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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 11:14
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Ich will mal anders fragen: Fändest du es richtig, dass ein Richter einem Verbrecher dabei hilft, straffrei zu bleiben?
Der Richter hilft nicht dem Täter straffrei zu bleiben, er bewirkt, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Dass er dazu zu "Tricks" greifen muss, zeigt, wie unsinnig die wörtliche Auslegung des Gesetzes ist.

Wie gesagt, das BVerfG hat den historischen Hintergrund der Nr. 4 in seinem Urteil sehr deutlich gemacht und mit diesem urspünglichen Willen des Gesetzgebers kann man auch die Zwickmühlen beseitigen, in denen sich die Richter befinden.

Mit Nr. 4 wollte er eben nicht die Tat bestarfen, sonern das Infragestellen der starrechtlichen Authorität.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 14:00
Zitat von LentoLento schrieb:Da wir hier nun bei fiktiven Fällen sind:

Jemand Unschuldiger wird angeklagt. Der freigesprochene Täter legt ein Geständnis ab, weil er keinen Unschuldigen verurteilt sehen will, obgleich er von den Ermittlern/Richter bzgl. den möglichen Folgen (Wiederaufnahme) aufgeklärt wurde. Vom Wortlaut her müsste dann die Wiederaufnahme erfolgen.

Nun hat aber in seinem Urteil das BVerfG den Hintergrund der Nr. 4 erläutert:
Auch § 362 Nr. 4 StPO hat nicht eine Änderung des Freispruchs zum eigentlichen, vorrangigen Ziel. Vielmehr hat die Norm den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde
Quelle: Urteil des BVerfG Abschnitt 122

So, wenn der Geständige dann ausschließlich weiteres Unrecht verhindern will, kann man aus meiner Sicht darin nicht im geringsten ein Infragestellen der Authorität des Stafverfahrens sehen. Ich denke, ein Rechtstaat DARF ein solches Verhalten, das Unrecht verhindern soll niemals sanktionieren. Denn andernfalls kann das durchaus zur Folge haben, dass ein Unschukldiger verurteilt wird, das wäre geradezu grotesk. Mit obigen Erläuterung wäre es in Wirklichkeit notwendig, dass man den WAA ablehnt.
Der Staat sanktioniert dann ja auch nicht das Geständnis, das moralisch von mir aus löblich sein mag, sondern die Tat. Ich kann die Argumentation nicht ganz nachvollziehen. Wenn man das für unfair hält, müsste man ja auch fordern, dass der wahre Täter, der bisher z.B. noch nicht einmal verdächtigt worden war, aber jetzt die Tat gesteht, um die Verurteilung eines Unschuldigen abzuwenden, straflos bleibt. Dass ein Geständnis zur Straffreiheit führen muss, nur weil es jemand anderes “rettet“ und der wahre Täter sonst davon abgehalten werden könnte, die Tat zu gestehen, leuchtet mir nicht ein. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache, dass so ein Geständnis Folgen hat.
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Bemerkenswert ist, dass bei der Rechtsbeugung der Versuch nicht strafbar ist.
Doch, siehe § 23 Absatz 1 StGB.
Zitat von LentoLento schrieb:rechtliche Aufklärung ist nun mal vorgeschrieben
Wo steht das? (in Bezug auf § 362 Nr. 4 StPO)
Zitat von LentoLento schrieb:Was ist wenn der wirkliche Täter den Richter fragt, ob ein Geständnis für ihn Nachteile bedeutet? Durch die notwendige Aufklärung würde der Richter die Erforschung der Wahrheit unterbinden.
Das ist immer so, wenn man einen Täter über seine Selbstbelastungsfreiheit und sein Recht zu schweigen aufklärt.
Zitat von LentoLento schrieb:Mit Nr. 4 wollte er eben nicht die Tat bestarfen, sonern das Infragestellen der starrechtlichen Authorität.
Er wollte die Verfolgung der Tat ermöglichen, u.a. damit die staatliche Autorität nicht lächerlich gemacht wird.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 14:39
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Sherlock_H schrieb:
Bemerkenswert ist, dass bei der Rechtsbeugung der Versuch nicht strafbar ist.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Doch, siehe § 23 Absatz 1 StGB.
@Smoover
Vielen Dank für die Berichtigung. Ich hatte übersehen, dass bei Rechtsbeugung die Mindeststrafe 1 Jahr beträgt.


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04.11.2023 um 14:45
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Er wollte die Verfolgung der Tat ermöglichen, u.a. damit die staatliche Autorität nicht lächerlich gemacht wird.
Ich denke, dass Du einfach ab Abschnit 122 das Urteil des BVerfG lesen solltest. Dort ist die Intention dieses Gesetzes beschrieben. Man will verhindern
Auch § 362 Nr. 4 StPO hat nicht eine Änderung des Freispruchs zum eigentlichen, vorrangigen Ziel. Vielmehr hat die Norm den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde (vgl. Frister, in: SK-StPO, 5. Aufl. 2018, § 362 Rn. 1; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 362 Rn. 1a, 26; Kaspar, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 5. Aufl. 2023, § 362 Rn. 7; Weiler, in: Dölling/Duttge/ Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 362 StPO Rn. 6; a.A. Kubiciel, GA 2021, S. 380 <392>; Schöch, in: Festschrift für Manfred Maiwald, 2010, S. 769 <779 f.>). In den Motiven zur Strafprozessordnung von 1877 wurde der entsprechende Wiederaufnahmetatbestand damit begründet, dass das allgemeine Rechtsbewusstsein leicht irregeführt werden könne, wenn ein Freigesprochener sich folgenlos öffentlich der Straftat rühmen könnte (vgl. Motive zum Entwurf einer Strafprozessordnung von 1874, abgedruckt in: Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Bd. 3, Erste Abteilung, 1880, S. 265). Er solle nicht in aller Öffentlichkeit die kriminelle Tat schildern, das Opfer und dessen Angehörige verhöhnen, mit dem Freispruch prahlen und den Staat lächerlich machen dürfen (vgl. Marxen/Tiemann, ZIS 2008, S. 188 <189> m.w.N.; Tiemann, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 362 Rn. 1a, 11). Der Grundsatz des akkusatorischen Strafverfahrens, das mit einem Freispruch endet, wenn die Unschuldsvermutung nicht widerlegt werden kann, wäre verkannt, wenn ein Freigesprochener beanspruchte, in seinen sozialen Bezügen nicht als unschuldig, sondern als Täter wahrgenommen zu werden.
Quelle: Abschnitt 122.


