Ist Anstand noch erlaubt?

Doors schrieb:Die Geschichte mit dem TK-Huhn unterm Hut (alternativ: unter der Bluse) gehört eindeutig ins Reich der Urban Legends

Ich habe jetzt selbst mal recherchiert und folgendes gefunden:

https://www.express.de/politik-und-wirtschaft/ladendiebstahl-die-dreisten-tricks-der-langfinger-48154

https://themavorarlberg.at/gesellschaft/die-fiesen-tricks-der-ladendiebe

https://www.wienerzeitung.at/h/osterreicher-zahlen-zu-ehrlichsten-kunden

Mich würde es nicht wundern, wenn die Geschichte mit dem TK-Huhn wahr wäre.
Die Artikel sind aus verschiedenen Jahren und beschreiben unterschiedliche Ereignisorte.

Doors schrieb:Die Geschichte mit dem TK-Huhn unterm Hut (alternativ: unter der Bluse) gehört eindeutig ins Reich der Urban Legends und ist in entsprechender Literatur von Brednich oder af Klintberg hinreichend dokumentiert.

Das war mein erster Gedanke dazu.

Wer sich versucht das vorzustellen, selbst mit einem kleinen Hühnchen, wird schnell merken, dass das so nicht gewesen sein kann.

@Groucho


Dazu müsste man schon einen Abraham Lincoln Style Zylinder tragen. Modell Ofenrohr.

Doors schrieb:Dazu müsste man schon einen Abraham Lincoln Style Zylinder tragen. Modell Ofenrohr.

Ah, danke, endlich verstehe ich, wie dieser von mir geschätzte Gitarrist zu seiner altmodischen Kopfbedeckung gekommen ist.

Ehrlich gesagt glaube ich natürlich, dass es Lebensmitteldiebstähle gibt, diese aber selten aus absoluter Armut geschehen. Es gibt auch absolute Armut, aber ich habe mehrere Sommer bei Edeka gejobbt, dort wurden v.a. Alkohol und Zigaretten entwendet. Es gibt ja durchaus auch Hilfsangebote: Tafel, Food Sharing, ...

Zum Thema Anstand: Ich glaube, Leute haben gelernt und bekommen vorgelebt, für ihre eigenen Bedürfnisse gerade zu stehen - was einerseits nicht schlecht ist, meine Kindheit im schwäbischen Dorf war schon relativ unterdrückt. Nur hat man eben dabei völlig die Bedürfnisse anderer Leute aus dem Blick verloren.

Zurück zu dem Beispiel mit der Fahrrad Rentnergruppe. Ich steige ja morgens oft bei einem kleinen Haltepunkt in den Zug - dieser ist nachträglich eingerichtet worden und daher rollstuhlgerecht - auch so, dass manuelle Rollstuhlfahrer, wenn sie geschickt sind, ohne Hilfe einsteigen können. Da steigt eben ab und an eine junge Frau im Rollstuhl ein - mich hat das echt schockiert, mit welcher Vehemenz eine Rentnerfahrradgruppe, die wirklich den gesamten Pendlerzug mit Rädern zugestellt hatten, ihr die Mitfahrt verwehren wollten und das für ihr gutes Recht hielt. Der Zugführer wurde schon ganz nervös, da erstmal diskutiert werden musste, ob sie nun versuchen, die Räder aus dem Weg zu schieben oder ob man einfach die Rollstuhfahrerin (die zur Arbeit musste) für eine Stunde an dem Haltepunkt ihrem Schicksal überlässt.

Ich glaube, das Ehrgefühl ist teilweise irgendwie abhanden gekommen - wie beim Beispiel meiner Schwester, die echt wenig Geld hat und deren bezahlter Lachs aus dem Einkaufswagen geklaut wurde, als sie zuerst ihre Kinder im Auto anschnallte, damit die verkehrssicher "verwahrt" waren. Das macht niemand aus Geldnot. Das ist einfach "mies" und egoistisch.

MissMary schrieb:Da steigt eben ab und an eine junge Frau im Rollstuhl ein - mich hat das echt schockiert, mit welcher Vehemenz eine Rentnerfahrradgruppe, die wirklich den gesamten Pendlerzug mit Rädern zugestellt hatten, ihr die Mitfahrt verwehren wollten und das für ihr gutes Recht hielt.

Unfassbar!

Aber wenn sich beim Bäcker jemand vordrängelt, ist es in der Regel jemand im Rentenalter.

