Literatur
Menschen Wissenschaft Politik Mystery Kriminalfälle Spiritualität Verschwörungen Technologie Ufologie Natur Umfragen Unterhaltung
weitere Rubriken
PhilosophieTräumeOrteEsoterikLiteraturAstronomieHelpdeskGruppenGamingFilmeMusikClashVerbesserungenAllmysteryEnglish
Diskussions-Übersichten
BesuchtTeilgenommenAlleNeueGeschlossenLesenswertSchlüsselwörter
Schiebe oft benutzte Tabs in die Navigationsleiste (zurücksetzen).

Welches Buch lest ihr gerade?

7.589 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

02.12.2025 um 16:11
@Groucho
Für mich das zweitbeste Buch, das King je geschrieben hat. Und eine augenzwinkernd Hommage an Stoker.
Und genau diese "altmodische" Übersetzung macht viel vom Reiz aus. Eine moderne Übersetzung würde mich enttäuschen. Generell mag ich es, wenn sich in Büchern nicht zu modern ausgedrückt wird. Es liest sich dann angenehmer.
Die Lovecraft Hommage Jerusalems Lot baut auch auf Brennen muss Salem auf.


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

02.12.2025 um 16:44
Zitat von abberlineabberline schrieb:Für mich das zweitbeste Buch, das King je geschrieben hat
Kommt bei mir bislang nicht mal in meine Top 5
Zitat von abberlineabberline schrieb:Generell mag ich es, wenn sich in Büchern nicht zu modern ausgedrückt wird. Es liest sich dann angenehmer.
Gut, das ist so natürlich erstmal Geschmackssache.
Vielleicht habe ich da was überlesen und der Roman spielt in den 50erJahren, dann passt die Sprache ja auch.
Aber ich habe es so gesehen, dass der in den späten 70ern spielt, also zu der Zeit, als King ihn geschrieben hat und zu der Zeit passt die Sprache nicht so richtig.


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

02.12.2025 um 16:57
Zitat von GrouchoGroucho schrieb:nicht mal in meine Top 5
Es steht weit vorne, da für mich auf einer Stufe mit Klassikern der Weltliteratur unterschiedlichster Richtungen. Zwischen Hesse, Eco, Stevenson oder Grimmelshausen.
In die Kampfklasse stieß King für mich auch einmal auf. Begründung wär zu lang. Großartige Geschichte über das Erwachsen werden, brilliante Beobachtung der durchschnittlichen US Bevölkerung, samit ihrer Art zu sprechen uswusw.

Das zweitliebste (ich kenne nicht alle Bücher von ihm) ist halt Salem als Stoker Tribut. Quasi als 70er US Version
Und auf Platz drei landet Christine, weil es einfach nur ein cooles Rock'n' Roll Buch ist und eine so schön überdreht, romantische Geschichte erzählt.
Und dazu muss man laut "Town without pity" und sowas hören.
Platz vier schafft Nachtschicht.

Gar nichts anfangen konnte ich mit dem Kuscheltier Friedhof. Da fand ich nur den Ramones Song aus dem Film klasse

Auf meiner Liste steht noch Dead Zone als Buch, da kenn ich nur den Film


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

04.12.2025 um 16:15
James Krüss - Timm Thaler

Kruess-Timm Thaler

1962 wurde dieser Erfolgsroman des Kinder- und Jugenbuchautors James Krüss veröffentlicht. Dieser lehnt sich stark an Erzählmethoden des 19. Jahrhunderts an. Die Hauptgeschichte ist eine Binnenerzählung und die Idee ist Chamissos Peter Schlemihl nachgestaltet, der auch referenziert wird. Der Rahmen spielt zur Nachkriegszeit in Leipzig und der Erzähler schreibt eine von seinem Freund Timm erzählte Geschichte eines Timm Thaler auf. Verknüpft werden beide Erzählungen durch einen mysteriösen Mann, der Wesenszüge des Teufels trägt und in der Binnenerzählung unter dem Namen Lefuet (umgedreht "Teufel") einer der Hauptcharaktere ist.

Timm Thaler wächst in den 1920er Jahren in einer mitteldeutschen Stadt bei seinem Vater sowie seiner Stiefmutter und seinem Stiefbruder auf. Letztere sind ihm nicht wohlgesonnen, sein Vater verbringt als Arbeitsloser viel Zeit auf der Pferderennbahn, wo er jedoch mehr verliert als gewinnt. Nach dem Tod des Vaters geht Timm einem Mann nach, der ihn auf der Pferderennbahn angesprochen hat. Dieser Baron Lefuet bietet ihm an, sein gewinnbringendes Lachen gegen die Fähigkeit zu tauschen, jede Wette zu gewinnen.

