die Novelle ins Absurde abdriftet. Warum bittet opfert man eherne Grundsätze und setzt sich dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit aus, wenn es doch ohnehin nur um ein paar Einzelfälle geht? Eine zwingende gesetzgeberische Notwendigkeit für diese Regelung lässt sich damit jedenfalls nicht begründen. Und es ist ja auch bezeichnend, dass sich hierzu die Materialien und auch die Empfehlung des Rechtsausschusses ausschweigen.


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21.04.2022 um 09:04
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:Und vor allem dies ist der Punkt, in welchen die Novelle ins Absurde abdriftet. Warum bittet opfert man eherne Grundsätze und setzt sich dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit aus, wenn es doch ohnehin nur um ein paar Einzelfälle geht? Eine zwingende gesetzgeberische Notwendigkeit für diese Regelung lässt sich damit jedenfalls nicht begründen.
Politische Entscheidungen folgen ja nicht immer Notwendigkeiten. Und die Notwendigkeit einer Regelung ist nicht unabdingbare Voraussetzung einer Verfassungsgemäßheit.

Wenn man sich den Fall Möhlmann ansieht, zeigt er nun mal in seiner absoluten Ausnahmestellung, dass hier aus politischer Sicht Regelungsbedarf besteht, wie es auch Ansicht vieler User hier ist.


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21.04.2022 um 10:49
@Andante
Dem kann ich nur zustimmen.


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21.04.2022 um 12:47
Zitat von AndanteAndante schrieb:Politische Entscheidungen folgen ja nicht immer Notwendigkeiten.
Das ist korrekt.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und die Notwendigkeit einer Regelung ist nicht unabdingbare Voraussetzung einer Verfassungsgemäßheit.
Auch das ist korrekt. Allerdings liegt hier bereits schlechte Rechtsetzung vor. Im Handbuch der Rechtsförmlichkeit heißt es hierzu bei Randnummer 44:
. Daher sollen die Bundesministerien bereits mit der Erarbeitung der Entwürfe sicherstellen, dass ihre Rechtsetzungsvorhaben in jedem Stadium sowohl als Gesamtvorhaben als auch in ihren Einzelregelungen hinsichtlich ihrer Notwendigkeit und Wirksamkeit gut begründet sind. ... Die §§ 43 und 44 GGO verlangen, dass in der Begründung Ausführungen über Ziel, Zweck und Regelungsnotwendigkeit genauso enthalten sind wie die Auseinandersetzung mit in Betracht kommenden Regelungsalternativen und den Gesetzesfolgen.
Es ist wohl Konsens, dass der Anwendungsbereich der fraglichen Norm gering ist. Wieso angesichts einer Handvoll Fälle die Notwendigkeit einer Regelung besteht, erschließt sich nicht ansatzweise. Auch die Befürworter der Novelle können diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Der Hinweis auf Gerechtigkeit ist hier nur vorgeschoben, denn diese kann mit den Mitteln des Rechts ohnehin nicht oder nur unvollkommen erreicht werden. Und wenn dies das Ziel wäre, stellt sich doch die Frage, wieso es dann nicht überhaupt zu einer unbeschränkten Anwendung der Norm und am besten auch noch zu einer Abschaffung von Verjährungsvorschriften und dem Aufheben des Rückwirkungsverbotes kommt. Schließlich soll, so die Intention, der Straftäter, der zu Unrecht freigesprochen wurde, ja endlich bestraft werden ...
Zitat von AndanteAndante schrieb:Wenn man sich den Fall Möhlmann ansieht, zeigt er nun mal in seiner absoluten Ausnahmestellung, dass hier aus politischer Sicht Regelungsbedarf besteht, wie es auch Ansicht vieler User hier ist.
Und das ist doch gerade das Dilemma. Es ist eine rein populistische Regelung, die juristisch nicht zu halten ist. Weder besteht ein Regelungsbedürfnis, Frage: Wie konnten wir so lange ohne diese Norm leben und welcher Schaden ist hierdurch entstanden?, noch erscheint diese mit dem Grundgesetz vereinbar. Wie auch das BVerfG ausgeführt hat, ist der Kernbereich des Artikel 103 Absatz 3 GG geschützt und es sind daher allenfalls „Grenzkorrekturen“ zulässig (BVerfGE 56, 22, 34 ff.). Von einer "Grenzkorrektur" kann vorliegend allerdings nicht mehr gesprochen werden, was umso mehr gilt, als dass die Norm auch rückwirkend Anwendung finden soll, Fall der echten Rückwirkung, was gegen das absolute Rückwirkungsverbot verstößt (Artikel 103 Absatz 2 i.V.m. 20 Absatz 1 GG).

