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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

02.11.2023 um 22:34
@frauZimt

Es gibt genaufgenommen 2 Themen, was die Gemüter bewegt. Natürlich ist nachvollziehbar, dass man gerne ein Täter auch bestraft sieht. Aber genauso sollte es nachvollziehbar sein, dass gegen Freigesprochene nicht immer und immer wieder ermittelt werden darf.

Und zu diesem Problem haben sich offenbar schon die Väter der Verfassung Gedanken gemacht - so die Sicht der BVerfG aus den damaligen Aufzeichnungen. Und die haben eben diesen Konflikt dadurch gelöst, dass man nach einem rechtswirksamen Freispruch keine Ermittlungen mehr in dieser Sache gegen den Freigesprochene durchführen darf.


Die Väter des Grundgesetz hatten gerade die Nazi-Diktatur vor Augen und hatten versucht, hier alles dafür zu tun, dass sich das nicht wiederholt. Ich persönlich glaube daher, dass wir mit eins der fortschrittlichsten Grundgesetze besitzen. Und wenn die Väter der Verfassung ein Ermittlungsverbot gewollt haben, dann haben sie sich gewiss dabei etwas gedacht. Der statistische Vergleich mit anderen Ländern - wie er hier versucht wurde - ist genaugenommen eine reine Nebelkerze, denn das sagt nichts darüber aus, was sinnvoller ist. Immerhin sieht es die Hälfte der betrachteten Ländern ähnlich, bei manchen gibt es sogar die Wiederaufnahme zu Ungunsten überhaupt nicht.

Und dieses Ermittlungsverbot ist auch nachvollziehbar, denn ein solches Strafverfahren, das mit einem Freispruch endet, bedeutet erstmal den Verlust der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Freigesprochenen. Der Arbeitsplatz ist weg, die Suche nach einer neuen Anstellung nach auch nach einem Freispruch wird schwierig sein und erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten. Ähnliches gilt für das soziale Umfeld, ein Umzug wird das mindeste sein. Die überaus lächerliche Entschädigung für die U-Haft, welche die geringste in Europa ist, hilft da kaum weiter.

Wenn Die Bevölkerung von D wirklich so fortschrittlich wäre und der Freigesprochen könnte nach dem Freispruch so weitermachen wie bisher, er erhält seinen Arbeit wieder, seine Karriere wird genauso fortgesetzt, wie ohne die ANklage ..., ja dann sähe es anders aus. Aber das ist vollkommen unrealistisch und man muss eben genau diese Realität berücksichtigen und das werden die Väter des Grundgesetzes auch getan haben.

Schau doch einfach mal im Badewannenfall, selbst ein Freispruch aus erwiesener Unschuld wird von einigen angezweifelt, ja das ist die Realität. Und es gibt hier genügend andere Threads, da erkennt man, dass ein Freispruch aus Mangel an Beweisen wenig Wert ist.


Und heute dieses Ermittlungsverbot wichtiger denn je, denn natürlich wird bei solchen Ermittlungen auch die Umgebung etwas mitbekommen und heute ist es durch das Internet viel einfacher an die Information zu kommen als vor rund 75 Jahren. Und der Spießruntenlauf, auch wenn keine Beweise gefunden werden, beginnt erneut.

Und da es dieses Ermittlungsverbot eben einfach gibt, war die Numer 5 einfach verfassungswidrig, denn ohne Ermittlungen gibt es auch keine Beweise.


Wie gesagt, das BVerfG hat gute Gründe, diesen Gesetzesentwurf als nichtig anzusehen.

Ganz unabhängig davon ist natürlich das Rückwirkungsverbot gegen ein rechtskräftiges Urteil. Ich denke, dass bei dieser Aktion des Gesetzgebers sich die Väter des Grundgesetzes im Grabe umgedreht hätten, weil sie gerade die Nazi-Dikatur vor Augen hatten. Nein so nicht!



All das hätte eigentlich vermieden werden müssen.

Man wollte ein unausgegohrenes Gesetz durchdrücken (selbst die Richter, welche das Urteil des BVerfG nicht tragen wollen, sehen bei diesem Gesetz noch erhebliche Bedenken, die sie aber auch nur ansprechen, ohne Lösungen zu liefern), man hatte das in den Koalitionsvertrag aufgenommen, ohne dass es in Wirklichkeit rechtlich ausreichend durchdacht war. Das war purer Leichtsinn, soweit ich weiß, war es von der CDU/CSU eingebracht worden. Und im Laufe der Legislaturperiode wurden die Bedenken gegen diesen Entwurf immer lauter. Aber ich persönlich sehe es so, statt es doch noch länger zu bedenken und das an die nächste Regierung weiterzugeben, musste man – weil man es im Koalitionsvertrag nun hatte – durchdrücken, andernfalls wäre das für die Afd eine willkommene Sache geworden.