Erst dadurch versteht man, dass bei einer Tat, welche 2 Menschen begangen haben, nur für denjenigen eine Wiederaufnahme erfolgt, der das Geständnis abgelegt hatte. Der Komplitze wird nicht mehr belangt. Um diese Historie hatte auch das OLG Celle sich nicht gekümmert, so dass es fälschlicherweise davon ausgegangen war, dass es um die Erlangung der Beweise dabei geht. In Wirklichkeit steckt dahinter die Sanktionierung eines unerwünschten Verhaltens. Man erkennt daran, dass das Gesetz sehr alt ist. Man könnte wie @JosephConrad meint, das Gesetz evtl. durchaus in Frage stellen, weil es nur Verwirrung stiftet.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 14:52
@Lento
Du ziehst aus dem, was das BVerfG als vorrangigen Zweck des § 362 Nr. 4 StPO beschreibt, offenbar einen falschen Schluss. Nämlich, dass man die Norm nur anwenden dürfe, wenn dieser Zweck im Einzelfall zum Tragen kommt, sprich der Geständige etwa mit der Tat öffentlich prahlt und die staatliche Autorität tatsächlich in Zweifel gezogen wird. Dem ist aber nicht so bzw. müsste man die Vorschrift entsprechend einschränkend dahin auslegen (sog. teleologische Reduktion), dass sie nur für solche Fälle gilt (oder dass sie nicht gilt, wenn das Geständnis abgegeben wird, um einen unschuldig Verfolgten zu “retten“). Mir wäre aber nicht bekannt, dass das nennenswert Juristen vertreten und es wird auch vom BVerfG nicht so gefordert.

Denkbar wäre ja auch ein späteres Geständnis, das der wahre Täter unter Tränen und voller Reue ablegt. § 362 Nr. 4 StPO würde natürlich trotzdem greifen.


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04.11.2023 um 15:00
@Smoover

Es mag Dir nicht bekannt sein. Dann frag ich mal andersrum, ist Dir ein Fall bekannt, wo jemand die Tat gestanden hat, um weiteres Unrecht zu verhindern und die Wiederaufnahme erfolgte? Gibt es überhaupt so einen Fall? Ist das überhaupt höchstrichterlich geklärt worden oder haben die Richter dieses Problem einfach bisher nur umgangen, in dem sie den Geständigen nicht aufgeklärt haben? Solche Fälle findet man.

Und wie gesagt, warum würde nur der Geständige belangt - der das Geständnis ausschließlich deshalb abgelegt hat, um weiteres Unrecht zu verhindern, aber nicht der Komplize. Warum ist das so?

Ich sehe es daher nicht, das mein Schuss falsch sein soll.

Meines Erachtens verhindert die wörtliche Aussetzung die Erforschung der Wahrheit, daher müssen Richter zu solchen Tricks greifen, in dem sie den Geständigen nicht aufklären. Ja, so kann man diese Problematik auch aus der Welt schaffen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 15:21
Zitat von LentoLento schrieb:Es mag Dir nicht bekannt sein.
Wenn es von nennenswerten Stimmen in der juristischen Literatur oder Rechtsprechung vertreten würde, würde man auf jeden Fall was finden. Ich kann da jetzt nicht überall nachgucken, aber mir ist die Sichtweise jedenfalls noch nie über den Weg gelaufen. Muss aber nicht zwingend was heißen, zumal es ja richtig ist, dass manche Konstellationen noch nie (höchst-)richterlich entschieden wurden.
Zitat von LentoLento schrieb:Dann frag ich mal andersrum, ist Dir ein Fall bekannt, wo jemand die Tat gestanden hat, um weiteres Unrecht zu verhindern und die Wiederaufnahme erfolgte? Gibt es überhaupt so einen Fall?
Weiß ich nicht. Ist halt eine sehr spezielle Konstellation, die überaus selten sein dürfte.
Zitat von LentoLento schrieb:Gibt es überhaupt so einen Fall? Ist das überhaupt höchstrichterlich geklärt worden oder haben die Richter dieses Problem einfach bisher nur umgangen, in dem sie den Geständigen nicht aufgeklärt haben? Solche Fälle findet man.
Nenn bitte mal welche, dann können wir uns die anschauen.
Zitat von LentoLento schrieb:Und wie gesagt, warum würde nur der Geständige belangt - der das Geständnis ausschließlich deshalb abgelegt hat, um weiteres Unrecht zu verhindern, aber nicht der Komplize. Warum ist das so?
Weil der Komplize nicht gestanden hat und es deshalb beim Normalfall bleibt (= Rechtskraft des Freispruchs“). Das mag unerfreulich sein, aber es ist ja in § 362 Nr. 4 angelegt, dass manchmal eben der, der moralisch höherwertiger handelt, belangt wird, der weiter Schweigende aber nicht. Es gäbe ja auch noch andere ehrenwerte Motive dafür, als Freigesprochener später ein Geständnis abzulegen, z.B. um den Angehörigen des Opfers Gewissheit zu geben und ihnen einen Abschluss mit dem Fall zu ermöglichen. Dann müsste man bei § 362 Nr. 4 ja immer unterscheiden, ob das Geständnis aus ehrenwerten Gründen abgegeben wurde oder nicht. Was macht man dann, wenn mehrere Motive eine Rolle spielen? Der wahre Täter könnte ja auch gestehen, um den Angehörigen Gewissheit zu geben und um den Staat zu verhöhnen (weil er sich z.B. über die Ermittler oder den Prozess geärgert hat). Was ist, wenn er einerseits einen Unschuldigen retten will, er andererseits aber auch stolz auf die Tat ist und sich rühmt? Und wie willst du das alles im Einzelfall abgrenzen und bewerten?

