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7.555 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

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08.10.2025 um 04:15
Oststolz von Alexander Prinz

5629

Die Wende hat ihre eigenen Kinder - doch wer erzählt ihre Geschichte? YouTube-Star und SPIEGEL-Bestsellerautor Alexander Prinz ("Du kannst sie nicht alle töten"), selbst aufgewachsen nach der Wiedervereinigung im ländlichen Sachsen-Anhalt, gibt seiner Generation nun eine kraftvolle Stimme. In seinem neuen Buch "Oststolz" bricht er mit Klischees und liefert eine längst überfällige Perspektive auf ein noch immer gespaltenes Land.
Schonungslos ehrlich erzählt Prinz von seiner Kindheit und Jugend: Als er um die Jahrtausendwende in einem ostdeutschen 800-Seelen-Dorf groß wurde, lebte ein Drittel der Kinder an seiner Schule unter der Armutsgrenze. Beim Klettern durch die vergessenen Orte eines zerfallenen Landes fand er Abenteuer von unerwarteter Magie. Mit so etwas Exotischem wie Markenklamotten oder schnellen Autos kam er erst viel später in Berührung, während eines Urlaubs im sogenannten Westen. Denn eine "unsichtbare Mauer" aus niedrigeren Löhnen und Renten, mangelnder Anerkennung und westdeutscher Hegemonie prägt den Alltag vieler Ostdeutscher bis heute.
Dieses autobiografisch inspirierte Buch ist weit mehr als ein persönliches Memoir - "Oststolz" ist eine Gesellschaftsanalyse und ein leidenschaftliches Plädoyer für ein neues Selbstverständnis. Prinz ruft seine Nachwendegeneration auf: Seid auf eure Ost-Biografie stolz, bleibt hier und macht was draus, bevor es die Falschen tun.



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08.10.2025 um 05:47
@DerThorag

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09.10.2025 um 17:05
Holly-Jane Rahlens - Prinz William, Maximilian Minsky und ich

Rahlens-Prinz

Manchmal frage ich mich, warum ein Buch einen Literaturpreis gewinnt, im Falle von Holly-Jane Rahlens mit diesem Buch 2003 den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die Geschichte ist hausbacken und Rahlens reflektiert vermutlich, warum sie selbst als Jüdin 1972 von New York nach Deutschland gezogen ist.

Die Ich-Erzählerin Nelly ist 13, lebt mit einer jüdischen US-amerikanischen Mutter und einem deutschen Vater in Berlin und soll die Initiationsfeier Bat Mizwa ablegen, was sie nicht so richtig will, da sie selbst nicht religiös ist. Sie interessiert sich für Kosmologie und Physik (liest Stephen Hawking), da hat Gott keinen Platz. Aufgrund ihrer Interessen ist sie für die Mitschüler:innen ein Nerd, wird aber eigentlich nicht gemobbt. Ok, klingt nach einem brauchbaren Einstieg, nur dann wird's nur mehr skurril.

Nelly verliebt sich in den etwa 15-jährigen Prinz William (den echten, damit hat das Buch einen sehr kurzen Halbzeitwert), dessen Mutter vor kurzem verstorben ist, was ihre Hormone total durcheinanderwirft. Sie möchte ihn treffen, und als sie erfährt, dass die Basketballmannschaft ihrer Schule nach Eton zu einem Spiel fahren wird, will Nelly, die unsportlich ist, unbedingt ins Team. Als Vorbereitung für das Sichtungsmatch braucht sie einen Coach.

Als Trainer findet sie zufälligerweise Maximilian Minsky (15 Jahre), den Sohn einer soeben nach Berlin gezogenen Jüdin aus New York, die ein Restaurant aufmachen will. Nellys Mutter verabscheut sie, ihr Vater (ein Weiberer) "nagelt" sie (dieses Verb steht wirklich im Text). Max ist Goth (schminkt sich weiß, färbt das Haar schwarz) ist zufälligerweise ein Baketballer und trainiert sie (zunächst verlangt er Sex - ja, steht so im Buch). Er coacht Nelly gut eine Woche, Nelly wird immer besser und beim Sichtungsmatch verpasst die Unsportliche nur knapp die Aufnahme ins Team (doch kein US-Klischee-Happy-End).

Prinz William wird langsam wieder unwichtiger, dafür der etwas raubeinige Max ihr Schwarm. Nelly wird - vor allem aufgrund ihrer Großmutter, die noch dazu stirbt - doch an Bat Mizwa teilnehmen, und bei der Familienfeier zu diesem Anlass trägt Max einen Kaschmiranzug wie ihn William auf einem Foto trägt. Ihre Großmutter hat ihn geschneidert. Auch schaut Max langsam nicht mehr wie ein Goth aus, nachdem er sich zur Verteidigung von Nelly von Obdachlosen hat verprügeln lassen (auch skurril, dass Erwachsene auf offener Straße und am hellichten Tag ein 13-jähriges Mädchen attackieren). Und wie es so ist: Es funkt zwischen den beiden. Und damit ist das Büchlein aus.

Für nicht gelungen halte ich, dass die als hochintelligent konzipierte Nelly sich des öfteren wie ein Trotzkopf verhält, vor allem ihre Mutter ist ihr Reibebaum. So ist sie stocksauer, dass sie für ein teures Teleskop selbst auch als Babysitter arbeiten soll, um ein einen Teil mitzufinanzieren. Sie will es sofort und kapiert nicht, dass die in Trennung lebende Mutter, die soeben ihren Journalistenjob verloren hat, das Geld nicht aus dem Ärmel schütteln kann. Aber es löst sich in Wohlgefallen auf: Eine Freundin gründet an der Schule eine Astronomie-AG und das Teleskop wird aus den Mitteln dieser AG angeschafft (Elternverein wohl).

Auch die Sprache passt nicht nur einmal nicht zu einer hochintelligenten 13-Jährigen. So wird ihre Mutter folgendermaßen beschrieben, als Nelly sie nackt sieht und festestellt, dass sie altert:
Es hatte mich so traurig gemacht, sie ohne BH zu sehen, wie ihre Brüste so herabbaumelten. Früher sind sie nicht so gehangen. Aber wenn sie sich jetzt bückte, um ihre Sandalen anzuziehen, ähnelte ihr Busen einem Paar schlaffer Socken, die ihr gegen den Bauch pendelten – klatsch, klatsch. Ihr Bauch war immer ganz flach gewesen, ja? Jetzt aber glich er einem Basketball, dem ein bisschen die Luft ausgegangen war. Einmal hob sie in der Umkleide den Blick und sah, wie ich ihre Beine anstarrte. An den Oberschenkeln wabbelt es ein bisschen, und um die Kniekehlen zieht sich ein Gewirr feiner blauer Äderchen, wie ein Spinnennetz. Es erinnerte mich an den Streckenplan vom New Yorker Eisenbahnnetz, auf dem all die unterschiedlichen Bahnstrecken in der Grand Central Station zusammenlaufen.
Vielleicht soll das lustig sein, aber dass so ein Stilbruch durchs Lektorat geht, wundert mich dann doch sehr.


