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Quelle: Märkische Allgemeine, k.A., 03.07.2002
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Verschwunden am 3. Juli 16-jährige Maike Thiel seit fünf Jahren vermisst / Rentner suchen privat nach Spuren
HELGE TREICHELLEEGEBRUCH „Keiner glaubt daran, dass sie noch lebt. Weder die Gesetzeshüter von Staatsanwaltschaft und Polizei noch wir Privatermittler oder die Angehörigen.“ Wache Augen blicken aus dem ernsten Gesicht von Peter Christoph, als er das sagt. Noch fünf Jahre nach dem ungeklärten Verschwinden von Maike Thiel aus Leegebruch versucht er auf privater Initiative das Schicksal des damals 16-jährigen Mädchens aufzuhellen.
Dessen Spur verliert sich in den Mittagsstunden des 3.Juli 1997 vor dem Hennigsdorfer Kreiskrankenhaus. Heute vor fünf Jahren. Im Krankenhaus hatte die werdende Mutter eine Schwangerschaftsuntersuchung. Nach Aussagen des ärztlichen Personals wurde sie vor dem Krankenhaus zu einem Kurzurlaub an der Ostsee aufgefordert. Von und mit wem, das blieb ihr Geheimnis.
Polizei und Staatsanwaltschaft gehen von einem Kapitalverbrechen aus. Laut den Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes ist Maike Thiel „aller Wahrscheinlichkeit nach Opfer eines Tötungsdeliktes geworden“, sagte der Oranienburger Polizeisprecher Rudi Sonntag. Die offiziellen Ermittlungen aber wurden vor zweieinhalb Jahren ohne Ergebnis eingestellt. Trotzdem habe es danach noch „hier und da Ermittlungen gegeben“, so Sonntag. Ein Täter konnte dennoch nicht dingfest gemacht werden, bedauert er. Schließlich gehe solch ein Fall auch „an die Ehre der Kriminalisten“.
Auf Basis der Polizeiakten, des wiederholten Durchforstens von Zeugenaussagen sowie unzähliger weiterer Befragungen und Recherchen haben Peter Christoph und seine Mitstreiter einen wahrscheinlichen Tathergang rekonstruiert. Wie seine drei pensionierten Kollegen auch, hatte der Rentner sich jahrzehntelang mit Kriminalfällen jeglicher Art beschäftigt. Deren internationaler Charakter verrät, dass dieser Mann zu den erfolgreichen Ermittlern der DDR gezählt haben muss. Auch im Ruhestand lassen ihn ungelöste Fälle wie der von Maike Thiel nicht los, sogar ohne Honorar.
Nach seinen Erkenntnissen stand Maike Thiel kurz nach 10Uhr zunächst an der Bushaltestelle am Hennigsdorfer Krankenhaus. Dort war sie auch zuletzt gesehen worden. Im Zeitraum bis gegen 10.30Uhr soll sie dann in einen silberfarbenen VW Passat Variant (Baujahr zirka 1985) eingestiegen sein. Das Auto sei dann in einen nahegelegenen Waldweg abgebogen. Bereits dort könnte nach Meinung von Peter Christoph der Mord geschehen sein. Den Leichnam vermutet er trotz einer von ihm veranlassten, jedoch erfolglosen Suchgrabung unter der unbefestigten verlängerten Trappenallee in Hennigsdorf. In diesem Bereich wurde zum Tatzeitpunkt an einem Abwasserkanal gebaut.
Eine beträchtliche Summe war für die Grabung erforderlich. Diese Kosten konnten zum Teil mit Hilfe eines Spendenkontos bestritten werden, das die Eltern Heike und Hans-Joachim Thiel Ende 1999 eingerichtet hatten. Zunächst war es ihnen darum gegangen, die von der Staatsanwaltschaft ausgelobte Belohnungssumme von 5000 Mark aufzustocken. Dafür hatten sie zusätzlich eine Hypothek über 30000Mark aufgenommen. „Sie wollen endlich Gewissheit über Maikes Schicksal haben“, begründet Anwalt und Konto-Betreuer Andreas Steffen die verzweifelte Aktion. Beide Summen stehen noch.
Christoph hegt keinen Zweifel an seiner Theorie über den Verbleib einer möglichen Leiche und nennt Anhaltspunkte. So sei der Hauptverdächtige in jener Baufirma tätig gewesen, die seinerzeit die Arbeiten in Hennigsdorf ausführte – wenn auch nicht auf dieser Baustelle. Außerdem habe er zum vermutlichen Tatzeitpunkt eine Garage in direkter Nachbarschaft der Baustelle gehabt und am bewussten Tag sogar aufgesucht. Und nicht zuletzt hätten Zeugen davon gesprochen, dass der Betreffende Maike Thiel „umgebracht und in Hennigsdorf verscharrt“ habe, so Christoph.
