Ich bin also rein zufällig in der Philosophie-Rubrik auf dich gestoßen, Polarheld - weil du offensichtlich recht aktiv zu sein scheinst (Ferien?). Es waren deine Zeilen hier
Willkommen in Mittelerde (Beitrag von Dr.Manhattan) an denen ich hängen-geblieben bin. Und die find ich irgendwie zauberhaft!
Allerdings ist das mit der Schönheit der Gedanken oft wie mit der "restlichen" Schönheit: Sie blüht eher in der Jugend auf und verwelkt langsam, je älter man wird? Mit Fragezeichen natürlich. Denn es gibt Menschen, die bleiben irgendwie immer schön. Und so wird es gleichfalls Menschen geben, die ihr Leben lang auch schöne Gedanken hervor-zaubern können.
Warum ich das so sage? Ich denke, schöne Gedanken hängen etwas mit Illusionen und Träumen zusammen. Und vielleicht kennst du den nachfolgenden Spruch ja noch nicht:
Wer mit 17 keine Träume und Illusionen hat, ist nicht normal
Wer mit 47 noch Träume und Illusionen hat, ist nicht normal
Nun ja - damit ist auch schon gesagt, wo ich so in etwa hingehöre. Dich schätze ich auf ein Alter von unter 20, lieber Polarfuchs - mich schätze ich auf ein Alter von über 120
Du hast noch eine lange Reise vor dir. Ich habe bereits eine lange Reise hinter mir...
Manchmal wenn ich mit jungen Leuten rede, können die gar nicht recht fassen, dass man als Mumie, die nach und nach alles mögliche loslassen muss, trotzdem sehr glücklich sein kann. Und ganz und gar paradox wird es, wenn sich nach einer Weile herausstellt, dass man als Scheintoter offensichtlich sogar glücklicher ist als der junge Mensch, mit dem man sich gerade unterhält. Aber so paradox ist das gar nicht:
Wenn du jung bist, kannst du viel gewinnen. Aber der Spruch:
"Wer nichts riskiert gewinnt nichts
wer nichts riskiert verliert aber auch nichts"
ist in Geld-Angelegenheiten vielleicht richtig. Sonst aber macht er wenig Sinn. Denn wer nichts riskiert oder ganz allgemein: Wer NUR träumt - der verliert in Wahrheit sehr viel. Ich zähle mal einiges auf:
Er verliert Gelegenheiten - denn Möglichkeiten bieten sich uns nicht selten nur EIN MAL und sie kehren danach nie wieder
Er verliert Mut - denn Mut wächst nur in der Begegnung mit dem Risiko - nicht indem man dem Risiko ausweicht
Er verliert Selbstvertrauen - denn mit Selbstvertrauen ist es wie mit dem Mut. Es wächst mit den Erfolgen und nicht über verpasste Gelegenheiten.
Er verliert Kraft - denn Kraft kommt von Energie, die uns zufließt sobald wir erleben, dass unser Tun in irgend einer Weise bedeutsam war. Träume sind zwar auch eine Art Tun - aber sie können uns diese Energie meist nicht geben.
Es gäbe noch einiges mehr. Jeder von uns spürt es, dass er gerade dann, wenn er noch viel vor sich liegen hat, eben auch viel verlieren kann. Also ist das in der Jugend von ganz besonderer Bedeutung. Der schlimmste Verlust ist die nicht gewagte Liebe. Du siehst die traumhaft-schönste Fee an dir vorüber-streichen. Sie guckt sich vielleicht sogar um und zwinkert dir zu. Dir aber bleiben die Worte im Halse stecken. Du schluckst - kriegst nichts raus - der Moment ist vorüber - und du siehst sie NIIIE wieder. Nach vielen Jahren bist DU es dann, der das traurige Lied singt "...Twenty-four years just waiting for a chance - To tell her how I feel and maybe get a second glance..."
DAMIT hängt das also wesentlich zusammen, dass man jung nicht selten weniger glücklich ist als alt: Es ist die Angst zu versagen - es ist Dys-Stress - es ist die Angst davor, die großen Ziele könnten unerreicht bleiben - es ist die Angst davor, das Leben könnte vorüberziehen und man selbst würde im Wartesaal sitzen bleiben.
