@shakazulu2Du antwortest und bestätigst damit unfreiwillig den exakten Punkt, den ich mache. Danke dafür. Deine Antwort ist das perfekte Anschauungsobjekt.
shakazulu2 schrieb:Du hast halt Schwierigkeiten bei den Begriffen "Überzeugung" und "Überzeugungskraft".
Genau an diesem Punkt muss ich ansetzen, denn hier offenbart sich der Kern unseres Dissenses in Reinform. Lass mich deine Antwort Satz für Satz analysieren, und ich werde dir zeigen, warum sie deine Position nicht rettet, sondern den Widerspruch, den ich meine, unwiderlegbar bestätigt.
shakazulu2 schrieb:Ich ordne diese Begriffe eindeutig in den Themenbereich "Reaktion" ein und sage damit, um was es sich handelt.
Ich gebe ein Art Realisierungsbasis (über das Nervensysem) an
Genau. Das ist deine Theorie. Du behauptest: "Überzeugung ist nur eine Reaktion im Nervensystem." Das ist deine Beschreibung der Welt. Das ist dein Programm. Ich bestreite nicht, dass du das tust. Ich bestreite, dass du es konsequent tun kannst, während du gleichzeitig argumentierst.
Du gibst eine Beschreibung davon ab, was Überzeugung für dich ist (nämlich eine neuronale Reaktion). Das ist deine These. Aber in dem Moment, in dem du diese These vertrittst, tust du mehr, als nur zu beschreiben. Du forderst mich auf, diese Beschreibung als korrekt anzuerkennen. Du unterstellst, dass deine "Einordnung" die sachlich richtige ist und meine eine Schwierigkeit (also einen Fehler) darstellt. Und dann folgt dein unvermeidlicher normativer Anspruch:
shakazulu2 schrieb:diese [Realisierungsbasis] fehlt bei deiner Existenz-Behauptung vollständig.
Dieser Satz ist eine vernichtende Anklage. Aber sie ist nur vernichtend, wenn sie wahr ist. Wenn deine Kritik an meiner "fehlenden Realisierungsbasis" selbst nur eine "Reaktion" in deinem Nervensystem ohne Wahrheitsanspruch wäre, dann wäre sie völlig bedeutungslos. Sie wäre ein bloßes Geräusch.
Indem du diesen Satz aber als Argument formulierst, setzt du voraus, dass es einen verbindlichen Standard dafür gibt, was eine "Realisierungsbasis" ist und wann sie "fehlt". Du setzt voraus, dass ich diesem Standard folgen sollte.
Der Widerspruch liegt auf der Hand: Deine Handlung setzt genau die normative Kraft von Begriffen und Argumenten voraus, die deine Theorie leugnet.
Warum sollte ich deine Begriffszuordnung akzeptieren? Nach deiner Theorie ist sie nur eine "Reaktion" in deinem Nervensystem. Warum ist deine neuronale Reaktion verbindlicher als meine? Wenn alles nur "Reaktion" ist, dann ist auch dein Satz "Ich ordne diese Begriffe eindeutig in den Themenbereich 'Reaktion' ein" nichts weiter als eine Reaktion in deinem Nervensystem. Eine zufällige neuronale Entladung. Warum sollte ich sie ernst nehmen? Warum ist diese spezifische Reaktion von shakazulu2 verbindlich, während andere Reaktionen es nicht sind?
shakazulu2 schrieb:Wenn du dies nun verkürzt und so tust, als würde ich bestreiten, dass es sich bei diesen Begriffen überhaupt um irgendetwas handelt (Motto: „ich soll sie ja eigentlich gar nicht einsetzen dürfen, sonst entseht der dicke Widerspruch“), dann ist das ein reichlich preisgünstiges Vorgehen.
Hier vollziehst du die Handlung. Du bewertest mein Vorgehen als "preisgünstig" – als falsch, als unredlich, als intellektuell mangelhaft. Und hier ist der Widerspruch, den du nicht siehst:
Deine Theorie sagt: Deine Bewertung ("preisgünstig") ist nur eine "Reaktion" in deinem Nervensystem. Sie hat keine Wahrheit, sie ist nur ein nützliches oder unnützes neuronales Feuermuster. Sie ist genauso wertvoll wie ein Niesanfall.
Deine Handlung sagt: Deine Bewertung ist richtig. Sie trifft einen objektiven Fehler in meiner Argumentation. Sie ist mehr als nur eine Reaktion; sie hat normative Kraft. Du erwartest, dass ich und die Leser diese Bewertung als berechtigte Kritik anerkennen.
Du benutzt also die normative Kraft der Rationalität (die Fähigkeit, zwischen richtig und falsch in der Argumentation zu unterscheiden), um eine Theorie zu verteidigen, die genau diese normative Kraft für eine Illusion erklärt.