P.S. Was ich auch etwas seltsam fand, weiß aber nicht, ob ich das unanständig oder nur unbeholfen finde. Ein Bekannter von uns leitet in einer lokalen Firma eine Abteilung - diese Abteilung hatte letzte Woche "office party" - also Weihnachtsfeier.

Zum 1.01. sind zwei neue Mitarbeiterinnen in der Abteilung angestellt und sie wurden zur Feier eingeladen. Die eine hat gefragt, wie das denn arbeitszeitlich abgerechnet werden würde, da ihr Vertrag erst ab dem 1.01. läuft - bekäme sie die Überstunden gutgeschrieben und hatte kein Interesse mehr, als sie merkte, dass das praktisch in der Freizeit passiert. Die zweite hat zugesagt, kam dann nicht, und hat sich am übernächsten Tag per lapidarer Mail mit fadenscheinigem entschuldigt, als sie schon angeschrieben wurde, ob es ihr gut ginge. Mein Bekannter ist echt schon alarmiert ... das fängt bei beiden nicht gut an.

Groucho schrieb:Unfassbar!
Aber wenn sich beim Bäcker jemand vordrängelt, ist es in der Regel jemand im Rentenalter.

Das soll nun gar keine Altersdiskriminierung sein, aber mir fällt auch zunehmend auf, dass diese Altersgruppe durchaus auch sehr anstrengend sein kann, auch wenn es um Terminfindung, Absprachen, etc. geht. Also von wegen "früher waren die Leute mal besser erzogen" ...

MissMary schrieb:Das soll nun gar keine Altersdiskriminierung sein

Bei mir natürlich auch nicht. Mir ging es eher um den "früher war alles besser" Aspekt dieser Diskussion.
War bezüglich Anstand früher wirklich alles besser, oder scheint uns das nur so, weil wir früher (als Kinder/Jugendliche) auf sowas nicht geachtet haben?

MissMary schrieb:Zum 1.01. sind zwei neue Mitarbeiterinnen in der Abteilung angestellt und sie wurden zur Feier eingeladen. Die eine hat gefragt, wie das denn arbeitszeitlich abgerechnet werden würde, da ihr Vertrag erst ab dem 1.01. läuft - bekäme sie die Überstunden gutgeschrieben und hatte kein Interesse mehr, als sie merkte, dass das praktisch in der Freizeit passiert. Die zweite hat zugesagt, kam dann nicht, und hat sich am übernächsten Tag per lapidarer Mail mit fadenscheinigem entschuldigt, als sie schon angeschrieben wurde, ob es ihr gut ginge. Mein Bekannter ist echt schon alarmiert ... das fängt bei beiden nicht gut an.

Da fragt man sich doch: Wie blöd kann man sein?
Dein Bekannter ist mMn zurecht alarmiert. Ich würde mal prognostizieren, dass die mit den Überstunden die Probezeit nicht übersteht.

Die andere hat vielleicht einfach nur kalte Füße bekommen, als Neue ganz allein auf die Weihnachtsfeier zu gehen, dort möglicherweise den ganzen Abend keinen richtigen Anschluss zu finden.

@behind_eyes

Groucho schrieb:Unfassbar!

Aber wenn sich beim Bäcker jemand vordrängelt, ist es in der Regel jemand im Rentenalter.

Stimmt. Die lassen beim Fleischer, oder an der Kasse keinen vor, der offensichtlich was für die Pause holt. mich hat mal einer dermaßen angebrüllt weil ich einen Motorad-Polizisten vorgelassen habe. Beamter, das war dann doppelt schlimm. :D

ich hab nur gesagt, dass ich Polizisten lieber auf der Straße sehe als an der Fleischertheke, falls irgendwo ein alter, fieser Sack verdroschen wird, sind sie eher da.

War mir vorher nicht bewusst, dass das so Heiterkeit, in dem Laden auslöst.

MissMary schrieb:Zum 1.01. sind zwei neue Mitarbeiterinnen in der Abteilung angestellt und sie wurden zur Feier eingeladen. Die eine hat gefragt, wie das denn arbeitszeitlich abgerechnet werden würde, da ihr Vertrag erst ab dem 1.01. läuft - bekäme sie die Überstunden gutgeschrieben und hatte kein Interesse mehr, als sie merkte, dass das praktisch in der Freizeit passiert. Die zweite hat zugesagt, kam dann nicht, und hat sich am übernächsten Tag per lapidarer Mail mit fadenscheinigem entschuldigt, als sie schon angeschrieben wurde, ob es ihr gut ginge. Mein Bekannter ist echt schon alarmiert ... das fängt bei beiden nicht gut an.

