Heuchelei in unserer Gesellschaft

Roydiga schrieb:Warum sollte meine Trauer größer oder kleiner sein, weil an Bord des Flugzeugs Menschen meiner Nationalität waren? Ist das menschlich nicht eigentlich unterste Schublade so zu denken?

Genau das sind meine Gedanken, wenn in den Nachrichten von welchen internationalen Unglücken auch immer berichtet wird und der Sprecher sagt: "unter den Opfern waren XY Deutsche".

@Roydiga

Du hast in vielen Sachen ganz recht. Zuerst groß "Satire darf alles" postulieren und sich dann über den Postillon aufregen. Diese Leute heben einfach kein Interesse das auch zu meinen, was sie sagen. Hauptsache man kann sich mit der Außenwelt identifizieren, indem man bei dem mitmacht, was gerade angesagt ist. "Markus Lanz ist doof? Ich habe zwar nie seine Talkshow gesehen und kann es auch nicht wirklich begründen, aber okay, er ist ist doof".

Und wenn man ihnen dann ihre Doppelmoral vor Augen führt, dann "geht es darum nicht". Und generell "kann man es nicht vergleichen".

Ich würde es jedoch nicht Heuchelei nennen, sondern einfach Gruppenzwang, auf jeden Fall dazugehören wollen, und das geht heutzutage ganz leicht mit ein paar Klicks. Und am Ende weiß niemand mehr, was er geteilt/gepostet hat. Es geht ja nicht wirklich um den Inhalt, sondern um die Tatsache, dasss man mitmacht.

Auch die Sache mit den Nationalitäten der Germanwings-Opfer: Sie sollten im Grunde keine Rolle spielen, dennoch möchte man es irgendwie wissen. Man sagt es halt, weil man es sagen kann. In der Bescheidenheit und Selbstreflexion waren die Medien eh nie besonders engagiert.

Das Thema Heuchelei passt zu einem Geschehen in einem meiner Beiträge, wo es sich um eine Person handelte die Filmentwürfe klaute und mit Hilfe anderen deren Inhalt nachahmte. Wie sonst sollte eine private Sache wie die Filmentwürfe die niemand kannte, durch Diebstahl so grosse Auswirkungen haben.

Da hat eine Person erkannt wo der Autor einer Filmstory Erfolg haben wollte, doch bevor der Autor zum Erfolg kam wollte die Person am Geschehen teilnehmen (lassen). Die Person inszenierte mit anderen Inhalte der Geschichte, als wäre es denen passiert. Vielleicht aus dem Grund "bevor er zum Erfolg kommt, komme ich zum Erfolg oder bringe ich seine Erfolgspläne durcheinander."

Der Autor bekam es immer wieder Leuten zu tun die mit Tricks versucht haben ihm Informationen zu entlocken. Diese Leute haben ihr bereits vorhandenes Wissen und Vorhaben dem Autor gegenüber verleugnet.

@kiwifresh
Das hat schon in deinem Thread niemand verstanden, und Heuchelei ist das auch nicht.

@kiwifresh

Ich freue mich, dass du dich an dem Thread beteiligst, jedoch verstehe ich den Zusammenhang zum Eröffnungspost nicht wirklich, tut mir Leid.

@Roydiga

Die Nummer mit "je suis Charlie" und dem Postillion is schon echt witzig. Aber da sieht man halt das es bei solchen Statements nicht um den Inhalt geht, sondern einfach nur darum überhaupt eins abzugeben. Gleichzeitig fügt man sich schön in die Masse ein.

Ich würd den wenigsten allerdings Absicht unterstellen. Mitläufer gibts überall wo sich Menschen zusammenrotten. Ob in Religionen, sozialen Netzwerken oder im Fußballstadion. Hirn aus und einfach mitmachen, so kommt man recht entspannt durchs leben....zumindest ist man nicht allein. Irgendwie steckt sowas in fast jedem von uns...

Was die Medien, vor allem die Nachrichtensendungen, betrifft, merkt man deutlich das versucht wird Quote zu machen. Also Auftrag entweder nicht, oder aber doch erfüllt. Je nach Standpunkt.

@Roydiga

Roydiga schrieb:Warum sollte meine Trauer größer oder kleiner sein, weil an Bord des Flugzeugs Menschen meiner Nationalität waren? Ist das menschlich nicht eigentlich unterste Schublade so zu denken?
Ich kannte weder die Einen, noch die Anderen, eigentlich kann ich das traurig finden und schrecklich, was es ja auch ist, jedoch kann ich persönlich da nicht von Trauer sprechen.
Trauern würde ich, wenn jemand mir Bekanntes stirbt.

Haargenau so sehe ich das auch und warum man nach dem Unglück nicht von einem Flugzeug sprechen darf, erschließt sich mir auch nicht.

Ich kann mir vorstellen, dass das einfach Menschen sind, die selbst gar nicht wirklich eine Meinung zu bestimmten Dingen haben und sich einfach dem anpassen, was andere gerade so sagen. Oder eben dann Dinge ablehnen, die in dem Moment als "verwerflich" gelten. Weil man eben nicht schlecht da stehen möchte oder man, wenn man gegen die meisten Meinungen ist, sich erklären müsste und das in dem Fall dann schwer wäre.