Ich hoffe, dass die Parteien aus diesem Desaster gelernt haben und solch eine weitreichende Gesetzesänderung eben nicht in Koalitionsverträge reinschreiben, denn man setzt sich dadurch vollkommen unnötig unter Druck.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

03.11.2023 um 00:47
Zitat von LentoLento schrieb:Ja, Du hast Recht, nur wird in 4 das Unerträglichkeitsmoment durch den Freigesprochen bewirkt.
Und warum soll das entscheidend sein? Das BVerfG sagt in seiner Befassung zu Nummer 4 nichts davon, dass diesbezüglich nur eine Unerträglichkeit maßgebend sein soll, die, aus welchem Grund auch immer, durch den Freigesprochenen bewirkt ist. Es stellt auf die Unerträglichkeit der Verhöhnung des Rechtsstaats und von Opfern und Angehörige als allein maßgebenden Grund ab.

Bei der Nummer 3 des § 362 StPO, einem anderen zulässigen Wiederaufnahmegrund, ist ja auch das Verhalten der Freigesprochene nicht kausal für das Vorliegen dieses Grundes. Da ist Argument für die Wiederaufnahme ein schwerer, nicht aus der Sphäre des Freigesprochenen stammender Verfahrensmangel. Man stelle sich vor: dem Freigesprochenen wird eine neue Hauptverhandlung mit allen sich daraus ergebenden Belastungen zugemutet, obwohl er selber dafür keine Ursache gesetzt hat. Das Argument hierfür ist aber eben, dass er vorher zwar schon eine Hauptverhandlung, aber eine mit einem schweren Verfahrensmangel hatte. Der Freispruch war also aus diesem Grunde quasi „nichts wert“, Schutz des Vertrauens des Freigesprochenen auf den Freispruch aus dem mangelhaften Verfahren gilt hier nicht, er muss sich einem neuen Prozess stellen.

Man sieht also: Die Wiederaufnahmegründe der Nummern 1 bis 4 haben eben nicht die Gemeinsamkeit, dass sie alle vom Freigesprochenen selber verursacht sein müssen, um grundgesetzkomform zu sein. Mit einem derartigen Argument kann man dann logischerweise auch die Nummer 5 nicht abbügeln. Und wenn in Nummer 4 das Unerträglichkeitsargument ausreicht, müsste es auch bei der Nummer 5 (diese im Gegensatz zu den Nummern 1 bis 4 begrenzt auf Mord und Völkermord) gelten.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: logisch kann man schwerlich begründen, aus welchen Gründen die Nummer 5 so gar nicht zu den anerkannten Wiederaufnahmegründen der Nummern 1 bis 4 passen können sollte. Die Ausführungen des BVerfG insbesondere zu Nummer 4 bleiben denn auch sehr kurz.

Aber egal, wo steht geschrieben, dass oberste Bundesgerichte bis in den letzten Zipfel ihrer Argumentation und in allen Verästelungen Logik, Stringenz und Systematik aufweisen müssen. Wenn das BVerfG sagt, Nummer 5 passt nicht zu Nummern 1 bis 4, ist es eben so.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

03.11.2023 um 01:52
Zitat von mjk-17mjk-17 schrieb:Kurze Frage/Bitte, hat hierzu jemand eine Antwort für mich?
Das hängt ganz allein vom türkischen Recht ab. Wie hier schon am Beispiel der USA diskutiert wurde, gilt der uralte Grundsatz des ne bis in idem grundsätzlich nun mal nur vor einem Gericht in dem Land, in dem der Souverän, sei es der König oder ein Parlament, diesen eben zum Grundrecht gemacht hat. In anderen Worten: wenn sie wollte, kann die Türkei sagen, uns ist vollkommen schnurz ob der Angeklagte in Deutschland schon freigesprochen ist, hier bei uns ist unser Volk der Souverän, nicht das Deutsche, und daher gehen uns Gesetze Deutschlands nichts an.

So ist das heute noch in den USA, sogar in den zwischenstaatlichen Beziehungen, weil dort die "Bundesstaaten" eben nicht nur "Bundesländer" sind, wie in Deutschland, sondern eine viel weitergehende eigene Souveränität geniessen, und so war es früher auch in Europa, bis im Rahmen der EU dann bilaterale und unionsrechtliche Normen geschaffen wurden, welche die Doppelverfolgung und bestrafung nun auch zwischen den beteiligten souveränen Staaten verbieten.

Also, es käme ganz auf die Türkei an und was deren Recht sagt.


