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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

22.04.2022 um 01:34
Zitat von LentoLento schrieb:Oder kannst Du die weiteren Gefahren/Folgen, welche hier gesehen werden, die sich aus diesem Gesetz ergeben können, begründet entkräften?
Ja, kann ich. Zunächst mal ist, wie gesagt, die Neuregelung von vornherein auf 4 unverjährbare Verbrechen beschränkt. es muss sich also kein freigesprochener Betrüger, Sexualstraftäter oder Hühnerdieb vor ein einer Wiederaufnahme des Verfahrens zu seinen Ungunsten fürchten. Wer anderes verbreitet, ist ein Populist. Das OLG Celle drückt es vornehmer, aber in der Sache zutreffend aus:
Die in der Literatur teilweise geäußerte Befürchtung, die Einführung des weiteren Wiederaufnahmegrundes in § 362 Nr. 5 StPO führe zu einem „Dammbruch“, da er die Möglichkeit zur faktischen Aufgabe des in Art. 103 Abs. 3 GG gewährleisteten Mehrfachverfolgungsverbotes eröffne (vgl. Frister/Müller, ZRP 2019, 101), ist spekulativ und ohne valide Grundlage. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber den neuen Wiederaufnahmegrund bewusst mit den bereits genannten, besonders hohen Anwendungsvoraussetzungen versehen hat und jede weitere Ausweitung der Wiederaufnahmegründe der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unverletzlichkeit des Kernbereichs des Art. 103 Abs. 3 GG unterworfen wäre, ist nicht ersichtlich, auf welche valide Basis sich die geäußerte Besorgnis der Gefahr einer rechtspolitischen Fehlentwicklung i.S. eines „Dammbruchs“ gründet (vgl. Hoven, JZ 2021, 1154).
Also: Die Neuregelung ist kein „Dammbruch“, wie aber etwa ein Herr Prantl, der es eigentlich besser wissen müsste, weismachen will. Zweitens: um eine Wiederaufnahme zu Ungunsten des Freigesprochenen zu erreichen, muss es NEUE Tatsachen oder Beweismittel, geben, die zusätzlich auch noch geeignet sein müssen… (siehe Gesetzestext).

Du bist nun wirklich lange genug in der Krimirubrik dabei, um zu wissen, was an neuen geeigneten Tatsachen dazugehört, wenn ein Verurteilter die Wiederaufnahme seines Verfahrens erreichen will, seien es Genditzki, Darsow, Toth, Mazurek. Es klappt höchst selten. Bloß irgendwelche neuen Gutachter finden reicht nicht.

Nun, die Hürden sind keineswegs geringer, wenn aufgrund der Neuregelung die StA die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Ungunsten eines Freigesprochenen erreichen will. Bloß irgendwelche neuen Gutachter reichen nicht. Oder wie das OLG Celle schreibt:
Zum einen kommt eine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 5 StPO ausschließlich dann in Betracht, wenn „neue“ Tatsachen oder Beweise vorliegen, denen eine hohe Beweisqualität zukommt und die für sich bzw. im Ergebnis der Gesamtwürdigung mit den anderen vorhandenen Beweismitteln „dringende“ Gründe für eine spätere Verurteilung des Freigesprochenen begründen. Damit ist hinreichend sichergestellt, dass nicht jede nachträgliche, nur einen einfachen oder hinreichenden Tatverdacht i.S. der §§ 152, 203 StPO begründende Veränderung der Beweislage die Grundlage einer Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen darstellen kann. Vielmehr muss seine Verurteilung mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Gärditz, aaO, S. 6


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22.04.2022 um 02:33
Zitat von LentoLento schrieb:Diesen hat die Regierung nicht wirklich beachtet und solche Auswirkungen werden Richter auch kaum wahr haben wollen. Insgesamt ist und bleibt es ein populistisches Gesetz. Ein populistisches Gesetz kann zwar grundrechtskonform sein (das wage ich nicht zu beantworten), kann aber trotzdem mehr Schaden als Nutzen bringen und das ist hier zu befürchten.
Ich stimme hier @Lento und @DoctorWho voll und ganz zu. Ich sehe das Problem, dass die Denkweise eines Juristen dem Laien offensichtlich nicht ganz eingängig ist. Freilich, ich würde mich auch sehr freuen, wenn der Mörder von Frederike doch noch einer halbwegs gerechten Strafe zugeführt wird. Auch mir ist der Gedanke, dass ein Täter sich menschlicher Justiz entziehen kann sehr unangenehm.

