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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

09.04.2023 um 17:12
@Sherlock_H

Die Antwort lautet jeweils: Nein.

In jedem Verfahren wird ohnehin geprüft, welcher Straftatbestand vorliegt. Auch wenn die Anklage zunächst auf Totschlag lautet, kann im Laufe des Verfahrens aufgrund neuerer Erkenntnisse eine "Höherstufung" auf Mord erfolgen. Dies muss im Verfahren formell bekannt gegeben werden. Ebenso kann am Ende eines Mordprozesses eine Verurteilung wegen Totschlags stehen, wenn etwa Mordmerkmale nicht nachweisbar sind.

In keinem Fall gibt es zwei gesonderte Prozesse, weil es ja um denselben Sachverhalt (vorsätzliche Tötung des A durch B) geht.

Derselbe Sachverhalt = "idem"

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

10.04.2023 um 01:22
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Hat jemand in diesem Zusammenhang Antworten auf folgende zwei Fragen, vielleicht @Rick_Blaine oder @emz:

1. Wenn Ismet H. damals nur wegen Totschlags angeklagt worden wäre, könnte er jetzt - ohne Bezug auf § 362 (5) StPO - wegen Mordes angeklagt werden, wäre in diesem Fall also kein Klageverbrauch gegeben?

2. Wenn im Fall Möhlmann der Totschlag usw. noch nicht verjährt wäre, könnte man jetzt Ismet H. wenigstens wegen Totschlags anklagen, oder gibt es eine Art "Abwärtswirkung" des Klageverbrauchs, sind also Anklagen wegen der gleichen Tat, aber als anderer Straftatbestand mit einer geringeren strafrechtlichen Wertigkeit, im Klageverbrauch eingeschlossen?
Nein und nein. Wie @Lichtgestählt schon richtig sagt: Es geht darum, dass man nur einmal wegen desselben Tatvorgangs verfolgt und vor Gericht gestellt werden kann, egal wie der Tatvorgang juristisch bewertet wird.

Sonst wäre dieser Verfassungsgrundsatz nichts wert.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

10.04.2023 um 10:09
Ich hoffe das das BVG den Gesetzeszusatz für verfassungswidrig erklärt. Selbst der Bundespräsident hat hier Bedenken.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

10.04.2023 um 14:47
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Selbst der Bundespräsident hat hier Bedenken.
Die Bedenken des Bundespräsidenten gingen allerdings nicht so weit, die Einführung von § 362 Nr. 5 StPO nicht auszufertigen.
Allerdings gab es seit Bestehen der BRD erst 8 Fälle, in denen sich ein Bundespräsident direkt weigerte, ein Gesetz auszufertigen und zu verkünden.

Darüber hinaus gab es einige Fälle, in denen ein Bundespräsident verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Gesetz hatte und seine Bedenken gegenüber Bundestag und Bundesrat und Bundeskanzler deutlich gemacht, das Gesetz aber trotzdem ausgefertigt hat.

https://www.bundestag.de/resource/blob/817824/b8c8bb9b87e00a9c71aa9691cc3077a2/WD-3-257-20-pdf-data.pdf


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

24.05.2023 um 08:52
Der Fall Frederike von Möhlmann wird heute in Karlsruhe verhandelt. Ein Urteil wird aber erst in einigen Monaten erwartet.

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/bundesverfassungsgericht-verurteilung-100.html


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

24.05.2023 um 17:13
Gibt es Berichte über den Verlauf der Verhandlung? Bzw Einschätzungen juristischer Beobachter? Das ist doch geradezu ein historischer termin


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 02:37
Hier ein Bericht von der mündlichen Anhörung in der renommierten Legal Times Online:
BVerfG-Vize: "Grundlegende verfassungsrechtliche Fragen"

In der mündlichen Verhandlung führten am Mittwoch beide Seiten für Ihre Position gewichtige Argumente ins Feld: Vor den Richterinnen und Richtern des Zweiten Senats duellierten sich die Strafrechtler auf höchstem Niveau, nachdem die Vizepräsidentin des BVerfG, Prof. Dr. Doris König, zuvor klargestellt hatte, worum es geht: Um "grundlegende verfassungsrechtliche Fragen", deren Klärung für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit erforderlich sei. Es gehe nicht, so König, um die Frage, ob H. nun die ihm erneut zur Last gelegte Tat begangen hat.