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09.10.2025 um 19:24
Zitat von mchomermchomer schrieb:Wie findest du es bisher?
Erstmal ist das Buch angenehm zu lesen. Bei einem A. Prinz ist trockener Stoff jetzt auch nicht zu erwarten. Des weiteren ist es interessant, wie er die Dinge als junger Mensch wahrgenommen hat und die man als Kind selbst vermutlich genauso wahrnahm.

Bsw. beschreibt er die Kinderserie Einstein. Diese Kids in der Serie sprachen anders, kleideten sich anders. Es war für uns einfach nicht realistisch und so verlor man sich lieber komplett in fantasievolle Cartoons.

Die kulturellen Unterschiede, zwischen Westen und Osten, sind einer der Hauptthemen des Buches. Im Rahmen einer Lesung konnte ich Prinz kurz reden und er sagte das sich keine Westdeutschen Buchhandlungen für eine Lesung interessiert haben. Schade!


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10.10.2025 um 21:33
Nils Mohl - Es war einmal Indianerland

Mohl-Indianerland

Das ist kein Kinderbuch, das der Hamburger Schriftsteller Nils Mohl 2011 vorlegt, sondern ein angebliches Jugendbuch mit Passagen, die definitiv 18+ sind. Hauptfigur ist ein 17-jähriger Boxer aus einem eher heruntergekommenen Hochhausviertel mit Drogentoten (im Vorspann wird der Hamburger Stadtteil Jenfeld als Bezugspunkt erwähnt), dessen Vater seine zweite Frau erwürgt hat. Der Ich-Erzähler wohnt im selben Hochhaus, jedoch in einer eigenen Wohnung.

Die Story und auch den Charakter des Ich-Erzählers entwickelt Mohl nicht chronologisch, sondern er springt in den 13 Tagen hin und her, womit sich langsam der Plot erschließt. Grundsätzlich keine uninteressante Erzählweise, denn so entwickelt sich beispielsweise der Eindruck, dass der Freund Mauser sein alter ego ist, also nur in seinem Kopf existiert, bevor dies bestätigt wird. Denn zunächst scheint es, dass Mausers Vater der Mörder ist, und langsam dämmert es, dass der Ich-Erzähler mit dieser Tat und dem auf der Flucht befindlichen Vater umgehen muss.

Der Kern ist eine Dreiecksbeziehung. Bei einem illegalen Nacht-Rave in einem Freibad lernt Mauser (ich nenne ihn jetzt unter diesem Namen) eine Gleichaltrige namens Jackie aus dem Villenviertel kennen. Sie sieht perfekt aus, ist ebenso durchtrainiert wie Mauser und sie will ihn haben. Mauser verliebt sich unsterblich in sie. Da sie auf ein Festival fährt, will Mauser auch dorthin, auch wenn er Menschenansammlungen nicht ausstehen kann.

Den Weg zum Festival schafft Mauser schließlich mit einer neuen Bekanntschaft, der 21-jährigen Edda, eine neue Verkäuferin in seinem Videoladen. Sie ist völlig scharf auf Mauser, doch Mauser springt nur langsam an: Er ist in die perfekte Jackie verliebt und nicht in die bebrillte Edda. Dennoch fahren sie mit ihrem Wagen zu diesem skurrilen Ereignis mit 250.000 offiziellen Zusehern und einem illegalen Fest, dem Powwow, mit 100.000 Teilnehmern, die in einem angrenzenden Wald campen.

Das Festival wird von zwei massiven Gewitterstürmen heimgesucht, Mauser wird von einer Bande gefoltert, mit Jackie landet er im Zelt, jedoch dämmert ihm, dass er für sie nur ein Spielzeug ist, vielleicht eines jener Insekten, die im Buch immer wieder dem Tod entgegen gehen/fliegen bzw. tot sind. Einer Beziehung zwischen Ghettokind und Villenkind, Arm und Reich wird keine Chance gegeben. Zu überzeichnet sind beide Charaktere.

So wird der Schluss des Romans doch immer vorhersehbarer. Auch wenn Mauser und Edda sich immer voneinander entfernen, nähern sie sich immer mehr an. Und als sie gemeinsam ein Wildschwein, das Edda totgefahren hat, an einem See in einen Kahn legen und im See "bestatten", ist klar: das vereint. Und das tun sie auch, die 21-Jährige und der 17-Jährige haben Sex. Und wie Mohl die ersten beiden sexuellen Vereinigungen schildert, das ist Porno. Dafür kenne ich kein anderes Wort.

Als Buchhändler wüsste ich nun nicht mehr, in welches Eck ich dieses Buch stellen soll: Abteilung für Jugendliteratur oder Abteilung "Nur für Erwachsene". Über lange Strecken wäre es ein ziemlich gelungenes Coming of Age-Buch, auch durch die Komposition hebt sich das Buch durchaus als anspruchsvolle Literatur von anderen Büchern dieses Genres ab. Warum zum Teufel dann die körperliche Deutlichkeit des Geschlechtsverkehrs? Kann Mohl die Kunstfertigkeit der drei Punkte nicht? Oder ist dies vom Marketing eingefordert?

2017 ist der Roman von Ilker Catak als typischer Rave-Flick verfilmt worden (viel Pastellfarben, viel synthetische Drogen). Bis zur Seebestattung des Wildschweins hat er eine Altersfreigabe ab 12, in der Amazon Prime-Version ist das erweiterte Ende mit einer Altersfreigabe von 16 harmlos (es wird rausgezoomt, Dreipunktetechnik, und dann Mauser beim Boxen gezeigt - also kein Porno wie im Buch).

Hier der Trailer:

Youtube: ES WAR EINMAL INDIANERLAND Exklusiv Trailer German Deutsch (2017)
ES WAR EINMAL INDIANERLAND Exklusiv Trailer German Deutsch (2017)
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11.10.2025 um 17:01
Graham Greene - Der dritte Mann

Greene-Dritte

Diese Novelle entstand zeitgleich mit dem Film, den er mit dem Regisseur Carol Reed und Orson Welles in der Hauptrolle als Harry Lime 1949 in Wien drehte. Sie diente Greene als Exposé und an manchen Stellen merkt man das Notizenhafte am Schreibstil.

