duval schrieb:Bei der Bundeswehr findest du beides ein paar echte Freunde fürs Leben und eben auch Leute, mit denen du einfach nur zusammenarbeitest. Ist wie überall sonst auch!
Nun, vieles ist eben bei der Bundeswehr nicht wie anderswo auch; Soziologen prägten den Begriff der
Totalen Institution, und ohne das herabwürdigend für unsere Streitkräfte zu meinen, trägt die Bundeswehr, gerade auch für Wehrpflichtige, erst recht z.B. während der Grundausbildung, Züge einer "Totalen Institution".
Auf das Selbst hat es nun einmal eine Auswirkung, wenn man (in mehr oder weniger starkem Umfang) nicht mehr Aufenthaltsort, Beschäftigung, Kleidung, Tagesablauf, Ausdrucksweise usw. frei wählen kann. Ähnlich wie andere Institutionen, die Soziologen mit desem Begriff belegen (Geschlossene Psychiatrie, Gefängnis, z.T. Alten- und Pflegeheime), findet u.a. in den genannten Bereichen eine starke Einschränkung des Einzelnen statt - das kann zum Teil mit den Aufgaben und Zielsetzungen der Institution zusammenhängen (Funktionsprinzip einer Armee nach Befehl und Gehorsam), zum Teil aber auch bewusst strafenden oder herabsetzenden Charakter haben.
Auf jeden Fall stellt der Tatort innerhalb einer Bundeswehrkaserne dahingehend eine Besonderheit dar, weil die Tat innerhalb einer zumindest teilweisen "Totalen Institution" stattgefunden hat. Daran ändert es auch nichts, dass es möglicherweise ein Täter von außerhalb war, der sich nicht (mehr) mit den Regeln und Gebräuchen innerhalb der Kaserne identifizierte.
Worauf ich hinaus möchte: Eine Kaserne der Bundeswehr ist eben gerade nicht ein Ort wie jeder andere. Auch wenn es seit der Gründung der Bundeswehr allerhand konzeptionelle und tatsächliche Bemühungen gegeben hat, den Soldaten "Staatsbürger in Uniform" sein zu lassen, so unterscheidet sich das Leben beim Militär eben doch in vielen Aspekten vom Zivilleben.
Wir wissen zwar nicht, in welchem Bezug die Tat zu diesem Umstand steht, aber dass das Opfer Soldat war, und die Tat in einer militärischen Einrichtung geschah, kann man nicht außer Acht lassen.
Möglicherweise empfand der Täter die institutionelle "Entpersonalisierung" anders, oder stärker als das Tatopfer. Dieses schien sich mit seiner Rolle zu identifizieren, funktionierte in seiner Rolle, genoss Anerkennung dafür, wie er seinen Dienst ausführte.
Jemand, der die Institution als etwas sah, das ihn von seiner eigentlichen Persönlichkeit trennte, ihn zu "jemand anderem" machen wollte, könnte im Extremfall im Tatopfer eine Verkörperung der Institution als solcher gesehen haben. Das erklärt und rechtfertig natürlich keine Gewalttat, aber ich versuche, die Besonderheit der Umstände für ein mögliches Motiv auszuwerten.
Für Unbeteiligte klingt es natürlich absurd, dass ein kleiner Gefreiter stellvertretend für die Institution sein Leben lassen musste. Natürlich war er ein kleines Rädchen - der Täter hat es vielleicht nicht verwunden, dass andere sich mit der Einrichtung arrangieren und sogar identifizieren konnten, und konnte, oder wollte, nicht den geringen militärischen Rang des Opfers sehen. In seiner Funktion als GvD, Schließerposten oder was auch immer, repräsentierte er für den Täter die Institution.