Das funktioniert doch so nicht. Es gibt im Leben nunmal (gar nicht so selten sogar) Konstellationen, wo der Ehrliche der Dumme ist. Aber wie gesagt, das ist ja auch so, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird und der bisher nicht verdächtigte wahre Täter um die Ecke kommt und gesteht, um den Unschuldigen zu entlasten. Nach deiner Logik müsste man auch diesen Täter unbehelligt lassen.

Der wahre Täter wird sowieso immer abwägen müssen, ob er gesteht oder nicht. Egal ob schonmal freigesprochen oder bislang noch nicht einmal verdächtigt. Aber dass der Staat gehalten sein soll, ihm diesen Weg durch das Versprechen von Straffreiheit zu ebnen, sehe ich nicht. Und der Gesetzgeber sieht es offenbar bislang auch nicht.
Zitat von LentoLento schrieb:Meines Erachtens verhindert die wörtliche Aussetzung die Erforschung der Wahrheit, daher müssen Richter zu solchen Tricks greifen, in dem sie den Geständigen nicht aufklären. Ja, so kann man diese Problematik auch aus der Welt schaffen.
Sowas sollte man m.E. nicht behaupten, wenn man keine Beispiele parat hat.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 15:22
Zitat von LentoLento schrieb:Meines Erachtens verhindert die wörtliche Aussetzung die Erforschung der Wahrheit,
@Lento
Du meinst sicher die wörtliche Auslegung, nicht Aussetzung, aber davon abgesehen:

1. Auf die strafrechtlichen Konsequenzen einer Rechtsbeugung habe ich hingewiesen.

2. Bist du dir bewußt, dass die Zielkonkurrenz "Bestrafung des Täters" versus "Erforschung der Wahrheit" (wie du es genannt hast) nicht nur nach einem Freispruch, sondern vor und/oder in sehr vielen "normalen" Strafprozessen vorliegt? Wenn die "Erforschung der Wahrheit" höher zu bewerten wäre als die Bestrafung des Täters, müßte man fast jeden geständigen Täter ohne Strafe davonkommen lassen.

Überspritzt gesagt hätte man dann lauter folgenlose Geständnisse und keine Strafen mehr.


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04.11.2023 um 15:35
@Smoover

Hier ist ein solcher Fall:

https://openjur.de/u/316191.html

Aus diesem Beschluss geht auch hervor, dass er das Geständnis vor einem Richter abgelegt hat. Dieser Richter hat ihn jedoch nicht bzgl. der Folgen aufgeklärt. Ich denke, Richter wissen schon was sie tun und wissen durchaus, dass eine nicht erfolgte Belehrung genau diese Folgen hat.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Das funktioniert doch so nicht. Es gibt im Leben nunmal (gar nicht so selten sogar) Konstellationen, wo der Ehrliche der Dumme ist. Aber wie gesagt, das ist ja auch so, wenn ein Unschuldiger verurteilt wird und der bisher nicht verdächtigte wahre Täter um die Ecke kommt und gesteht, um den Unschuldigen zu entlasten. Nach deiner Logik müsste man auch diesen Täter unbehelligt lassen.
Das liegt anders. Der Unterschied ist sehr groß, im Normalfall liegt eben kein rechtskräftiges Urteil vor. Aber auch im Normalfall kann durch ein Geständnis die Strafe gemindert werden. Im Kuhhandel vor Gericht ist das sogar allein wegen der Ökonomie gewollt.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Weiß ich nicht. Ist halt eine sehr spezielle Konstellation, die überaus selten sein dürfte.
Richtig, es wird überaus selten sein. Aber daher kann man ohne höchstrichterliche Entscheidung auch nicht behaupten, dass meine Sichtweise falsch ist. Der historische Wille des Gesetzgebers, den das BVerfG im Urteil aufzeigt, würde die ganze Problematik komplett NUR im Wiederaufnahemfall aus der Welt schaffen und erklärt auch klar und deutlich, warum der Komplize nicht belangt wird. Ich denke, das sollte man gedanklich mal durchspielen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 15:47
PS.:
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Weil der Komplize nicht gestanden hat und es deshalb beim Normalfall bleibt (= Rechtskraft des Freispruchs“). Das mag unerfreulich sein, aber es ist ja in § 362 Nr. 4 angelegt, dass manchmal eben der, der moralisch höherwertiger handelt, belangt wird, der weiter Schweigende aber nicht. Es gäbe ja auch noch andere ehrenwerte Motive dafür, als Freigesprochener später ein Geständnis abzulegen, z.B. um den Angehörigen des Opfers Gewissheit zu geben und ihnen einen Abschluss mit dem Fall zu ermöglichen. Dann müsste man bei § 362 Nr. 4 ja immer unterscheiden, ob das Geständnis aus ehrenwerten Gründen abgegeben wurde oder nicht. Was macht man dann, wenn mehrere Motive eine Rolle spielen? Der wahre Täter könnte ja auch gestehen, um den Angehörigen Gewissheit zu geben und um den Staat zu verhöhnen (weil er sich z.B. über die Ermittler oder den Prozess geärgert hat). Was ist, wenn er einerseits einen Unschuldigen retten will, er andererseits aber auch stolz auf die Tat ist und sich rühmt? Und wie willst du das alles im Einzelfall abgrenzen und bewerten?
Ja, ich gebe Dir Recht, diese Frage würde dann entstehen, warum der Täter das Geständnis ablegt. man müsste das Motiv erforschen. Aber damit haben Gerichte ja tagtäglcih zu tun. Motive werden im Strafrecht versucht zu erforschen und man versucht mit dessen Hilfe auch ein entsprechendes Strafmaß zu finden.