Greene entwickelt langsam eine Schattenwelt im besetzten Nachkriegswien anhand des Trivialschriftstellers, Frauenhelden und Trinkers Rollo Martins, dessen ihn nach Wien einladender Schulfreund Harry Lime bei Ankunft bereits tot ist. Offiziell wurde er bei einem Autounfall vor seinem Wohnhaus getötet. Langsam enthüllt sich der wahre Hintergrund, den der zunächst ungläubige britische Polizeioffizier Calloway nicht glauben will. Lime ist in einem Schmugglerring aktiv, der hochprofitabel gestrecktes und damit nicht brauchbares Penicillin auf den Schwarzmarkt bringt, das zu horrenden Summen von Krankenhäusern sowie wohlhabenden Ärzten und Apotheken gekauft wird, ohne zu wissen, dass sie durch dieses nichtwirksame Antibiotikum das Leben der Patienten aufs Spiel setzen. Basis des Schmugglerrings ist im zweiten Wiener Gemeindebezirk, der von den Sowjets besetzt ist und dessen Militärbehörden sich leicht bestechen lassen, sodass keine Auslieferungsgefahr an westliche Besatzer gegeben ist.

Als Martins, der eine Beziehung zu Limes schauspielender Freundin aufbaut, erkennt, dass die ihn im Dunkel der Nacht verfolgende Person Lime ist, der seinen Tod nur fingiert hat, verrät er dieses Wissen der britischen Polizei. Da Lime das Kanalsystem als Weg nutzt, um zwischen den Besatzungszonen verkehren zu können (eine Litfaßsäule bietet mit ihrer Tür den Zugang), lockt Martins Lime in die Falle. Er arrangiert in einem Café ein Treffen, Lime kommt, und als er die Falle erkennt, flüchtet er in den Kanal. Bei der Verfolgung wird Lime angeschossen und Martins erschießt ihn - er nennt es Gnadenschuss, damit Lime nicht leiden muss.

Der Titel stammt daher, dass bei der Polizei zwei Personen angegeben worden sind, die den angeblich toten Lime von der Unfallstelle ins Haus getragen haben. Doch ein Hausbewohner erzählt Martins, dass er einen dritten Mann gesehen habe, dies aber bei der Polizei nicht angegeben habe. Für den Hausbewohner ist dies das Todesurteil. Er wird ermordet. Grund: Martins erzählt dies einem US-amerikanischen Offizier, der aber selbst in einem Schmugglerring mit Autoreifen aktiv ist. So gelangt diese Information zu den Penicillinschmugglern.

Comic Relief: Martins ist von Beruf unter dem Pseudonym Dexter Verfasser von trivialen Wild-West-Romanen. Der britische Kulturattaché verwechselt Martins mit einem seriösen Schriftsteller namens Dexter und lädt Martins zu einem literarischen Diskussionsabend ein, der selbstverständlich ganz anders als erwartet verläuft.

Neben dem Plot des Thrillers bietet Green Raum, das Nachkriegswien im Jahr 1949 zu charakterisieren. Hier ein Beispiel aus der Sicht von Calloway:
Ich kannte Wien in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nicht und bin noch zu jung, um mich an das alte Wien mit seiner Musik von Strauß und seinem falschen, leichtlebigen Charme zu erinnern. Für mich ist Wien nichts weiter als eine Stadt würdeloser Ruinen, die sich in diesem Februar in riesige Schneeberge und Eisgletscher verwandelten. Die Donau war ein breiter, schmutziggrauer Strom weit hinter dem zweiten Bezirk in der russischen Zone, wo sich der zerstörte und unkrautüberwucherte Prater in trostloser Öde hinbreitete. Einzig und allein das Riesenrad drehte sich langsam über den Fundamenten einstiger Ringelspiele, die wie verlassene Mühlsteine dalagen, über dem rostenden Eisen zerschossener Panzer, die niemand weggeräumt hatte, und über den im Frost erstarrten Stauden, die sich da und dort aus der dünnen Schneedecke reckten. Ich besitze nicht genug Phantasie, mir den Prater in seinem einstigen Glanz zu vergegenwärtigen, genau so, wie ich mir unter dem ›Hotel Sacher‹ nur ein Durchgangshotel für britische Offiziere und unter der Kärntnerstraße nicht die elegante Geschäftsstraße von ehedem vorstellen kann, sondern nur zwei Häuserzeilen, die größtenteils bis zur Augenhöhe reichen oder vielleicht bis zum ersten Stockwerk wiederaufgebaut sind. Ein russischer Soldat mit einer Pelzmütze auf dem Kopf und dem Gewehr über der Schulter geht vorüber, ein paar leichte Mädchen drängen sich um das amerikanische Informationsbüro, und in Wintermäntel gehüllt, schlürfen in den Fensternischen des Café ›Old Vienna‹ ein paar Herren ihren Ersatzkaffee.

Bei Nacht tut man gut, in der Inneren Stadt zu bleiben oder in einer von drei Besatzungszonen, wenngleich auch dort gelegentlich Menschen geraubt werden – so sinnlos schien uns dieser Menschenraub bisweilen: ein ukrainisches Mädchen ohne Paß, ein alter Mann, der niemand mehr nützen konnte; manchmal freilich auch der Techniker oder der Verräter. So sah in groben Zügen das Wien aus, in dem am 7. Februar des vergangenen Jahres Rollo Martins eintraf.
Dass es Reisebeschränkungen gegeben hat, ist nachvollziehbar, neu für mich jedoch ist, dass britische Staatsbürger 1949 nur fünf britische Pfund auf eine Auslandsreise mitnehmen durften, die wiederum in Wien nutzlos waren, da dort mit Besatzungsgeld bezahlt worden ist. Im Wortlaut:
EIN BRITISCHER STAATSBÜRGER KANN IMMER NOCH reisen, sofern es ihm nichts ausmacht, nur fünf englische Pfund mitzunehmen, die er im Ausland nicht verbrauchen darf. Aber ohne die Einladung Mr. Limes vom Internationalen Flüchtlingsamt wäre es Rollo Martins ohnehin nicht gestattet gewesen, Österreich zu betreten, das immer noch als besetztes Gebiet gilt. Lime hatte Martins vorgeschlagen, einen Zeitungsartikel über die internationale Flüchtlingsbetreuung zu schreiben, und obwohl dieser Auftrag aus dem Rahmen von Martins' sonstiger schriftstellerischer Tätigkeit herausfiel, hatte er doch zugesagt.
Hier nun die Passage, in der Greene über den Penicillinhandel schreibt:
Die Schwarzhändler mit Lebensmitteln lieferten wenigstens Lebensmittel, und dasselbe galt von all den andern Schiebern, die verknappte Waren zu überhöhten Preisen beschafften. Etwas ganz anderes war es mit dem Penicillinhandel. Penicillin wurde damals in Österreich nur den Militärspitälern zugeteilt; kein ziviler Arzt, nicht einmal ein ziviles Krankenhaus, konnte auf gesetzlichem Weg in den Besitz dieses Heilmittels gelangen. Am Anfang waren die Schiebungen damit noch verhältnismäßig harmlos. Penicillin wurde von den Sanitätern in den Lazaretten entwendet und um Riesensummen an österreichische Ärzte verkauft – ein Phiole brachte bis zu siebzig Pfund ein. Man könnte sagen, daß auch dies noch eine Form der Verteilung war – einer sehr ungerechten Verteilung, weil sie nur dem reichen Patienten zugute kam; doch konnte auch die ursprüngliche Verteilungsart kaum als wesentlich fairer angesehen werden.