Aber als Jurist habe ich gelernt, den Blick weg vom noch so bewegenden Einzelfall auf die Grundsatzfrage zu richten. Und wenn es um die grundsätzliche Bedeutung der Norm des "ne bis indem" geht, gibt es im zivilisierten Strafrecht nur wenige, die genauso wichtig sind. Die Vorstellung, dass der in seinen Mitteln grenzenlose Staat immer und immer wieder versuchen kann, eine Person zu verurteilen, selbst wenn die vorangegangenen Versuche nie erfolgreich waren, ist eine Horrorvorstellung. Denn im Gegensatz zum amorphen Staat, sind die Mittel jedes Verdächtigen und Angeklagten begrenzt: nicht nur die finanziellen, sondern auch Zeit, Lebensqualität, soziale Bindungen usw. Keiner wird wohl glauben, dass wiederholte Strafverfolgung hier nicht gewaltige Auswirkungen hat.

Und dagegen wird nun, von Regierung und OLG immer die gleiche Beruhigungspille gegeben: es sind doch nur ganz wenige Fälle, wird doch selten passieren usw usw.

Diese Ausreden sind einfach nicht redlich. Sonst sollten wir vox populi nachgeben und die Folter in diesen wenigen, ganz schlimmen, seltenen Fällen auch gleich erlauben, wo es doch so sehr um materielle Gerechtigkeit geht. (Dazu u.a. siehe hier: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/innere-sicherheit-schaeuble-will-unschuldsvermutung-aufweichen/2796784.html (Archiv-Version vom 05.11.2015))

Oder wir gestehen, dass der weltliche Rechtstaat einfach bestimmte Grenzen hat, wenn es um Strafverfolgung geht, die einzuhalten sind, selbst wenn es in "wenigen, seltenen Fällen" mal zu einer Niederlage im Kampf um materielle Gerechtigkeit kommt.

Oder wie der grosse Jurist William Blackstone im 18. Jahrhundert sagte: "
Es ist besser, daß zehn Schuldige entkommen, als daß ein Unschuldiger verfolgt wird.



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22.04.2022 um 04:33
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Oder wie der grosse Jurist William Blackstone im 18. Jahrhundert sagte: "
Es ist besser, daß zehn Schuldige entkommen, als daß ein Unschuldiger verfolgt wird.
Genau, und bei allen verjährbaren Taten, die nun wirklich den Löwenanteil aller Strafttaten ausmachen, bleibt es ja auch unverrückbar so. Bei der Neuregelung geht es letztlich um etwas, das nur alle paar Jahrzehnte einmal vorkommen wird. Nicht jede wegen des Vorwurfs des Mordes angeklagte Person wird freigesprochen, und bei den wenigsten so Freigesprochenen werden anschließend die vom Gesetz geforderten geeignete neue Tatsachen für eine Wiederaufnahme auftauchen.

Die Seltenheit des Vorkommens allein ist aber, wie gesagt für sich allein kein Argument gegen die Verfassungswidrigkeit der Regelung.


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22.04.2022 um 06:55
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Oder wie der grosse Jurist William Blackstone im 18. Jahrhundert sagte: "
Es ist besser, daß zehn Schuldige entkommen, als daß ein Unschuldiger verfolgt wird.
Würde denn , nach dem neuen Gesetz, ein Unschuldiger verfolgt? Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Es sind doch noch hohe Hürden vor einer erneuten Verhandlung. Davon ab, sieht ein Jurist wohl auch kein Mordopfer. Wenn nur ein Schuldiger entkommt und danach 10 weitere Menschen mordet, was soll das für ein Rechtsfrieden sein? Der Ex-Anwalt des Mörders, hätte dann seinen Frieden?

Ich finde es schon gut, dass wir nicht mehr im 18.Jahrhundert leben und da muss man sich eben anpassen.


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22.04.2022 um 07:11
Zitat von Frau.N.ZimmerFrau.N.Zimmer schrieb:Würde denn , nach dem neuen Gesetz, ein Unschuldiger verfolgt? Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Es sind doch noch hohe Hürden vor einer erneuten Verhandlung.
Er ist so lange unschuldig, bis am Ende des Prozesses die Schuld festgestellt wird oder auch nicht. Die Verfolgung, auch Ermittlung und alles dazugehörende, evtl, einschliesslich Untersuchungshaft, genannt, findet aber bereits lange vorher statt.

Mir scheint, das ist das Verständnisproblem hier. Alle gehen irgendwie davon aus, dass die Neuregelung ja nur "Schuldige" trifft. Aber vor dem Ende der Sache weiss eben niemand, ob derjenige schuldig ist. Also ist klar, dass es genauso Unschuldige treffen kann. Sonst könnte man sich ja das ganze Verfahren einsparen und die Betreffenden gleich wegsperren.
Zitat von Frau.N.ZimmerFrau.N.Zimmer schrieb:Davon ab, sieht ein Jurist wohl auch kein Mordopfer. Wenn nur ein Schuldiger entkommt und danach 10 weitere Menschen mordet, was soll das für ein Rechtsfrieden sein? Der Ex-Anwalt des Mörders, hätte dann seinen Frieden?
Ja klar, wir Juristen sind alle nur Monster. So ein Quatsch.