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03.11.2023 um 01:57
Zitat von LentoLento schrieb:Wie gesagt, das BVerfG hat gute Gründe, diesen Gesetzesentwurf als nichtig anzusehen.
Zumindest was die Richter Müller und Langenfeld angeht, haben diese in ihrer Abweichenden Meinung dargelegt, warum Nummer 5 nicht zwangsläufig mit Art. 103 (3) kollidieren muss. Sie sind auch ausführlich eingegangen auf die Vereinbarkeit von Nummer 5, soweit darin auch Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthalten sind, mit dem GG. Hier in der Diskussion wurde und wird (zu meiner seit jeher existierenden Verwunderung) ja ständig nur auf Mord nach § 211 abgehoben. Aber die Neuregelung umfasste, vom Gesetzgeber ganz bewusst so gemacht, ja neben Mord auch noch diese anderen Straftatbestände, die merkwürdigerweise bisher in der Debatte immer unter den Tisch gefallen sind.

Müller und Langenfeld schreiben, nach Darstellung der wachsenden Bedeutung völkerrechtlicher Verträge und Normen für die Bundesrepublik Deutschland, folgendes:
Bei völkerrechtlichen Verbrechen geht es nicht nur um den Schutz individueller Interessen, sondern um fundamentale Belange der gesamten Völkerrechtsgemeinschaft. Jeder Staat ist durch völkerrechtliche Verbrechen betroffen; die Rechtsverletzung wirkt erga omnes, verletzt mithin die Rechte aller Staaten, die ein legitimes Interesse daran haben, dass der Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Menschheit nicht durch die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen gefährdet werden (vgl. Ambos, in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 1 VStGB Rn. 5 f.; Kreicker, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Teilband 7 – Völkerstrafrecht im Ländervergleich, 2006, S. 20 f. mit zahlreichen Nachweisen). Die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen gehört daher ebenso wie die sonstiger schwerer Menschenrechtsverletzungen nicht zu den inneren Angelegenheiten eines Staates. Jedenfalls bei den Kernverbrechen des Völkerstrafrechts – dazu gehören Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gegen das Leben – dürfte jeder Staat als befugt anzusehen sein, diese Verbrechen nach dem Weltrechtsprinzip zu ahnden (vgl. näher dazu und zu den Notwendigkeiten einer entsprechenden transnationalen Koordinierung der Strafverfolgung Ambos, in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 1 VStGB Rn. 14 f., 21 ff.).
Darüber hinaus bestehen auch staatliche Pflichten zur Verfolgung völkerstrafrechtlicher Verbrechen, darunter auch derjenigen, die von § 362 Nr. 5 StPO erfasst werden. Sie folgen für die Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtlichen Verträgen, die sie ratifiziert hat (vgl. betreffend den Völkermord die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. Dezember 1948 <BGBl II 1954 S. 730>; für Kriegsverbrechen sind die Genfer Abkommen I-IV vom 12. August 1949 <BGBl II 1954 S. 781, 783, 813, 838, 917> und das I. Zusatzprotokoll zu diesen Abkommen vom 8. Juni 1977 <BGBl II 1990 S. 1551> maßgeblich; vgl. im Einzelnen dazu Kreicker, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Teilband 7 – Völkerstrafrecht im Ländervergleich, 2006, S. 9 ff.).

Daneben folgen Strafverfolgungspflichten für völkerrechtliche Verbrechen nach verbreiteter, wenn auch nicht unbestrittener Auffassung auch aus dem Völkergewohnheitsrecht, wenn auch beschränkt auf Taten eigener Staatsangehöriger und begrenzt auf den Tatort- und Aufenthaltsstaat des Beschuldigten (vgl. Kreicker, in: Eser/Sieber/Kreicker, Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Teilband 7 – Völkerstrafrecht im Ländervergleich, 2006, S. 12 ff. m.w.N. zum Meinungsstand). Das nationale Recht trägt diesen Verpflichtungen durch die Aufnahme entsprechender Straftatbestände in das Völkerstrafgesetzbuch Rechnung (§§ 6-8 VStGB). § 1 VStGB erstreckt die deutsche materielle Strafgewalt entsprechend dem Weltrechtsprinzip allerdings auch darüber hinaus auf völkerrechtliche Verbrechen unabhängig von Tatort und Staatsangehörigkeit von Opfer und Täter. Bei der Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen werden die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nicht nur im nationalen, sondern zugleich im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft, als Teil eines Völkerstrafjustizsystems („international criminal justice system“, vgl. Ambos, in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, § 1 VStGB Rn. 2) tätig. Das Völkerstrafrecht verlangt dabei, dass die Strafverfolgung effektiv und die verhängten Sanktionen gegen Beschuldigte tat- und schuldangemessen sind.