Zu Beginn bereitet Timm diese neue Fähigkeit ungemein Spaß und er zieht nach Hamburg, um sich einen Traum zu erfüllen: zur See zu fahren. Auf einem Fracht-Passagierschiff wird er Steward und freundet sich mit anderen Schiffsarbeitern an. Darunter ein Kreschimir, der dem Baron seine Augen verkauft, aber sein Geld verloren hat. Kreschimir erahnt, dass Timm einen Vertrag mit Lefuet abgeschlossen hat, bei dem er sein Lachen hergegeben hat. Timm selbst vermisst sein Lachen immer mehr und setzt sich das Ziel, eine Wette zu verlieren, was aber unmöglich ist (im Roman sind zwei skurrile Beispiele angeführt: fliegende Straßenbahnen in Genua als Fata Morgana, eine weitere Straßenbahn, die ein Ziel ansteuert, das nicht auf ihrer Strecke liegt).

Gesteigert wird das Wettniveau schließlich, als Timm wettet, binnen kürzester Zeit der reichste Mann der Welt zu sein. Der Baron stirbt, setzt den 16-jährigen Timm als Erben und seinen Bruder (der er selbst ist) als Vormund ein. Nun ist Timm unter der Fuchtel des Barons, reist mit ihm zu seinem Schloss bei den Teufelsanbetern im Irak (das sind wohl die Jesiden) und geht auf Weltreise.

Zurück in Hamburg trifft er sich heimlich mit seinen Freunden. Mit Kreschimir kann er nun die einfachste Wette abschließen, da dieser sein Geheimnis kennt: Timm wettet, dass er sein Lachen zurückerhält. Damit verliert er zwar sein Vermögen, hat aber zuvor bereits eine Hamburg-Helgoland-Reederei gekauft, die er seinen Freunden schenkt, und sich selbst ein Marionettentheater erworben.

Die Botschaft ist zwiespältig. Einerseits wird der eigensinnige Kapitalismus in der Gestalt von Lefuet kritisiert, andererseits ein Loblied auf eine glücklichmachende Armut gesungen. Aber vielleicht ist es dieser doppelte Aspekt, warum der Roman 1981 in der Sowjetunion verfilmt wurde.

Und heutzutage: Eine Welt der herrschenden Oligarchen ist nicht mehr so unaktuell. Auch ist der Roman flott und durchaus spannend geschrieben. Unter Ausklammerung der Armutsverherrlichung (sowas ging wohl nur in der Wirtschaftwunderzeit) ist der Roman definitiv gut gealtert und nach wie vor lesenswert.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

04.12.2025 um 16:52
Michael Köhlmeier - Sunrise

Koehlmeier-Sunrise

In dieser Novelle Michael Köhlmeiers aus 1994 feiert Tepls Der Ackermann und der Tod seine Wiederaufestehung. Gestaltet ist sie als Binnenerzählung. Während der Ich-Erzähler und sein Freund/wasauchimmer Richard versuchen, ein Auto zu stoppen, wird per Los entschieden, wer zum Zeitvertreib eine Geschichte erzählt. Es trifft Richard und dieser erzählt eine Geschichte aus Los Angeles von dem obdachlosen etwa fünfzigjährigen Trinker Leo Pomerantz und der etwa zwanzigjährigen Stripperin Rita Luna.

Als Leo den Hollywood Boulevard überquert und ein Fahrzeug übersieht, wirft der personifizierte Tod seine Sichel, trifft aber die aus einem Café kommende Rita in die Brust. Der Tod hält nun für eine Stunde die Zeit an und lässt beiden 20 Minuten Redezeit für ein Plädoyer, warum gerade sie selbst nicht sterben sollen. Danach wolle er entscheiden.

Leo erzählt eine Geschichte aus seiner Kindheit, als er seinen Onkel Leonhard bewundert und dessen Freundin Rosa-Linda so geliebt habe, dass er seiner Mutter Geld gestohlen habe, um ihr eine Handtasche aus Krokodilleder kaufen zu können. Und als diese am Ende eines Weihnachtsbesuchs selbst das Haus seiner Eltern ausgeräumt hat, übernimmt er die Schuld. Rita erzählt die Geschichte von ihrem mexikanischen Freund, den sie beim AIDS-Test in einem Krankenhaus kennengelernt hat, dem sie hörig ist, der dauernd droht, sich umzubringen, für den sie sich selbst schon einmal die Pulsadern aufgeschnitten hat.

Am Ende der Erzählungen ist der Tod unschlüssig. Der Ich-Erzähler meint zu Richard, dass der Tod beiden ein Jahr Frist geben solle, bis ein "Schlaukopf" käme. Mit den Worten "und alles wird genau so geschehen, wie du es erzählt hast – Schlaukopf!" holt Richard aus und wirft eine Sichel nach dem Ich-Erzähler.