Spitzenmäßig, macht ja gleich einen super Eindruck! Anstatt dass sich gefreut wird, dass sie jetzt auch schon integriert werden sollen und zur Feier eingeladen werden, macht sich die eine Dame nur Gedanken darüber, ob sie schon Überstunden abgreifen kann und die andere hält es noch nicht mal für nötig, rechtzeitig abzusagen. Da würde ich mich auch jetzt schon freuen, bald mit Beiden zu arbeiten. Läßt tief blicken, dieses Verhalten.

MissMary schrieb:Zum 1.01. sind zwei neue Mitarbeiterinnen in der Abteilung angestellt und sie wurden zur Feier eingeladen.

Was im übrigen ein Unding ist. Versicherungstechnisch eine Katastrophe, da bestimmte Aspekte der Weihnachtsfeier auch dem Versicherungsschutz unterliegen, wo das natürlich nicht geht, wenn man noch gar nicht dort arbeitet.
Zudem ist es eine Einvernahme sondersgleichen, vor Beginn des Arbeitsverhältnisses schon zu Firmenveranstaltungen einzuladen. Da kann man sich schon vorstellen, wie das ansonsten auch noch mit der Einvernahme weiter läuft. Als Arbeitnehmer sagt man da einfach höflich ab, da man da schon anders verplant sei ...

MissMary schrieb:diese Abteilung hatte letzte Woche "office party"

also wenn das so deklariert ist, wüßte ich auch nicht, was ich mir darunter vorstellen soll. ich verstehe auch nicht, warum man jemanden anschreibt, der nicht zu einer im Grunde privaten Feier erscheint.

Photographer73 schrieb:Anstatt dass sich gefreut wird, dass sie jetzt auch schon integriert werden sollen und zur Feier eingeladen werden, macht sich die eine Dame nur Gedanken darüber, ob sie schon Überstunden abgreifen kann und die andere hält es noch nicht mal für nötig, rechtzeitig abzusagen. Da würde ich mich auch jetzt schon freuen, bald mit Beiden zu arbeiten. Läßt tief blicken, dieses Verhalten.

na das ist wohl ein wenig übertrieben.

Registrierung2 schrieb:Als Arbeitnehmer sagt man da einfach höflich ab, da man da schon anders verplant sei ...

Das wäre ja wohl auch kein Problem gewesen und das hätte wohl auch jeder verstanden. So lief es aber ja anscheinend nicht ab.

Registrierung2 schrieb:Zudem ist es eine Einvernahme sondersgleichen, vor Beginn des Arbeitsverhältnisses schon zu Firmenveranstaltungen einzuladen

Einvernahme? Ein nettes Angebot um zu zeigen - ihr arbeitet zwar noch nicht hier, aber gehört dennoch schon zu uns...ist natürlich auch wirklich unverschämt!

Tussinelda schrieb:na das ist wohl ein wenig übertrieben.

Finde ich gar nicht, so war es doch. Lassen wir mal den ganzen Versicherungskram usw beiseite. Wo ist das Problem? Es war ein Angebot, ich würde so etwas immer sehr positiv bewerten. Hätte ich keine Lust, wäre schon verplant oä, würde ich mich einfach für das Angebot bedanken und absagen.

Stattdessen über mögliche Überstunden nachzudenken oder gar nicht abzusagen, ist in meinen Augen mehr als unhöflich.

Photographer73 schrieb:Stattdessen über mögliche Überstunden nachzudenken oder gar nicht abzusagen, ist in meinen Augen mehr als unhöflich.

wenn man nicht weiß, ob dies quasi Arbeitszeit ist oder nicht, dann fragt man eben nach.
Außerdem wissen wir ja gar nicht, in wie weit dies eine verbindliche Einladung mit verbindlicher Zusage und dann ohne Absage war.
Ich finde es total übertrieben, daraus Rückschlüsse ziehen zu wollen, wie die Mitarbeiter dann zukünftig in der Zusammenarbeit sein würden. Da sollte man doch einfach mal offen bleiben, denn bisher ist das alles nur reines Privatvergnügen gewesen und hat mit allem Weiteren nix zu tun. Wir wissen ja gar nicht, wie kurzfristig oder warum ein Mitarbeiter dann doch nicht gekommen ist/ggf. kommen konnte. Ich halte es da nicht für nötig, extra abzusagen, wenn es nur eine lockere Zusammenkunft gewesen ist, ist ja keine Pflichtveranstaltung.
Es weiß hier auch kein Mensch, wie die Einladung formuliert war. Aber empört wird sich dennoch, obwohl es eine reine "Hörensagen"story ist. Da finde ich es eher befremdlich, wenn man dann Schlüsse die zukünftige Zusammenarbeit betreffend ziehen will.