Dieser Schleichhandel ging eine Weile fröhlich weiter. Gelegentlich wurde ein Sanitäter ertappt und bestraft, aber die Gefahr erhöhte bloß den Preis des Penicillins. Dann aber wurde die Sache organisiert: die Drahtzieher sahen, daß hier Riesensummen zu verdienen waren, und wenn auch dem eigentlichen Dieb sein Raubzug weniger einbrachte, so gewann er dafür eine gewisse Rückendeckung. Wenn ihm etwas zustieß, dann gab es Leute, die sich seiner annahmen. Auch kennt die menschliche Natur merkwürdig gewundene Rechtfertigungen, von denen das Herz nichts weiß. Das Gefühl, für einen großen Auftraggeber zu arbeiten, erleichterte vielen kleinen Gaunern das Gewissen; in ihren eigenen Augen waren sie bald so ehrenhaft wie einer, der sich sein Brot auf anständige Weise verdiente; sie gehörten einer Gruppe an, und wenn jemand Schuld auf sich lud, dann waren es die Großen. Eine Schieberbande ist nach ganz ähnlichen Grundsätzen organisiert wie eine totalitäre Partei.

Dieses Stadium der Entwicklung habe ich oft als Stufe zwei bezeichnet. Stufe drei trat ein, sobald die Organisatoren zu der Überzeugung gelangten, daß der Profit ihrer Geschäfte nicht groß genug war. Sie rechneten damit, daß es eines Tages möglich sein werde, Penicillin auf ganz legalem Wege zu erhalten, und wollten deshalb, solange die Gelegenheit günstig war, mehr Geld verdienen und es schneller verdienen. Sie gingen also dazu über, das Penicillin mit gefärbtem Wasser zu verdünnen und im Falle von kristallisiertem Penicillin Sand beizumengen. Ich habe in meiner Schreibtischlade ein kleines Museum beisammen und zeigte Martins einige Proben daraus. Unsere Unterhaltung war für ihn alles eher als genußreich, aber die Pointe des Ganzen hatte er noch immer nicht erfaßt. Er sagte: »Dadurch wird das Zeug wohl wertlos.«

»Wenn das alles wäre, würde uns die Sache nicht solchen Kummer bereiten«, antwortete ich. »Aber überlegen Sie doch einmal! Man kann gegen die Heilwirkung des Penicillins immunisiert werden. Im günstigsten Falle hat dann die Verwendung dieses verdünnten Zeugs zur Folge, daß eine Penicillinkur bei einem solchen Patienten in Hinkunft wirkungslos bleiben wird. Und da hört sich der Spaß auf, wenn man zum Beispiel an einer Geschlechtskrankheit leidet. Auch ist die Anwendung von Sand auf eine Wunde, die Penicillin braucht – gewiß nicht sehr gesund. Auf diese Weise haben Menschen Arme und Beine – oder das Leben eingebüßt. Was mich aber am meisten erschüttert hat, war ein Besuch im hiesigen Kinderspital. Dort hat man Penicillin, das man auf diese Weise erworben hatte, bei Meningitis angewendet. Eine Reihe von Kindern hatte Glück: sie starben. Aber viele andere wurden irrsinnig. Sie können sie jetzt in der Abteilung für Geisteskranke sehen.«
Als Film ein Klassiker, aber auch als Novelle eine Perle.

Der Trailer des Films:

Youtube: DER DRITTE MANN | Trailer / Deutsch | Carol Reed, Orson Welles | ARTHAUS
DER DRITTE MANN | Trailer / Deutsch | Carol Reed, Orson Welles | ARTHAUS
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11.10.2025 um 18:39
Joseph Roth - Die Büste des Kaisers

Roth-Bueste

1934 verfasste der 40-jährige, aus Brody in Ostgalizien (heute Ukraine) stammende österreichische Schriftsteller Joseph Roth diese auf den ersten Blick die Donaumonarchie verherrlichende Erzählung, die in ihren Tiefenschichten jedoch messerscharfe Zeitanalysen bietet.
In dem Dorfe Lopatyny also lebte der Nachkomme eines alten polnischen Geschlechts, der Graf Franz Xaver Morstin – eines Geschlechtes, das (nebenbei gesagt) aus Italien stammte und im sechzehnten Jahrhundert nach Polen gekommen war. Der Graf Morstin hatte als junger Mann bei den Neuner-Dragonern gedient. Er betrachtete sich weder als einen Polen noch als einen Italiener, weder als einen polnischen Aristokraten noch als einen Aristokraten italienischer Abkunft. Nein: Wie so viele seiner Standesgenossen in den früheren Kronländern der österreichisch-ungarischen Monarchie war er einer der edelsten und reinsten Typen des Österreichers schlechthin, das heißt also: ein übernationaler Mensch und also ein Adeliger echter Art.
Dies ist der Einstieg und nicht der Kaiser, sondern das Übernationale liegt im Fokus. Morstins Geschichte ist der Überbau. Er wird als gutmütiger und beliebter Gutsherr vorgestellt, der sich für seine Leute bei den Beamten und Gerichten der Monarchie einsetzt, damit sie ihr Recht bekommen. Als guter Untertan zieht er auch in den Krieg und nach der Niederlage liegt Lopatyny in Polen. Morstin zieht in die Schweiz, die ihm als friedfertiges Land erscheint, doch er kommt mit der Gesellschaft der ultrakapitalistischen Neureichen nicht zurecht. Er beginnt zu trinken. Als ein russischer Bankier in einer Bar eine Kopie der Stephanskrone zum Spaß trägt, verlässt er die Schweiz und zieht zurück nach Lopatyny, wo er aus dem Keller eine von einem jungen Bildhauer aus Sandstein gestaltete Büste von Franz Joseph hervorholt (geschaffen während eines Kurzbesuchs von Franz Joseph für ein Manöver) und zum Eingang seines Guthofs stellt. Morstin stirbt als belächelter Sonderling und wird mit dieser Büste begraben.