Ich kann die Regelung bzw. die dahinter stehende Motivation menschlich nachvollziehen, aber juristisch stellt sie einen absoluten Fehlgriff dar, der hoffentlich bald behoben wird.


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21.04.2022 um 18:29
Zitat von AndanteAndante schrieb:Wenn man sich den Fall Möhlmann ansieht, zeigt er nun mal in seiner absoluten Ausnahmestellung, dass hier aus politischer Sicht Regelungsbedarf besteht, wie es auch Ansicht vieler User hier ist.
Der Normalbürger sieht eben die andere Seite nicht, was dieser Gesetzesentwurf bewirken kann.

Viele Bürger sind leider der Ansicht, dass jemand der freigesprochen wurde, der Täter ist, man konnte ihm die Tat NUR nicht beweisen. Solche redensarten findet man übrigens in vielen Foren. Vor einem solchen Hintergrund ist die Zustimmung zu diesem Gesetz von normalen Bürgern auch verständlich. Ein Politiker sollte aber etwas mehr Weitblick besitzen und auch die negativen Seiten von Gesetzen beachten. Diese war hier in den Debatten vollkommen ausgeblendet worden. Man wollte unbedingt ein populistisches Gesetz noch kurz vor der Wahl durchbringen. Solch ein populistisches Gesetz kurz vor der Wahl durchzudrücken, hat aus meiner Sicht schon etwas mit Stimmenfang zu tun. Es ist sehr naheliegend, dass man der AfD keine Bühne liefern wollte.


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21.04.2022 um 18:49
Man sollte auch bedenken, dass die hier diskutierte Neuregelung letzten Endes auch den Angeklagten in zukünftigen Strafprozessen zugute kommt.

Richter können Angeklagte leichter in Zweifelsfällen freisprechen, wenn sie wissen, dass im Falle nachträglich gewonnener eindeutiger wissenschaftlicher Beweise eine “Korrektur“ eines falschen Freispruchs nicht für alle Zeiten ausgeschlossen bleibt.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

21.04.2022 um 19:59
Zitat von LichtgestähltLichtgestählt schrieb:Man sollte auch bedenken, dass die hier diskutierte Neuregelung letzten Endes auch den Angeklagten in zukünftigen Strafprozessen zugute kommt.

Richter können Angeklagte leichter in Zweifelsfällen freisprechen, wenn sie wissen, dass im Falle nachträglich gewonnener eindeutiger wissenschaftlicher Beweise eine “Korrektur“ eines falschen Freispruchs nicht für alle Zeiten ausgeschlossen bleibt.
Von der Theorie gibt es das nicht, denn Richter MÜSSEN im Zweifelsfall freisprechen. Aber vom Prinzip her hast Du Recht, weil Richter auch nur Menschen sind und solche Gedanken nicht ganz fernliegend sind, welche Du da ansprichst. Aber auf der anderen Seite wird es auch StA geben, welche leichtfertiger eine Anklage erheben, der dann auch vom Gericht stattgegeben wird, weil sie sich sagen, naja, wenn er freigesprochen wird, dann finden wir vielleicht noch irgendwann neue Beweismittel. Evtl. wird dieser Vorteil überkompensiert.


Noch zu einem älteren Beitrag von Dir:
Zitat von LichtgestähltLichtgestählt schrieb am 28.02.2022:Ich frage mich jedoch, warum die bereits vor der Gesetzesänderung vorgesehenen Gründe für eine Wiederaufnahme zuungunsten des Beschuldigten nicht beanstandet werden, der neu hinzukommende Punkt aber derart vehement abgelehnt wird, obwohl er sich auf schwerste Verbrechen beschränkt.
Kritisch sind die auch schon, besondere was das Geständnis betrifft. Folgender fiktiver Fall macht es deutlich:

Jemand wird für eine Tat angeklagt, welche er wirklich begangen hat. Er wird freigesprochen.