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22.04.2022 um 08:06
@Andante
Leider gehst Du auf die Problematik, welche mit diesem Gesetz zusätzlich verknüft ist, nicht ausreichend ein.

Die Problematik gilt für jede Mordanklage und auch jedes Mordurteil. In Zukunft wird möglicherweise die StA früher anklagen. Die Gefahr ist groß, dass dieses Gesetz Folgen für die prozessuale Verarbeitung der Tötungsdelikte Totschlag und Mord haben kann, denn es steht zu Beginn einer Verhandlung noch nicht unbedingt fest, ob es sich um einen Mord oder Totschlag handelt. Das sind also rund 1000 Verfahren im Jahr, die dadurch beeinflusst werden können, also in 40 Jahren rund 40000. Dagegen löst das Verfahren weniger als 5 Fälle zur aktuellen Zeit. Wenn man diese Größenordnungen miteinander vergleicht, wird diese nicht beachtete Auswirkungen und deren Abwägung mit Sicherheit größer sein, als die wenigen Fälle, welche es löst.

Leider haben Deine Ausführunge keinerlei Sicherheit gebracht, es bringt nichts, wenn man formelhaft den Urteilstext wiedergibt, wenn man nicht mal die in Frage kommenden Zahlen versucht größenordnungsmäßig zu ermitteln. Genauso schlecht wie Deine Argumentation ist auch das von Dir zitierte Urteil in diesem Punkt.


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22.04.2022 um 08:15
Zitat von Frau.N.ZimmerFrau.N.Zimmer schrieb:Würde denn , nach dem neuen Gesetz, ein Unschuldiger verfolgt? Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Es sind doch noch hohe Hürden vor einer erneuten Verhandlung. Davon ab, sieht ein Jurist wohl auch kein Mordopfer. Wenn nur ein Schuldiger entkommt und danach 10 weitere Menschen mordet, was soll das für ein Rechtsfrieden sein? Der Ex-Anwalt des Mörders, hätte dann seinen Frieden?
Die neue Gesetzgebung wirkt sich in erster Linie auf mögliche Täter aus, welche evtl. seit 40 Jahren keine weitere Tat begangen habe. Läge es in dem vorliegenden Fall es so, wie Du argumentierst, wäre der mutmaßliche Mörder von dem hier diskutierten Fall kaum frei. Es wird sich da eher um Fälle handeln wo es um einmalige "Entgleisungen" geht. Hier ist der Rechtsfrieden definitiv wichtig.


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22.04.2022 um 08:43
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Ich sehe das Problem, dass die Denkweise eines Juristen dem Laien offensichtlich nicht ganz eingängig ist.
An dem Thema scheiden sich aber auch die Experten, also auch Rechtstheoretiker und hochrangige Juristen. Ein Autoritätsargument zieht hier also nicht. Es ist ein Thema, zu dem man offenbar, Laie wie Jurist, eine unterschiedliche Meinung haben kann. Ich kann beide Meinungen verstehen. Ich glaube aber, dass das Gesetz kaum Folgen haben wird und das Zeichen einer angeblichen Aufweichung des Grundsatzes "ne bis in idem" aktuell überbewertet wird. Der Rechtsstaat ist mMn. nicht in Gefahr, weder praktisch noch symbolisch.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Die Vorstellung, dass der in seinen Mitteln grenzenlose Staat immer und immer wieder versuchen kann, eine Person zu verurteilen, selbst wenn die vorangegangenen Versuche nie erfolgreich waren, ist eine Horrorvorstellung.
Diese Horrorvorstellung ist nach Ansicht einiger Juristen für einen bestimmten Täterkreis gewollt, nämlich für Mörder und Kriegsverbrecher. Hierzu mal die recht interessante Stellungnahme von Rechtsanwalt Schädler, der Hans von Möhlmann vertritt, in der öffentlichenAnhörung zum Gesetzentwurf am 21.06.21 (Transkript):
Mein Mandant Hans von Möhlmann und ich haben sich für eine Änderung, so wie sie der Gesetzentwurf jetzt im Auge hat, seit sechs Jahren eingesetzt, ich komme daher einen langen Weg her. Auf diesem Weg sind die Argumente intensiv und gegensätzlich und erschöpfend ausgetauscht worden. Alle Gesichtspunkte sind nun in dem aus meiner Sicht sehr bemerkenswerten Gesetzentwurf umfassend dargelegt worden. Meine Stellungnahme kann sich deshalb auf wenige, nämlich nur auf zwei Punkte beschränken.
Erstens. Die lange andauernde Diskussion, die wir geführt haben, wird verständlich vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung mit dem Rechtswesen im Nationalsozialismus, wo es dem Staat nach Belieben möglich war, nicht nur freisprechende Urteile, sondern auch seiner Meinung nach zu milde Urteile zu kassieren und in strengere Urteile umzuwandeln. Zu Recht wollten die Väter des Grundgesetzes dem einen Riegel vorschieben und enge Grenzen zugunsten der Rechtssicherheit setzen, aber hiermit wird auch meiner Meinung nach der Kern des Artikel 103 des Grundgesetzes beschrieben. Wir haben immer über Grenzkorrekturen gesprochen. Die Definition des Kerns ist entscheidend und der Kern ist: Der Staat darf in einem Rechtsstaat nicht Urteile austauschen, die ihm missliebig sind.
Der hier vorliegende Gesetzentwurf respektiert diese Grenzsetzung, da sein Anwendungsbereich auf die unverjährbaren Delikte Mord und Völkermord beschränkt ist.
Und hier schließt sich ein Kreis: Mord ist unverjährbar.
In allen Diskussionen, die wir in den sechs Jahren geführt haben, war das jedem, auch dem Rechtsunkundigen präsent, die Unverjährbarkeit, damals als Kampf gegen die Nazidelikte gedacht, entwickelte sich zu einem Leuchtturm unseres Rechtsstaats, weil dieser jedem signalisiert: Die Strafverfolgung gibt niemals auf, das Schwerste aller Delikte zu ahnden.