Die Tiefenschicht jedoch bildet der Gegensatz zwischen nationalem und übernationalem Denken. Roth scheidet nicht zwischen national und nationalistisch, mit Grillparzer sieht er das Nationale als Grundübel, die seine Wurzel in der Aufklärung hat: "Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität." Und in einem Einschub ist die Anspielung auf Hitler unmissverständlich geäußert:
Man hatte im neunzehnten Jahrhundert bekanntlich entdeckt, daß jedes Individuum einer bestimmten Nation oder Rasse angehören müsse, wollte es wirklich als bürgerliches Individuum anerkannt werden. »Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität«, hatte der österreichische Dichter Grillparzer gesagt. Man begann just damals mit der »Nationalität«, der Vorstufe zu jener Bestialität, die wir heute erleben. Nationale Gesinnung: Man sah um jene Zeit deutlich, daß sie der vulgären Gemütsart all jener entsprang und entsprach, die den vulgärsten Stand einer neuzeitlichen Nation ausmachen. Es waren Photographen gewöhnlich, im Nebenberuf bei der wußte, daß der Kaiser selbst zu den Manövern kommen würde. Um jene Zeit war der Graf Morstin nicht mehr jung, früh ergraut und hager, Junggeselle, ein Hagestolz, etwas seltsam in den Augen seiner robusteren Standesgenossen, ein wenig »komisch« und »wie aus einer anderen Welt«. Niemals hatte man in der Gegend eine Frau in seiner Nähe gesehn. Niemals auch hatte er den Versuch gemacht, sich zu verheiraten. Niemals hatte man ihn trinken gesehn, niemals spielen, niemals lieben. Er hatte keine andere sichtbare Leidenschaft als die, die »Nationalitätenfrage« zu bekämpfen. Um jene Zeit begann nämlich in der Monarchie diese sogenannte »Nationalitätenfrage« heftig zu werden. Alle Leute bekannten sich – ob sie wollten oder so tun mußten, als wollten sie – zu irgendeiner der vielen Nationen, die es auf dem Gebiete der alten Monarchie gab. Man hatte im neunzehnten Jahrhundert bekanntlich entdeckt, daß jedes Individuum einer bestimmten Nation oder Rasse angehören müsse, wollte es wirklich als bürgerliches Individuum anerkannt werden. »Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität«, hatte der österreichische Dichter Grillparzer gesagt. Man begann just damals mit der »Nationalität«, der Vorstufe zu jener Bestialität, die wir heute erleben. Nationale Gesinnung: Man sah um jene Zeit deutlich, daß sie der vulgären Gemütsart all jener entsprang und entsprach, die den vulgärsten Stand einer neuzeitlichen Nation ausmachen. Es waren Photographen gewöhnlich, im Nebenberuf bei der freiwilligen Feuerwehr, sogenannte Kunstmaler, die aus Mangel an Talent in der Akademie der bildenden Künste keine Heimat gefunden hatten und infolgedessen Schildermaler oder Tapezierer geworden waren, unzufriedene Volksschullehrer, die gerne Mittelschullehrer, Apothekergehilfen, die gerne Doktoren geworden wären, Dentisten, die nicht Zahnärzte werden konnten, niedere Post- und Eisenbahnbeamte, Bankdiener, Förster und überhaupt innerhalb jeder der österreichischen Nationen all jene, die einen vergeblichen Anspruch auf ein unbeschränktes Ansehen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft erhoben. Allmählich gaben auch die sogenannten höheren Stände nach. Und all die Menschen, die niemals etwas anderes gewesen waren als Österreicher, in Tarnopol, in Sarajevo, in Wien, in Brünn, in Prag, in Czernowitz, in Oderburg, in Troppau, niemals etwas anderes als Österreicher: sie begannen nun, der »Forderung der Zeit« gehorchend, sich zur polnischen, tschechischen, ukrainischen, deutschen, rumänischen, slowenischen, kroatischen »Nation« zu bekennen – und so weiter.
Der Kapitalismus und seine neureichen Vertreter sind die Wegbereiter zur nationalstischen Diktatur. Die Züricher Bar, in der es zum Streithandel kommt, wird für Roth zum Vexierbild der postaristokratischen kapitalistischen Gesellschaft der 1920er Jahre, die geradewegs in die Katastrophe führen wird. Die geschilderten Gestalten erscheinen wie jene auf den Gemälden von George Grosz.
Er sah in der Mitte der länglichen Bar eine größere, heitere Gesellschaft. Sein erster Blick verriet ihm, daß alle Typen, die er haßte, obwohl er bis jetzt keinem einzigen ihrer Vertreter näher begegnet war, an jenem Tisch vertreten waren: blondgefärbte Frauen in kurzen Röcken und mit schamlosen (übrigens häßlichen) Knien, schlanke und biegsame Jünglinge von olivenfarbenem Teint, lächelnd mit tadellosen Zähnen wie die Propagandabüsten mancher Dentisten, gefügig, tänzerisch, feige, elegant und lauernd, eine Art tückischer Barbiere; ältere Herren mit sorgfältig, aber vergeblich verheimlichten Bäuchen und Glatzen, gutmütig, geil, jovial und krummbeinig, kurz und gut: eine Auslese jener Art von Menschen, die das Erbe der untergegangenen Welt vorläufig verwalteten, um es ein paar Jahre später an die noch moderneren und mörderischen Erben mit Gewinn abzugeben.
Es ist die Gesellschaft, in der die vermeintliche Krone zum Spaß getragen wird.
Franz Xaver verstand zuerst keineswegs den Sinn dieses widerlichen Spektakels. Er empfand nur, daß die Gesellschaft aus würdelosen Greisen (betört von kurzgeschürzten Mannequins) bestand, aus Stubenmädchen, die ihren freien Tag feierten, aus Bardamen, die den Erlös für den Champagner und den eigenen Körper mit den Kellnern teilten, aus nichtsnutzigen Stutzern, die mit Frauen und Devisen handelten, breit wattierte Schultern trugen und flatternde Hosen, die wie Weiberröcke aussahen, ekelhaften Maklern, die Häuser, Läden, Staatsbürgerschaften, Reisepässe, Konzessionen, gute Ehepartien, Taufscheine, Glaubensbekenntnisse, Adelstitel, Adoptionen, Bordelle und geschmuggelte Zigaretten vermittelten. Es war die Gesellschaft, die in allen Hauptstädten der allgemein besiegten europäischen Welt, unwiderruflich entschlossen, vom Leichenfraß zu leben, mit satten und dennoch unersättlichen Mäulern das Vergangene lästerte, die Gegenwart ausbeutete und das Zukünftige preisend verkündete. Dies waren nach dem Weltkrieg die Herren der Welt.
Dass das allgemeine Wahlrecht als Übel gesehen wird, lässt sich aus der Zeit verstehen, in der es Ultranationalisten wie Hitler schafften, dieses zur Machtergreifung zu nutzen. Elaboriert sind diese Gedanken nicht, sondern eingebettet in einen Wutausbruch über Nationalisten:
Um diese Zeit ungefähr wurde auch das »allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht« in der Monarchie eingeführt. Graf Morstin haßte es, ebenso wie die moderne Auffassung von der »Nation«. Dem jüdischen Schankwirt Salomon Piniowsky, dem einzigen Menschen weit und breit, dem er einigermaßen Vernunft zutraute, pflegte er zu sagen: »Hör mich an, Salomon! Dieser ekelhafte Darwin, der da sagt, die Menschen stammten von den Affen ab, scheint doch recht zu haben. Es genügt den Menschen nicht mehr, in Völker geteilt zu sein, nein! – sie wollen bestimmten Nationen angehören. National – hörst du, Salomon?! – Auf solch eine Idee kommen selbst die Affen nicht. Die Theorie von Darwin scheint mir noch unvollständig. Vielleicht stammen aber die Affen von den Nationalisten ab, denn die Affen bedeuten einen Fortschritt. Du kennst die Bibel, Salomon, du weißt, daß da geschrieben steht, daß Gott am sechsten Tag den Menschen geschaffen hat, nicht den nationalen Menschen. Nicht wahr, Salomon?«
In vielem ist dieser Text immer noch höchst lesenswert und der Nationalismus hat nach wie vor nicht seine Attraktivität verloren. Die Frage, ob Grillparzers These nach wie vor ihre Gültigkeit besitzt, ist noch nicht beantwortet.