Anschließend wird ein Strafverfahren gegen einen Dritten eröffnet, der nun verdächtigt wird diese Tat begangen zu haben.

Die vorhandene Regelung bewirkt hier einen schweren Gewissenskonflikt beim Freigesprochenen, wenn er schweigt, wird ein anderer vielleicht verurteilt. Wenn er die Tat zugibt, liefert er einen Wiederaufnahmegrund.

Es gibt solche Verfahren schon, sie führten jedoch -nach meiner Information - NOCH nie zu einer Wiederaufnahme, weil die Ermittler denjenigen vor seinem Geständnis nicht aufgeklärt hatten (bei einer Zeugenbefragung). Was wäre aber gewesen, wenn die Ermittler den Freigesprochenen aufgeklärt hätten und er trotzdem ein Geständnis abgelegt hätte?

Schon dieser Teil ist daher offensichtlich nicht vernünftig, der Gesetzgeber hat sich schon in diesem Teil keine ausreichenden Gedanken gemacht. Er KANN nicht nur dazu führen, dass ein Verbrechen nicht gesühnt wird, sondern dass der Falsche verurteilt wird, was weitaus bedenklicher ist.


Du siehst wie kritisch es ist an der Rechtssicherheit zu drehen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

21.04.2022 um 20:57
Zitat von LentoLento schrieb:Jemand wird für eine Tat angeklagt, welche er wirklich begangen hat. Er wird freigesprochen.
Anschließend wird ein Strafverfahren gegen einen Dritten eröffnet, der nun verdächtigt wird diese Tat begangen zu haben
Das dürfte eine ziemlich seltene Konstellation sein, bei der sich eine falsche anklagefähige Beweislage nach einem Prozess und Freispruch des wahren Täters zu einem Unschuldigen ergibt.
Ich glaube außerdem, diesen vermuteten schweren Gewissenskonflikt haben die meisten Täter, die ihre Tat nicht gleich gestehen, gar nicht. Und wenn doch, ist es halt die gleiche Situation wie ohne eigenen Prozess und Freispruch: Auch da wird beispielsweise ein anderer angeklagt und der Täter muss sich entscheiden, ob er nun doch dem anderen zuliebe gesteht und bestraft wird oder sich freut, dass der Falsche angeklagt wird.
Solche fiktiven gedanklichen Extremfälle stellen mMn. keine diskussionswürdige Kritik an der gesetzlichen Regelung dar.


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21.04.2022 um 21:26
@Palio

Es kommt immer darauf an. Manchmal erfolgen strafbare Handlungen aus der Situation heraus und sind nicht unbedingt gewollt, trotzdem strafbar.

Ob ein Täter, der nicht gesteht, automatisch egal ist, wenn ein anderer dafür bestraft wird, ist etwas komplett unterschiedliches. Durch ein Geständnis macht man eine Tat nicht ungeschehen, davon wird beispielsweise ein Toter nicht wieder lebendig, ich denke, das Leugenen von schweren Verbrechen ist daher eher das Normale. Manch einer leugnet schon Geschwindigkeitsüberschreitungen, daher wird der Fahrer auch schon seit langem geknipst.

Etwas anderes ist, wenn dafür einen andere Person ins Spiel kommt.

Dass sich jemand freuen soll, dass ein anderer Angeklagt und auch bestraft wird, ist schon starker Tobak. Das wird extrem selten sein.

Aktuell bestraft das Gesetz eine moralische Handlung. Ob das selten ist oder nicht, spielt dabei genaugenommen keine Rolle. Und wie gesagt, die Fälle gibt es und wurden von den Ermittlern/Gerichten bisher geschickt umschifft

Auch das hier diskutierte Gesetz gilt nur für an einer Hand abzählbare Fälle und betrifft einen Fall aus dem Jahre 1981, also einer seit 40 Jahren!