Tussinelda schrieb:Aber empört wird sich dennoch, obwohl es eine reine "Hörensagen"story ist. Da finde ich es eher befremdlich, wenn man dann Schlüsse die zukünftige Zusammenarbeit betreffend ziehen will.

Jep, die Story bewerte ich, wie ich sie hier gelesen habe, mehr kann ich nicht tun. Und wenn es so abgelaufen ist wie geschildert, bewerte ich sie wie oben beschrieben - als Unhöflichkeit. Und das habe ich schon oft erlebt und es zog sich dann auch später durch.

Kann hier natürlich alles anders sein, vll lief es auch gar nicht ab wie geschildert. Aber warum sollte ich darüber nachdenken? Dann wäre es eine ganz andere Situation, auf die ich wahrscheinlich auch anders reagieren würde. Ist aber für meine og Meinung nicht relevant.

Finde es jetzt auch nicht wirklich schlimm nicht zu dieser Feier zu gehen. Ich wäre da vermutlich auch nicht aufgeschlagen, da ich Betriebsfeiern usw immer extrem lästig und nervig finde.
Liegt aber auch daran, dass ich Privatleben und Arbeit strikt trenne und mir selber aussuchen möchte mit welchen Personen von der Arbeit ich außerhalb der Arbeitszeiten Kontakt haben möchte.

Zum Thema drängelnde Rentner:
Wenn das Verkaufspersonal fragt wer nun an der Reihe ist und sich jemand der Partei ü70 vordrängelt sage bzw denke ich mir immer:
Geh ruhig vor, du hast weniger Zeit übrig als ich.

Photographer73 schrieb:Jep, die Story bewerte ich, wie ich sie hier gelesen habe, mehr kann ich nicht tun.

nur kennen wir ja gar keine wirklichen Details und die Story ist aus dritter Hand. Da kann/sollte man keine Schlüsse draus ziehen, wie ich finde.

Photographer73 schrieb:Aber warum sollte ich darüber nachdenken?

keine Ahnung, warum sollte man überhaupt über solche Anekdötchen nachdenken?

@Groucho


Alte Menschen drängeln sich eben vor, weil sie nicht mehr so viel Zeit haben. Sie könnte tot sein, bevor sie die Brötchen am Frühstückstisch haben.

@JürgenWeorth

Früher waren die Menschen noch höflich? Wann genau früher? Es soll Friedrich Schiller (1759 - 1805) gewesen sein, der einen Mann auf der Strasse anrempelte und ihn (soweit ich mich erinnere) mit den Worten: "Kann Er nicht aufpassen, wo ich hingehe?" anherrschte. Ich bin ja ein humorvoller Mensch und hätte geschmunzelt, kann mir aber auch das Gegenteil gut vorstellen, nämlich dass jemand das nicht lustig findet.

Auch soll das folgende Zitat von Sokrates (469 - 399 v.Chr) stammen.

Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.

Waren früher die Menschen noch höflich? Ich glaube nicht, dass sich etwas je wirklich verändert hat. Hat Höflichkeit einen Wert? Für mich ist Höflichkeit kein Angriff, eher Selbstschutz, ich biete keine Angriffsfläche, wenn ich höflich bin. Würde ich zu einem Fremden "Digga" sagen, das könnte auch nach hinten los gehen. Es kommt wohl auf das Setting, das Environment, das Umfeld an. Im dazugehörigen Kontext wäre es möglicherweise befremdlich, nicht mit "Hey, Digga, Alter, pass uff wo ick bin!" anzusprechen.

Zu Höflichkeit fand ich es ganz interessant zu erfahren, dass sie mit Moral nicht verwechselt werden sollte. Al Capone (1899 - 1947) soll ja gesagt haben:

Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole erreicht man mehr, als mit einem freundlichen Wort allein.