Wie gesagt, ich sehe das ganze auch nicht als moralisches Problem, die wörtliche Anwendung des Gesetzes (im Gegensatz zum ursprünglcihen Willen des Gesetzgebers) verhindert die Ermittlung der Wahrheit, etwas was sich jeder Rechtsstaat auf die Fahnen schreibt. Und das hat dann wirklich nichts mit Moral zu tun,.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 15:59
Zitat von LentoLento schrieb:Aus diesem Beschluss geht auch hervor, dass er das Geständnis vor einem Richter abgelegt hat. Dieser Richter hat ihn jedoch nicht bzgl. der Folgen aufgeklärt.
Du hast von Tricks gesprochen, die Richter angeblich anwenden, indem sie den Vernommenen absichtlich falsch bzw. gar nicht belehren. Wo sind denn in dem Beispiel aus Göttingen Anhaltspunkte, dass Absicht vorlag?
Zitat von LentoLento schrieb:Ich denke, Richter wissen schon was sie tun und wissen durchaus, dass eine nicht erfolgte Belehrung genau diese Folgen hat.
Dieser hier offenbar nicht. Richter sind auch nur Menschen, die wie jeder andere Fehler machen.

Nichtsdestotrotz gibt es im Leben natürlich Situationen, wo es für einige oder alle Beteiligte vorteilhaft sein kann, sich nicht an Gesetze zu halten. Das ist aber noch lange kein Freibrief, sich nicht dran halten zu müssen.
Zitat von LentoLento schrieb:Das liegt anders. Der Unterschied ist sehr groß, im Normalfall liegt eben kein rechtskräftiges Urteil vor.
Aber die Situation ist doch genau die gleiche: Ein Unschuldiger droht verurteilt zu werden oder wurde es sogar schon und der wahre, bislang unbehelligte Täter überlegt, zu gestehen, um den Unschuldigen zu entlasten. Aus Sicht des Unschuldigen ist es völlig egal, ob der wahre Täter schon mal freigesprochen wurde oder nicht. Gesteht der wahre Täter jetzt, droht ihm Strafverfolgung, also lässt er es im Normalfall. Ergo führt auch hier das Gesetz dazu, dass die Wahrheit nicht ermittelt wird. Dir müsste das konsequenterweise eigentlich missfallen.
Zitat von LentoLento schrieb:Richtig, es wird überaus selten sein. Aber daher kann man ohne höchstrichterliche Entscheidung auch nicht behaupten, dass meine Sichtweise falsch ist. Der historische Wille des Gesetzgebers, den das BVerfG im Urteil aufzeigt, würde die ganze Problematik komplett NUR im Wiederaufnahemfall aus der Welt schaffen und erklärt auch klar und deutlich, warum der Komplize nicht belangt wird. Ich denke, das sollte man gedanklich mal durchspielen.
Kann man ja. Aber ich sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass das BVerfG das so sehen würde wie du. Es wird ja schon Fälle gegeben haben, wo 362 Nr. 4 angewendet wurde, obwohl derjenige nicht höhnisch gegenüber dem Staat aufgetreten ist. Das BVerfG geht doch offenbar davon aus, dass bei Geständnissen immer die Gefahr besteht, dass die staatliche Autorität leidet, wenn man nicht erneut ermitteln und verfolgen dürfte.

Am Ende wissen wir es nicht, aber wenn es z.B. nicht mal Literaturstimmen gibt, die das so sehen wie du, ist das ein Indiz, dass es sich um eine Einzelmeinung handeln könnte.

Heißt aber auch noch nicht, dass es allein deshalb falsch sein muss. Manche Dinge hatte auch einfach noch niemand auf dem Schirm. Aber: Wenn es tatsächlich üblich wäre, dass Richter tricksen, indem sie absichtlich falsch belehren, um das Problem zu lösen, wäre zu erwarten, dass die Thematik in der Rechtswissenschaft schon ausführlich diskutiert wurde. Höchstwahrscheinlich würde man also etwas finden.
Zitat von LentoLento schrieb:Ja, ich gebe Dir Recht, diese Frage würde dann entstehen, warum der Täter das Geständnis ablegt. man müsste das Motiv erforschen. Aber damit haben Gerichte ja tagtäglcih zu tun. Motive werden im Strafrecht versucht zu erforschen und man versucht mit dessen Hilfe auch ein entsprechendes Strafmaß zu finden.
Bei 362 geht es aber schon um die Frage, ob man überhaupt nochmal ermitteln darf. Mir ist nicht klar, wie man da vorab erstmal das Motiv (verbindlich) feststellen soll. Das ist wäre völlig unpraktikabel.