Grundlegend wurde es dann auch – vor allem im Hinblick auf das Verständnis und die Reichweite von Art. 103 Abs. 3 GG. Handelt es sich überhaupt um ein abwägungsfähiges Grundrecht, in das, wie der Gesetzgeber formulierte, "zur Widerherstellung materieller Gerechtigkeit" eingegriffen werden dürfe?

Pro: "Funktionstüchtige Strafrechtspflege"
Ganz klar bejaht wurde diese Frage von den Strafrechtlern, die das GroKo-Gesetz am Mittwoch in Karlsruhe verteidigten. So verwies Hochschullehrer Prof. Dr. Michael Kubiciel, von der Union als Bevollmächtigter benannt, auf einen unterschiedlichen Schutzgehalt in Art. 103 Abs.3 GG. Das Verbot der Doppelbestrafung betreffe den Kernbereich des Grundrechtes, während das Verbot mehrfacher Verfolgung nur einen Randbereich betreffe.

In letzteren habe der Gesetzgeber mit § 362 Nr. 5 StPO verfassungskonform eingegriffen. Die Erweiterung der Vorschrift diene einem legitimen Zweck: So könne der Staat eine funktionstüchtige Strafrechtspflege nur gewährleisten, wenn einem Tatverdacht auch in einem ausreichenden Maße nachgegangen werde. Zudem gelte §362 Nr 5 StPO nur für "exzeptionell schwere Taten".

Die Prozessvertreterin der SPD-Bundestagsfraktion, Prof. Dr. Elisa Hoven, verwies ebenfalls auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift: Eine routinemäßige Überprüfung von rechtskräftigen Freisprüchen sei ausgeschlossen. Hoven betonte auch einen Anspruch des Opfers bzw. naher Angehöriger, dass das Verfahren unter bestimmten Bedingungen wieder aufgerollt wird. Sie hätten einen Anspruch auf effektive Strafverfolgung.

Auch Strafrechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Tatjana Hörnle vom Freiburger Max-Planck-Institut zeigte Sympathien für die neue Vorschrift. Hörnle sprach sich für eine dogmatische "Neuorientierung" aus: Statt jeden Eingriff in Art. 103 Abs. 3 GG unter Verweis auf dessen Abwägungs- und Änderungsfestigkeit abzubügeln, müsse man auch hier zur "normalen Verhältnismäßigkeitsprüfung" gelangen. Diese führe dann ohnehin dazu, dass sich Eingriffe in Art. 103 Abs. 3 GG häufig als verfassungswidrig erwiesen.

Contra: "Freispruch unter Vorbehalt"
Dieser Sichtweise widersprachen indes entschieden nicht nur die Prozessvertreter von H., die Anwälte Johann Schwenn, Leon Kruse und Dr. Yves Georg, sondern auch andere Strafrechtler. Schwenn stellte in seinem Statement klar: "Von der Rechtskraft eines Freispruchs bleibt mit der Neuregelung kaum noch etwas übrig." Dass der Gesetzgeber hohe Hürden in die Neuregelung eingebaut hätte, verneinte Schwenn: "Dringende Gründe" ließen sich schnell konstruieren.

Der Augsburger Strafrechtslehrer Prof. Dr. Johannes Kaspar sprach von einem "Freispruch unter Vorbehalt". Die Vorschrift treffe auch Unschuldige und verstoße somit gegen die Unschuldsvermutung, so Kaspar. Er widersprach zudem Hörnle, dass bei Eingriffen in Art.103 Abs. 3 GG die Verhältnismäßigkeitsprüfung letztlich ein geeignetes verfassungsrechtliches Korrektiv darstelle: "Es geht um schwere Straftaten. Unter Verweis darauf lässt sich jedes rechtliche Verbot sturmreif schießen."

Strafrechtler Prof. Dr. Erol Pohlreich, Prozessbevollmächtigter für die BT-Fraktionen der Grünen und der FDP, warnte vor einem Prozess "ad infinitum": Selbst ein erneuter Freispruch schaffe für den Betroffenen keine Ruhe. Schließlich ließe sich die Vorschrift bei Vorliegen vermeintlich gewichtiger neuer Beweise in ein und demselben Fall immer wieder anwenden, so Pohlreich. Auch Anwalt Stefan Conen vom Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen kritisierte, die Vorschrift widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG. Dieses habe in einer früheren Entscheidung klargestellt, dass das in Art. 103 Abs. 3 GG geltende Verbot auch unter Inkaufnahme eines Fehlurteils Geltung beanspruchen müsse.