Polizei und Staatsanwaltschaft hatten dem jungen Verdächtigen die Tat jedoch nicht nachweisen können, erklärte die zuständige Neuruppiner Staatsanwältin. „Sobald sich neue Ermittlungsansätze ergeben“ könne das Verfahren jedoch sofort wieder fortgesetzt werden. Dass sich der Fall noch im Blickfeld der Fahnder befindet, bestätigte auch der scheidende Oranienburger Polizeipräsident Peter Kirmße.
Ende April hat Peter Christoph deshalb die bisherigen privaten Ermittlungsergebnisse in einem Brief an den Leitenden Neuruppiner Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher zusammengefasst. Detailliert werden Zeugen und mögliche Mittäter genannt, werden Aussagen und teilweise sehr merkwürdige Tatsachen zu einer Indizienkette verwoben.
Und der ehemalige DDR-Gesetzeshüter weist auch auf diverse Versäumnisse hin. Sehr rätselhaft sei etwa der plötzliche Verkauf und die überraschende Verschrottung des möglichen Tatfahrzeugs kurz nach dem Verschwinden von Maike Thiel. Das Auto war nie auf Spuren hin untersucht worden, sagt Peter Christoph. Weiterhin sei sichergestelltes Beweismaterial bis heute nicht nach den dafür geltenden Regeln kriminaltechnisch ausgewertet worden.
Eine wertvolle Informantin, wenn nicht sogar Mitwisserin oder Zeugin eines möglichen Mordes vermutet er in einer Schulfreundin der Vermissten. Auch deren ehemalige Lehrer am Hennigsdorfer Oberstufenzentrum könnten Indizien liefern. Sie müssten erneut befragt werden.
Diese Hinweise seien genau geprüft und ausgewertet worden, sagte Staatsanwalt Thomas Meyer, Leiter der zuständigen Abteilung in Neuruppin. „Wir werden Schritte einleiten, die wir natürlich nicht preisgeben.“ Sehr skeptisch betrachtet er allerdings die Beschreibung des möglichen Szenarios der Tat: „Diesem Konstrukt können wir uns nicht anschließen.“ Das betreffe sowohl das „Tatfahrzeug“ als auch den vermuteten Fundort einer möglichen Leiche. Er verweist dabei auf das negative Grabungsergebnis, obgleich Christoph entgegenhält, dass wegen der beschränkten privaten Mittel nur ein zu kleiner Bereich sondiert werden konnte.
Ihre letzte Hoffnung für einen wirksamen Beistand setzen die Thiels jetzt auf Anwalt und PDS-Frontmann Gregor Gysi. In einem Brief haben sie ihren Fall geschildert und geschrieben, „dass wir uns total allein gelassen fühlen“. Hans-Joachim Thiel: „Fünf Jahre haben wir gegen Windmühlen gekämpft. Ich komme mir vor wie Don Quichotte.“
Verstärkt wird sein Frust von der Polizeireform. Ein Oranienburger Kripo-Beamter habe sich von ihm verabschiedet und dabei gesagt, dass die Dienststelle aufgelöst und das mit Ort, Leuten und Fällen vertraute Personal in alle Winde zerstreut wird. Ganz zu schweigen von Personalkürzungen bei den ohnehin überarbeiteten Kriminologen. „Das ist eine schlechte Politik und erschütternd für mich als Bürger“, so der Vater der Vermissten.
„Tote haben keine Lobby“, zitiert Peter Christoph denn auch den Titel eines Buches. Die Autorin Sabine Rückert versucht darin, „die Dunkelziffer der vertuschten Morde“ zu ermitteln. Mit Hochrechnungen weist sie nach, dass die tatsächliche Zahl der Tötungsdelikte drei- bis sechsmal höher liegt als die Statitistik es ausweist. „Es muss also Menschen geben, die sich privat um die Rechte der Geschädigten kümmern“ ist der Ermittler überzeugt. Und wenn er über erneute Suchgrabungen nachdenkt, geht es ihm vor allem um die Angehörigen, die auch fünf Jahre nach dem Verschwinden von Maike Thiel auf Gewissheit und Sühne hoffen: „Die Eltern hätten endlich die Möglichkeit, Blumen auf ein Grab zu legen.“
Hans-Joachim Thiel hofft darauf, dass sich schweigende Zeugen oder Mitwisser mit der Zeit doch noch eines Besseren besinnen. „Damit wir abschließen können. Denn das können wir noch nicht.“