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04.11.2023 um 16:12
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Das BVerfG geht doch offenbar davon aus, dass bei Geständnissen immer die Gefahr besteht, dass die staatliche Autorität leidet, wenn man nicht erneut ermitteln und verfolgen dürfte.
Will das nochmal anders formulieren: Das BVerfG geht offenbar zumindest davon aus, das der Gesetzgeber es typisierend so sehen darf, dass bei Geständnissen die Gefahr besteht, dass die staatliche Autorität leiden würde, wenn man nicht erneut denjenigen verfolgen dürfte, und die Norm daher generell auf alle Geständnisse angewendet werden darf. Dass es ganz abseitige Konstellationen geben mag, wo der ursprüngliche Zweck des Gesetzes (der übrigens nur ein Auslegungskriterium von mehreren und auch nicht für die Gerichte bindend ist) mal nicht voll getroffen wird, steht der Verfassungsmäßigkeit der Norm dann nicht entgegen.

Das ist übrigens bei vielen Gesetzen so: Im Einzelfall wird nicht immer komplett der Normzweck getroffen.


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04.11.2023 um 16:24
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Du hast von Tricks gesprochen, die Richter angeblich anwenden, indem sie den Vernommenen absichtlich falsch bzw. gar nicht belehren. Wo sind denn in dem Beispiel aus Göttingen Anhaltspunkte, dass Absicht vorlag?
Zitat von LentoLento schrieb:Ich denke, Richter wissen schon was sie tun und wissen durchaus, dass eine nicht erfolgte Belehrung genau diese Folgen hat.
Dieser hier offenbar nicht. Richter sind auch nur Menschen, die wie jeder andere Fehler machen.
Dir dürfte klar sein, dass man ein solches "Tricksen" nie nachweisen kann. Aber es liegt auf der Hand, denn Richter sind sich im Normalfall dessen schon bewusst, weil es in fast jedem Strafverfahren ein ganz entscheidendes Thema ist. Das ist ein so zentrales Thema im Stafprozess, dass das ausgerechnet ein Richter "vergisst" wäre zumindest äußerst ungewöhnlich.

Ich habe Dire nun ein Verfahren jedenfalls genannt, wo ein solches Tricksen zumindest naheliegt.

Ich denke, wir würden als Gegenstück nun ein Fall benötigen, wo wirklich die Wiederaufnahme erfolgreich war.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Bei 362 geht es aber schon um die Frage, ob man überhaupt nochmal ermitteln darf. Mir ist nicht klar, wie man da vorab erstmal das Motiv (verbindlich) feststellen soll. Das ist wäre völlig unpraktikabel.
Ja, Du hast da prinzipiell Recht, das Ermittlungsverbot würde dem entgegen stehen. Das Ermittlungsverbot scheint jedoch neuer zu sein, so dass es der Gesetzgeber nicht berücksichtigen konnte. Da würde sich dann schon die Frage stellen, ist das ganze überhaupt noch zeitgemäß, wenn man das Gesetz im Sinne des ursprünglichen Willens gar nicht mehr anwenden kann?

Ich denke, um das zu entscheiden, müsste man sich noch genauer die Historie ansehen, wurde diese Problematik überhaupt thematisiert?

Wie gesagt, Dank dem BVerfG kennen wir nun den Hintergrund dieses Gesetzes, den sowohl das LG als auch OLG Celle verkannt hatten und daraus fehlerhafte Schlüsse gezogen hatten (vielelicht standen beide Gerichte vor dem gleichen Problem, dass irgendwelche Literatur zu der Problematik fehlte?). Vielleicht führt dieser Hinweis auf die Entstehung des Gesetzes durch das BVerfG nun doch zu entsprechenden Diskussionen.


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04.11.2023 um 16:42
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Will das nochmal anders formulieren: Das BVerfG geht offenbar zumindest davon aus, das der Gesetzgeber es typisierend so sehen darf, dass bei Geständnissen die Gefahr besteht, dass die staatliche Autorität leiden würde, wenn man nicht erneut denjenigen verfolgen dürfte, und die Norm daher generell auf alle Geständnisse angewendet werden darf. Dass es ganz abseitige Konstellationen geben mag, wo der ursprüngliche Zweck des Gesetzes (der übrigens nur ein Auslegungskriterium von mehreren und auch nicht für die Gerichte bindend ist) mal nicht voll getroffen wird, steht der Verfassungsmäßigkeit der Norm dann nicht entgegen.
Das würde ich so nicht sehen. Das BVerfG schreibt:
Zitat von LentoLento schrieb:Der Grundsatz des akkusatorischen Strafverfahrens, das mit einem Freispruch endet, wenn die Unschuldsvermutung nicht widerlegt werden kann, wäre verkannt, wenn ein Freigesprochener beanspruchte, in seinen sozialen Bezügen nicht als unschuldig, sondern als Täter wahrgenommen zu werden.
Hier sind die sozialen Bezüge gemeint, nicht aber ein vor einem Richter niedergelegtes Geständnis, was in der Regel auch im Verborgenen erfolgt. Wie gesagt, diese wörtliche Auslegung führt dazu, dass der Staat die Erforschung der Wahrheit verhindert, ein zentrales Element eines Rechtssaat und damit die Verfolgung Unschuldiger in Kauf nimmt.