Der vorliegende Gesetzentwurf führt diesen Rechtsgedanken jetzt so zu Ende, dass ein falsch freigesprochener Mörder sich niemals seines Triumphes über die Fakten sicher sein kann.

Zweitens. Der Gesetzentwurf stellt die Balance für die Wiederaufnahmegründe zu Ungunsten des Verurteilten wieder her, nachdem diese aus meiner Sicht zu seinen Gunsten durch eine Gesetzesänderung bereits verschoben worden sind. Warum? Die Vorschrift des Paragraph 59 StPO, die die Vereidigung regelt, trat am 1.9. 2004 in seiner derzeitigen Fassung in Kraft. Nach der alten Fassung hatte das Gesetz die Vereidigung eines Zeugen nach seiner Vernehmung als Regel, die Nichtvereidigung als Ausnahme vorgesehen. Mit der Neufassung der Bestimmung hat der Gesetzgeber dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt, danach sollten Zeugen im Regelfall nicht mehr vereidigt werden. Und diese Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hatte eine Auswirkung, um die es hier geht. In Nummer zwei, die unverändert geblieben ist, kann nämlich das Verfahren nur dann wieder aufgenommen werden, wenn ein Zeuge oder Sachverständiger sich einer fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat. Wird er aber nicht vereidigt und machte nur fahrlässig eine falsche Aussage, läuft 362 Nr. 2 faktisch leer, obwohl er einer der wichtigsten Gründe früher für eine Wiederaufnahme gewesen ist. Und dieses lässt sich eindrucksvoll beschreiben an dem Prozess, in dem der Täter von Frederike von Möhlmann freigesprochen wurde. Der Gutachter, der über den Reifenabdruck Auskunft geben musste, hatte, so haben die Ermittlungen ergeben, ein falsches Gutachten, allerdings nur fahrlässig, abgeliefert. Wäre er wie früher vereidigt worden, hätte das Verfahren gegen den Täter wieder aufgenommen werden können. Was bedeutet das? Das bedeutet aus meiner Sicht nichts weniger, als dass der vorliegende Gesetzentwurf die aus dem Lot geraten Rechtswirksamkeit des Paragraphen 362 StPO durch die hier vorgesehene Ziffer 5 wenigstens teilweise wieder korrigiert.



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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

22.04.2022 um 09:00
@Palio

Für den Einzelfall mag das Gesetz richtig sein.

Für mich wurde dem Fall Möhlmann bei der Tagung viel zu viel Gewicht gelegt. Irgendein Anwalt, der die Nöte eines Freigesprochenen darlegt und dessen zerstörtes Umfeld beschreibt, kam nicht zur Sprache. Für einen ausgewogene Gesetzgebung gehört jedoch alle Seiten zu betrachten. Dass die vorhandene Gesetzgebung für bestimmte Fälle nicht optimal ist, ist genaugenommen das normale und man erreicht durch ein Gesetzesänderung zwar für den Einzelfall etwas, aber man schafft gleichzeitig viele andere Fälle, die möglciherweise danach schlechter gelöst sind. Die Gesetzgebung schafft es grundsätzlcih nicht jedem Einzelfall gerecht zu werden, hier wurde es trotzdem versucht, die negativen Folgen wurden pauschal - ohne auch nur ein deut die zu vergleichenden Zahlen zu konkretisieren, als nicht so schlimm angesehen. Das ist jedoch eine nur rein pauschale Betrachtung ohne wirklichen Wert.