Nachdenklich stimmt nur der Personenbezug auf Franz Joseph. Die Verfassung der Habsburgmonarchie ab 1851 ist definitiv auf der Haben-Seite. Es gab freie Residenzwahl für alle Reichsbürger unabhängig ihrer Nationalität und Sklaven, die österreichischen Boden oder ein österreichisches Schiff betreten, sind frei. Ins Wanken kam die Monarchie mit der Priviligierung von Kern-Österreich und Ungarn 1867. Die Monarchie selbst wurde nationalistisch. Tschechen, Slowaken, Kroaten, Slowenen, Italiener, Polen, Ruthenen, Rumänen konnten durchaus das Gefühl erhalten, sie seien Reichsbürger zweiter oder dritter Klasse. Juden und Roma sind noch mal ein eigenes Rechtskapitel. Dies wird ebensowenig angesprochen (eher verklärt, siehe Eingangszitat, jedoch wiederum beschränkt auf die wahre Aristokratie) wie die Hauptverantwortung für den Ersten Weltkrieg von Franz Joseph, der darauf bestand, Serbien ein unzumutbares Ultimatum zu stellen, um einen Kriegsgrund zu haben, ohne einen zweiten Gedanken über die Bündnisimplikationen zu verlieren.


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11.10.2025 um 23:37
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Joseph Roth
Ich habe mal von Joseph Roth die Verfilmung von "Das falsche Gewicht" (ZDF 1971) gesehen, sehr gute Verfilmung und sehr gute Romanvorlage.


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12.10.2025 um 01:20
61pk2lcv8HL. SL1000


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12.10.2025 um 08:22

Katharina von Aragón
Alison Weir

Das tragische Leben der ersten Frau von König Heinrich VIII.

England, 1501: Im Alter von 16 Jahren kommt die spanische Prinzessin Katharina von Aragón nach England, zunächst um Prinz Arthur zu heiraten, der jedoch kurz darauf stirbt. Sofort wird sie mit dem Thronerben verlobt: Prinz Heinrich. Was zunächst nach einer glücklichen Vermählung aussieht, wird schnell zum Alptraum für die junge Frau.




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12.10.2025 um 12:51
Wolf Haas - Komm, süßer Tod

Haas-Tod

Das ist die dritte Kriminalkomödie von Wolf Haas mit Simon Brenner als Protagonisten aus 1998. Strukturell ist es ein klassischer Whodunnit, die Morde werden von dem ehemaligen Polizisten und ehemaligen Privatdetektiv, dem 47-jährigen Simon Brenner gelöst. Das Setting ist absurd: Die zwei Wiener Rettungsgesellschaften Kreuzretter (bei diesen arbeitet Brenner) und Rettungsbund befetzen sich um Einsatzfahrten, der Chef der Kreuzretter wird vor dem AKH mit seiner Freundin Irmi erschossen (die Kugel geht durch die Köpfe beider), ein Kreuzretterfahrer wird mit seinem Goldketterl erdrosselt. Brenner soll intern eigentlich nur ermitteln, ob die Konkurrenz ihren Funk abhört und ihnen Fahrten wegschnappt, doch er deckt dunkelste Machenschaften auf, die aber sowas von skurril sind.

Die Kreuzretter waren lange Zeit die Nummer Eins in Wien, aber der Rettungsbund holt mit politischer Unterstützung auf. Um an Spenden zu kommen, beginnen der Sohn des Chefs und Manfred Bimbo Groß, das ist der Fahrer mit dem Goldketterl, Testamente reicher, alter Patientinnen, die sie transportieren, zu manipulieren, damit die Kreuzretter als Erben eingesetzt werden. Da jedoch aufgrund der modernen Medizin immer weniger frühzeitig sterben, hilft Bimbo bei Zuckerkranken mit Zuckerinfusionen im Rettungswagen nach.

Einem Kollegen, der aussteigen will, rammt Bimbo einen Schraubenzieher durchs Auge, sodass er behindert ist, und dessen Freundin Irmi stellt weiter Nachforschungen an und wird von Bimbo erschossen (siehe oben). Dem Juniorchef, der mit Bimbo die Zuckermorde durchführt, wird dieser zu fordernd und erwürgt ihn mit dem Ketterl.

Showdown: Der Juniorchef will den behinderten Ex-Rettungsfahrer und Zeugen in einem kaputten Rettungswagen, dessen Abgase ins Innere des Krankenwagens strömen, ermorden. In einer Verfolgungsjagd rammt Brenner den Wagen vom Juniorchef, erstickt fast selbst in diesem kaputten Wagen, doch der Juniorchef wird von einem Abhörspezialisten (ehemaligen Spanner), der mit Brenner zusammenarbeitet, erschossen, womit der Fuß vom Gas geht.

Die Welt der Rettungsfahrer ist surreal. Viele spielen um hohe Beträge Poker. So wird Lanz, einem Fahrer, der bei Bimbo 1,5 Mio Schilling Spielschulden hat (heute ca. 200.000 Euro), der Mord angehängt und als Entschädigung überweist ihm nach dem Tod von Bimbo der Juniorchef inkognito diese Summe. Brenner, der den Job bei den Kreuzrettern einvernehmlich aufgibt, bekommt nach Lösung des Falls von Lanz ein Kuvert mit 50.000 Schilling (heute etwa 6.800 Euro).