Hier wird nicht mehr über die Sinnhaftigkeit des Todes diskutiert wie im Ackermann von Böhmen, hier ist der Tod absurd. Es gibt keine Begründung für den Tod. Leo und Rita reden komplett an der Fragestellung vorbei, sie verteidigen sich nicht. Der Tod ist bedeutungsloser Zufall.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

04.12.2025 um 17:28
Bertolt Brecht - Der gute Mensch von Sezuan

Brecht-Sezuan

Dieses Stück schrieb Bertolt Brecht zwischen 1938 und 1940. Die Kernfrage ist, ob der Einzelne in der Lage ist, das Leid der Armen zu lindern. Beantwortet wird sie mit einem klaren Nein ("Das Unglück besteht darin, daß die Not in dieser Stadt zu groß ist, als daß ein einzelner Mensch ihr steuern könnte."), andererseits wird eine Lösungsmöglichkeit offen gelassen. "Den Vorhang zu und alle Fragen offen", heißt es im Epilog.

Strukturell zeigt Brecht die Unmöglichkeit an der Verdoppelung der Figur Shen Te/Shui Ta. Shen Te ist Prostituierte und die einzige, die den in die Stadt auf Inspektion kommenden drei alten Göttern Unterkunft anbietet. Als Dank erhält sie 1000 Silberdollar, für die sie ein Tabakgeschäft kauft, das aber aufgrund der armen Klientel (Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter) so wenig abwirft, dass sie die horrende Miete für den Laden und den Tischler für die Regale nicht bezahlen kann. Auch quartiert sich die alte Besitzerin mit ihrer Großfamilie ein, die verlangen, durchgefüttert zu werden. Shen Te hilft nicht nur ihnen, sondern stellt auch noch jeden Tag Reisschüsseln für weitere Arme vor die Tür. Ihre eigenen Verbindlichkeiten schuldet sie um. Auch in der Liebe hat sie kein Glück. Der junge Flieger, den sie liebt, ist ein Hochstapler und Halodri, der es auf ihr Geld abgesehen hat und sie schwängert, und ihr zweiter Verehrer ist der reiche alte Bäcker, bei dem sie verschuldet ist.

Enter Shui Ta. Er gibt sich als Vetter von Shen Te aus, wirft die Bettelnden raus, errichtet in den Baracken des Bäckers eine illegale Tabakmanufaktur, in der Arme und Obdachlose für einen Hungerlohn und eine enge, feuchte Unterkunft malochen. Mit dem Rayonspolizisten stellt er sich gut. Vor Gericht kommt er, da er verdächtigt wird, Shen Te gefangenzuhalten oder gar ermordet zu haben.

Vor Gericht, das die drei Götter bilden, gibt Shui Ta unter Ausschluss der Öffentlichkeit seine wahre Persönlichkeit preis (was das Publikum eh schon weiß): Er ist die verkleidete Shen Te. Es sei unmöglich gut zu sein und dennoch zu leben. "Gute Taten, das bedeutet Ruin!", sagt sie einmal als Shui Ta. Daher ihr Doppelspiel, dem auch die Hochzeit mit dem Flieger zum Opfer fiel: Da Shui Ta bei der Hochzeitsfeier war, konnte die Braut Shen Te nicht kommen.

Strukturell zieht Brecht in diesem Stück alle Register seiner Theorie vom epischen Theater. Was aber auch zur Folge hat, dass es nach beinahe 80 Jahren manchmal staubtrocken wirkt. Die Figuren scheinen nicht aus Fleisch und Blut zu sein, sie wirken wie Sprechpuppen, auch wenn das Dargestellte nichts an Brisanz verloren hat.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

06.12.2025 um 21:50
Thomas Mann - Der Tod in Venedig

Mann-Venedig

Thomas Mann hat als 36-Jähriger diese Novelle 1911 nach einem Venedig-Aufenthalt geschrieben. Der Plot ist schnell geschrieben. Der gut 50-jährige Künstler Gustav von Aschenbach reist von München nach Venedig, wo er an Cholera stirbt.

Doch dies ist nicht der Kern der Erzählung. In die etwa 100 Seiten sind Reflexionen über das Künstlerdasein, einen europäischen Charakter, über das Verhältnis von Schönheit und Eros, aber auch beißende Kritik an den Auswirkungen einer vom Tourismus abhängigen Wirtschaft gepackt. Hinzu kommt eine fast tranceartige Sprache.