bezeichnend

Die Problematik der Vereidigung ist etwas anderes, dazu muss man nicht an einer anderen Stelle des Gesetzes drehen, das auf diesen Punkt keinen Einfluss hat, sondern konkret die Sache mit der Vereidigung verbessern. In Wirklichkleit löst das neue Gesetz an dieser Stelle überhaupt nichts, vermutlich betrifft es dann andere Fälle. Diese Argumentation hätte sich der Anwalt sparen sollen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

22.04.2022 um 09:16
Zitat von PalioPalio schrieb:An dem Thema scheiden sich aber auch die Experten, also auch Rechtstheoretiker und hochrangige Juristen. Ein Autoritätsargument zieht hier also nicht. Es ist ein Thema, zu dem man offenbar, Laie wie Jurist, eine unterschiedliche Meinung haben kann. Ich kann beide Meinungen verstehen.
Genau so ist es. Meine Bemerkung sollte auch keineswegs eine "Autorität" des Juristen über den Laien etablieren, sondern erklären, warum sich m.W. die grosse Mehrheit der Juristen gegen diese Neufassung ausspricht, während sie unter Laien sehr populär ist.

Allerdings bleibe ich schon dabei, dass man der Ansicht der Juristen hier durchaus gehör schenken sollte. Wenn ich ins Krankenhaus gehe um operiert zu werden, tendiere ich auch dazu den Medizinern mehr zu vertrauen als manchem Laien, der meint es besser als diese zu wissen.
Zitat von LentoLento schrieb:Die Problematik der Vereidigung ist etwas anderes, dazu muss man nicht an einer anderen Stelle des Gesetzes drehen, das auf diesen Punkt keinen Einfluss hat, sondern konkret die Sache mit der Vereidigung verbessern. In Wirklichkleit löst das neue Gesetz an dieser Stelle überhaupt nichts, vermutlich betrifft es dann andere Fälle. Diese Argumentation hätte sich der Anwalt sparen sollen.
Das sehe ich auch so. Wenn ich ein Problem mit den Bremsen meines Autos habe, ist es nicht sonderlich sinnvoll, die Konstruktion des Vergasers zu verändern.
Zitat von LentoLento schrieb:Für mich wurde dem Fall Möhlmann bei der Tagung viel zu viel Gewicht gelegt. Irgendein Anwalt, der die Nöte eines Freigesprochenen darlegt und dessen zerstörtes Umfeld beschreibt, kam nicht zur Sprache. Für einen ausgewogene Gesetzgebung gehört jedoch alle Seiten zu betrachten.
Yup. Das hatte ich schon erwähnt, ich würde gerne sehen, dass Frederikes Mörder bestraft wird, aber Gesetze werden normalerweise nicht für den Einzelfall gemacht.


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22.04.2022 um 10:08
Zitat von PalioPalio schrieb:In allen Diskussionen, die wir in den sechs Jahren geführt haben, war das jedem, auch dem Rechtsunkundigen präsent, die Unverjährbarkeit, damals als Kampf gegen die Nazidelikte gedacht, entwickelte sich zu einem Leuchtturm unseres Rechtsstaats, weil dieser jedem signalisiert: Die Strafverfolgung gibt niemals auf, das Schwerste aller Delikte zu ahnden.
Ob die fehlende verjährbarkeit wirklich ein "Leuchtturm" ist, da gehen die Rechtsmeinungen auch weit auseinander. Man muss bedenken, welche Fälle werden (von den Nazi-Morden abgesehen) wirklich "gelöst"? Was für Gefahren entstehen? Die Gefahren liegen auf der Hand und diese hat die Verhandlung im Schlossgartenmordfall von Aschaffenburg ganz deutlich vor Augen geführt.

Und welche Fälle löst er? Wenn es sich um einen Serientäter handelt, dann ist derjenig in anderen Fällen sicher schon eingebuchtet worden. Als Präventation ist die Aufklärung eines Mordes nach 30 Jahren nicht geeignet, ein Teilgrund der Inhaftierung entfällt, zurück bleibt nur noch der Sühnegedanken. Für manch einen mag das ausreichen, was auf der anderen Seite jedoch steht, darf man nicht unbeachtet lassen. Alibis, welche auf Zeugenaussagen beruhen, sind normalerweise nach dieser Zeit wertlos, und das genau hätte im Schlossgartenfall fast zu einem Fehlurteil in Kombination mit einem Schlechtachten geführt.


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22.04.2022 um 10:46
1) Kann ein rechtskräftig wegen Totschlags Verurteilter aufgrund der neuen Regelung wegen neuer Beweise, die Mordmerkmale belegen, im selben Fall nachträglich wegen Mordes vor Gericht gestellt werden? Als eine Art Upgrade?

Meiner Meinung nach nicht, wie seht ihr das?