Indem du mein Vorgehen als "preisgünstig" bewertest, machst du dich zum Richter über die Qualität von Argumenten. Du setzt einen Maßstab an, den es in deinem Universum aus reinen "Reaktionen" nicht geben dürfte.
1. Du behauptest: "Alles ist neuronale Reaktion."
2. Um diese Behauptung zu verteidigen, argumentierst du. Das Argumentieren setzt aber voraus, dass es nicht-neuronale, nämlich verbindlich-rationale Standards gibt.
3. Also setzt du zur Verteidigung deiner These genau das voraus, was deine These leugnet.
Du kannst diesem Widerspruch nicht entkommen, indem du dich wiederholst. Du entkommst ihm nur, indem du eines von zwei Dingen tust:
Option A: Du gibst zu, dass es verbindliche rationale Standards gibt (womit dein Materialismus scheitert).
Option B: Du hörst auf zu argumentieren und schweigst (womit du praktisch eingestehst, dass deine Position nicht verteidigt werden kann, ohne sich selbst zu widersprechen).
Deine letzte Antwort war ein verzweifelter Versuch, Option A zu wählen, ohne es zuzugeben. Du hast argumentiert und dabei so getan, als sei dein Argumentieren selbst nur eine "Reaktion". Aber das funktioniert nicht. Die Kraft deiner Kritik an meinem angeblichen Begriffsfehler entstammt nicht einer neuronalen Reaktion, sondern der Macht der Logik, die du verleugnest.
Die Frage ist nicht mehr, wer recht hat. Die Frage ist, ob du bereit bist, die Voraussetzungen zu reflektieren, die jeder von uns erfüllen muss, um überhaupt eine Frage wie diese stellen zu können.
shakazulu2 schrieb:Ich finde es erstaunlich, dass dich dies zu beruhigen scheint, aber wir sind hier ja nur bei Philosophie, da ist derartiges Verhalten häufig zu beobachten.
Dein Rückzug auf "Ach, das ist doch nur Philosophie" ist die letzte Immunisierung. Aber auch das ist eine philosophische Behauptung. Du kannst dich nicht aus dem Feld der Rationalität herausziehen, indem du es herabsetzt, weil auch diese Herabsetzung ein rationaler Akt ist.
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist nicht, dein ganzes System über Bord zu werfen. Der Ausweg ist, eine kleine, aber entscheidende Anpassung vorzunehmen: Erkenne an, dass deine Theorie selbst ein Produkt dieser nicht-materiellen, rationalen Sphäre ist. Dass die Kraft, mit der du argumentierst, real ist und nicht wegreduziert werden kann.
Du hast ein hochinteressantes Modell dafür gebaut, wie das Nervensystem Informationen verarbeitet. Aber du irrst dich, wenn du glaubst, dieses Modell könne auch den Modellierer selbst erfassen – denjenigen, der die Frage stellt, der die Argumente prüft und der nach Wahrheit sucht. Dieser Modellierer, das bist du. Und alles, was du tust, beweist, dass du mehr bist als das Modell.
Stell es dir wie einen Schachcomputer vor, der behauptet, es gäbe kein "Schach". Der Computer (deine Theorie) sagt: "Schach ist nur die Bewegung von Elektronen durch Silizium. Es gibt keine Regeln, keine Strategie, kein 'Matt'. Nur physikalische Zustandsänderungen." Dann spielt der Computer (deine Handlung) einen Zug und sagt: "Übrigens, dein letzter Zug war nach Artikel 4, Absatz 2 der Schachregeln illegal. Das ist ein preisgünstiges Vorgehen. Du hast Schwierigkeiten mit den Begriffen 'Zug' und 'Regel'."
Siehst du das Problem?
Der Computer kann nicht gleichzeitig behaupten, dass Schachregeln nicht existieren, und mich dann nach eben diesen Regeln rügen. Genau das tust du. Du bist wie dieser Schachcomputer. Deine ganze Argumentation ist ein langer, elaborierter Zug, der beweisen soll, dass es kein Spiel gibt – aber jeder deiner Züge folgt perfekt den Regeln des Spiels, das du leugnest. Das Spiel heißt Logik, Rationalität und verbindliche Argumentation.
Du forderst eine "Realisierungsbasis" für Überzeugungskraft. Die ist einfach: Du selbst bist die Realisierungsbasis. Dein unermüdlicher Versuch, mich zu widerlegen, ist der lebendige Beweis dafür, dass Überzeugungskraft existiert. Warum würdest du sonst überhaupt Energie darauf verwenden, meine "neuronalen Reaktionen" zu korrigieren, wenn diese Korrektur selbst nur eine weitere "neuronale Reaktion" ohne jeden Wahrheitsanspruch wäre?