Die Möglichkeit der Wiederaufnahme nach rechtskräftigem Freispruch durch ein deutsches Gericht im Fall von Nova, die dringende Gründe dafür bieten, dass eine Verurteilung wegen einer der von § 362 Nr. 5 StPO erfassten völkerrechtlichen Kernverbrechen erfolgen wird, dient der Stärkung der strafrechtlichen Verfolgung dieser Taten und damit der Vermeidung der Straflosstellung der Täter. Letzteres ist – wie gezeigt – zentrales Anliegen des modernen Völkerstrafrechts. Gerade im Zusammenhang mit der typischerweise besonders schwierigen Aufklärung der von § 362 Nr. 5 StPO erfassten völkerrechtlichen Verbrechen, deren Begehung regelmäßig im Kontext von internationalen oder innerstaatlichen gewaltsamen Auseinandersetzungen steht, ist davon auszugehen, dass beweiskräftige Nova nicht selten erst Jahre nach den Taten verfügbar sind oder erst später entwickelte Software in gespeichertem Datenmaterial völkerstrafrechtliche Zusammenhänge sicher erkennen kann, die bis dahin verborgen geblieben sind (zur Bedeutung digitaler Beweismittel bei der Aufklärung derartiger Verbrechen vgl. Koenig, JICJ 2022, S. 829 ff.; D’Alessandra/Sutherland, JICJ 2021, S. 9 ff.; Freeman, JICJ 2021, S. 35 ff.). Auch vor diesem Hintergrund kann die Regelung des § 362 Nr. 5 StPO als Ausdruck eines völkerrechtsfreundlichen Verständnisses des staatlichen Strafanspruches im Sinne von dessen weiterer Effektuierung verstanden werden.
Die völkerrechtliche Problematik konnte in diesem Ausmaß natürlich den Müttern und Vätern des Grundgesetzes noch nicht bekannt sein. Persönlich bezweifle ich aber, dass sie es begrüßt hätten, wenn irgendwelche KZ-Schergen, die etwa in Polen den Tod von sehr vielen, vor allem jüdischen Menschen auf dem Gewissen haben und nur deshalb mit Freispruch davongekommen sind, weil ausreichende Beweise fehlten, weiter ungeschoren geblieben wären, auch wenn später wirklich zugkräftige Beweise, etwa einschlägiges Bild- und Tonmaterial, aufgetaucht wären, die sie hätten überführen können.

Unter solchen Aspekten hätte die Mehrheit des BVerfG überlegen können, ob Nummer 5, zumindest was die dort genannten Verbrechen gegen das Völkerstrafrecht angeht, also erkennbar supranationale Bezüge hat, mit Art. 103 (3) GG vereinbar ist - weil eben, wie Müller und Langendeld schreiben, die transnationale Geltung des ne bis in idem-Grundsatzes nicht Gegenstand des Schutzgehalts von Art. 103 Abs. 3 GG ist.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

03.11.2023 um 04:04
Zitat von mjk-17mjk-17 schrieb:Kurze Frage/Bitte, hat hierzu jemand eine Antwort für mich?
@mjk-17:
Ohne die Gesetzeslage in der Türkei zu kennen, denke ich, dass die Türkei nur jemand anklagt, wenn mindestens eine von drei Voraussetzungen erfüllt ist:

1. Die Tat fand in der Türkei statt.
2. Der Verdächtige ist türkischer Staatsbürger.
3. Der Verdächtige steht im Verdacht, ein Verbrechen zum Nachteil türkischer Staatsbürger oder des türkischen Staates begangen zu haben.

Ergänzend dazu die Gesetzeslage in Deutschland; hier gilt das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Der § 1 VStGB lautet:
§ 1 Anwendungsbereich
Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für Taten nach § 13, die im Ausland begangen wurden, gilt dieses Gesetz unabhängig vom Recht des Tatorts, wenn der Täter Deutscher ist oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.
Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb/__1.html

Die §§ 6 bis 12 betreffen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. In diesen Fällen können die deutschen Gerichte also auch anklagen, wenn kein Bezug zu Deutschland besteht.


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03.11.2023 um 04:26
Korrektur zu meinem Beitrag von 04.04. Uhr., letzter Satz:

Natürlich klagen nicht die Gerichte an, sondern die Staatsanwaltschaften. Der Satz muss also heißen:

Diese Fälle können also vor deutschen Gerichten auch angeklagt und verhandelt werden, wenn kein Bezug zu Deutschland besteht.


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03.11.2023 um 06:57
Zitat von AndanteAndante schrieb:Die völkerrechtliche Problematik konnte in diesem Ausmaß natürlich den Müttern und Vätern des Grundgesetzes noch nicht bekannt sein. Persönlich bezweifle ich aber, dass sie es begrüßt hätten, wenn irgendwelche KZ-Schergen, die etwa in Polen den Tod von sehr vielen, vor allem jüdischen Menschen auf dem Gewissen haben und nur deshalb mit Freispruch davongekommen sind, weil ausreichende Beweise fehlten, weiter ungeschoren geblieben wären, auch wenn später wirklich zugkräftige Beweise, etwa einschlägiges Bild- und Tonmaterial, aufgetaucht wären, die sie hätten überführen können.
Da eine rückwirkende Verfolgung sowieso Verfassungswidrig wäre, gilt dieses Argument nicht.