2) Kann ein Wiederaufnahmeverfahren aufgrund der neuen Regelung auch mit einer Verurteilung wegen Totschlags enden, wenn das Gericht im Verlauf des Verfahrens zur Erkenntnis gelangt, dass die neuen Beweise, die zunächst eine Verurteilung wegen Mordes wahrscheinlich erscheinen ließen und damit das Wiederaufnahmeverfahren erst ermöglichten, bei näherer Betrachtung doch keine Mordmerkmale beweisen, wohl aber eindeutig die Täterschaft des Angeklagten belegen, welche im ursprünglichen Verfahren nicht nachweisbar war?

Ich denke ja, wie seht ihr das?


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22.04.2022 um 11:40
Zitat von LentoLento schrieb:In Zukunft wird möglicherweise die StA früher anklagen. Die Gefahr ist groß, dass dieses Gesetz Folgen für die prozessuale Verarbeitung der Tötungsdelikte Totschlag und Mord haben kann, denn es steht zu Beginn einer Verhandlung noch nicht unbedingt fest, ob es sich um einen Mord oder Totschlag handelt.
Nein, so denkt ein Staatsanwalt nicht. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anklageerhebung sind ja die gleichen geblieben, u.a. muss für eine Anklageerhebung die hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit gegeben sein, ansonsten muss das Ermittlungsverfahren zwingend eingestellt werden. Da wird jetzt nicht plötzlich bei der StA gewürfelt, und entsprechende Horrormärchen entbehren jeder Grundlage.

Kein Staatsanwalt wird, das darf er nach der StPO gar nicht, mal eben leichtfertig jemanden wegen Mordes anklagen und dabei im Hinterkopf denken „Macht ja nichts, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, dann gibt´s eben hinterher eine Wiederaufnahme“. Keine Anklagebehörde kann darauf vertrauen, dass nach einem Freispruch schon hurtig die neuen geeigneten Tatsachen für eine Wiederaufnahme herbeigehüpft kommen, dass das Wiederaufnahmegericht dem Antrag auf Wiederaufnahme stattgibt und dass schlussendlich in einem eventuell wiederaufgenommen Verfahren überhaupt eine Verurteilung erfolgt.


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22.04.2022 um 11:46
@Lichtgestählt
1 wäre ganz eindeutig nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar.

Zu 2: Hier wäre ich mir gar nicht so sicher, wenn keine Verjährung für den Totschlag eingetreten wäre. Es wäre auf jeden Fall eine Wiederaufnahme möglich. Vom Wortlaut des Gesetzes gibt es nichts, was in diesem Fall gegen einen Verurteilung wegen Totschlages widerspricht.

Das Problem zwischen Mord und Totschlag ist auch das, dass es dabei auf sehr auf die Darstellung des Angeklagten ankommt. Wenn er im Verfahren begründet aufzeigt, dass es nur Totschlag war, dann ist nur Totschlag möglich. Das muss nicht vor dem Verfahren bekannt sein.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Kein Staatsanwalt wird, das darf er nach der StPO gar nicht, mal eben leichtfertig jemanden wegen Mordes anklagen und dabei im Hinterkopf denken „Macht ja nichts, wenn der Angeklagte freigesprochen wird, dann gibt´s eben hinterher eine Wiederaufnahme“
Und? Wie ermittelt man das? Wie kann man feststellen, was ein StA denkt? Das sind doch alles bloße theoretische Überlegungen, die man nicht belegen kann. Die Realität sieht manchmal anders aus. StA sind nicht ideale Menschen.


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22.04.2022 um 11:56
Zitat von LentoLento schrieb:Und? Wie ermittelt man das? Wie kann man feststellen, was ein StA denkt? Das sind doch alles bloße theoretische Überlegungen, die man nicht belegen kann. Die Realität sieht manchmal anders aus. StA sind nicht ideale Menschen.
Man sieht es doch an der Anklageschrift, die beim Gericht eingereicht wird. Was ist da an Ermittlungsergebnissen aufgeboten, was an Beweisantritten, wie dürftig oder wie ausgefeilt ist das Ganze? Das Gericht muss sich anhand dessen ja im Zwischenverfahren schon ein Bild machen, ob es die Anklage überhaupt zulässt. Und dieses Bild macht es sich anhand der Anklageschrift. Schon damit die Anklage überhaupt zugelassen wird, muss also die Anklageschrift Hand und Fuß haben.


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22.04.2022 um 12:07
Naja, wie ich schon schrieb, der Unterschied zwischen Mord und Totschlag ist nie so leicht zu erkennen. Es reichen nur dringende Gründe wegen Mordes aus. Man kann es in der Anklageschrift so formulieren, dass man von Mord ausgeht, aber wenn dann zum Schluss Totschlag rauskommt, was ist dann? Das ist gar nicht so selten, dass am Ende eines Verfahrens wegen Mordes nur Totschlag bewiesen werden kann.

Wird derjenige dann freigesprochen, wenn Totschlag zu dem Zeitpunkt nicht verjährt ist?