Aschenbach ist ein Charakter, der sich durch strikte Disziplin seine Kunstwerke und Texte abringt, was sich auch in seinem Lebensrhythmus spiegelt. Außer den Sommermonaten, die er in einem Bergdomizil verbringt, lebt er nach einem strikten Rhythmus arbeitend in München. Sie ist für ihn "starrer, kalter und leidenschaftlicher Dienst".
Aschenbach hatte es einmal an wenig sichtbarer Stelle unmittelbar ausgesprochen, daß beinahe alles Große, was dastehe, als ein Trotzdem dastehe, trotz Kummer und Qual, Armut, Verlassenheit, Körperschwäche, Laster, Leidenschaft und tausend Hemmnissen zustande gekommen sei.
An einer Stelle vergleicht er sich mit einem Soldaten:
Auch er hatte gedient, auch er sich in harter Zucht geübt; auch er war Soldat und Kriegsmann gewesen, gleich manchen von ihnen,—denn die Kunst war ein Krieg, ein aufreibender Kampf, für welchen man heute nicht lange taugte. Ein Leben der Selbstüberwindung und des Trotzdem, ein herbes, standhaftes und enthaltsames Leben, das er zum Sinnbild für einen zarten und zeitgemäßen Heroismus gestaltet hatte,—wohl durfte er es männlich, durfte es tapfer nennen.
An Reisen denkt er nicht und Mann erhebt ihn zum Sinnbild einer "europäischen Seele":
Er hatte, zum mindesten seit ihm die Mittel zu Gebote gewesen wären, die Vorteile des Weltverkehrs beliebig zu genießen, das Reisen nicht anders denn als eine hygienische Maßregel betrachtet, die gegen Sinn und Neigung dann und wann hatte getroffen werden müssen. Zu beschäftigt mit den Aufgaben, welche sein Ich und die europäische Seele ihm stellten, zu belastet von der Verpflichtung zur Produktion, der Zerstreuung zu abgeneigt, um zum Liebhaber der bunten Außenwelt zu taugen, hatte er sich durchaus mit der Anschauung begnügt, die heute jedermann, ohne sich weit aus seinem Kreise zu rühren, von der Oberfläche der Erde gewinnen kann, und war niemals auch nur versucht gewesen, Europa zu verlassen.
Es ist die Beobachtung anderer Menschen, die Aschenbach aus seinem Leben reißt, ihn reisen und kontemplativ werden lässt. In München ist es die Anschauung eines rothaarigen Mannes keltischen Typs in einem Park, die in ihm den Entschluss reifen lässt zu reisen. Zunächst über Triest nach Istrien und schließlich nach Venedig.

In Venedig ist er fasziniert von einem 14-jährigen adeligen polnischen Jungen, dessen Schönheit er für antik ideal hält. Aschenbach kann nicht anders, als ihn ständig zu beobachten. Zunächst am Strand, und schließlich folgt er der polnischen Familie auf ihren Spaziergängen. Mann postuliert, dass bei Künstlern und Schriftstellern bei der Betrachtung von schönen Menschen es nicht bei der Anschauung bleibt, sondern immer der Eros hinzukommt, weswegen Künstler als Erzieher nicht in Frage kommen dürfen. Sein Zeuge ist Sokrates' Gespräch mit Phaidros:
"Denn die Schönheit, Phaidros, merke das wohl! nur die Schönheit ist göttlich und sichtbar zugleich, und so ist sie denn also des Sinnlichen Weg, ist, kleiner Phaidros, der Weg des Künstlers zum Geiste. Glaubst du nun aber, mein Lieber, daß derjenige jemals Weisheit und wahre Manneswürde gewinnen könne, für den der Weg zum Geistigen durch die Sinne führt? Oder glaubst du vielmehr (ich stelle dir die Entscheidung frei), daß dies ein gefährlich-lieblicher Weg sei, wahrhaft ein Irr-und Sündenweg, der mit Notwendigkeit in die Irre leitet? Denn du mußt wissen, daß wir Dichter den Weg der Schönheit nicht gehen können, ohne daß Eros sich zugesellt und sich zum Führer aufwirft; ja, mögen wir auch Helden auf unsere Art und züchtige Kriegsleute sein, so sind wir wie Weiber, denn Leidenschaft ist unsere Erhebung, und unsere Sehnsucht muß Liebe bleiben,—das ist unsere Lust und unsere Schande. Siehst du nun wohl, daß wir Dichter nicht weise noch würdig sein können? Daß wir notwendig in die Irre gehen, notwendig liederlich und Abenteurer des Gefühles bleiben? Die Meisterhaltung unseres Styls ist Lüge und Narrentum, unser Ruhm und Ehrenstand eine Posse, das Vertrauen der Menge zu uns höchst lächerlich, Volks-und Jugenderziehung durch die Kunst ein gewagtes, zu verbietendes Unternehmen."
Bei einem seiner Spaziergänge wird Aschenbach eines strengen Karbol-Geruchs gewahr. Alle Venezianer, die er befragt, antworten einmütig in beinahe identischem Wortlaut, dass dies nur eine polizeiliche Vorsichtsmaßnahme sei, um den Gefahren der Hitze und des Scirocco vorzubeugen. Aschenbach wird hellhörig, und ein Angestellter in einem englischen Reisebüro eröffnet ihm die Wahrheit: Venedig werde von einer Choleraepidemie heimgesucht, die 80 Prozent der Angesteckten dahinraffe. Die Behörden versuchen, dies zu vertuschen, um den Fremdenverkehr nicht zusammenbrechen zu lassen.
Das war Venedig, die schmeichlerische und verdächtige Schöne, - diese Stadt, halb Märchen, halb Fremdenfalle, in deren fauliger Luft die Kunst einst schwelgerisch aufwucherte und welche den Musikern Klänge eingab, die wiegen und buhlerisch einlullen. Dem Abenteuernden war es, als tränke sein Auge dergleichen Üppigkeit, als würde sein Ohr von solchen Melodien umworben; er erinnerte sich auch, daß die Stadt krank sei und es aus Gewinnsucht verheimliche.
Den Tod ereilt Aschenbach am Strand, als er das letzte Mal den polnischen Jungen beobachtet, dessen Familie am selben Tag abreisen wird. Angesteckt hat er sich mit dem Verzehr von überreifen Erdbeeren, die er auf einem Marktstand gekauft hat.

