Andante schrieb:Die Frage andersrum formuliert: ist maßgeblich für den Fristbeginn das sog. „Kennenmüssen“ des Angeklagten, dh der Zeitpunkt, ab dem Rick die Akte hätte lesen müssen und ST von den Mails erzählen müssen, wobei man streiten kann, ob das gleich nach Eintreffen der Akte war oder später, und wenn ja, wann) oder die tatsächliche Kenntnisnahme (nach Rickscher Behauptung, die ihr im übrigen kaum zu widerlegen sein wird), also ab letztem Wochenende - wobei Rick dann kaum Zeit gehabt hätte, ST zu fragen, ob er solche Anträge überhaupt stellen möchte (was der BGH voraussetzt), sie muss ja sofort losgeprescht sein mit den Anträgen, die Bild musste sie ja auch noch informieren, damit die am Montag mit der Schlagzeile kommt, aber egal….
Aber das ist ja eigentlich der Grund, warum man bei amtlichen bzw. juristischen Fristen immer den Termin des "Kennenmüssens" einsetzt und nicht den der tatsächlichen Kenntnisnahme.
Die tatsächliche Kenntnisnahme liegt ja zum einen einzig und allein in der Hand des Kenntnisnehmers, der damit Frist (fast) beliebig lange hinauszögern kann, in dem er den Brief einfach nicht öffnet und liest oder wie hier, die Akte einfach liegen lässt, statt sie durchzulesen.
Und zum anderen gibt es keine objektive Beweismöglichkeit, wann jemand von etwas tatsächlich Kenntnis bekommen hat. Theoretisch kann sie die Emails am Tag nach Zustellung an die Kanzlei gelesen haben, hat den Ordner wieder zugeschlagen (oder zugeklickt) und hat sich gesagt, dass sie sich dieses Ass mal lieber für später aufhebt, je nach dem wie wackelig es für den Angeklagten wird.
Der Hydromechaniker, der Traumaspezialist und die Gerichtsmedizinerin haben ja erst Ende Januar ausgesagt, bis dahin glaubte Rick ja z.B. noch, sie können ein Unfallgeschehen nachweisen oder zumindest als Möglichkeit darlegen. Anfang Januar war also noch einiges offen und selbst wenn Richterin und StA zu dem Zeitpunkt sich schon einen Tatablauf zurechtgelegt haben sollten, hätte man mit einem Gutachten, was einen Unfall zumindest als Möglichkeit in Betracht zieht noch gut auf einen Freispruch plädieren können mit guten Aussichten auf Erfolg. Eine erfolgreicher Befangenheitsantrag wäre zu diesem Zeitpunkt also gar nicht im Interesse des Mandanten gewesen.
Der Gesetzgeber möchte ja aber gerade eben nicht, dass sich jemand so einen Befangenheitsantrag als Ass in den Ärmel stecken kann, das er rauszieht, wenn es ihm in den Kram passt. Deshalb gibt es den Passus "ohne schuldhaftes Zögern", also unverzüglich. Der wiederum macht bei tatsächlicher Kenntnisnahme aber ja wie gesagt keinen Sinn, weil man dazu eben kein Datum sicher feststellen kann.
Und eigentlich kann hier meiner Meinung nach auch nicht auf die Kenntnisnahme durch den Angeklagten abgestellt werden. Die wenigsten Angeklagten kennen die kompletten Akten und selbst wenn sie sie zur Verfügung haben, lesen die wenigsten das Seite für Seite durch, weil es in einem für sie schlichtweg nicht verständlichen Amts- und Juradeutsch geschrieben ist. Die wenigsten haben juristische Vorkenntnisse und können die Sachverhalte deshalb weder einordnen noch beurteilen.
Deshalb sind sie eben regelmäßig darauf angewiesen, dass ihr Verteidiger sie auf solche Details aufmerksam macht und ihnen die Konsequenzen und Reaktionsmöglichkeiten darauf erklärt.
Und die wenigsten Angeklagten dürften zudem in der Lage sein, einen solchen Befangenheitsantrag formgerecht zu stellen.
Der Mandant ist hier also zu 100% auf den Verteidiger angewiesen. Und da kann es eben eigentlich nicht sein, dass ein Verteidiger einen solchen Befangenheitsgrund in den Akten entdeckt und sich das oben beschriebene Ass dadurch in dem Ärmel steckt, dass er dem Mandanten einfach nichts davon erzählt.
Deshalb denke ich, dass die Frist hier auch nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Angeklagten abzielen kann.