azazeel schrieb:Und erneut: Diese kurzzeitigen Studien können diese Aussage gar nicht stützen. Natürlich wird niemand sein Leben umgestalten, wenn er temporär Geld bekommt. Er muss ja anschließend wieder zurück.
die studie lief ueber drei Jahre. Das ist laenger als es das Buergergeld gab und (angesichts dessen das die CDU es wieder abschaffen moechte) laneger als es das gegeben haben wird. Sacredheart hatte ja korrekt gesagt (und ich davor) das ein BGE auch der demokratischen Mehrhheit unterliegen wuerde. Wenn also die ganzen BGE gegner, die permanent die Apokalypse im Fall einer BGE Einfuehrung vorhersagen recht haetten, waere auch das BGE nur temporaer.
azazeel schrieb:Ergebnis der Studien war (unter anderem): Die Leute wechseln häufiger den Job. Warum? Na weil sie Dinge tun können, die mehr Spaß machen. Das ist schön für die Menschen (ganz ehrlich gemeint) - und in einem Kleinversuch mit ein paar hundert Teilnehmern auch irrelevant. Aber gesellschaftlich werden die Menschen eben ungeliebte Jobs verlassen. Nur sind das Jobs, die gesellschaftlich relevant sind. Und es sind häufig Jobs, die im unteren Einkommensbereich liegen - weil sie personalintensive Produkte generieren, die aber gleichzeitig nicht teuer sein dürfen.
Pflege, Nahrungsmittelerzeugung, Transport etc. Das ist alles sehr preissensitiv. Wenn man in BGE-Zeiten darauf verzichten kann, prima. Das werden nur viele nicht wollen. Die meisten wollen leben wie bisher, Preise wie bisher aber 1.000 EUR zusätzlich.
Wenn ein Job so unattraktiv ist, dass er nur unter Existenzbedrohung ausgeübt wird, dann ist das ein Problem des Jobs, nicht der Menschen. Ein BGE würde den Druck erzeugen, diese Jobs attraktiver zu gestalten: sei es durch höhere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen, kürzere Arbeitszeiten oder größere Autonomie. Es ist inakzeptabel, dass die Gesellschaft sich darauf verlässt, dass Menschen aus purer Not menschenunwürdige oder extrem belastende Arbeiten verrichten. Die "Preissensitivität", die du nennst, darf nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden.
Oder anders gefragt: warum sind es gerade die gesellschaftlich relevanten Jobs die so schlechte Bezahlung und schlechte Bedingungen haben muessen das sie nur besetzt werden koennen, wenn die alternative existenzbedrohend ist?
Ganz zu schweigen davon, dass doch Automatisierung eigentlich die unangenehmen, unattraktiven Jobs nehmen sollte - stattdessen betrifft Automatisierung heute eher die relativ angenehmen jobs, obwohl bei den genannten unattraktiven reichlich automatisierungspotenzial besteht. Eben weil der ausschlaggebende Faktor eben ist, wie hoch die Loehne in diesme Beriech sind.
behind_eyes schrieb:Ne, die Lösung ist, die bestehenden Probleme anzufassen und zu beheben. Aber dann muss man auch hinter den Problemen stehen, es wirklich ernst meinen. Ich lese von dir keine Bemühungen die Probleme zu lösen außer mit dem BGE ein unfassbar größeres Problem zu generieren was null komma null mit den eigentlichen Problemen zu tun hat.
Das ist eine sehr pauschale und, entschuldige, oberflächliche Behauptung. Wenn ich von "systemimmanentem Kampf" spreche und von zehntausenden erfolgreichen Klagen gegen das Jobcenter, dann sind das doch genau die "bestehenden Probleme", die ich anfasse und beheben will. Das BGE ist eben nicht "null komma null" damit verbunden; es ist eine radikale Lösung für genau diese Probleme, indem es die Notwendigkeit von Anträgen, Kontrollen, Sanktionen und Klagen im Bereich der Existenzsicherung von Grund auf beseitigt. Es ist der Versuch, die Wurzel des Übels zu packen, anstatt ständig nur an Symptomen herumzudoktern, wie es seit Jahrzehnten bei der Sozialgesetzgebung der Fall ist. Du forderst, die Probleme "ernst zu meinen" – ich tue das, indem ich eine weitreichende strukturelle Veränderung vorschlage, anstatt mich auf kosmetische Reparaturen zu beschränken.