Die hohe Sprachkunst dieser Erzählung sei an einem Traum wiedergegeben, der Aschenbach in München nach der Ansicht des Fremden im Park dazu verleitet, die Reise anzutreten:
Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Er sah nämlich, als Beispiel gleichsam für alle Wunder und Schrecken der mannigfaltigen Erde, die seine Begierde sich auf einmal vorzustellen trachtete,—sah wie mit leiblichem Auge eine ungeheuere Landschaft, ein tropisches Sumpfgebiet unter dickdunstigem Himmel, feucht, üppig und ungesund, eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen. Die flachen Eilande, deren Boden mit Blättern, so dick wie Hände, mit riesigen Farnen, mit fettem, gequollenem und abenteuerlich blühendem Pflanzenwerk überwuchert war, sandten haarige Palmenschäfte empor, und wunderlich ungestalte Bäume, deren Wurzeln dem Stamm entwuchsen und sich durch die Luft in den Boden, ins Wasser senkten, bildeten verworrene Waldungen. Auf der stockenden, grünschattig spiegelnden Flut schwammen, wie Schüsseln groß, milchweiße Blumen; Vögel von fremder Art, hochschultrig, mit unförmigen Schnäbeln, standen auf hohen Beinen im Seichten und blickten unbeweglich zur Seite, während durch ausgedehnte Schilffelder ein klapperndes Wetzen und Rauschen ging, wie durch Heere von Geharnischten; dem Schauenden war es, als hauchte der laue, mephitische Odem dieser geilen und untauglichen Öde ihn an, die in einem ungeheuerlichen Zustande von Werden oder Vergehen zu schweben schien, zwischen den knotigen Rohrstämmen eines Bambusdickichts glaubte er einen Augenblick die phosphoreszierenden Lichter des Tigers funkeln zu sehen—und fühlte sein Herz pochen vor Entsetzen und rätselhaftem Verlangen. Dann wich das Gesicht



melden

Welches Buch lest ihr gerade?

07.12.2025 um 16:22
Heute angefangen mit "Der Heimweg" von Sebastian Fitzek.


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

08.12.2025 um 12:52
Zitat von nairobinairobi schrieb:Heute angefangen mit "Der Heimweg" von Sebastian Fitzek.
Hatte ich vor ca. einem Jahr gelesen.

Fitzek geht immer.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

09.12.2025 um 00:40
91oX9Uxms6L. SL1500

81Eomy94QCL. SL1500


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

11.12.2025 um 15:00
Wolf Haas - Der Brenner und der liebe Gott

Haas-Brenner Gott

Wolf Haas greift 2009 mit dem siebenten Brenner-Roman wieder in die Vollen. Der allwissende Erzähler tobt sich sprachlich aus und spricht immer wieder die Lesenden an, deutet an, was geschehen wird, ohne das Eigentliche zu verraten. Das Setting spielt im Wiener Baumeistermilieu, der Baumeister selbst ist im Blutrausch und versenkt alle, die seinem Erfolg im Weg stehen könnten, in der Sickergrube seines Kitzbüheler Anwesens. Seine Muskelmänner und Mörder sind der Sicherheitschef und der Bauleiter seines Bauunternehmens. Aus dem Weg geräumt werden unter anderem der bestochene hohe Wiener Beamte, der noch dazu der wirkliche Vater seines Kindes ist, und der Chef der Anti-Abtreibungsgruppe Pro Leben, der Dauerproteste gegen die Abtreibungsklinik seiner Frau organisiert und auch gegen den Bau eines Vergnügungszentrums im Wiener Prater vehement intrigiert.