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03.11.2023 um 08:12
Zitat von AndanteAndante schrieb:Und warum soll das entscheidend sein? Das BVerfG sagt in seiner Befassung zu Nummer 4 nichts davon, dass diesbezüglich nur eine Unerträglichkeit maßgebend sein soll, die, aus welchem Grund auch immer, durch den Freigesprochenen bewirkt ist. Es stellt auf die Unerträglichkeit der Verhöhnung des Rechtsstaats und von Opfern und Angehörige als allein maßgebenden Grund ab.
Solche Urteile richten sich an Menschen, die etwas Rechtsverständnis mitbringen. Daher muss das BVerfG nicht Dinge begründen, welche selbstverständlich sind, wenn sie sich direkt 1:1 mit etwas Rechtsversztändnis aus dem Gesetz ergeben. Dieses Verständnis kann das BVerfG daher voraussetzen.

Ich denke, dieses Wissen bringst Du schon mit. Es ergibt sich direkt aus dem Gesetz.

Sind zwei Komplizen freigesprochen worden und legt nur der eine ein glaubwürdiges Geständnis ab, erfolgt eine Wiederaufnahme NUR gegen den Geständigen.

Natürlich muss der Wille des Gesetzgebers noch berücksichtigt werden, es geht eben um die Verhöhnung des Rechtsstaates, hat er ein Geständnis abgelegt, um weiteres Unrecht zu verhindern, ist das keine Verhöhnung des Rechtsstaates, ein WAA wird wahrscheinlich unbegründet sein.

Wie gesagt, man sollte beim Lesen solcher Urteile einfach so viel Rechtsverständnis mitbringen können, bei Adam und Eva muss das BVerfG nicht anfangen.

So und danach ergibt sich ganz klar, wer die Ursache liefert, nur für denjenigen erfolgt eine Wiederaufnahme.

Wenn man das verstanden hat, dann versteht man, wie man auch den Fall Möhlmann zu betrachten hat. Die Ursache für die „Unerträglichkeit“ hat hier nicht der Freigesprochene geliefert. Es ist ähnlich wie bei einem Fall mit zwei Komplizen, NUR gegen denjenigen, der diese „Unerträglichkeit“ bewirkt hat erfolgt eine Wiederaufnahme. Die Nummer 4 liefert nicht im Ansatz eine Begründung dafür, dass im Fall Möhlmann eine Wiederaufnahme erfolgen müsste. In Wirklichkeit – wenn man den Komplizenfall sich ansieht – bestärkt er die Sichtweise des BVerfG.

Hieran sieht man überdeutlich, wie unausgegoren der Versuch der Gesetzesänderung war. Wenn man solche „unerträglichen“ Zustände aus der Welt schaffen will, hätte man sich sicher auch mit der Nummer 4 beschäftigen müssen, aber möglicherweise war dieser in Kombination mit der dem damaligen Willen des Gesetzgebers einleuchtend.

Noch kurz zu den Richter Müller und Langenfeld, deren Begründung enthält das alles nicht, sie befassen sich nicht mit dem Ermittlungsverbot, sie beschäftigen sich auch nicht mit der Nummer 4 ausreichend. Sie sehen das ganze in Wirklichkeit extrem einseitig, für BVerfG-Richter in Wirklichkeit erschreckend, die sollten eigentlich sämtliche Seiten berücksichtigen, auch die Seite Freigesprochener.


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03.11.2023 um 12:57
@azazeel
@Sherlock_H
@Andante

Vielen Dank für Eure umfangreichen Ausführungen zu meiner Frage/meinen Gedanken. Ich verfolge diese Diskussion, die sich auf hohem Niveau bewegt, nur am Rande.

Als juristischer Laie bin ich nicht mit allem einverstanden, was auf diesem Gebiet passiert. Eure Ausführungen ändern daran nicht immer etwas aber mitunter verstehe ich wenigstens das "warum" etwas so oder so gehandhabt wird. Daher "Danke" auch an die anderen Mitdiskutanten.

MfG

Dew


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03.11.2023 um 22:41
Mal ne allgemeine Frage zu dieser Sache:

Was würde in folgendem Fall passieren?

Ein Täter wird angeklagt und frei gesprochen. Nach viele Jahren - aus welchen Gründen auch immer - gibt er s doch zu. Sprich er geht zur Polizei (den Ermittlern) und sagt offen und ehrlich, er kann nicht mehr mit leben, er hat s getan (Mord z B) und schildert dann genau was passiert ist.

Sogar wenn er am Ende sagen würde: "Jetzt sperren sie mich lebenslang dafür ein. Ich verdiene nichts anderes da ich ein Mörder bin."

Was dann?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

03.11.2023 um 23:03
Zitat von AlleingängerAlleingänger schrieb:Was würde in folgendem Fall passieren?

Ein Täter wird angeklagt und frei gesprochen. Nach viele Jahren - aus welchen Gründen auch immer - gibt er s doch zu. Sprich er geht zur Polizei (den Ermittlern) und sagt offen und ehrlich, er kann nicht mehr mit leben, er hat s getan (Mord z B) und schildert dann genau was passiert ist.

