http://www.bruehlmeier.info/freud.htm10.1 Verdrängung
Der grundlegende Abwehrmechanismus ist die Verdrängung. Für ihn gilt – genauso wie für alle weiteren Abwehrmechanismen, bei denen Verdrängung immer mitenthalten ist –, dass er
1. ubw passiert,
2. der Angst-Abwehr dient und
3. eine Selbsttäuschung darstellt.
Bei einer Verdrängung handelt es sich um die unbewusste Unterdrückung eines Triebbedürfnisses (z. B. Sexualtrieb, Aggressionstrieb) oder eines irgendwie belastenden Impulses aus dem Es (z. B. Minderwertigkeits-, Schuld-, Scham- oder Angstgefühle). Eine Verdrängung steht folglich im Gegensatz zu einem entschlossenen, bewussten Triebverzicht und ermöglicht vielmehr das Ausweichen vor einer bewussten Entscheidung.
Ein Beispiel: Ein junger Mann, der kurz vor der Heirat steht, befreundet sich mit einem andern Burschen, der in ihm homoerotische Impulse auslöst. In der Regel wird ein solcher Impuls schon im Ansatz wieder zurückgewiesen, kommt also dem betroffenen Menschen gar nicht zum Bw. Würde er nämlich den homoerotischen Impuls in voller Stärke bw erleben, so löste er in dieser Situation grosse Ängste aus. Der Mann in unserem Beispiel geht folglich ruhig seines Weges und heiratet, unbehelligt von Ängsten und Zweifeln. So sehr man es ihm gönnen mag, kann man sich doch der Erkenntnis nicht entziehen, dass seine von keinerlei Zweifeln begleiteten Handlungen auf einer Selbsttäuschung beruhen.
Auf dem Hintergrund der Freudschen Instanzen-Lehre (Es, Ich, Über-Ich) drängt sich die Frage auf, ‘wer’ denn eigentlich verdrängt. Verdrängende Instanz ist nach Freud (und logischerweise) das Ich (allenfalls unter den Einwirkungen des Über-Ich); da aber die Verdrängung ubw geschieht, ist es der ubw Anteil des Ichs, der verdrängend wirkt.
Freud selbst ist durchaus bereit, ein gewisses Ausmass an Verdrängungen als vertretbar und psychisch nicht alarmierend zu betrachten, da sie eigentlich unvermeidlich sind. Es handelt sich bei ihnen um einen Ausdruck jener neurotischen Züge, die jeder menschlichen Person in irgend einer Weise anhaften. Zum Problem werden Verdrängungen, wenn sie ein grosses Ausmass angenommen haben, zentrale psychische Bereiche betreffen und sich hartnäckig jeder Bewusstmachung entziehen. In diesem Fall sind sie Ausdruck einer etablierten Neurose.
Es gibt indessen Psychoanalytiker im Gefolge von Freud, die jede Form von Verdrängung als Krankheitsanzeichen und auch als weiterhin krankmachend betrachten und sie deshalb mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auflösen möchten. Am konsequentesten ist hier Arthur Janov mit der sog. Primär- oder ‘Urschrei’–Therapie.
9 Trieblehre
Die Triebe sind jener Bereich, in welchem sich gewissermassen das Organische und das Psychische begegnen. Tatsächlich lassen sich z. B. der Nahrungs-, Geschlechts- oder Aggressionstrieb durch Beeinflussung des Organismus anstacheln oder dämpfen. Für Freud war es darum selbstverständlich, das Triebleben als die Basis des Psychischen zu betrachten. Diese Anschauung stand denn auch in Übereinstimmung mit der Auffassung, dass die Motive des Handelns im Es verwurzelt und darum zumeist auch ubw sind.
Es entsprach Freuds reduktionistischem Denken, dass er der Überzeugung war, sämtliche Triebe liessen sich auf einen einzigen oder allenfalls zwei zurückführen. Der frühe Freud glaubte, einerseits im Sexualtrieb, andererseits in den Ich-Trieben (Selbsterhaltungstendenzen) diese grundlegenden Triebe zu erkennen, in jenem Bestreben also, dem Organismus einerseits grösstmögliche Lust zu verschaffen und ihn andererseits zu erhalten. Mit der Einführung des Narzissmus (zu Deutsch am ehesten: Selbstverliebtheit) hat er dann auch den Ich-Trieben einen libidinösen Charakter (Libido: siehe unten) zuerkannt.
Freud hat sich zu Beginn unseres Jahrhunderts, einer Zeit der ausgeprägtesten Prüderie, mit dieser ‘Sexualisierung des gesamten Seelenlebens’ harter Kritik ausgesetzt. So zog er sich beispielsweise die Gegnerschaft August Forels zu. Forel (auf unserer Tausendernote abgebildet) war lange Zeit Leiter der psychiatrischen Klinik ‘Burghölzli’ in Zürich und hatte ein in vielen Auflagen erschienenes Standardwerk über das Sexualleben geschrieben. Die Reduktion sämtlicher Triebe auf den Sexualtrieb wollte er aber nicht akzeptieren.