Ähnliche Regelung im NS-Prozessrecht
Zudem verwies Conen auf eine dunkle Vorgeschichte des § 362 Nr. 5 StPO: Die Möglichkeit, rechtskräftige Freisprüche aufgrund nachträglich bekanntgewordener Beweise wieder aufzuheben oder Strafen nach Rechtskraft zu verschärfen, habe es im deutschen Strafprozessrecht bisher lediglich in der NS-Zeit gegeben. Die Vorschrift sei nach der Diktatur unverzüglich wieder abgeschafft worden.

Wie es nun mit § 362 Nr. 5 der StPO weitergeht, ist offen. Zu erwarten ist in einigen Monaten jedenfalls ein echtes Grundsatzurteil des BVerfG zur verfassungsrechtlichen Reichweite von Art. 103 Abs. 3 GG.

Das Gericht könnte den Schutzbereich des Grundrechts besonders weit ziehen bzw. die neue Wiederaufnahme-Vorschrift als unverhältnismäßigen Eingriff bewerten. Möglich ist aber auch, dass es sich dem Argument der Gesetzesbefürworter annähert, wonach mit § 362 Nr.5 StPO einer verfassungsrechtlich gebotenen "materiellen Gerechtigkeit" Vorschub geleistet wird.
Quelle: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wiederaufnahme-stpo-bverfg-ne-bis-in-idem-verbot-doppelbestrafung-rueckwirkungsverbot-verhandlung/

LTO ist eine juristische Fachpublikation des bekannten Jura Verlages Wolters Kluwer.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 19:05
Herzlichen Dank @Rick_Blaine profunde wie immer!
Hast du als fachlicher Beobachter eine Prognose für die Entscheidung des BVerfG?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 21:03
@Rick_Blaine

Der Verweis auf das NS-Prozessrecht ist schon besonders tief. Man kann ja spannende rechtsphilosophische Diskussionen führen, sich auf den Rechtsfrieden oder die Rechtssicherheit berufen, aber die Nazikeule auszupacken, spricht nicht für den Charakter des Anwalt Conen. Mit ähnlicher "Argumentation" kann ich die Abschaffung des Reichskonkordats fordern, das auf Grundlage des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes zustandekam.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 22:17
Zitat von nephilimfieldnephilimfield schrieb:Man kann ja spannende rechtsphilosophische Diskussionen führen, sich auf den Rechtsfrieden oder die Rechtssicherheit berufen, aber die Nazikeule auszupacken, spricht nicht für den Charakter des Anwalt Conen. Mit ähnlicher "Argumentation" kann ich die Abschaffung des Reichskonkordats fordern, das auf Grundlage des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes zustandekam.
Das ist tatsächlich ein nicht unbeliebtes Argument. In der NS-Zeit wurden Teile des StGB geändert, die auch heute noch so gelten. Insbesondere ist hier der Mordparagraph zu nennen. Allerdings ist die Frage aktuell prozessrechtlicher Natur.

Eine Einschätzung zu geben ist schwierig. Die Regelung greift grds. in ein Grundrecht ein. Mit guten Argumenten ist eine Verletzung des Grundrechts auch zu begründen. Das BVerfG entscheidet oftmals zugunsten des Gesetzgebers, da es zwar die einzige Kontrollinstanz ist, aber eben selten dazu bereit ist, Gesetze vollständig zu kippen. Gerade im Strafprozessrecht ist es schon vorgekommen, dass die Regelung als solche verfassungskonform, ihre Anwendung in der Praxis aber als eher verfassungswidrig eingestuft wird. Dennoch hat das BVerfG die Regelung deshalb nicht vollständig gekippt.