Sicherlich ist da nicht alles geheuchelt, aber wenn man Widersprüche sieht wie "Satire darf alles" und im nächsten Moment wird sich aufgeregt, wenn der Postillon etwas über den Flugzeugabsturz veröffentlicht.. Tja dann hört sich das halt nicht so an, als hätte man wirklich eine konkrete Meinung zu den Dingen, die man auch vertreten kann.

Flugzeuge fallen nun mal vom Himmel, weil wir seit Quax wissen, dass Luft keine Balken hat. Ob da nun der Pilot bzw. Co-Pilot keinen Bock auf Weiterleben hat, einem Bürgerkriegskämpfer der Abzugsfinger juckt, ein paar Terroristen das Stadtbild verändern wollen oder einfach nur technische Defekte, dösiges Personal oder schlampige Wartung bzw. gern auch mieses Wetter schuld sind. Menschen sterben bei soetwas nun mal. Menschen sterben auch an mangelndem Trinkwasser, an Hunger, an Seuchen oder Gewalttaten. Die haben im Regelfalle allerdings die schlechtere PR.
Aber das ist nicht neu. Fahren Maik und Mandy nach der Disse besoffen gegen einen Alleebaum in Brandenburg, meldet das höchstens die Lokalzeitung. Passiert der Disco-Unfall mit besoffenem Fahrer einer Lady Di, steht die Welt kopf.

Öffentliches Rumgetrauere kann schon nervig sein. Aber es bringt Quote - und das zählt.

Also ich habe die Erfahrung gemacht, daß es den Hinterbliebenen ganz minimal, und so weit überhaupt möglich, aber ein winziges bißchen mehr als nichts
hilft,
wenn Anteilnahme, und sei es nur Vorbeikommen zur Beerdigung, oder Beileidskarten, oder Blumen schicken
und sei es auch von entfernten Bekannten, die sich jahrelang nicht gemeldet haben,
gezeigt wird.

Gruß,
Sandra
@Roydiga

Doors schrieb:Die haben im Regelfalle allerdings die schlechtere PR.

So lässt sich das ganz gut zusammenfassen.


@sandra.31

Das war jetzt explizit eher weniger gemeint.
Es geht mir mehr darum, dass es den "Hype der Trauer" gibt, wo man verachtend angeschaut wird, wenn man diesen nicht auch zelebriert.

@Roydiga
Eigentlich stimmt alles was Du in Deinem EP geschrieben hast!
Es ist "leider" so...

@behind_eyes
@Roydiga

Ich wollte nur ein Beispiel geben was auch auf Heuchelei ausgeht. Selbst im kleinen privaten Bereich ist sowas möglich das jemand mitten drin sein will, und eine Sache großziehen versucht.

Vielen Dank für den schönen EP. Spiegelt meine Meinung ganz gut wieder.

Wie das so läuft, hat man beim Flugzeugabsturz vor Kurzem wieder mal schön gesehen. Alle bekunden Trauer. Das Thema wird in den Medien bis aufs kleinste Detail zerlegt. Fast jeder spricht mich auf das Thema an, ob wir auch was davon mitbekommen hätten, weil ich zu dem Zeitpunkt in den USA war (Ja haben wir, bevor jemand fragt), und ob wir auf dem Heimflug nicht ne riesen Angst hatten (hatten wir nicht, bevor jemand fragt).

In Kenia wurden vor kurzem fast 150 Menschen abgeknallt. Darüber wurde längst nicht so viel berichtet und darauf hat mich auch niemand angesprochen. Ist zu weit weg, hat man keinen Bezug zu, interessiert also niemanden.

Viele Menschen sind halt nur am Nachplappern. In den Medien gibt's nur noch ein Thema. Die Politiker bekunden natürlich ihr Mitgefühl. Da muss man das dann auch mitmachen. Wenn man das nicht tut, könnte es ja sein, dass es einem krumm genommen wird.

In ein paar Wochen ist das alles wieder vergessen. Die Schleifchen auf den Profilbildern werden verschwinden und man fliegt wieder in den Urlaub, ohne Angst vor einem verrückten Piloten zu haben.

Zum Glück noch Menschen die etwas mitdenken, aber es gibt halt auch ne Menge die das anscheinend nicht tun.

Das mit dem Flugzeug beim Yoga ist ja super. Damals als es, glaube 2004 war das, den großen Tsunami gab, wurde das Lied "die Perfekte Welle" von Juli, angesichts der Tsunami-Katastrophe, auf vielen Radiosendern nicht mehr gespielt. Als hätte das Lied auch nur annähernd was mit Tsunamis zu tun. Ich find sowas nur lächerlich.

Nereide schrieb: Damals als es, glaube 2004 war das, den großen Tsunami gab, wurde das Lied "die Perfekte Welle" von Juli, angesichts der Tsunami-Katastrophe, auf vielen Radiosendern nicht mehr gespielt. Als hätte das Lied auch nur annähernd was mit Tsunamis zu tun. Ich find sowas nur lächerlich.