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21.04.2022 um 23:25
Zitat von LentoLento schrieb:Auch das hier diskutierte Gesetz gilt nur für an einer Hand abzählbare Fälle und betrifft einen Fall aus dem Jahre 1981, also einer seit 40 Jahren!
Mord verjährt halt nicht. Und zählt damit zu den wenigen unverjährbaren Taten, die überhaupt von der Neuregelung betroffen sind.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Die Begründung ist sehr interessant und sehr ausführlich. Man kann den gesamten Text hier finden. https://oberlandesgericht-celle.niedersachsen.de/download/183095
Ich finde, dass das OLG Celle hier ganze Arbeit geleistet und die Sache von allen Seiten beleuchtet hat. Das letzte Wort wird natürlich aus gegebenem Anlass das Bundesverfassungsgericht haben. Und das BMJ wird diese Entscheidung abwarten, bevor es eine Rolle rückwärts macht. Eile ist aus gesetzgeberischer Sicht bei der Seltenheit der Fälle auch nicht geboten, für das Bundesverfassungsgericht allerdings möglicherweise im Hinblick auf die U-Haft-Frage für Ismet K. schon.


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22.04.2022 um 00:06
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:Und das ist doch gerade das Dilemma. Es ist eine rein populistische Regelung, die juristisch nicht zu halten ist.
Das OLG Celle sieht das, mE mit überzeugender Begründung, anders.
Soweit der Gesetzgeber ein Festhalten an der vor dem Inkrafttreten von § 362 Nr. 5 StPO fehlenden Möglichkeit, das frühere Verfahren gegen einen Freigesprochenen wegen eines unverjährbaren Tötungsdelikts trotz neuer Tatsachen oder Beweismittels mit besonders hoher Beweiskraft nicht wiederaufnehmen zu können, als „unerträglich“ angesehen hat, mag die verwendete Begrifflichkeit aufgrund ihrer emotionalen Einfärbung auf den ersten Blick ungeeignet erscheinen (vgl. Frister/Müller, aaO). Jedoch gibt der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf die „Unerträglichkeit“ im Kern zu erkennen, dass er das Absehen von der schuldangemessenen Bestrafung eines Freigesprochenen bei den in § 362 Nr. 5 StPO aufgeführten schwersten Straftaten gegen das Leben für eine so evidente Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in den Rechtsstaat und den Rechtsfrieden mit den damit einhergehenden negativen Folgen für die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege hält, dass in diesen Fällen im Interesse der materiellen Gerechtigkeit der Grundsatz der Rechtssicherheit zurücktreten muss (vgl. BT-Drs. 19/30339, S. 9 f.; Eisele, aaO, S. 4; Hoven, aaO).

Die Annahme der „Unerträglichkeit“ beruht hierbei nicht primär auf einer bloßen emotionalen
Befindlichkeit. Sie leitet sich vielmehr daraus ab, dass in diesen Fällen der im ersten Strafverfahren ergangene Freispruch höchstwahrscheinlich auf einer nicht korrekt festgestellten oder nicht hinreichend ausermittelten Tatsachengrundlage beruht hat und daher im eklatanten Widerspruch zum tatsächlichen Tatgeschehen steht, was eine nicht hinnehmbare Verletzung des verfassungsrechtlichen Ziels des Strafverfahrens darstellt, nämlich die im Interesse der Rechtssicherheit und der materiellen Rechtssicherheit liegende tat- und schuldangemessene Bestrafung des Täters auf der Grundlage einer zutreffend ermittelten Tatsachengrundlage (vgl. Zehetgruber, aaO). Die in der Annahme der „Unerträglichkeit“ zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertentscheidung, im Fall von schwersten Verbrechen gegen das Leben der materiellen Gerechtigkeit unter den engen Anwendungsvoraussetzungen des Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO gegenüber der Rechtssicherheit den Vorrang einzuräumen, findet sich kongruent in der vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform angesehenen Strafandrohung der lebenslangen Freiheitsstrafe für diese Straftaten und ihrer Unverjährbarkeit wieder.
Quelle: bereits verlinkt



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22.04.2022 um 00:19
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:Und vor allem dies ist der Punkt, in welchen die Novelle ins Absurde abdriftet. Warum bittet opfert man eherne Grundsätze und setzt sich dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit aus, wenn es doch ohnehin nur um ein paar Einzelfälle geht?
Und auch hier beantwortet die OLG-Entscheidung unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs 3 GG solche Fragen. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben diesen Artikel eben gerade nicht als „ehernen Grundsatz“ ohne die kleinste Änderungs- oder Erweiterungsmöglichkeit ausgestaltet.