Die beanstandete Norm ist praktisch die einzige, bei der die Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten völlig außerhalb seiner Macht liegt. Das ist das spannende an der Frage. Ein Verurteilter, der die Hauptverhandlung (wissentlich oder nicht) zu seinen Gunsten beeinflusst hat, genießt nach den bisherigen Gründen keinen Vertrauensschutz. Das ist durchaus verständlich. Die strittige Regelung hebt den Vertrauensschutz aber auch dann auf, wenn neue Beweismittel auftauchen, die es im ersten Prozess noch gar nicht gab. Dass ist en deutlich gravierender Eingriff, denn niemand, der wegen dieser Katalogtaten freigesprochen wurde, kann sich nach der Regelung sicher fühlen.
Die Frage ist, was das Gericht als gewichtiger einstuft. Das Vertrauen des einzelnen in das Urteil oder das Bedürfnis der Gesellschaft, für diese Taten den "wahren" Täter zu bestrafen. Dabei sollte man immer im Hinterkopf haben, dass ein solche Prozess zwar juristisch Klarheit schafft, aber eben nicht unbedingt Gerechtigkeit.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 22:20
Zitat von nephilimfieldnephilimfield schrieb:Mit ähnlicher "Argumentation" kann ich die Abschaffung des Reichskonkordats fordern, das auf Grundlage des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes zustandekam.
Man kann auch die Abschaffung des Kindergeldes fordern, denn Kindergeld wurde erstmals unter den Nazis eingeführt, freilich damals nur „zur Förderung des arischen Nachwuchses“.

Oder man kann die Abschaffung des Rechtsdienstleistungsgesetzes (früher Rechtsberatungsgesetz) fordern, dessen Vorläufer von den Nazis eingeführt wurde, damals, damit jüdische Rechtsanwälte, nachdem ihnen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen worden war, auch sonstige Rechtsberatungstätigkeiten nicht ausführen durften, ebensowenig wie aus dem Dienst entfernte jüdische Richter und Staatsanwälte.

Wikipedia: Rechtsberatungsgesetz

Allein mit dem Verweis, dass es so was ähnliches auch schon mal unter den Nazis gab, kommt man also bei der Frage, ob heutzutage etwas grundgesetzwidrig ist, nicht unbedingt weiter.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 22:28
Zitat von AndanteAndante schrieb:Allein mit dem Verweis, dass es so was ähnliches auch schon mal unter den Nazis gab, kommt man also bei der Frage, ob heutzutage etwas grundgesetzwidrig ist, nicht unbedingt weiter.
Das ist soweit korrekt. Nur bleibt die Frage, wieso diese Regelung in der NS-Zeit eingeführt wurde und wie sie heute angewendet wird.

Bei der streitigen Regelung kann man durchaus anführen, dass diese zur NS-Zeit dafür genutzt wurde, jederzeit jemanden erneut anzuklagen. Ob das mit unserem heutigen Verständnis von Rechtsstaat vereinbar ist, ist die große Frage. Denn es ist eine abstrakte Regelung, die zwar auf einen Fall zurückzuführen ist, aber eben bei jedem anderen auch angewendet werden kann. Sollte die StA also von der Schuld überzeugt sein, so kann sie bei neuen Beweisen theoretisch jederzeit erneut anklagen. Ob diese Anklage dann zugelassen wird ist eine andere Frage. Am Ende kann sich aber eben kein Freigesprochener bei den Katlogtaten mehr auf das Urteil verlassen. Bislang galt dieser Vertrauensschutz nur dann nicht, wenn in der Hauptverhandlung selbst gravierende Fehler insbesondere vom Angeklagten selbst begangen wurde.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 22:36
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Die beanstandete Norm ist praktisch die einzige, bei der die Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten völlig außerhalb seiner Macht liegt.
Das kann doch auch bei anderen Wiederaufnahmegründen der Fall sein, etwa bei § 362 Nr. 3 StPO. Und auch eine gefälschte Urkinde oder eine falsche Zeugenaussage muss ja nicht vom Angeklagten initiiert gewesen sein. Das öfter gehörte Argument, eine Wiederaufnahme zu Ungunsten des Verurteilten sei bisher gesetzlich nur dann statthaft gewesen, wenn der Freigesprochene den Freispruch praktisch selber mit unredlichen Mitteln herbeigeführt hat, halte ich daher nicht für stichhaltig.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Denn es ist eine abstrakte Regelung, die zwar auf einen Fall zurückzuführen ist, aber eben bei jedem anderen auch angewendet werden kann. Sollte die StA also von der Schuld überzeugt sein, so kann sie bei neuen Beweisen theoretisch jederzeit erneut anklagen.
Nach dem Gesetzeswortlaut ist das von vornherein nur bei 4 unverjährbaren Delikten möglich. In allen anderen Fällen gibt es überhaupt keine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 5 StPO. Zudem reichen bloß „neue Beweise“ für eine Wiederaufnahme nicht. Diese neuen Beweise müssen zusätzlich
allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches)…… Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), ….verurteilt wird.



