Verstorbene noch einmal ansehen?

@Bundeskanzleri
Nein, hätte ich ehrlich gesagt nicht. Das hätte mich glaub ich, fertig gemacht. Ich war die ganzen Wochen jeden einzelnen Tag bei ihm im KH. Das hat viel Kraft gekostet. Ihn dann tot zu sehen hätte mich bestimmt völlig aus der Bahn geworfen.

@EnyaVanBran

Warst du denn dabei als er gestorben ist? Sorry, falls du es schon mal geschrieben hast.

Das finde ich z.B. auch "ausreichend", um Abschied zu nehmen. Dann würde ich auch keinen Verstorbenen nochmal sehen wollen.
Denn man hat ihn ja in den Tod hineinbegleitet.

Ich habe meinen Vater damals auch täglich begleitet während seiner schweren Krankheit. Verstorben ist er dann in der Nacht, wo keiner bei ihm war. Am Morgen sind wir dann alle hin auf die Station und jeder hat sich verabschiedet, ich wollte das nicht und wusste irgendwie, dass ich das nicht kann und er, als "Lebend" in meiner Erinnerung bleiben sollte. Nun ja, alle haben auf mich eingeredet, ich würde es bereuen, nicht noch mal zu ihm zu gehen, es wäre ja auch die letzte Chance. Ich habs gemacht und es absolut bereut, ich fand es ganz ganz schlimm, so verändert, wie er dann aussah, es verfolgt mich bis heute und das ist jetzt schon viele Jahre her. Ich weiß für mich, das mach ich nie wieder. Und alle wissen Bescheid und werden mich nicht nochmal dazu drängen.

@obskur

Ja, das kann ich nachvollziehen, wenn es nicht dem eigenen Gefühl entspricht, ist es blöd.

Schade, dass dir deine Erinnerung dann getrübt wurde.

Ich hatte ja meinen Vater nochmal angesehen, es war für mich sehr gut, aber ich habe dieses Gesicht tatsächlich schon vergessen.
Und erinnere mich nur an den lebendigen Menschen.

Bundeskanzleri schrieb:Ich hatte ja meinen Vater nochmal angesehen, es war für mich sehr gut, aber ich habe dieses Gesicht tatsächlich schon vergessen.
Und erinnere mich nur an den lebendigen Menschen.

Ja das ist dann wahrscheinlich wirklich so, wie man es selber auch will, vielen tut es sehr gut und für die ist es genau das Richtige und anderen sollten da wirklich auf sich selber hören, was das Innere einem rät, sonnst geht es gewaltig an die Substanz.

@obskur
Das Problem ist eben, dass man nicht wirklich Zeit hat, sich das zu überlegen.
Die Aufbahrung ist bei uns nur kurz vor der Beisetzung gewesen.

Für mich war das aber klar, dass ich ihn nochmal sehen möchte. Auch, weil die Polizei am Todestag uns nicht hinlassen wollte, weil er genau aufs Gesicht gestürzt ist und das wollten sie uns nicht zumuten.

Später hat man das fast nicht mehr gesehen.

Für dich wäre es für ein nächstes Mal wohl auch klar, dass du nicht mehr anschauen willst.

Aber für viele ist die Überlegungszeit knapp.

Bundeskanzleri schrieb:Aber für viele ist die Überlegungszeit knapp.

Ja das stimmt, war es bei mir ja ansich auch, obwohl ich genau wusste, dass er bald sterben wird, hab ich mir nicht einmal darüber Gedanken gemacht. Sollte man wahrscheinlich machen, bevor es ernst wird. Deshalb finde ich den Thread hier auch ganz nützlich, regt vielleicht den einen oder anderen zum Gedanken machen an und das bei Zeiten.

Bundeskanzleri schrieb:Für mich war das aber klar, dass ich ihn nochmal sehen möchte. Auch, weil die Polizei am Todestag uns nicht hinlassen wollte, weil er genau aufs Gesicht gestürzt ist und das wollten sie uns nicht zumuten.

Das kann ja nur eine Empfehlung sein. Es sei denn, die Leiche ist beschlagnahmt.

Bundeskanzleri schrieb:Aber für viele ist die Überlegungszeit knapp.

Für alle Fälle könnte ein Foto gemacht werden. Dieses könnte man sich zumindest anschauen, wenn man sich zu einem späteren Zeitpunkt anders entscheidet.

nairobi schrieb:Das kann ja nur eine Empfehlung sein.

Sicherlich, aber vermutlich eine sinnvolle Empfehlung.

Bundeskanzleri schrieb:Sicherlich, aber vermutlich eine sinnvolle Empfehlung.

Davon kannst Du gesichert ausgehen.

Bundeskanzleri schrieb:Warst du denn dabei als er gestorben ist?

Nein, er ist im KH gestorben, um 3h Nachts. Ich war aber am Tag davor noch lange bei ihm, aber das hat er schon nicht mehr mitbekommen, die Schwester meinte, er wäre so voll mit Medikamenten, dass er nichts mehr wahr nimmt. In meiner Verzweiflung hab ich ihr geglaubt. Heute denke ich mir, wir weiß.. ich hätte bei ihm bleiben müssen, auch wenn ich dabei selbst fast gestorben wäre.