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22.04.2022 um 00:22
Zitat von AndanteAndante schrieb:Mord verjährt halt nicht. Und zählt damit zu den wenigen unverjährbaren Taten, die überhaupt von der Neuregelung betroffen sind.
Mein Einwand hatte mit der Nichtverjährbarkeit von Mord in keiner Weise etwas zu tun. Ich schließe mich da den Ausführungen von @DoctorWho an.

Das Problem ist immer, dass neue Gesetze immer auch weitere Folgen haben. Die eine Folge, eine aus meiner Sicht durchaus positiv einzuschätzende hat schon @Lichtgestählt genannt, dass in Grenzfällen Richter es leichter fällt, jemanden frei zu sprechen (obgleich es das von der Theorie gar nicht geben sollte). Auf der anderen Seite ist zu befürchten, das StA schneller eine Anklageschrift erstellen und Anklage erheben.

Das sollte man immer im Kopf behalten, neue Gesetze wirken sich nicht nur dort aus, wo der Gesetzgeber meint eine Lücke zu schließen, die Auswirkung sind nicht immer von vornherein absehbar. Deshalb gibt es durchaus Gründe, mal Fünf gerade sein zu lassen, entsprechend ist die von @DoctorWho oben zitierte Abschnitt aus dem Handbuch der Rechtsförmlichkeit auch zu sehen.

Diesen hat die Regierung nicht wirklich beachtet und solche Auswirkungen werden Richter auch kaum wahr haben wollen. Insgesamt ist und bleibt es ein populistisches Gesetz. Ein populistisches Gesetz kann zwar grundrechtskonform sein (das wage ich nicht zu beantworten), kann aber trotzdem mehr Schaden als Nutzen bringen und das ist hier zu befürchten.


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22.04.2022 um 00:33
Zitat von LentoLento schrieb:Mein Einwand hatte mit der Nichtverjährbarkeit von Mord in keiner Weise etwas zu tun.
Schade. Denn das ist gerade einer der springenden Punkte, die die Neuregelung nur unverjährbare Taten betrifft. Über andere nicht unverjährbare Taten reden wir hier gar nicht.
Zitat von LentoLento schrieb:sehen.

Diesen hat die Regierung nicht wirklich beachtet
Und der Bundestag und die im Rahmen der Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages angehörten Sachverständigen hätten das ebenfalls nicht? Also, mit Verlaub, alle doof außer Papi? Meinst du das wirklich ernst?
Zitat von LentoLento schrieb:Ein populistisches Gesetz kann zwar grundrechtskonform sein (das wage ich nicht zu beantworten), kann aber trotzdem mehr Schaden als Nutzen bringen und das ist hier zu befürchten.
Hierzulande ist entscheidend, ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist. Ob es das anrichtet, was einzelne Bürger sich davon erhoffen oder was sie davon befürchten, ist zwar interessant, aber am Ende nicht streitenscheidend.


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22.04.2022 um 00:49
Zitat von AndanteAndante schrieb:Schade. Denn das ist gerade einer der springenden Punkte, die die Neuregelung nur unverjährbare Taten betrifft. Über andere nicht unverjährbare Taten reden wir hier gar nicht.
Dass das Gesetz nur für diese Taten angewendet werden soll (bis zu nächsten Änderung) ist klar. Aber das war nicht mein Punkt. Es sind die wenigen Fälle, die es in dieser sehr langen Zeit gibt, weniger als einen Handvoll, DARUM ging es.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Hierzulande ist entscheidend, ob ein Gesetz verfassungsgemäß ist. Ob es das anrichtet, was einzelne Bürger sich davon erhoffen oder was sie davon befürchten, ist zwar interessant, aber am Ende nicht streitenscheidend.
Du machst es Dir zu einfach.

Ob Gesetze grungrechtskonform sind oder nicht, ist das eine, das ist noch nicht entschieden. Obgleich Gesetze grundrechtskonform sind, gibt es sinnvolle und auch schlechte.

Wenn die negativen Folgen überwiegen, dann war es das nicht. Wie gesagt, dass Gesetz hat grundsätzlich ein Geschmäckle, weil es noch kurz vor der Wahl durchgedrückt wurde. Ob solche Aspekte ausreichensd berücksichtigt wurden, ist da fraglich.

Oder kannst Du die weiteren Gefahren/Folgen, welche hier gesehen werden, die sich aus diesem Gesetz ergeben können, begründet entkräften?


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