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25.05.2023 um 22:49
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und auch eine gefälschte Urkinde oder eine falsche Zeugenaussage muss ja nicht vom Angeklagten initiiert gewesen sein.
Daher habe ich auch davon gesprochen, dass diese Gründe auch unwissentlich durch den Angeklagten bedingt worden sein können. Bei einer Wiederaufnahme zuungunsten des Beschuldigten wird ja davon ausgegangen, dass der Täter auf der Anklagebank sitzt und im ersten Prozess wieso auch immer freigesprochen wurde. Somit müsste eben jener Angeklagte im ersten Prozess bei einer gefälschten Urkunden ja durchaus gewusst haben, ob diese echt ist oder nicht. Wollte sie ihn fälschlicherweise entlasten, wird es dem Angeklagten wohl klar sein, dass die Urkunde nicht ganz richtig sein kann. Er hat der Aussage der Urkunde aber eben nicht widersprochen. Somit hat er indirekt zu seinem Freispruch beigetragen, der den wahren Geschehnissen widerspricht.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Nach dem Gesetzeswortlaut ist das von vornherein nur bei 4 unverjährbaren Delikten möglich. In allen anderen Fällen gibt es überhaupt keine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 5 StPO. Zudem reichen bloß „neue Beweise“ für eine Wiederaufnahme nicht. Diese neuen Beweise müssen zusätzlich
allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches)…… Völkermordes (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), ….verurteilt wird.
So oft wie Beschuldigten in U-Haft genommen werden, für die ein dringender Tatverdacht benötigt wird, und es dann am Ende doch nicht waren, sind dringende Gründe keine allzu große Hürde. Das hört sich für den Laien erst einmal wie eine hohe Hürde an, jeder gute Staatsanwalt wird diese aber mit durchschnittlichen Beweismitteln überspringen können. "Dringende Gründe" ist auch einfach ein ziemlich schwammiger Begriff. Das kann praktisch alles sein und ist nicht allein auf DNA-Beweise beschränkt. Eine sehr glaubhafte Zeugenaussage kann auch ein dringender Grund sein, wenn diese in das Bild der Tat passt, das die StA hat.

Zudem bleibt die Frage offen, ob eine Verurteilung aufgrund eines vorsätzlichen Tötungsdelikts grds darunter fällt. Sprich, ob ein wegen Totschlags freigesprochener bei neuen Beweisen wegen Mordes erneut angeklagt werden kann. Derjenige wurde zwar wegen eines Delikts freigesprochen, was nicht in den Katalog fällt. Allerdings kann eine veränderte Beweislage für eine Katalogtat (in dem Fall Mord) sprechen. Und bei Mord könnte eine Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen bei neuer Beweislage Erfolg haben.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

25.05.2023 um 23:16
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:"Dringende Gründe" ist auch einfach ein ziemlich schwammiger Begriff.
Der Gesetzgeber stellt sich, wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht, hier die gleiche Gewichtung vor wie bei den dringenden Gründen für einen Haftbefehl. Und wenn man bedenkt, wie viel entgegen landläufiger Meinung dazu gehört, bis man in U-Haft kommt, müssen die vom Staatsanwalt vorgebrachten Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens schon ziemlich Hand und Fuß haben.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Zudem bleibt die Frage offen, ob eine Verurteilung aufgrund eines vorsätzlichen Tötungsdelikts grds darunter fällt. Sprich, ob ein wegen Totschlags freigesprochener bei neuen Beweisen wegen Mordes erneut angeklagt werden kann. Derjenige wurde zwar wegen eines Delikts freigesprochen, was nicht in den Katalog fällt. Allerdings kann eine veränderte Beweislage für eine Katalogtat (in dem Fall Mord) sprechen. Und bei Mord könnte eine Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen bei neuer Beweislage Erfolg haben.
Nein, die Frage bleibt nicht offen, das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. Es sind nicht Freisprüche gemeint, denen ein angeklagtes verjährbares Tötungsdelikt wie Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, erpresserischer Menschenraub mit Todesfolge, fahrlässige Tötung zugrunde liegt. Dem würde wohl auch, sinngemäß angewandt, das Verschlechterungsverbot des § 331 StPO widersprechen.
Vor dem Hintergrund der genannten Maßstäbe ist die neue Regelung des § 362 Nr. 5 StPO auf solche Ausnahmesituationen beschränkt, in denen eine Wiederaufnahme des Verfahrens das hinter Art. 103 Abs. 3 GG stehende Anliegen der Befriedung nicht untergraben würde, sondern ihm erst zur Wirkung verhelfen soll. Denn die Regelung erfasst ausschließlich die schwersten der deutschen Rechtsordnung bekannten Taten – nämlich Mord (§ 211 des Strafgesetzbuches), Völkermord (§ 6 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches), das Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Absatz 1 Nummer 1 und 2 des Völkerstrafgesetzbuches) und Kriegsverbrechen gegen eine Person (§ 8 Absatz 1 Nummer 1 des Völkerstrafgesetzbuches).