Das Problem ist, dass jedes System der Existenzsicherung, das aus einer prinzipiellen Misstrauenshaltung schaut und verlangt dass bestimmte Kriterien erfuellt sein muss um als Beduerftig zu gelten, immer fundamental individuelle probleme ignorieren wird, da es immer jemanden gibt, der, trotz bester persoenlicher Bemuehungen und realer beduerftigkeit nicht in die Shematik derer faellt, die die Kriterien formuliert haben.
behind_eyes schrieb:Ein BGE was laut Studie des BMF das komplette System zum Zusammensturz bringt - sogar unter der Annahme das der Anteil der arbeitenden Bevölkerung sich nicht ändert - ist defacto keine Lösung.
Wie möchtest du die 1,1Billionen Euro finanzieren? Das BMF sagt schonmal, es geht nicht.
den Konfigurator von mein-grundeinkommen (
https://finanzierung.mein-grundeinkommen.de/konfigurator ) hatte ich ja schon mehrmals verlinkt. Das BGE dem bestehenden Einkommen anzurechnen ist schonmal mehr als die halbe antwort.
meanwhile, das Jobcenter verbrennt 60% seines Budgets fuer die eigene Verwaltung, unter schwerer Vernachlaessigung der eigentlichen Aufgabe ( L)
Link deaktiviert (unerwünschte Quelle)
sacredheart schrieb:Natürlich richten sich Menschen auf ein BGE anders ein, wenn es nur 2-3 Jahre bezahlt wird, als wenn es als Gesellschaftskonstrukt verkauft wird. Das ist ein Manko der als Studien verklärten Werbeprogramme. Das andere Manko ist, dass nur die Bedingung 'Auszahlung' studiert wird, die Bedingung 'Geldeingang' für ein BGE, also das Entscheidende, bleibt außen vor. Die Macher solcher sogennanten Studien werden schon wissen, warum.
Dieser pauschale Vorwurf, Studien seien lediglich "Werbeprogramme", ist haltlos und ignoriert die wissenschaftliche Methodik dieser Projekte. Natürlich ist die begrenzte Laufzeit ein methodisches Manko, das auch von den Forschern selbst offen kommuniziert wird. Es ist aber das Beste, was unter realen Bedingungen ohne eine umfassende politische Entscheidung für ein BGE möglich ist. Trotzdem zeigen diese Studien eben nicht den von Kritikern oft postulierten drastischen Abfall der Arbeitsbereitschaft. Das ist der wichtige Punkt.
Und ich hatte auch schon mehrmals gesagt: von mir aus kann gerne ein Pilotprojekt gemacht werden, dass die Finanzierungsseite ebenfalls modelt, aber ich bezweifle, dass das die behaupteten drastischen Verhaltensaenderungen aufzeigen wuerde.
sacredheart schrieb:Am Ende beantworten die Studien immer die gleiche Frage: Freuen sich Menschen über Geldgeschenke? Und die Antwort lautet überraschend ja.
Diese Aussage ist herabwürdigend und verkennt den wissenschaftlichen Anspruch der Pilotprojekte. Es geht eben nicht um "Geldgeschenke", sondern um die Auswirkungen einer existenzsichernden und bedingungslosen Grundleistung auf Verhalten, Gesundheit, Wohlbefinden, soziale Teilhabe und Arbeitsmarktintegration. Es werden detaillierte Umfragen durchgeführt, qualitative Interviews geführt und physiologische Daten erhoben. Die Ergebnisse sind weitaus komplexer als ein einfaches "Freuen über Geld". Sie zeigen Verbesserungen in der psychischen Gesundheit, reduzierte Stresslevel, erhöhte Partizipation an Weiterbildung und ehrenamtlichen Tätigkeiten – das ist weit mehr als nur Freude über Geld.