Wie in Trivialromanen ist Vieles überzeichnet. Es gibt nicht nur Verfolgungsfahrten, sondern auch Schlägereien, sexuelle Anspielungen, derbe Sprache, auch der auktoriale Erzähler mischt sich mit Kommentaren und Leseransprachen (mit "du") ein. Zwischen Rettungsfahrern gibt es Wetten, wer bei einer Fahrt die meisten roten Ampeln überfährt. Der Einstieg in den Roman ist, dass Bimbo über einen Gehsteig brettert und eine Katze plättet (im Film wird es ein Hund sein).

Hier nun ein Textbeispiel, dass eine fahrlässige Tötung eines Patienten (hier eine offen gelassene Schiebetür) die gleichen Konsequenzen hat wie weiße Socken bei der dunklen Uniform:
Appell und Kommandoton und alles. Und wenn du zur Uniform keine schwarzen Socken angehabt hast: Todesstrafe.

Das ist so ein Ausdruck bei den Fahrern, wenn du strafweise für eine Woche zum Blutspendedienst aufs Land eingeteilt wirst.

Das ist heute noch die gefürchtete Todesstrafe. Aber heute kriegst du sie nur noch für schwere Vergehen, wie der Werkstättenchef, der vor ein paar Wochen beim 590er den kaputten Auspuff übersehen hat. Wo dann die Abgase zu dem Patienten in den Transportraum eingedrungen sind. Oder der Alkoholunfall vor zwei Jahren, wo der Hansi Munz einmal die Schiebetür nicht ordentlich zugemacht hat, und dann hat er bei der Autobahnauffahrt den Rollstuhl verloren, also samt Patient, aber der Munz hat es in seinem Dusel nicht bemerkt und ist weitergefahren. Der Patient Gott sei Dank auf der Stelle tot, aber der Hansi Munz natürlich ab ins Waldviertel und eine ganze Woche Blutspenden. Aber wie gesagt: Beim Alten hast du das schon für ein Paar helle Socken gekriegt.
Seit Kottan sind in Österreich Kriminalkomödien ein Renner, so ist auch dieser Roman im Jahr 2000 verfilmt worden. Hier der Trailer:

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12.10.2025 um 12:55
Also zunächst einmal : Ein bisschen mehr Begeisterung bitte! :D
Wolf Haas' Romane (auch die nicht-Krimis) sind großartig.
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:so ist auch dieser Roman im Jahr 2000 verfilmt worden
Haas muss man - mMn - lesen. Verfilmt bringt das nichts.


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12.10.2025 um 13:00
Zitat von GrouchoGroucho schrieb:Haas muss man - mMn - lesen
Ganz deiner Meinung, das komplette Schmähfeuerwerk, die Anspielungen auf Bachs Matthäuspassion etc. wird durch die Verfilmung flacher. Aber die Tantiemen für die Filmrechte gönne ich ihm aber schon ;)


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12.10.2025 um 13:06
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Aber die Tantiemen für die Filmrechte gönne ich ihm aber schon
Aber auf jeden Fall, möge er ordentlich abgesahnt haben.
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Ganz deiner Meinung, das komplette Schmähfeuerwerk, die Anspielungen auf Bachs Matthäuspassion etc. wird durch die Verfilmung flacher.
Eben.
Denn das ist es, was die Brenner Krimis für mich ausmachen, die Krimihandlung selbst ist mir dabei ziemlich egal.
Es ist einfach die Sprache, der Witz, die grandiose Erzählerfigur.

Und in seinen nicht-Krimis das Spiel mit Erzählformen.

Mit Ausnahme von "Eigentum" (den ich recht schwach fand und nicht mal zu Ende gelesen habe) kann ich das ganze Werk von Haas nur empfehlen.


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17.10.2025 um 14:07
Du bist ja scheinbar ne richtige Leseratte, @Narrenschiffer
:-)
An diesr Stelle mal Danke (und Respekt!) für deine ausführlichen Rezensionen hier.


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17.10.2025 um 18:08
Monika Helfer - Schau mich an, wenn ich mit dir rede

Helfer-Schau

Die Vorarlberger Schriftstellerin Monika Helfer erzählt in diesem 2017 erschienenen Roman eine Fiktion in einer Fiktion. Die Ich-Erzählerin sieht in der U-Bahn eine etwas derangiert aussehende Mutter mit ihrer Tochter, beide einen Roller habend, und die Mutter schnauzt das Kind permanent an: "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!" Daraufhin spintisiert sie die Verhältnisse, in denen die beiden leben.

Das Mädchen tauft sie Genoveva, genannt Vev, die Mutter, Sonja, ist geschieden und auf Tabletten und Alk. Sie sieht ihre Tochter einmal im Monat, diese lebt bei ihrem Vater (Milan) mit dessen neuen Freundin Natalie und deren beiden Töchtern. Sonja selbst hat einen neuen Freund mit Geld und einer großen Mietwohnung, für die er praktisch nichts bezahlt, und der sich The Dude nennt. Vevs leiblicher Vater ist schwul und lebt nun mit seinem Freund zusammen. Er spielt aber in diesem Roman keine Rolle.

Der Roman schweift hin und her zwischen den vier Erwachsenen und Vev, die mit einem von The Dude geschenkten Hund einmal ausreißen will. Von den Erwachsenen ist eigentlich nur eine eigenständig überlebensfähig, Natalie als Krankenschwester. Milan lebt von Zuwendungen seiner reichen Eltern und The Dude erpresst einen Baumeister. Aufgewachsen ist er nach dem Unfalltod seiner Eltern bei einer reichen Tante. Sonja ist sowieso von der Rolle und auf Psychopharmaka.

Außer dem Fluchtversuch von Vev und einer Affäre Natalies mit einem jungen Kardiologen am Behandlungstisch, da sie wie ihre Freundin Eva noch ein Kind will, aber Milan nicht mehr, passiert nichts. Die bei Erscheinen des Buchs 70-jährige Autorin zeichnet ein Bild von der um 1975 herum geborenen First World-Generation, das desolater nicht sein kann. Empathie für diese Figuren kann kaum intendiert sein, die sind einfach sowas von uninteressant, langweilig und weltfremd. Die Widmung zu Beginn: "für meine Familie". Ist das bösartig gemeint? Wer weiß das schon.


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17.10.2025 um 19:51
@Befen
Das klingt interessant, wie ist es?


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18.10.2025 um 09:02
@philae

Vielen Dank für deine netten Worte.