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04.11.2023 um 17:39
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Dann greift § 362 Nr. 4 StPO

§ 362
Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten

Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig,

(...)

4. wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird;

Quelle: https://dejure.org/gesetze/StPO/362.html
Zitat von LentoLento schrieb:Jemand Unschuldiger wird angeklagt. Der freigesprochene Täter legt ein Geständnis ab, weil er keinen Unschuldigen verurteilt sehen will, obgleich er von den Ermittlern/Richter bzgl. den möglichen Folgen (Wiederaufnahme) aufgeklärt wurde.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Erst einmal geht es ja um zwei getrennte Dinge:

1) Person A wurde unschuldig verurteilt.
2) Person B ist der wahre Täter, wurde aber freigesprochen.
3) Person B gesteht nun, dass er der wahre Täter ist, was sich auch beweisen lässt, und es wird auch bewiesen, dass Person A nicht an der Tat irgendwie beteiligt war.

Dann kann Person A diese neue Erkenntnis für ein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Gunsten nutzen. Der Staat kann ihn freilassen, rehabilitieren usw.

Das ist schon mal unabhängig davon, wie es nun mit Person B weitergeht.

Nach der derzeitigen Rechtslage kann eine Wiederaufnahme zu seinen Ungunsten geschehen und er wird verurteilt.

Der Gerechtigkeit ist sozusagen Genüge getan.
Alles sehr gute Punkte!

Ich könnte mir schon vorstellen, dass freigesprochene Täter die wissen, dass sie eh nicht mehr verurteilt werden können, eher bereit sind zu gestehen.

Klar klingt das für viele absolut unmöglich bzw. nicht gerecht, aber nehmen wir mal an, der freigesprochene Täter legt ein Geständis ab, und somit haben die Angehörigen des Opfers Gewissheit was passiert ist, hätte das nicht auch was Gutes?

Klar würde der Täter dafür nicht mehr bestraft werden, aber er wäre zumindest so weit über seinen Schatten gesprungen, dass Angehörige genau wissen was passiert ist, und auch warum ihr Liebster (in nem Mordfall) vom Täter ermordet wurde. Also ob s persönliche Motive gab, warum es passierte, hat das Opfer schlimm gelitten oder nicht, etc.


Ich geh jetzt mal weit aber stellt Euch folgendes vor:

Ihr seit Angehörige eines Ermordeten, ihr stand dem Opfer sehr nah (war Familienmitglied von Euch oder bester Freund / beste Freundin):

Dann meldet sich jemand und sagt er war s. Er ist bereit Euch alles zu sagen, was passiert ist, warum es passiert ist, ob Opfer gelitten hat etc., aber nur unter der Bedingung, wenn gegen ihn keinerlei Ermittlungen mehr aufgenommen werden.

Würdet ihr (aus menschlicher) Sicht drauf eingehen oder nicht?

Also es wäre quasi eine Situation, in der Ermittler viele Jahre versuchten den Fall zu klären, aber er wär ein Cold Case und nie geklärt worden, und dann käm auf einmal so ein "Angebot" vom wahren Täter?

Klar, die Polizei müsste da reagieren und dürfte sich gar nicht auf so was einlassen. Aber eine Privatperson schon wenn sie es für immer für sich behält.


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04.11.2023 um 19:00
Zitat von LentoLento schrieb:Das würde ich so nicht sehen. Das BVerfG schreibt:
Der Grundsatz des akkusatorischen Strafverfahrens, das mit einem Freispruch endet, wenn die Unschuldsvermutung nicht widerlegt werden kann, wäre verkannt, wenn ein Freigesprochener beanspruchte, in seinen sozialen Bezügen nicht als unschuldig, sondern als Täter wahrgenommen zu werden.
Damit sagt das BVerfG aber nicht, dass § 362 Nr. 4 StPO nur dann angewendet werden dürfe, wenn dieser Gesichtspunkt im Einzelfall zum Tragen kommt. Das war nur der Hintergedanke des historischen Gesetzgebers, aber kein in die Vorschrift hineinzulesendes zusätzliches Tatbestandsmerkmal. An keiner Stelle sagt das BVerfG etwas anderes. Wenn die das wirklich so sehen würden, hätten sie es mit Sicherheit längst klargestellt, und sei es als sog. Obiter dictum.
Zitat von LentoLento schrieb:Hier sind die sozialen Bezüge gemeint, nicht aber ein vor einem Richter niedergelegtes Geständnis, was in der Regel auch im Verborgenen erfolgt. Wie gesagt, diese wörtliche Auslegung führt dazu, dass der Staat die Erforschung der Wahrheit verhindert, ein zentrales Element eines Rechtssaat und damit die Verfolgung Unschuldiger in Kauf nimmt.
Auch der im Verfahren aus Göttingen verletzte § 55 Abs. 2 StPO führt dann dazu, dass „der Staat die Erforschung der Wahrheit verhindert“. Dass der Staat aufgrund eines Geständnisses des wahren Täters gegen diesen ermitteln wird, verhindert naturgemäß, dass es allzu oft zu solchen Geständnissen des wahren Täters zugunsten des Unschuldigen kommen wird. Das liegt in der Natur der Sache.