Ist man alt hat man sich zum einen damit arrangiert bzw. abgefunden, dass man so manches große Ziel eben nicht erreicht hat. Das ist eine sehr positive Eigenschaft, die wir alle in uns tragen: Das Unangenehme - das Negative - verschwindet im Rückblick langsam aus den Augen. Rückblickend sieht man viel eher das Schöne, Positive. Man sieht WAS man erreicht hat. Man ist zufrieden damit. Und dass man nicht auf allen 14 8-Tausendern gestanden hat: Da denkt man überhaupt nicht dran.
Das bedeutet: Es gibt im Alter weit weniger Versagens-Ängste.
Und bei all deinen Gedanken um das Frei-Sein: Das Frei-Sein von Ängsten ist wahrscheinlich das wesentlichste Gefühl von Freiheit!?
Denk dir die ganzen Unfreiheiten, von denen du erzählt hast, als einen Hasen-Kasten, in den du eingesperrt bist und mach mal folgenden Gedanken-Dreher:
In dem Moment, in dem du dich mit diesem Hasen-Kasten deiner Ängste beschäftigst ist die Vorstellung, dass es in diesem Kasten drinnen ganz schön sein könnte, doch überhaupt nicht in dir präsent - oder? Vielmehr hast du Angst, nicht aus dem Kasten raus-zukommen.
Wir re-projizieren unsere Ängste immer auf das, was sie auszulösen scheint. In diesem Fall auf den Hasen-Kasten. In Wirklichkeit geht es aber nicht um den Hasen-Kasten - sondern um die Angst selbst.
Die Angst selbst ist für viele Menschen der Käfig, das Gefängnis oder gar das Verlies, in dem sie gefangen sind. Und es ist für viele extrem schwierig, diesen Blick zu entwickeln, den ich dir jetzt einmal vor Augen geführt habe: Wir sind auf Kausalitäten getrimmt. Wir suchen immer nach Gründen für etwas. Aber sind wir in einem solchen Suchen nach Gründen erst einmal gefangen (in unserem Fall also nach Gründen für unsere Angst), dann haben wir extreme Schwierigkeiten damit, den Grund der Angst in der Angst selbst zu sehen. Ein wenig konkreter ausgedrückt: In der Angst-Anfälligkeit.
Das ist zwar ein etwas trauriges Thema, auf das ich nun gekommen bin: Aber unsere Angst-Anfälligkeit wird in unserem Gehirn (im negativen Sinn natürlich) genau so trainiert wie alles andere auch. Leidergottes werden bei manchen Kindern diesbezüglich schon sehr früh entscheidende Weichen gestellt.
Es gibt deshalb dagegen nur ein Gegen-Konzept: Man muss den entsprechenden Mut trainieren. Der Spruch "Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um"
wurde von Ängstlichen geprägt und wird von vielen Ängstlichen als Leitspruch genommen, über den sie sich in ihren eigenen Ängsten bestätigen.
NEIN: Wer sich in Gefahr begibt (und damit in die Angst), NUR DER lernt, mit ihr umzugehen!
SO muss es heißen! Womit wir einen Bogen geschlagen hätten und wieder bei dem wären, womit ich mich eingangs beschäftigt habe:
Träume, Illusionen, Romantik, wunderschöne Gedanken - all das gehört zum Zauber unserer Jugend. Aber es blüht in uns nicht auf zum Selbst-Zweck. Es ist gewissermaßen das "Innere Theater", auf dessen Bühne wir die General-Proben durchexerzieren für die Stücke, die DANN ABER draußen im gelebten Leben aufgeführt werden sollen. Und es ist klar, dass wir dann Lampenfieber haben - dass wir manchmal gar Blut und Wasser schwitzen vor der Ur-Aufführung...
Wer deshalb aber vor der Bühne des gelebten Lebens zurückschreckt und sich ganz zurück-zieht in sein "Inneres Theater": Der ist dann eben in Wahrheit in seinen Ängsten hängen-geblieben. Der hat sich nicht aus ihnen befreien können. Der bleibt im Hasen-Kasten seiner Ängste gefangen.
Die totale Freiheit kann es nicht geben. Damit will ich für heute abschließen. Wir können von allem Möglichen frei sein bzw. uns frei fühlen. Wir können aber nicht frei sein von uns selbst. Wenn man das zunächst so annehmen kann, dann kann es im Frei-Sein-Wollen doch eigenlich nur darum gehen, möglichst frei zu sein von allem Unangenehmen, Negativen, Quälenden, Schmerzenden - UND eben von der Angst!?