Die Studien beantworten eben nicht nur die Frage, ob sich Menschen über Geldgeschenke freuen. Sie untersuchen vielmehr:
- Veränderungen in der Arbeitsbereitschaft und Arbeitszeit
- Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden
- Bildungsverhalten und Weiterbildung
- Soziales Engagement und familiäre Fürsorge
- Wirtschaftliche Effekte auf lokaler Ebene Sie liefern wichtige Hinweise darauf, dass die oft geäußerten Ängste vor Massenarbeitslosigkeit oder Faulheit unbegründet sind und dass ein BGE positive soziale und individuelle Effekte haben kann.
sacredheart schrieb:Das schon, allerdings haben wir ja auch nicht so viele Milliardäre wie Bürgergeld Empfänger. Die Anzahl der Personen folgt ja auch überhaupt nciht einer Normverteilung. Insofern funktioniert das nicht.
Genau weil die Einkommen nicht normverteilt sind und es eine Konzentration von Vermögen und hohen Einkommen gibt, funktioniert ein BGE in Kombination mit einem progressiven Steuersystem (oder einer Flat Tax mit hoher Anrechnung) eben doch. Du sagst selbst, wir haben nicht so viele Milliardäre wie Bürgergeld-Empfänger. Das bedeutet aber nicht, dass die Einnahmen aus höheren Einkommen irrelevant sind.
Cachalot schrieb:Verlinke doch mal direkt auf die Berechnungen. Die Formeln. Ich find die nicht.
Ich finde nur verbal was gemacht wurde aber nicht das wie.
Relevant sind die Formeln und die Variablen in den Formeln, welche Werte er da als Grundlage nutzt.
also ich sehe in dem Paper mehrere Tabellen mit klaren Zahlen und Berechnunge, inklusive Fussnoten die Erlaeutern woher die benutzten Daten kommen. Wenn du weitere Fragen hast, kannst ud dich ja entsprechend an die Autoren der Studie wenden oder in DIW-Diskussionspapieren oder technischen Dokumentationen zu ihren Mikrosimulationsmodellen suchen, die diese Art von Berechnungen durchfuehren. Diese sind sehr technisch und in der Regel nicht für ein breites Publikum gedacht. Eine direkte Link zu einer einzigen Seite mit allen Formeln ist unwahrscheinlich, da es sich um ein komplexes Simulationsmodell handelt, das aus vielen Gleichungen und Variablen besteht, die auf umfangreichen Daten basieren.
Cachalot schrieb:Die Studie ist untauglich. In der Medizin würde diese nicht mal die erste Hürde schaffen.
Die Basis, die Annahme, Grundprämisse, ist nicht vergleichbar mit der Extrapolation auf das Ziel.
Da bekommt jemand zusätzlich Geld für exakt 3 Jahre. Danach nicht mehr. Das weiß der jemand.
Mit der Grundprämisse ist es unzulässig auf eine dauerhafte Bezuschussung zu schließen.
Hier wiederholst du das bekannte Argument gegen die Übertragbarkeit von Kurzzeitstudien auf ein dauerhaftes BGE. Ich habe bereits in meiner vorherigen Antwort darauf reagiert, aber erneut:
- Diese Studien sind in der Sozialforschung anerkannt und methodisch sauber innerhalb ihrer Grenzen. Sie sind keine "medizinischen Studien" und folgen daher nicht denselben methodischen Prüfsteinen. Man kann keine klinischen Prüfungen auf ein so gesammt-gesellschaftliches Phänomen übertragen. Sie sind aber wissenschaftlich fundierte Pilotprojekte mit Kontrollgruppen und statistischen Analysen. Sie sind explizit als Pilotprojekte konzipiert, um erste empirische Daten zu sammeln, da man die gesammtgesellschaftlichen Auswirkungen einer gesellschaftlichen Aenderungen fundamental nicht empirisch testen kann, ohne diese Aenderung an einer Gesellschaft durchzufuehren.
- Der Hauptzweck dieser Studien ist nicht, eine abschließende Aussage über die Langzeitwirkung eines dauerhaften BGE zu treffen. Das ist methodisch nicht möglich und wird von den Forschern auch nicht behauptet. Ihr Ziel ist vielmehr die Widerlegung des "Faulheits-Arguments" zu untermauern, das oft als Hauptkritikpunkt vorgebracht wird (Hierfür sind die Ergebnisse sehr wohl aussagekräftig, da sie zeigen, dass die unmittelbare Reaktion auf eine Existenzsicherung eben nicht eine drastische Reduzierung der Arbeitsbereitschaft ist), das erbringen Erster Einblicke in Verhaltensänderungen, Wohlbefinden, Bildungsengagement und soziales Engagement und die politische Debatte zu versachlichen und empirische Daten zu liefern, wo sonst nur Spekulationen und Ängste vorherrschen.