Sogar wenn er am Ende sagen würde: "Jetzt sperren sie mich lebenslang dafür ein. Ich verdiene nichts anderes da ich ein Mörder bin."

Was dann?
Dann greift § 362 Nr. 4 StPO
§ 362
Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten

Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist zulässig,

(...)

4. wenn von dem Freigesprochenen vor Gericht oder außergerichtlich ein glaubwürdiges Geständnis der Straftat abgelegt wird;
Quelle: https://dejure.org/gesetze/StPO/362.html


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 00:37
@Juris019

Das ist die Frage. Aus meiner Sicht darf man dieses Teil des Gesetzes nicht wörtlich nehmen. Denn das führt zu nicht mehr nachvollziehbaren und mit einem Rechtsstaat nicht mehr vereinbaren Folgen.

Da wir hier nun bei fiktiven Fällen sind:

Jemand Unschuldiger wird angeklagt. Der freigesprochene Täter legt ein Geständnis ab, weil er keinen Unschuldigen verurteilt sehen will, obgleich er von den Ermittlern/Richter bzgl. den möglichen Folgen (Wiederaufnahme) aufgeklärt wurde. Vom Wortlaut her müsste dann die Wiederaufnahme erfolgen.

Nun hat aber in seinem Urteil das BVerfG den Hintergrund der Nr. 4 erläutert:
Auch § 362 Nr. 4 StPO hat nicht eine Änderung des Freispruchs zum eigentlichen, vorrangigen Ziel. Vielmehr hat die Norm den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde
Quelle: Urteil des BVerfG Abschnitt 122

So, wenn der Geständige dann ausschließlich weiteres Unrecht verhindern will, kann man aus meiner Sicht darin nicht im geringsten ein Infragestellen der Authorität des Stafverfahrens sehen. Ich denke, ein Rechtstaat DARF ein solches Verhalten, das Unrecht verhindern soll niemals sanktionieren. Denn andernfalls kann das durchaus zur Folge haben, dass ein Unschukldiger verurteilt wird, das wäre geradezu grotesk. Mit obigen Erläuterung wäre es in Wirklichkeit notwendig, dass man den WAA ablehnt.


Aber den nun von @Alleingänger aufgeworfene Fall, ist das wirklich ein Infragestellen der Authorität des Stafverfahrens? Das würde ich bezweifeln.


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04.11.2023 um 00:46
Zitat von LentoLento schrieb:Vom Wortlaut her müsste dann die Wiederaufnahme erfolgen.

Nun hat aber in seinem Urteil das BVerfG den Hintergrund der Nr. 4 erläutert:
Auch § 362 Nr. 4 StPO hat nicht eine Änderung des Freispruchs zum eigentlichen, vorrangigen Ziel. Vielmehr hat die Norm den Zweck, ein Verhalten zu verhindern, das die Autorität des rechtsstaatlichen Strafverfahrens infrage stellen würde
Quelle: Urteil des BVerfG Abschnitt 122
Die Wiederaufnahme wird auch erfolgen, das ist ganz klar. Das BVerfG hat hier auch lediglich gesagt, dass die Änderung des Freispruchs bei Nr.4 nicht das "vorrangige" Ziel ist. Das kann man diskutieren, aber für diesen theoretischen Fall hat das dann sowieso keine Auswirkung.


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04.11.2023 um 01:18
@Rick_Blaine

Naja, also der Staat nimmt somit lieber die Verurteilung Unschuldiger in Kauf, naja dann gute Nacht. Ich schließe mich daher @JosephConrad an, dieser Unfug gehört abgeschafft.

Wie gesagt, ich habe schon weiter oben auf solche Fälle hingewiesen. Die ich noch gefunden habe, wurden schon deshalb abgelehnt, weil die Richter/Sta/Ermittler denjenigen nicht aufgeklärt hatten, dass ein entsprechendes Geständnis zu einer Wiederaufnahme führen kann. Ich denke, es ist ein Hintertürchen, was da in der Realität genutzt wird, um ein rechtstaatlich völlig unzureichendes Gesetz zu umgehen. Richter wissen in der Regel schon, wie wichtig dei Aufklärung bzgl. der rechtlichen Folgen in so einem Fall ist.

Aber ich habe vor einigen Jahren ein Urteil von so einem Fall gelesen, wo die Wiederaufnahme eben doch aus den von mir genannten Gründen abgelehnt wurde. Leider habe ich dieses LG-Urteil später nicht mehr wiedergefunden. Ob das dann vom OLG vielleicht wieder aufgehoben wurde, weiß ich nicht. Aber man erkennt, Richter werden schon Hintergedanken haben, wenn sie einen solchen Geständigen nicht aufklären, denn Richter dürfte in solchen Fällen definitiv die wirkliche Wahrheit wichtiger sein und einen Unschuldigen auch nicht verurteilt sehen wollen.