Wenn der Gesetzgeber allerdings politisch zu dem Entschluss kommt, das anders zu regeln, könnte er das vielleicht sogar machen. Dass er aber rechtsstaatlich dazu gehalten wäre, sehe ich nicht und habe ich auch noch nie gehört.
Zitat von LentoLento schrieb:Dir dürfte klar sein, dass man ein solches "Tricksen" nie nachweisen kann. Aber es liegt auf der Hand, denn Richter sind sich im Normalfall dessen schon bewusst, weil es in fast jedem Strafverfahren ein ganz entscheidendes Thema ist. Das ist ein so zentrales Thema im Stafprozess, dass das ausgerechnet ein Richter "vergisst" wäre zumindest äußerst ungewöhnlich.
Da irrst du dich. In dem von dir zitierten Fall war die Konstellation doch überhaupt nicht so, dass der Freigesprochene gestanden hätte, um einen Unschuldigen zu schützen. Vielmehr war es ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt, wo der Freigesprochene plötzlich gestanden hat. Der Richter hatte also überhaupt nicht das von dir unterstellte Motiv, hier irgendwie rumzutricksen.

Richter machen außerdem immer mal wieder Fehler bei Formalien. Die verhandeln so viele Sachen, da läuft nicht immer alles 100% korrekt. Das passiert halt, wie in allen anderen Jobs auch. Was meinst du, wie oft z.B. Ärzte selbst bei einfachen Behandlungen kleinere (oder auch größere) Fehler machen.
Zitat von LentoLento schrieb:Ich habe Dire nun ein Verfahren jedenfalls genannt, wo ein solches Tricksen zumindest naheliegt.
Nein, es liegt da völlig fern.
Zitat von LentoLento schrieb:Ich denke, wir würden als Gegenstück nun ein Fall benötigen, wo wirklich die Wiederaufnahme erfolgreich war.
Kann gerade nicht ganz folgen: Unter welcher Bedingung erfolgreich?
Zitat von LentoLento schrieb:Da würde sich dann schon die Frage stellen, ist das ganze überhaupt noch zeitgemäß, wenn man das Gesetz im Sinne des ursprünglichen Willens gar nicht mehr anwenden kann?
Kann man doch. Es ist nur nicht auf den ursprünglichen Zweck beschränkt, dieser Zweck ist wie gesagt kein weiteres, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich vorrangiger Hintergedanke der Regelung.
Zitat von AlleingängerAlleingänger schrieb:Klar klingt das für viele absolut unmöglich bzw. nicht gerecht, aber nehmen wir mal an, der freigesprochene Täter legt ein Geständis ab, und somit haben die Angehörigen des Opfers Gewissheit was passiert ist, hätte das nicht auch was Gutes?
Klar, könnte man so sehen. Ist aber eine politische Frage. Denn der Staat ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht gezwungen, es so zu sehen, zu mehr könnte auch das BVerfG nichts sagen.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 19:52
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Auch der im Verfahren aus Göttingen verletzte § 55 Abs. 2 StPO führt dann dazu, dass „der Staat die Erforschung der Wahrheit verhindert“.
Nein, man kommt der Wahrheit durchaus näher, nur man kann die Tat nicht mehr bestrafen. Das erkennt man daran, dass man die Ermittlungen gegen Unbekannt dann einstellen wird.
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Dass der Staat aufgrund eines Geständnisses des wahren Täters gegen diesen ermitteln wird, verhindert naturgemäß, dass es allzu oft zu solchen Geständnissen des wahren Täters zugunsten des Unschuldigen kommen wird. Das liegt in der Natur der Sache.
In dem obigen deutlich komplizierteren fiktiven Fall, den @Rick_Blaine aufgezeigt hat, würde sogar ein Unschuldiger freigelassen werden. Denn das Geständnis ist durchaus verwertbar, aber nicht gegen den Geständigen. Also der Wahrheit kommt man entschieden näher und es kann – rein theoretisch gesehen – zu der Entlastung Unschuldiger führen. Und das hat definitiv in einem jedem Rechtsstaat absoluten Vorrang vor Bestrafung.

Wenn das ein Staat durch solche Gesetze das letztlich verhindert und das mit dem Autoritätsverlust begründet, dann ist er ein nicht mehr ernst zu nehmendes Sensibelchen aber kein Rechtssaat mehr.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 20:09
Zitat von LentoLento schrieb:Nein, man kommt der Wahrheit durchaus näher, nur man kann die Tat nicht mehr bestrafen. Das erkennt man daran, dass man die Ermittlungen gegen Unbekannt dann einstellen wird.
Und um diese Einstellung gegen Unbekannt zu erreichen, soll der Richter den schon freigesprochenen und nun als Zeuge vor ihm sitzenden wahren Täter bewusst nicht gemäß § 55 Abs. 2 StPO belehrt haben? Und das soll sogar ein “Trick“ sein, dessen sich Richter in solchen Fällen typischerweise bedienen? Und das merkt keiner bzw. man kann es nicht nachweisen, auch wenn es in solchen Fällen immer so läuft, dass der Richter ganz zufällig die Belehrung “vergisst“? Und das Ganze beruht dann auch noch auf einem (natürlich nicht protokollierten) vorherigen Deal zwischen Richter und wahrem Täter (denn sonst könnte der Richter ja gar nicht wissen, dass der wahre Täter vor ihm sitzt und gleich gestehen will, er ihn also falsch belehren muss, um ihm für den Fall der Aussage Straffreiheit zu ermöglichen)? Der Richter setzt also seine berufliche Existenz aufs Spiel für so eine Nummer?