- es ist auch unzulässig, keine Schlüsse aus diesen Studien zu ziehen. Die Tatsache, dass sich entgegen der landläufigen Befürchtung die Arbeitsbereitschaft nicht drastisch verschlechtert, ist ein starkes Indiz, das die gängigen Annahmen vieler BGE-Gegner infrage stellt. Es ist ein erster Beleg dafür, dass Menschen auch ohne den permanenten existenziellen Druck motiviert sind, sich einzubringen.
sacredheart schrieb:Es erscheint mir auch vor allem als eine Idee, die das Erwahsenwerden verhindern soll. Da kommt einfach regelmäßig leistungsloses Geld aus dem 'off'.
Und genau wie der 6jährige nicht viel darüber nachdenkt, dass die Eltern dafür gearbeitet hatten (was mit 6 und bei den eigenen Eltern so ok ist), denken die BGE Fans auch eher nebulös und nur auf Nachfrage darüber nach, dass da halt auch jemand anders mal was für getan haben muss.
Dieser Vorwurf des "leistungsfreien Geldes aus dem Off" ignoriert völlig die von mir ausführlich dargelegten Finanzierungsmechanismen. Es geht eben nicht einfach nur um 'leistungsloses Geld aus dem 'off''. Es ist eine Umverteilung, die von der Gesellschaft als Ganzes getragen wird, nicht ein magisches "Geldgeschenk". Wenn du dich mit den Finanzierungsmodellen (z.B. dem verlinkten DIW-Paper) auseinandersetzt, würdest du sehen, dass hier sehr konkret und detailliert berechnet wird, woher das Geld kommt.
Deine Metapher vom 6-Jährigen, der nicht nachdenkt, woher das Geld kommt, ist ebenfalls fehl am Platz. Ein BGE wird von erwachsenen Bürgern in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert und, sollte es eingeführt werden, von diesen mitgetragen. Die Befürworter des BGE machen sich sehr wohl Gedanken über die Finanzierung und die gesellschaftlichen Auswirkungen – das ist der Kern unserer Diskussion. Es geht nicht darum, Verantwortung abzugeben, sondern darum, Verantwortung auf eine andere, humanere und effizientere Weise zu strukturieren.
Es geht darum ein Modell zu finden, dass die Herausforderungen der Gegenwart - das zunehmend extremer werdende Wohlstandsgefaelle verbunden mit drastisch steigender automatisierung die das Model einer Verteilung von Wohlstand rein gemaess der verdienstarbeit in Frage stellt - bewaeltigen kann. Von den BGE gegnern habe ich noch nichts besseres gehoert.
sacredheart schrieb:Und auch die Idee, bei der finanziellen Freiheit würde man dann seine künstlerische Ader entdecken, ist infantil. Das ist das gleiche wie der 6jährige, der für Mama ein Bild gemalt hat als Gegenleistung fürs Taschengeld.
Auch Künstler sein erfordert Ausbildung, ist mehr Transpiration als Inspiration.
Auch hier verengst du die Diskussion auf ein klischeehaftes und irreführendes Bild. Es geht beim BGE nicht darum, dass jeder zum Künstler wird oder "nur seine künstlerische Ader entdeckt". Der Punkt ist, dass finanzielle Sicherheit Menschen die Freiheit gibt, ihre Talente und Interessen zu verfolgen, die nicht immer sofort marktfähig sind oder in unserem jetzigen System nicht ausreichend gewürdigt werden. Ja, kuenstlerische Betaetigung braucht auch eine Ausbildung, aber genau diese Ausbildung und Transpiration können Menschen mit einem BGE angehen, weil sie nicht gezwungen sind, den erstbesten, schlecht bezahlten Job anzunehmen, nur um zu überleben. Es geht nicht darum, etwas "serviert zu bekommen", sondern darum, eine existenzielle Grundlage zu schaffen, die es Menschen ermöglicht, ihr Potenzial freier zu entfalten und ihren eigenen Weg zu finden, anstatt unter permanentem Druck zu stehen. Das ist ein Impuls, etwas zu erreichen, aber unter humaneren Bedingungen.