Wie gesagt, ich sehe da kein Hemmnis im Gesetz, das wäre dann sehr interessant, dann würde die Gefahr des Gesetzes sogar noch deutlich weiter gehen, als ich ursprünglcih dachte. Was sagen dazu die Fachleute?


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22.04.2022 um 12:28
Mir scheint, wir sind hier in einem Glaubenskrieg, den wir wohl nicht auflösen können. Dennoch wiederhole ich meine Warnung davor, die Neuregelung so zu interpretieren, als greife sie nur, wenn man nun "sowieso unwiderlegbare Beweise" für die Schuld des Angeklagten habe. Mir scheint, diese Fehlinterpretation ist weit verbreitet. Daher zitiere ich hier mal aus dem Newsletter des Fachbereichs Jura der Uni Freiburg, der Argumente aus der ZRP aufgreift:
Es lässt sich aber auch argumentieren, Art. 103
Abs. 3 GG könne durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden, in diesem Fall durch das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit
(dazu MüKo-StPO/Engländer/Zimmermann,
2019, Vorbemerkung zu § 359 Rn. 3). Auch dann
ist die Lage nicht so eindeutig, wie die Rede von
andernfalls „schlechterdings unerträglichen Ergebnissen“ (BT-Drs. 16/7957, 1) vermuten lässt.
Ein Gerichtsverfahren belastet den Angeklagten psychisch in hohem Maße (vgl. Frister/Müller ZRP 2019, 101, 102). Steht das Urteil unter dem
Vorbehalt, durch künftige technische Entwicklungen ergebe sich nichts Neues, muss sich der Freigesprochene auf unabsehbare Zeit (Mord verjährt nicht!) auf die Möglichkeit eines erneuten Verfahrens einstellen. Schlimm wäre das vor allem für tatsächlich Unschuldige (Frister/Müller ZRP 2019, 101, 104).

Die spätere technische Auswertung von Beweismitteln erlaubt in aller Regel nur einen Hinweis auf eine mögliche Schuld und nicht den sicheren
Schluss, das Beweismittel werde zu einer späteren
Verurteilung führen. Wird am Tatort die DNA
des Verurteilten gefunden, besagt das zunächst
nur, dass der Verurteilte dort war, und nicht, dass
er die Tat begangen hat. Zudem ist auch die
DNA-Analyse mit einem gewissen Fehlerpotenzial behaftet, erinnert sei hier nur an das „Phantom von Heilbronn“ (Frister/Müller ZRP 2019,
101, 103; Pabst ZIS 2010, 126, 128 f.). Eine spätere technische Auswertung von Beweismitteln hilft also nicht automatisch der Gerechtigkeit.

Ein rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren darf
nicht allein deswegen neu aufgerollt werden.
„Wir sind Rechtsstaat“, plakatiert das BMJV derzeit. Es ist die große Errungenschaft unseres
Rechtsstaates, dass wir uns nicht von Emotionen
leiten lassen, die uns im ersten Moment überkommen. Mag auch die nachträgliche Verurteilung eines Mörders verständlich erscheinen – unsere Regeln verbieten es. Sie schützen uns alle.
Quelle: https://strafrecht-online.org/newsletter/ws-2019/Lehrstuhlnewsletter%20vom%2022.11.2019.pdf (Archiv-Version vom 04.04.2022)

Gerade der letzte Punkt erscheint mir sehr wichtig. Denn der "Glaube an die Unfehlbarkeit der DNA-Beweise" birgt hier grosse Gefahren, die hier angesprochen werden.


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22.04.2022 um 12:49
Zitat von LentoLento schrieb:Es reichen nur dringende Gründe wegen Mordes aus. Man kann es in der Anklageschrift so formulieren, dass man von Mord ausgeht, aber wenn dann zum Schluss Totschlag rauskommt, was ist dann? Das ist gar nicht so selten, dass am Ende eines Verfahrens wegen Mordes nur Totschlag bewiesen werden kann.

Wird derjenige dann freigesprochen, wenn Totschlag zu dem Zeitpunkt nicht verjährt ist?
Ich verstehe jetzt nicht genau, was du meinst. Meinst du den Fall, dass jemand wegen Mordes angeklagt wird, weil die StA glaubt, Mord auch beweisen zu können, dass sich aber in der Hauptverhandlung herausstellt, dass nach Auffassung des Gerichts kein Mordmerkmal gegeben ist und nur Totschlag in Betracht kommt, Totschlag aber verjährt ist? Dann spricht das Gericht frei. Im Urteil begründet es auch, warum nach seiner Ansicht kein Mordmerkmal vorliegt. In diesem Fall bestünde theoretisch eine Wiederaufnahmemöglichkeit nach § 362 Nr. 5 StPO, aber wo sollen die neuen geeigneten Gründe bzw. Beweismittel für Mord herkommen, wenn sie schon in der Hauptverhandlung nicht da waren? Die StA wird sich die Begründung des Gerichts, warum kein Mordmerkmal gegeben war, schon sehr sorgfältig durchgelesen haben. Woher also nimmt sie nach rechtskräftigem Freispruch plötzlich welche her?