Und der Ex-Polizist Brenner? Der ist Chauffeur der Baumeister-Abtreibungsklinik-Familie und kutschiert zumeist deren zweijährige Tochter zwischen Wien und Kitzbühel, und bei einer Fahrt wird sie auf einer Tankstelle aus dem Auto entführt. Brenner ist komplett überfordert und außer Rand und Band, sodass er nicht mal die Polizei informiert. Was ihn aber nicht davon abhält, selbst zu ermitteln, und dabei kommt er den dunklen Machenschaften des Baumeisters auf die Spur. Den Täter findet er aber weder in der Baumafia noch bei den Abtreibungsfanatikern, sondern es ist eine skurrile reiche und junge in Wien lebende Südtirolerin. Sie schnappt sich das Mädchen, da es ihr im heißen Auto leid tut, und nimmt es einfach in ihre Wohnung mit. Brenner löst den Fall, da er auf die Südtirolerin steht, die er im Überwachungsvideo sieht, und von ihr in die Wohnung eingeladen wird.

Der Roman ist so überkandidelt geschrieben, dass er mehr eine Comic-Persiflage als an einen Kriminalroman oder gar Thriller erinnert. Seitenweise wird ausgemalt, wie jemand in einer Sickergrube ersäuft, nicht ohne satirische Kommentare, die einfach nicht mehr ernst genommen werden können. Ernste Themen gehen da gleich mit unter. Und passend das Ende: Der Baumeister wird durch einen gezielten Kopfschuss getötet, als er Brenner in der Wohnung der Südtirolerin sein Jagdgewehr an den Kopf setzt. Der lakonisch nihilistische Erzählerkommentar:
Rein vom Universum her gesehen macht es keinen Unterschied, ob der Kressdorf abdrückt oder nicht, das ist kein größerer Unterschied als meinetwegen, ist es ein Ficus Benjamin, wo der Schlüssel versteckt, als die Frage, ist der Schlüssel vom Mister Minit oder von der Schlüsselzentrale, das ist dem Universum alles absolut egal, und ist der Brenner mit Loch oder ohne Loch im Kopf, stirbt er jetzt oder in zwanzig Jahren, stirbt er schnell oder langsam, stirbt er verzweifelt oder im Frieden mit sich und der Welt, stirbt er qualvoll oder schmerzlos, das ist dem Universum so was von wurscht, das kannst du dir gar nicht vorstellen, ist der Brenner überhaupt geboren worden oder vielleicht doch abgetrieben im dritten oder im fünften Monat, alles dem Universum genauso egal, als wäre seine Mutter schon im sechshundertneunundachtzigsten Monat, aber immer noch kein Geld zum Entbinden.
Brenner überlebt, Kopfschuss, eh schon wissen, und wird Chauffeur der reichen Südtirolerin.

Wer blutrünstigen, nihilistischen Spaß lesen will, bei dem Tote nur Dekoration sind: Das ist das Buch der Wahl.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

12.12.2025 um 18:45
Algernon Blackwood: Die Weiden (1907)

HP Lovecraft bezeichnete "Die Weiden" einst als die beste Gruselgeschichte überhaupt und als großen Einfluss auf sein eigenes Werk.
Und ja, es wird ja nach oben echt dünn, wenn man Klassiker des Genres sucht, die mit dem Buch von Blackwood mithalten können.
Zwei Kanuten machen eine Donaufahrt und landen während eines Unwetters auf einer kleinen Insel auf dem Fluss, um dort, inmitten von Weiden, die Nacht zu verbringen.
Ein Meisterwerk in Sachen Spannungsaufbau, der sich von Beklemmung in echte Furcht steigert. Was geschieht hier und wer oder was lauert dort in den Weiden? Eins dieser Bücher, die recht gemütlich beginnen und die unbemerkt in einen immer tieferen Sog ziehen.
Danach überlegt man sich das mit dem nächsten Zelten im Garten nochmal, wenn der Wind durch die Bäume pfeift...


1x zitiertmelden

Welches Buch lest ihr gerade?

13.12.2025 um 10:48
3. Teil der Ruhrpott-Saga von Eva Völler

Amazon 915KAUzOPL. AC UY218


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

14.12.2025 um 06:05
Zitat von abberlineabberline schrieb:Algernon Blackwood: Die Weiden (1907)
Das hab ich vor sehr langer Zeit gelesen (ca. 30 Jahre her). Ich erinnere mich noch, dass ich mich sehr gegruselt habe.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

15.12.2025 um 16:42
@Meriones
Das fand ich auch. Ich kannte Blackwood durch eine Sammlung von Kurzgeschichten, auf die Weiden stieß ich aber tatsächlich durch Lovecraft und seine Lobeshymne. Und ich muss Hape Lovecraft zustimmen. Ob es jetzt die "beste" Gruselgeschichte überhaupt ist, ist natürlich subjektiv und seit Lovecraft kamen ja nun auch ein paar tolle dazu. Aber gruselig ist sie bis heute.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

18.12.2025 um 17:03
Ursula Poznanski - Erebos

Poznanski-Erebos

Nach Kinderbüchern war Erebos 2010 der erste Jugendthriller der österreichischen Schriftstellerin Ursula Poznanski, und der ist nach wie vor ein Kracher. Der Plot ist, dass in einer Londoner Schulklasse ein Computerspiel mit dem Titel Erebos kursiert, das nur auf Einladung funktioniert.