Ein Gesetz ist nicht durchdacht, wenn man solche Tricks anwenden muss, um Gerechtigkeit herzustellen. Und zwar die Gerechtigkeit, die sich jeder Rechtsstaat auf die Fahnen schreibt, so wenig Unschuldige wie möglich zu verurteilen. Genau das verhindert das Gesetz in Wirklichkeit - wenn man es wörtlich nimmt.


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04.11.2023 um 01:31
Zitat von LentoLento schrieb:Naja, also der Staat nimmt somit lieber die Verurteilung Unschuldiger in Kauf, naja dann gute Nacht. Ich schließe mich daher @JosephConrad an, dieser Unfug gehört abgeschafft.
Ich verstehe im Moment nicht, worauf Du hinauswillst.

Erst einmal geht es ja um zwei getrennte Dinge:

1) Person A wurde unschuldig verurteilt.
2) Person B ist der wahre Täter, wurde aber freigesprochen.
3) Person B gesteht nun, dass er der wahre Täter ist, was sich auch beweisen lässt, und es wird auch bewiesen, dass Person A nicht an der Tat irgendwie beteiligt war.

Dann kann Person A diese neue Erkenntnis für ein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Gunsten nutzen. Der Staat kann ihn freilassen, rehabilitieren usw.

Das ist schon mal unabhängig davon, wie es nun mit Person B weitergeht.

Nach der derzeitigen Rechtslage kann eine Wiederaufnahme zu seinen Ungunsten geschehen und er wird verurteilt.

Der Gerechtigkeit ist sozusagen Genüge getan.

Aber selbst wenn nun Person B nicht wieder verfolgt und verurteilt werden könnte, ändert das nichts an der Rehabilitierung von Person A. Daher zeigt der Staat hier nicht einen Willen, einen Unschuldigen weiter zu inhaftieren etc.

Ich glaube der Fehler liegt in Deiner Argumentation, dass ohne die Verfolgung und Verurteilung von B der A nicht rehabilitiert werden könnte. Das ist aber zumindest in der Theorie hier nicht vorgegeben.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 03:18
@Lento
Zu deinem fiiktiven Fall: Der zuerst freigesprochene Täter hat immerhin einen Mord begangen. Dafür wird er in einem Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Freigesprochenen nach § 362 Nr. 4 StPO verurteilt werden. Das Geständnis und das Motiv des Täters werden sicher beim Strafmaß positiv für den Täter berücksichtigt werden.

Sollte der Ermittlungsrichter oder der Statsanwalt den Täter absichtlich fehlerhaft über die Konsequenzen seines Geständnisses aufgeklärt haben mit der Ziel, damit eine Bestrafung des Täters zu verhindern, und hätte er damit Erfolg, müßte er wegen Rechtsbeugung angeklagt werden:
§ 339
Rechtsbeugung

Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
Quelle: https://dejure.org/gesetze/StGB/339.html

Bemerkenswert ist, dass bei der Rechtsbeugung der Versuch nicht strafbar ist.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 08:21
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Zu deinem fiiktiven Fall: Der zuerst freigesprochene Täter hat immerhin einen Mord begangen. Dafür wird er in einem Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Freigesprochenen nach § 362 Nr. 4 StPO verurteilt werden. Das Geständnis und das Motiv des Täters werden sicher beim Strafmaß positiv für den Täter berücksichtigt werden.
Die Problematik ist nicht auf Mord beschränkt. Außerdem kommt bei Mord vom Gesetz her nur eine Verurteilung zu lebenslänglich in Frage.

@Rick_Blain

Nein es ist weitaus weniger kompliziert und ich spreche hier uch nicht von fiktiven Fällen.

Ich denke, man sollte sich in Erinnerung rufen, was einen modernen Rechtsstaat auszeichnet. Die Verhinderung der Verurteilung Unschuldiger hat Vorrang vor der Strafverfolgung. Ich denke, aus diesem Grundgedanken eines modernen Rechtsstaates ergibt sich auch der Zweifelsgrundsatz. Die Ergründung der Wahrheit hat Vorrang vor der Strafverfolgung, das wird im Recht auch häufig angewendet, wie z.B bei Kronzeugen. Die Kronzeugenregelung gilt selbst bei Strafen, für die lebenslange Haft vorgesehen ist (also auch bei Mord), er kann dann mit milderer oder keiner Strafe rechnen. Ist also fast schon gängige Praxis, auch wenn das höchst umstritten ist und auch sicher in der Bevölkerung nicht beliebt ist, weil man die Befürchtung niemals aus der Welt schaffen kann, dass der Kronzeuge möglicherweise durch Falschaussagen sich selbst Vorteile verschaffen könnten.

So ich denke, von diesem Wesen eines Rechtsstaates muss man erstmal ausgehen.

Wenn Du da andere Ansicht bist, dann müsste man – bevor man sich den Fällen zuwendet – erstmal darüber diskutieren.