Ist der Totschlag noch nicht verjährt, wird wegen Totschlags verurteilt. In diesem Fall kann nicht wiederaufgenommen werden, es gibt ja keinen freigesprochenen Angeklagten, der aber nach dem Gesetzeswortlaut Voraussetzung für die Wiederaufnahme ist.
StPO)
§ 362 Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten

Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig,
1.
wenn ……
2.
wenn ….
3.
wenn …..
4.
wenn ….
5.
wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechens gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches) verurteilt wird.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Gerade der letzte Punkt erscheint mir sehr wichtig. Denn der "Glaube an die Unfehlbarkeit der DNA-Beweise" birgt hier grosse Gefahren, die hier angesprochen werden.
Das Wiederaufnahmeverfahren allerdings noch nicht die wieder eröffnete Hauptverhandlung. Natürlich kann das für die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens zuständige Gericht, das nicht identisch mit dem Gericht ist, das für die neue Hauptverhandlung zuständig wäre, nur darüber entscheiden, ob eine neue DNA-Spur etwas im Sinne von § 362 Nr. 5 StPO ist, also ab sie a) ein neues Beweismittel ist, das b) allein oder in Verbindung mir früher erhobenen Beweisen c) einen dringenden Grund dafür bildet, dass der Freigesprochene wegen Mordes….verurteilt wird. Mehr hat das Wiederaufnahmegericht nicht zu beurteilen.

Ob die neue DNA-Spur in einem wiederaufgenommen Verfahren dann zusammen mit allen anderen Hauptverhandlungsergebnissen tatsächlich zu einer Verurteilung wegen Mordes führt, hat die dann zuständige Strafkammer zu entscheiden.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

22.04.2022 um 15:45
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Mir scheint, das ist das Verständnisproblem hier. Alle gehen irgendwie davon aus, dass die Neuregelung ja nur "Schuldige" trifft. Aber vor dem Ende der Sache weiss eben niemand, ob derjenige schuldig ist. Also ist klar, dass es genauso Unschuldige treffen kann. Sonst könnte man sich ja das ganze Verfahren einsparen und die Betreffenden gleich wegsperren.
Na ja, wenn die Hürden davor bewältigt sind und es zur Anklage kommt, würde ich das riskieren wollen.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Ja klar, wir Juristen sind alle nur Monster. So ein Quatsch.
Mehr fällt dir dazu nicht ein? Warum soll man denn auf dem Stand eines Menschen aus dem 18. Jahrhundert urteilen? Wusste der was von Mitteln, die man heute hat? Was brauchte es im 18. Jahrhundert für einen Schuldbeweis, Augenzeugen ?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

22.04.2022 um 17:05
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ist der Totschlag noch nicht verjährt, wird wegen Totschlags verurteilt. In diesem Fall kann nicht wiederaufgenommen werden, es gibt ja keinen freigesprochenen Angeklagten, der aber nach dem Gesetzeswortlaut Voraussetzung für die Wiederaufnahme ist.
Du redest am Thema vorbei. Natürlich sprechen wir hier nur über Fälle, bei denen in einem vorherigen Verfahren der Angeklagte freigesprochen wurde. Wie kommst Du bloß nur auf die Idee, dass es um etwas anderes hier gehen soll?

Und dazu hatte @Lichtgestählt die klare Frage gestellt, ob bei einem Wiederaufnahmeverfahren in dieser Sache, welche eigentlich nur dann erfolgen darf wenn dringende Gründe für Mord vorliegen einen Verurteilung wegen Totschlags möglich ist. Wenn sich dann in der Verhandlung rausstellt, dass "nur" Totschlag vorlag bzww. die Mordmerkmale nicht bewiesen werden konnten (z.B. durch Einlassungen des Angeklagten), dann steht aus jetziger Sicht nichts entgegen, dass derjenige dann wegen Totschlags verurteilt wird.

Daher ist der ach so kleine mögliche Kreis der Wiederaufnahmen - wie uns hier weiß gemacht werden soll - gar nicht gegeben.

Aus meiner Sicht hätte der Gesetzgeber - wäre wirklich nur dieser kleine Kreis gegeben - genau das in das Gesetz aufnehmen müssen, dass dann nur bei dem Beweis der Mordmerkmale wegen Mordes verurteilt werden darf und andernfalls derjenige freizusprechen ist. Aber genau dazu findet man kein einziges Wort.

Wie gesagt, ein vollkommen populistisches undurchdachtes Gesetz. So etwas kommt eben raus, wenn man kurz vor der Wahl so ein Gesetz durchdrückt. Wie gesagt, der eigentlcihe Grund wird gewesen sein, der AfD keine Bühne zu liefern.


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