Das Spiel ist eine spannende Quest, die in Realzeit läuft, und das Spiel weiß genau über den realen Spieler Bescheid. Neben spielinternen Aufgaben, um die Spielfigur auf ein höheres Level zu bringen (der höchste Level ist der innere Kreis, der die Aufgabe hat, das Monster Ortolan zu besiegen), gibt es auch Aufgaben in der Realwelt, die jedoch nicht nur aus Geschenken bestehen, sondern auch aus Drohbotschaften, Fahrzeugmanipulationen und einem Mordanschlag an einem Lehrer, der dem Spiel kritisch gegenüber steht.

Anhand der Hauptperson Nick Dunmore wird grandios nachgezeichnet, wie jemand komplett dem Spiel verfallen kann, nur damit seine Spielfigur Sarius keine Nachteile erleidet, wenn er mal nicht anwesend ist. Spielsucht ist nie anschaulicher vorgeführt worden. Auch die spielenden Klassenkolleg:innen verändern sich: Sie kommunizieren nicht über das Spiel, sie sind unausgeschlafen, fehlen oft im Unterricht.

Nick reflektiert, warum dieses Spiel so fesselt:
Ein Spiel, das man nicht kaufen kann. Ein Spiel, das mit dir spricht. Ein Spiel, das dich beobachtet, dich belohnt, dir droht, dir Aufgaben erteilt.
Und an anderer Stelle:
Mit jedem neuen Tag verliert meine Realität an Wert. ... Ich entziehe der Realität meine Zustimmung. Ich verweigere ihr meine Mithilfe. Ich verschreibe mich den Verlockungen der Weltenflucht und stürze mich mit ganzem Herzen in die Unendlichkeit des Irrealen.
Aber bei sehr vielen entsteht auch Unsicherheit wegen der eigenartigen, strafrechtlich relevanten Aufträge in der Realwelt. So auch bei Nick. Und als er bzw. sein Avatar wegen einer Unachtsamkeit aus dem Spiel gekickt worden ist, verfolgt er mit einer Freundin bei einem Spielefreak den weiteren Verlauf und es gelingt ihnen, hinter die wahren Ziele zu kommen. Die Schlussbotschaft der Botenfigur im Spiel an Sarius/Nick:
Unentschlossene, Zauderer, Ängstliche und Moralapostel sind in den Diensten meines Herrn nicht erwünscht. Sie taugen nicht dazu, Ortolan zu vernichten. Leb wohl. ... Du wirst dich nicht auf die Seite unserer Feinde schlagen oder es wird dir leidtun.
Das Spiel Erebos stammt von einem genialen Programmierer, der zwei Jahre zuvor sich das Leben genommen hat, da ihm eine Spielefirma ein revolutionäres KI-Spiel hat stehlen wollen. Der Chef der Firma heißt Andrew Ortolan. Mit dem Spiel Erebos sollen diejenigen selektiert werden, welche dazu fähig sind, in der Realwelt Ortolan zu ermorden. Der Sohn des Spieleentwicklers geht in die Schule von Nick und hat zwei Kopien an zwei Schulen in Umlauf gebracht, ohne zu wissen, was für ein Spiel sich darauf befindet.

Die Funktionsweise der KI wird bereits so beschrieben, wie wir die Großen Sprachmodelle kennen: Sie wird trainiert. Oder hier im Spiel: Sie trainiert sich selbst. Die Erebos-KI ist eine entfesselte KI. Nicht im Sinne einer denkenden Maschine, aber im Sinne eines chinesischen Zimmers (Searle, Link zur Wikipedia). Es ist nicht zu entscheiden, ob sie versteht, was sie kommuniziert, oder nicht.
Erebos bezieht Informationen aus dem Internet, schrieb Nick auf. Das haben wir bisher noch nicht bedacht. Das gesamte Internet? Ganz sicher durchleuchtet es die Festplatte und verfolgt vielleicht sogar die Seiten, die man im Netz besucht. Damit ist das Spiel so gut wie allwissend.
Der Schluss des Romans ist ein Showdown, der alle Register spannenden Erzählens und der Darstellung unterschiedlicher Charatere zieht. Dass dieser Thriller sofort ein Bestseller wurde, hymnische Kritiken erhielt und in 38 Sprachen übersetzt wurde, ist auch nach 15 Jahren nachvollziehbar. Und: Das Thema ist nach wie vor aktuell. Eine sich selbst trainierende KI manipuliert Menschen zu Handlungen, die sie aus eigenem Antrieb nie begehen würden.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