Das sind solche Taten, die mit der Höchststrafe belegt sind und nicht der Verjährung unterliegen – womit bereits das besondere Unrecht und der besondere Inhalt dieser Tatbestände verdeutlicht wird. Der Schutz eines Menschenlebens nimmt in unserer Rechtsordnung den höchsten Rang ein. Bei diesen Taten ist ein zu Unrecht erfolgter Freispruch – anders als bei Taten im Bereich der unteren und mittleren Kriminalität – schlechthin unerträglich.

Bereits die Große Strafrechtskommission des Deutschen Richterbundes stellte im Abschlussbericht der Sitzung vom 26. bis 28. November 2002 zu ihrem Gutachten zum Wiederaufnahmeverfahren unter anderem fest: „Die Kommission sieht es als schwer erträglich an, einen Freispruch bei Mord/Völkermord nicht mehr korrigieren zu können, obwohl nachträglich sichere Beweismittel die Täterschaft einwandfrei festgestellt haben.“ Der Rechtsfrieden und das Gerechtigkeitsgefühl der Bevölkerung werden durch einen erwiesenermaßen ungerechtfertigten Freispruch wegen Mordes oder wegen der aufgeführten Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch in mindestens ebenso starkem Maße beeinträchtigt wie durch die Verurteilung eines unschuldigen Angeklagten.
https://dserver.bundestag.de/btd/19/303/1930399.pdf, dort Seite 9, 10


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25.05.2023 um 23:47
Zitat von nephilimfieldnephilimfield schrieb:Mit ähnlicher "Argumentation" kann ich die Abschaffung des Reichskonkordats fordern, das auf Grundlage des nationalsozialistischen Ermächtigungsgesetzes zustandekam.
Das Reichskonkordat ist nichts anderes als ein Staatskirchenvertrag. Es hat überhaupt keinen nationalsozialistischen Inhalt. Schon deswegen, weil es im Wesentlichen vor 1933 inhaltlich vorbereitet und auf Fachebene ausgearbeitet wurde.

Aber die nachträgliche Aufhebung von rechtskräftigen Urteilen, wenn sie dem "gesunden Volksempfinden", also dem Willen der NS-Machthaber, nicht entsprachen, ist ein Kernelement der NS-Unrechtsjustiz. Insofern hinkt Ihr Vergleich etwas.


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26.05.2023 um 02:29
Zitat von peterleepeterlee schrieb:Hast du als fachlicher Beobachter eine Prognose für die Entscheidung des BVerfG?
Ich habe meine Meinung schon vor einigen Wochen gepostet. Ich bin der klaren Überzeugung, dass die Neuregelung verfassungswidrig ist und auf den Müllhaufen gehört. Allerdings kann ich den Senat schwer einschätzen, er ist m.E. nicht ganz so regierungstreu wie der erste Senat, aber die Richter haben mich bisher auch noch nicht sonderlich durch Grundsatzhaltungen beeindruckt.

Daher fällt es mir schwer, eine Prognose abzugeben.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Das ist soweit korrekt. Nur bleibt die Frage, wieso diese Regelung in der NS-Zeit eingeführt wurde und wie sie heute angewendet wird.

Bei der streitigen Regelung kann man durchaus anführen, dass diese zur NS-Zeit dafür genutzt wurde, jederzeit jemanden erneut anzuklagen. Ob das mit unserem heutigen Verständnis von Rechtsstaat vereinbar ist, ist die große Frage. Denn es ist eine abstrakte Regelung, die zwar auf einen Fall zurückzuführen ist, aber eben bei jedem anderen auch angewendet werden kann. Sollte die StA also von der Schuld überzeugt sein, so kann sie bei neuen Beweisen theoretisch jederzeit erneut anklagen. Ob diese Anklage dann zugelassen wird ist eine andere Frage. Am Ende kann sich aber eben kein Freigesprochener bei den Katlogtaten mehr auf das Urteil verlassen. Bislang galt dieser Vertrauensschutz nur dann nicht, wenn in der Hauptverhandlung selbst gravierende Fehler insbesondere vom Angeklagten selbst begangen wurde.
Genau so ist es. Das Argument dient nicht als Nazikeule, aber zeigt auf, welche Folgen in der Geschichte eine solche Regelung wie die jetzt beanstandete schon einmal hatte und warum die Väter des Grundgesetzes diese so schnell wie möglich abgeschafft sehen wollten.