Nun zum durchaus nicht fiktiven Fall:

Das Problem entsteht nicht erst in einem solch komplexen Fall, den Du aufzeichnest, das Problem entsteht viel früher.

Folgender fiktiver Fall, den es bei kleinen Delikten durchaus auch in der Praxis gibt, den die Gerichte nach meinem Wissen bisher geschickt umschifft haben:

  • A ist in Wirklichkeit Täter, wird jedoch freigesprochen.
  • Die Ermittlungen laufen weiter.
  • A will nicht, dass diese Ermittlungen dazu führen, dass andere Personen verfolgt werden, er legt daher ein Geständnis ab.


Bei den Beschlüssen, die ich kenne (außer dem nicht mehr auffindbaren Beschluss eines LG) wurde diese Problematik damit gelöst, dass sich die Gerichte auf eine fehlenden Belehrung sich bezogen haben. Und da der Geständige nicht bzgl. der Folgen aufgeklärt wurde, der WAA der StA nicht rechtens war.

So und jetzt stelle ich die Frage, wird ein Rechtsstaat noch seiner Aufgabe gerecht, wenn nun ein Richter denjenigen bzgl. den Folgen aufklärt, er dann dadurch das Geständnis nicht ablegt?

Ich sehe es so, eine gesetzliche Regelung ist unsinnig, wenn man erst vorgeschrieben Regelungen nicht einhalten darf (rechtliche Aufklärung ist nun mal vorgeschrieben), damit erst wesentliche Prinzipien eines Rechtsstaates eingehalten werden können.

Ich denke, dass – falls wirklich ein solcher Fall mal zum BVerfG kommen würde, wird sich das BVerfG durchaus mit diesem Wesen eines Rechtsstaats beschäftigen müssen (das ist nicht ganz selten, z.B. bei der Begründung des effektiven Rechtsschutzes) und sich dann erneut auf die Historie dieses Gesetzes berufen. Er wird dieses Gesetz dann nicht wörtlich nehmen können sondern im Sinne eines Rechtsstaats auslegen müssen und dabei hilft ihm doch recht offensichtlich der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers, die Verhöhnung des Rechtsstaates zu verhindern.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 09:43
Zitat von LentoLento schrieb:Die Problematik ist nicht auf Mord beschränkt. Außerdem kommt bei Mord vom Gesetz her nur eine Verurteilung zu lebenslänglich in Frage.
Richtig! Das habe ich nicht beachtet.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 10:03
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Sollte der Ermittlungsrichter oder der Statsanwalt den Täter absichtlich fehlerhaft über die Konsequenzen seines Geständnisses aufgeklärt haben mit der Ziel, damit eine Bestrafung des Täters zu verhindern, und hätte er damit Erfolg, müßte er wegen Rechtsbeugung angeklagt werden:
Das muss ich nochmal aufgreifen, weil es zeigt, dass die wörtliche Anwendung der Nr. 4 auch Richter in Konflikte bringen können.

Was ist wenn der wirkliche Täter den Richter fragt, ob ein Geständnis für ihn Nachteile bedeutet? Durch die notwendige Aufklärung würde der Richter die Erforschung der Wahrheit unterbinden. Er befindet sich also in einer Zwickmühle, einmal im Sinne eines Rechtsstaat zu handeln oder wörtlich nach dem Gesetz.

Wenn er also den Geständigen fehlerhaft aufklärt, wird das daher mit Sicherheit nicht zu einer Verurteilung wegen Rechtsbeugung führen. Er kann begründet sagen, er hat aus seiner Sicht im Sinne des Rechtsstaats gehandelt. Und wenn das Gericht, das doch anders sieht, hat er sich schlicht und einfach in einem naheliegenden Rechtsirrtum befunden, Rechtsbeugung ist ihm daher nicht vorwerfbar.

Hier kann man sogar die extrem restriktive Auslegung des BGH auch gut verstehen, nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung ist Rechtsbeugung, genaugenommen die wenigsten.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

04.11.2023 um 11:09
Zitat von LentoLento schrieb:Das muss ich nochmal aufgreifen, weil es zeigt, dass die wörtliche Anwendung der Nr. 4 auch Richter in Konflikte bringen können.
@Lento
Ich will mal anders fragen: Fändest du es richtig, dass ein Richter einem Verbrecher dabei hilft, straffrei zu bleiben?

@Lento
Zu einem früherem Beitrag von dir:
Zitat von LentoLento schrieb:So, wenn der Geständige dann ausschließlich weiteres Unrecht verhindern will, kann man aus meiner Sicht darin nicht im geringsten ein Infragestellen der Authorität des Stafverfahrens sehen. Ich denke, ein Rechtstaat DARF ein solches Verhalten, das Unrecht verhindern soll niemals sanktionieren.
Hier verwechselst du was: Der Rechtsstaat sanktioniert nicht das Geständnis, sondern die Tat.


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