Das war wirklich die dümmste Form der Anteilnahme. Es kann jeder trauern, wie er will - keine Frage. Aber ein Lied nicht mehr spielen von einer unbeteiligten Künstlerin, weil es um eine Welle geht war wirklich zum fremdschämen :)

Roydiga schrieb am 12.04.2015:Ich empfinde immer mehr ekel vor dieser Doppelmoral und dieser Gesellschaft.

Eigentlich ist das keine Heuchelei. Denn Heuchelei beinhaltet, dass der Heuchelnde zum einen weiß, dass er heuchelt und zum anderen damit etwas bezweckt.

Doppelmoral passt etwas besser. Aber auch hier muss man sich fragen, ob das nicht ein zu hartes Wort ist. Denn eigentlich werden aus solchen Reaktionen keine moralischen Schlüsse gezogen.

Das Problem an der ganzen Sache liegt darin, dass wir unsere Umgebung nicht so wahr nehmen, wie sie ist, sondern wir kategorisieren und gewichten unsere Wahrnehmungen. Weil wir - mangels Kapazität - Prioritäten erstellen (müssen).
Der Tod unseres Nachbarn (so wir ihn nicht gerade hassen) ist für uns intuitiv wichtiger und damit "bemerkenswerter" als der Tod irgend eines uns Unbekannten, von dem wir in der Zeitung lesen. Weil wir eine Beziehung zum Nachbarn haben - und sei es nur, weil wir ihn ein paar mal gesehen haben.

Wir versuchen, unser Leben möglichst "im Kleinen" zu leben. Also in einer Umgebung, die wir einigermaßen überschauen können und in der wir Aktionen und Reaktionen unmittelbar erleben. Einfach weil uns die Ressourcen fehlen, sie sinnvoll auf alle 7 Milliarden Menschen gleichmäßig zu verteilen. Wir verteilen sie daher lieber auf eine kleinere Zahl und dafür in einer Menge, die auch etwas bewirkt.

Diese Nähe wird aber auch durchbrochen, wenn wir besonders bemerkenswerte oder ungewöhnliche Umstände erleben. Über diese denken wir mehr nach und gewichten sie daher auch mehr.
Daher nehmen wir Bombenanschläge oder Flugzeugabstürze mehr wahr (und gewichten sie intuitiv mehr) als z.B. Verkehrsunfälle oder verhungernde Kinder in Afrika (es sei denn, wir sehen Bilder dieser Kinder).

So funktioniert unsere intuitive Bewertung. Und wenn wir das bewusst ändern, dann bleibt nur ein klitzekleines bisschen Mitleid für die uns nahe stehenden Menschen übrig oder wir wären in ständiger Sorge bezüglich kaum vermeidbarer Alltagsgefahren.

@Bodo

@Nereide

Danke, genau sowas meine ich. Wusste das mit der perfekten Welle nicht, aber das ist exakt das, was mich anwidert.

@Roydiga
http://www.spiegel.de/kultur/musik/hoerfunk-radiosender-streichen-die-perfekte-welle-a-334676.html

Auch "Die Flut" von Witt/Heppner und "Land unter" von Herbert Grönemeyer werden vorerst nicht mehr gespielt.

Darunter eine Liste der Radiosender, die den Song nicht gespielt haben.

Auch "Geile Zeit" von Juli wurde danach nicht gesendet.

"Wir gehen gerade bei deutschen Liedern mit den Texten sehr sensibel um", fügte Eisert hinzu. Deshalb werde auch der Folgetitel der Gruppe Juli "Die geile Zeit" derzeit nicht gespielt. "So etwas kann man nach Nachrichten über die Katastrophe in Asien einfach nicht auflegen, das wäre geschmacklos", meinte die Musikredakteurin.

Hab ich selbst nicht gewusst. Ich finds geschmacklos, wenn irgendwelche Wappler meine Lieder + meine Texte über eine "geile Zeit" mit einer Flutkatastrophe in Verbindung bringen würden :nerv:

Ich verlinke es mal nicht, aber im Germanwings-Fall hat sich eine Frau, die keinerlei Angehörige verloren hat, unter die Trauernden vor Ort gemischt, sich von LH eskortieren lassen, medizinische Hilfe auch vor Ort in Anspruch genommen und zu guter Letzt ein Trauertattoo mit angeblichen Opfernamen einer Cousine sowie der Flugnummer in den Nacken stechen lassen!

Sicher, sie wird wohl auch andere Probleme haben, aber sinnbildlich das was ich auch hier erleben durfte: man schmückt sich mit der Katastrophe um selbstgerecht und moralapostelhaft im Mittelpunkt zu stehen.

Hingegen wurde "Walking on sunshine" von Katrina and the Waves (!) 2005 munter im Radio gespielt, nachdem der Hurrikan Katrina New Orleans zu grossen Teilen zerstörte und 1.800 Menschenleben forderte.

Vielleicht hatten die Radiomacher da schon wieder mehr Sinn für schwarzen Humor.

Ach ja - und nach dem 11. September 2001 blieb Grönemeyers "Flugzeuge im Bauch" auch im Programm der meisten Sender, wenn ich mich recht erinnere.