@EnyaVanBran

Das ist natürlich schwer zu sagen im Nachhinein.

Ich denke, die Seele bekommt es auf jeden Fall mit, wenn da einer am Bett sitzt und begleitet. In meiner Vorstellung ist die Seele unbeeinflusst von Medikamenten und so.

Andererseits, wenn du das nicht gut ertragen hättest, wärst du wohl auch nicht wirklich hilfreich gewesen, möglicherweise.
Und viele Menschen können erst loslassen, wenn ihre Liebsten nicht anwesend sind, weil sie die Sterbenden noch halten wollen.

Insofern ist das sicher richtig so gewesen :lv:

Bundeskanzleri schrieb:Andererseits, wenn du das nicht gut ertragen hättest, wärst du wohl auch nicht wirklich hilfreich gewesen, möglicherweise.

Ich hätte mich wohl zusammen gerissen, aber danach wäre ich zusammengebrochen, seelisch. Aber vll hat mir die Schwester das angesehen und mich deshalb quasi heim geschickt. Ich weiß es nicht.

@EnyaVanBran

Aber ihr wusstest ja nicht, wann er sterben wird, oder?

Keiner schafft das, immer dazusein. Schlaf ist auch wichtig.

Bundeskanzleri schrieb:Aber ihr wusstest ja nicht, wann er sterben wird, oder?

Es war absehbar, dass es nicht mehr lange dauern würde, aber wann genau das sein wird wusste wir natürlich nicht.

EnyaVanBran schrieb:aber das hat er schon nicht mehr mitbekommen, die Schwester meinte, er wäre so voll mit Medikamenten, dass er nichts mehr wahr nimmt. In meiner Verzweiflung hab ich ihr geglaubt.

Ich glaube schon, dass medizinisches Personal, das lange in dem Bereich arbeitet, das einschätzen kann. Sie erkennen es auch, wenn jemand bald stirbt. Das sehen sie ihm an.
Ich denke daher, dass die Aussage dieser Schwester eine realistische Einschätzung war.
Hat er Morphium bekommen? Damit dämmert man ja vor sich hin und alles ist reduziert.

Als mein Großvater gestorben war, wurde er im offenen Sarg aufgebahrt und jeder der Trauergäste konnte ihn nochmal sehen , ich hab ihn auch nochmal angeschaut.
Wie meine Mum vor ein paar Jahren gestorben ist, sie war echt schwerkrank, haben wir in der Familie entschieden sie nicht öffentlich aufzubahren, jeder der sie gekannt hat sollte sie so in Erinnerung behalten wie er sie zuletzt gesehen hat! Das sollte jeder für sich entscheiden ob er einen verstorbenen Angehörigen im Sarg nochmal anschauen sollte.

pinacolada schrieb am 15.04.2022:Das sollte jeder für sich entscheiden

Na das auf jeden Fall.
Es gibt ja nur die Situation, dass stark trauernde Angehörige nicht unbedingt in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Und da bleibt die Frage, sollte man eher zuraten, oder abraten.
Das kann man natürlich auch nie theoretisch entscheiden, sondern nur in der gegebenen Situation.

Mir ist heute aufgefallen, dass die Situation am Sarg eine sehr intime Begegnung war. Und zwar nicht nur der endgültige Abschied von meinem Vater, sondern auch die Situation mit meinem Bruder. Das war etwas ganz Besonderes, wir waren zu zweit bei ihm.
Und jeder war so ganz bei sich, ohne dass es künstlich oder blöd war. Wie gesagt, es hat sich sehr gut angefühlt, so etwas wie "heilig".

Bundeskanzleri schrieb:Wie gesagt, es hat sich sehr gut angefühlt, so etwas wie "heilig".

Ich verstehe das. Kenne es von meiner Oma. Ich stand damals minutenlang alleine vor ihrem offenen Sarg, während die übrige Verwandtschaft mit organisatorischem Kram beschäftigt war. Es war ein intensiver Moment und fühlte sich "gut" an. Wenn ich an den Tod meiner Oma zurückdenke, sind mir grade diese Minuten besonders präsent geblieben. Ich habe es niemals bereut, so von ihr Abschied zu nehmen.

Freilich muss jeder sowas selbst für sich entscheiden. Man kann das nicht von anderen einfordern, weil es vielleicht die Tradition oder das Protokoll so will, dass man sich Verstorbene noch mal ansieht.

Palfrader schrieb:weil es vielleicht die Tradition oder das Protokoll so will, dass man sich Verstorbene noch mal ansieht.

Das kenne ich zum Glück nicht, ist vielleicht eher kulturell bedingt.
Früher war es ja oft nicht zu vermeiden, wenn jemand zuhause gestorben ist, blieb der eher länger liegen als heute, wo die Bestatter rund um die Uhr kommen können.

Das wäre für mich kein Grund, eher die Flüchtigkeit dieses Augenblicks, dass man diese Chance nur kurze Zeit hat.

Ich glaube aber schon, dass Menschen häufig ein gutes Bauchgefühl haben.
Andererseits gibt es doch die Augenblicke, dass jemand sagt, "gut, dass ich trotzdem noch mal da war".