Möglicherweise haben es sich die Kritiker Freuds etwas zu einfach gemacht, indem sie zu wenig zur Kenntnis nahmen, dass Freud das Sexuelle an sich weiter fasste, als es ausserhalb der Psychoanalyse geschieht. So vertrat er die Auffassung, dass z. B. bereits das Saugen des Säuglings an der Mutterbrust eine sexuelle Handlung darstellt. Tatsächlich kann der unvoreingenommene Betrachter unschwer feststellen, dass der Akt des Saugens beim Säugling ein wirklich lustvoller Vorgang ist und dass sich das kleine Kind auch sonst durch das Lutschen der Finger oder irgendwelcher Gegenstände Lust verschafft.
Freud hat seine Theorie später dadurch ergänzt, dass er dem Lusttrieb den sog. Todestrieb (Destruktionstrieb, Aggressionstrieb) zur Seite stellte. Er sah nunmehr das menschliche Leben eingespannt zwischen die Pole des ‘Eros’ und des ‘Thanatos’. Im Eros sah er das aufbauende, im Thanatos das abbauende Prinzip. So sah er z. B. beim Essen in der Einverleibung der Nahrung den Lusttrieb, im Zerkauen der Nahrung den Aggressionstrieb am Werk. Auch den Sexualakt betrachtete er als eine Verbindung beider Triebe. Das völlige Fehlen des Aggressionstriebs äusserte sich dann als Impotenz, das Fehlen des Eros hingegen als Sadismus bzw. – im Grenzfall – im Lustmord.
Viele Vertreter der Psychoanalyse – z. B. Fromm – sind ihm in der Annahme des Todestriebes nicht gefolgt. Insbesondere marxistische Psychoanalytiker sehen in der Annahme eines Aggressionstriebes einen Widerspruch zu ihrer Gesellschaftstheorie, wonach die menschliche Aggression nichts Naturgegebenes ist, sondern als eine Reaktion auf frustrierende Umweltbedingungen (z. B. kapitalistische Gesellschaftsordnung) verstanden werden soll.
Freud geht grundsätzlich davon aus, dass ‘die Psyche’ nicht etwa eine Wesenheit, sondern ein Vorgang (ein Geschehen, ein Prozess), also etwas Dynamisches ist. Das dynamische Geschehen der Psyche wird nun gemäss seiner Vorstellung in Gang gehalten durch die psychische Energie, die er als Libido bezeichnet. Die Libido steht grundsätzlich dem Ich zur Verfügung und fliesst ihm "von den Organen her" zu. Wir erkennen in dieser Vorstellung einmal mehr Freuds Bemühen, das Psychische auf das Organische zurückzuführen.
Die Libido kann grundsätzlich frei oder gebunden sein. Irgendwelche Sachverhalte werden für den Menschen dadurch bedeutsam, dass sich mit deren Vorstellung Libido verbindet. Freud spricht davon, dass die ‘Objekte’ mit Libido ‘besetzt’ werden. Ganz am Anfang richtet sich indessen alle Libido auf das eigene Ich, was dann den Zustand des ‘primären Narzissmus’ ausmacht. (Narziss war ein griechischer Hirte, der sich beim Anblick seines Spiegelbildes im Wasser in sich selbst verliebte.) Es entspricht indessen der gesunden Entwicklung, dass sich die Libido auf ‘Objekte’ richtet und sich mit ihnen verbindet.
Das erste ‘Objekt’, das das kleine Kind mit Libido besetzt, ist die Mutterbrust. Man darf sich natürlich nicht vorstellen, dass das Kind gewissermassen Libido an die physische Mutterbrust klebt, sondern in seinem Erleben wird die Mutterbrust zum ersten bedeutsamen Tatbestand. Im Verlaufe der Entwicklung besetzt das Kind immer mehr Objekte mit Libido. Man kann sagen, dass ein Objekt mit um so mehr Libido besetzt ist, je stärker es mit gefühlvollem Erleben verbunden ist.
Wird die Libido in unzulässiger (übertriebener) Weise an das eigene Ich fixiert, so spricht Freud vom ‘sekundären Narzissmus’. Dies ist eine sehr ernste psychische Störung: der betreffende Mensch bleibt völlig auf sich selbst bezogen und ist eigentlich asozial und liebesunfähig.
Rein formal unterscheidet Freud bei jedem Trieb vier Kriterien: Quelle, Objekt, Ziel und Drang. Im Bereiche der Ernährung ist die Quelle das objektive Nahrungsbedürfnis, das Objekt die Nahrung, der Drang die Stärke des Hungergefühls und das Ziel die Stillung des Hungers. Analoges gilt für die andern Triebe.