Und ja, ich lese seit Ewigkeiten gerne und da ich wegen der Fülle oft auch vergesse, was ich gelesen habe, ist die Möglichkeit, hier ein Lesetagebuch zu schreiben, einfach super für mich. Falls mal was dabei ist, was andere interessieren könnte, umso besser. Und ich habe mir hier im Thread schon so einige Anregungen für meine Leseliste geholt (obwohl: ich kaufe mir eh zu viele E-Books, früher waren es Papierbücher - da steht noch so manches ungelesen rum).


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18.10.2025 um 14:05
Picknick am Wegesrand von A. und B. Strugazki
Ein SciFi Klassiker, ich finds aber eins von den schlechteren Strugazki Büchern. Bekannt wurde das Werk vor allem durch Tarkowskis "Stalker" Film.

Sehr gut ist die Grundidee, dass die Erde von Aliens besucht wurde, und die Erde befindet sich nach wie vor in einem Schockzustand. Die Zonen, die Gebiete der Erde, wo die Aliens ihre Artefakte zurückgelassen haben, sind mystische Gebiete wo teilweise die physikalischen Gesetze außer Kraft sind. Die Artfefakte sind quasi Reliquien von Gottheiten die sie auf der Erde zurückgelassen haben, die Artefakte haben magische Fähigkeiten.

Damit greift das Buch das typisch Sensationelle von vielen SciFi Werken auf und verbindet es mit dem Mystizismus der nach wie vor in Russland zuhause ist. Allerding ist es relativ konfus geschrieben, so dass ich das Buch nur überflogen habe. Der Film von Tarkowski ist viel klarer. Ganz anders ist es bei Tarkowskis Verfilmung von Solaris von Stanislaw Lem. Da ist der Roman sehr gelungen geschrieben, dafür ist die Verfilmung von Tarkowski konfus.


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18.10.2025 um 14:44
Daniel Kehlmann - Ruhm

Kehlmann-Ruhm

Dieser Roman in neun losen Geschichten hat Daniel Kehlmann 2009 veröffentlicht.

Die Klammer ist ein berühmter Schauspieler namens Ralf Tanner, dessen Telefonnummer durch einen Fehler in der Rufnummervergabeabteilung einer Mobilfunkfirma einem gewissen Ebling zugeteilt wurde und der sich immer mehr den Spaß macht, alle möglichen Leute, die Tanner kontaktieren wollen, zu verprellen. So zerbrechen nicht nur dessen Liebschaften, sondern auch Aufträge. Kehlmann treibt es so weit, dass schließlich ein Double in Tanners Villa einzieht und der echte Tanner - vom Personal nicht mehr erkannt - vertrieben wird und unter einem anderen Namen in eine heruntergekommene Wohnung einzieht.

In einer Nebengeschichte werden die Leute der Mobilfunkabteilung aufs Böseste karikiert. Alle in der Abteilung unterstellen einander Nichtstun, und als der Chef wegen einer privaten Affäre und eines Doppellebens mit Familie und Geliebter nicht an einem internationalen Kongress zur Rufnummernvereinheitlichung teilnehmen kann und alle anderen aus persönlichen Gründen absagen, fährt ein adipöses Abteilungsmitglied zum Kongress, der null arbeitet und sein Leben als süchtiger Internettroll in Foren verbringt.

Die zweite Hauptfigur ist der alte Schriftsteller Leo Richter, der mit einer Ärztin von Ärzte ohne Grenzen auf Mittelamerikatour in die deutschen Kulturinstitute unterwegs ist (Klammer zu Tanner: Ein in einer Stadt übergroßes Filmplakat mit dessen Foto). Er ist feige und bricht wegen der Unzulänglichkeiten der Organisation wie seiner Flugangst die Vortragstournee ab und bittet die Kriminalautorin Maria Rubenstein statt seiner einen Vortrag in Tadschikistan zu übernehmen. Diese nimmt an und in der beklemmendsten Geschichte wird erzählt, wie sie, da Richter auf der Reiseliste steht, in einem verlassenen Provinzhotel für eine Nacht untergebracht und vergessen wird. Da ihr Visum abgelaufen ist, wirft die Polizei sie auf die Straße, nachdem sie von den Polizisten ausgeraubt worden ist. Kontakt zu irgendeiner Botschaft ist nicht möglich: der Handyakku ist wegen eines vergessenen Ladekabels leer und schließlich hat sie keines mehr. Auf dem Markt wird sie von einer Bauernfamilie, die ihr Essen gibt, auf deren Hof genommen und als Magd versklavt. Die Romane der Verschollenen werden in Deutschland Bestseller. Mann und Kinder scheinen auch nichts zu unternehmen, Maria zurückzuholen.

Eingefügt sind zwei Erzählungen von Richter (Fiktion in der Fiktion). Eine Geschichte handelt von einer alten Frau, Rosalie, mit tödlichem Bauchspeicheldrüsenkrebs, die in einer Schweizer Sterbehilfeanstalt den Freitod wählt. Rosalie hadert mit dem Erzähler, der doch eingreifen und sie gesund machen könne. Gesagt, getan. Rosalie ist wieder 20, verlässt die schäbige Sterbehilfewohnung und verschwindet aus der Erzählung. Der Tod einer fiktiven Figur. Die andere Geschichte hat Richter als Hauptfigur. Er ist tapfer und fliegt mit der Ärztin, die mit seiner Romanfigur Lara Gaspard verschmilzt, in ein afrikanisches Regenwaldgebiet, das von Bürgerkriegsmilizen kontrolliert wird.

Eine weitere Figur ist der weltbekannte esoterische Lebensberatungsschriftsteller Miguel Auristos Blancos, von vielen der Figuren im Roman gern gelesen. Sein Leben steht diametral seinen Texten gegenüber. Er lebt nicht in Einklang mit der Natur, sondern in einem Penthouse mit Swimming Pool in Rio de Janeiro. Im Laufe eines Mail-Wechsels mit einer Äbtissin überkommen ihn Selbstmordgedanken. Es bleibt offen, ob er diese umsetzt. Seine geäußerten Gedanken über Gott und das Leiden und dass der Menschheit nur das Lügen helfe, seien die "Auslöschung seines Lebenswerks".

Die thematische Klammer von Identität und Identitätsverlust bis hin zur Identitätsauslöschung wird existenzialistisch, wenn Kehlmann Leo Richter dies äußern lässt:
«Wir sind immer in Geschichten.» Er zog an der Zigarette, der Glutpunkt leuchtete rot auf, dann senkte er sie und blies Rauch in die warme Luft. «Geschichten in Geschichten in Geschichten. Man weiß nie, wo eine endet und eine andere beginnt! In Wahrheit fließen alle ineinander. Nur in Büchern sind sie säuberlich getrennt.»
Kehlmann kann schreiben und dieser Text ist aufgrund seiner Verschränktheit und dem hohen Niveau der Einzelgeschichten definitiv lesenswert.


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