Sorry, aber das kann man nur als abenteuerlich bezeichnen…
Zitat von LentoLento schrieb:In dem obigen deutlich komplizierteren fiktiven Fall, den @Rick_Blaine aufgezeigt hat, würde sogar ein Unschuldiger freigelassen werden. Denn das Geständnis ist durchaus verwertbar, aber nicht gegen den Geständigen. Also der Wahrheit kommt man entschieden näher und es kann – rein theoretisch gesehen – zu der Entlastung Unschuldiger führen. Und das hat definitiv in einem jedem Rechtsstaat absoluten Vorrang vor Bestrafung.
Wie gesagt, das Argument passt dann auch 1:1 für den bislang nicht verdächtigten wahren Täter.

Ein Unschuldiger wird zu lebenslanger Haft verurteilt und kommt ins Gefängnis. Jetzt kommt der wahre Täter, dem man ohne Geständnis nie etwas nachweisen könnte, an und überlegt zu gestehen. Wenn die Entlastung Unschuldiger absoluten Vorrang vor Bestrafung hat, müsstest du auch hier für den Fall eines Geständnisses Straffreiheit versprechen. Alles andere wäre inkonsequent. Für den Unschuldigen im Knast, um dessen Interessen es hier geht, ist es nämlich völlig belanglos, ob der wahre Täter schonmal freigesprochen wurde oder nicht. Da bestünde überhaupt keine Rechtfertigung, das unterschiedlich zu behandeln.
Zitat von LentoLento schrieb:Wenn das ein Staat durch solche Gesetze das letztlich verhindert und das mit dem Autoritätsverlust begründet, dann ist er ein nicht mehr ernst zu nehmendes Sensibelchen aber kein Rechtssaat mehr.
Nein. Es gibt einfach Situationen, die kann man einfach nicht perfekt regeln. Alles hat Vor- und Nachteile und irgendeinen Preis.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 20:22
Zitat von SmooverSmoover schrieb:Ein Unschuldiger wird zu lebenslanger Haft verurteilt und kommt ins Gefängnis. Jetzt kommt der wahre Täter, dem man ohne Geständnis nie etwas nachweisen könnte, an und überlegt zu gestehen. Wenn die Entlastung Unschuldiger absoluten Vorrang vor Bestrafung hat, müsstest du auch hier den Fall eines Geständnisses Straffreiheit versprechen. Alles andere wäre inkonsequent. Für den Unschuldigen im Knast, um dessen Interessen es hier geht, ist es völlig belanglos, ob der wahre Täter schonmal freigesprochen wurde oder nicht. Da bestünde überhaupt keine Rechtfertigung, das unterschiedlich zu behandeln.
Nicht ganz. Der Täter über den wir hier diskutieren, hat einen rechtskräftigen Freispruch in der Tasche. Er weiß, dass er ohne Geständnis niemals belangt werden kann. Ganz anders ist es in dem Fall, dass ein noch nicht Verurteilter ein Geständnis ablegt. Er muss - selbst wenn ein Unschuldiger für seine Tat verurteilt wurde, immer damit rechnen, dass irgendwann ein Indiz o.ä. auftaucht, dass er doch - auch ohne Geständnis - verurteilt wird. Diese Gewissheit wie ein Freigesprochener hat derjenige niemals (allenfalls nach Verjährung). Außerdem ist dem Staat so etwas gar nicht unbekannt, die Kronzeugenregelung unterstützt durchaus solches Verhalten. Außerdem wird ein solches Geständnis bei Strafen, welche nicht lebenslänglich sind, durchaus einen Strafnachlass bedeuten, wahrscheinlich sogar einen nicht ganz unerheblichen, denn das Gericht wird sicher berücksichtigen, dass so eine Bestrafung eines Unschuldigen verhindert wurde. Wenn man das berücksichtigt, ist die unterschiedliche Behandlung sachlich auch durchaus befgründet und daher auch in keiner Weise inkonsequent.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 20:34
Zitat von LentoLento schrieb:Wenn man das berücksichtigt, ist die unterschiedliche Behandlung sachlich auch durchaus befgründet und daher auch in keiner Weise inkonsequent.
Ich finde schon, weil es m.E. auf die Sicht des unschuldig Verurteilten ankommen muss, für den die Frage eines vorherigen Freispruchs irrelevant ist und der nicht beeinflussen kann, ob irgendwann nochmal Beweise gegen den wahren Täter auftauchen. Passiert das nicht, sitzt er vielleicht lebenslang im Knast, obwohl man das durch eine Regelung, die dem wahren Täter Straffreiheit gegeben hätte, eventuell hätte verhindern können.

Kann man so oder so sehen, aber dass der Staat verfassungsrechtlich gehalten wäre, es für den Fall des bereits Freigesprochenen so zu regeln, wie du es dir wünschst, ist nicht ersichtlich. Alles andere ist Politik und damit nicht Sache des BVerfG.

Nach § 53 StPO sind übrigens auch sog. Berufsgeheimnisträger berechtigt, das Zeugnis zu verweigern. Theoretisch könnten da ja auch Richter auf die Idee kommen, etwa einen Therapeuten, dem der Täter die Tat gestanden hat, nicht zu belehren, um dem Therapeuten zu ermöglichen, seinen Klienten straffrei zu belasten (und damit vielleicht einen Unschuldigen zu entlasten). Würde ja auch der Wahrheitsfindung dienen und könnte theoretisch einen Unschuldigen retten. Habe ich aber noch nie in der Realität von gehört.

Und wenn deine Argumentation berechtigt wäre, wäre ja eine Vorschrift wie 53 genauso problematisch wie 362 Nr. 4, weil sie theoretisch einen Richter in eine Zwickmühle bringen und die Wahrheitsfindung vereiteln könnte. Genau das nimmt der Staat aber hin und das ist auch nachvollziehbar.


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