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26.05.2023 um 06:13
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Am Ende kann sich aber eben kein Freigesprochener bei den Katlogtaten mehr auf das Urteil verlassen.
Was ist so toll daran, dass sich jemand, der einen Mord begangen hat, aber erstmal freigesprochen wurde, darauf verlassen kann, dass er nicht mehr für seine Tat belangt werden kann? Wenn das ein hohes Rechtsgut sein soll, das von einigen hier im Forum verteidigt wird, dann stimmt was mit unserer Rechtsordnung nicht.

Ich habe die anscheinend antiquierte Auffassung, dass ein Mörder für seine Taten angeklagt und bestraft werden soll, auch wenn es vorher aufgrund von Unzulänglichkeiten bei der Beweisführung oder falschen Annahmen usw. schon mal einen Freispruch gegeben hat.

Wie ist es denn in benachbarten Rechtsgebieten? Da ist es natürlich anders! Ein fehlerhafter Steuerbescheid z. B. kann jederzeit von der Steuerbehörde zuungunsten des Bürgers geändert werden, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

26.05.2023 um 07:36
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Ein fehlerhafter Steuerbescheid z. B. kann jederzeit von der Steuerbehörde zuungunsten des Bürgers geändert werden, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.
Das ist so nicht ganz richtig. Rücknahme und Widerruf sind jeweils nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme des die Rücknahme oder den Widerruf begründenden Tatsachen zulässig (§§ 130, 131 AO). Die Regelung ist insoweit identisch mit den Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz, §§ 48, 49 VwVfG. Schärfere Regelungen kennt indes das Sozialrecht; insoweit empfehle ich mal die Lektüre der §§ 44-47 SGB X.

Davon abgesehen ist ein Vergleich zwischen den Wiederaufnahmevorschriften und den Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten etwas schräg (um es nett auszudrücken).

Ansonsten hat @Rick_Blaine alles gesagt. Ich teile seine fachliche Meinung.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

26.05.2023 um 08:14
Zitat von DoctorWhoDoctorWho schrieb:Davon abgesehen ist ein Vergleich zwischen den Wiederaufnahmevorschriften und den Vorschriften über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten etwas schräg
Naja, es geht um die Durchbrechung der Rechtskraft, die in Ausnahmefällen möglich ist. Auch beim § 362 Nr. 5 stpo handelt es sich um einen absoluten Ausnahmefall der Durchbrechung. Der befürchtete "Dammbruch" wird durch Nr. 5 nicht eintreten, da die Voraussetzungen sehr eng gefasst sind.

Es ist bekannt, dass viele Anwälte die Novelle kritisch sehen, während andere Juristen und auch Laien weniger Probleme damit haben, wenn ein freigesprochener Mörder schließlich doch noch bestraft wird, weil sich die Beweislage im Nachhinein so potenziert, dass der Freispruch zu korrigieren ist.

Dabei mag es der Anwaltschaft zum Teil um die Verteidigung eines Rechtsstaatsprinzips gehen, aber sicherlich auch um die Gefahr, dass die Früchte einer mühsamen Verteidigungsarbeit im Nachhinein verderben könnten, wenn der Täter doch noch verurteilt wird, den man im Prozess so grandios rausgehauen hat. ;)
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Das Vertrauen des einzelnen in das Urteil oder das Bedürfnis der Gesellschaft, für diese Taten den "wahren" Täter zu bestrafen.
Durch die Nr. 5 haben bestimmte Täter (in Fällen von Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen) keinen Vertrauensschutz mehr. Sie müssen weiter bangen, dass man sie doch noch überführt. Sie teilen bei diesen unverjährbaren Straftaten das Schicksal der Täter, die noch keinen Prozess durchlaufen haben. Alle, ob mit Freispruchsurteil oder nicht, müssen gleichermaßen befürchten, noch bestraft zu werden, was ich unter dem Aspekt, dass diese Taten in Dt. nicht verjähren, fair finde.


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