19.12.2025 um 17:06
@Narrenschiffer
Sowas sollte - ähnlich wie The Circle - Schullektüre sein


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

19.12.2025 um 19:10
Aristophanes: Die Vögel (Ὄρνιθες|Ornithes)
Menander: Der Griesgram (Δύσκολος|Dyskolos)
-
Collier/Manley: Hieroglyphen. Entziffern - lesen - verstehen
-
Julien Offray de LaMettrie (Hg. Kirk Watson): The Hedonist Alternative: 'Anti-Seneca' and Other Texts
-
Chad Haag: The Philosophy of Ted Kaczynski: Why the Unabomber was Right about Modern Technology
Chad Haag: Being and Oil (geplant)


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

20.12.2025 um 11:16
Matthias Brandt - Blackbird

Brandt-Blackbird

2019 erschien dieser Coming of Age-Roman des damals fast 60-jährigen Fernseh-Schauspielers Matthias Brandt, in dem er den 15-jährigen Morten "Motte" Schumacher in den 70er Jahren in einer deutschen Stadt aufwachsen lässt. Es wird ziemlich dick aufgetragen. Seine Eltern leben in Trennung, seine erste Liebe schmust mit einem anderen im Kino (er hat bezahlt), sein bester Freund stirbt an Krebs, im Suff springt er nächtens vom 10-Meter-Turm des Schwimmbads, landet in der Irrenanstalt und verliert die Sprache. Beim Begräbnis finden die Schulkameraden zusammen und er hat eine neue Liebe, eine Rauchfangkehrerin (der Gymnasiast mit einer Azubi).

Sprachlich versucht sich Brandt an einen 15-jährigen anzubiedern, was dabei rauskommt, ist zwar zeitweise witzig, aber letztlich wirkt die Sprache im Vergleich zur Reflexionskraft des Ich-Erzählers (da bricht wohl der 58-jährige Brandt durch) streckenweise verblödet, da unterste Schublade. So richtig angesprochen hat mich der Text nicht. Alle Protagonist:innen bleiben irgendwie farblos und der Plot ist zu konstruiert.


melden

Welches Buch lest ihr gerade?

21.12.2025 um 10:04
Monika Helfer - Die Bagage

Helfer-Bagage

2020 erschien dieser wohl autobiographisch geprägte Roman der österreichischen Schriftstellerin Monika Helfer, in dem die Ich-Erzählerin der Frage nachgeht, ob ihr Großvater auch der leibliche Vater ihrer Mutter sei.

Die Großeltern (Maria und Josef Moosbrugger) leben in einem kleinen Haus mit wenig Tieren im hintersten Teil, dem Schattengebiet, eines Vorarlberger Tals, sind arm, werden "die Bagage" genannt, aber stets wird hervorgehoben, dass beide durch ihre Schönheit und Sauberkeit hervorstechen, anders sind als die Bauern oder Dörfler.
Sie wäscht oft, die Sachen der Kinder und die ihres Mannes und ihre Sachen, sie besitzt eine besonders schöne weiße Bluse. Sie möchte, dass ihre Familie sauber ist wie die Familien in der Stadt. Sie hat viele weiße Sachen, da kommen ihre dunklen Haare und dunklen Augen und die dunklen Haare und die dunklen Augen ihres Mannes gut zur Geltung. Die anderen unten im Dorf tragen selten Weiß, manche nicht einmal am Sonntag. Ein ernstes Gesicht hat sie, tiefe Augen. Die Augen male mit Kohlestift! Die Haare liegen eng am Kopf, sie sind schwarz, mit Braun gemischt, weil der Kohlestift abgebrochen ist. Die guten Buntstifte glänzen nicht und sind außerdem teuer.

Die Wirklichkeit weht hinein in das Bild, kalt und ohne Erbarmen, sogar die Seife wird knapp. Die Familie ist arm, gerade zwei Kühe, eine Ziege. Fünf Kinder. Der Mann, schwarzhaarig wie die Frau, lackglänzend seine Haare sogar, ein Schöner ist er, doppelt so schön wie die anderen. Ein schmales Gesicht hat er, aber ohne Freude, wie es scheint. Die Frau, gerade noch dreißig ist sie, sie weiß, dass sie den Männern gefällt, nicht einen kennt sie, bei dem sie nicht sicher ist. ...

Sie wohnten dort, weil ihre Vorfahren später gekommen waren als die anderen und der Boden am billigsten war, und am billigsten war der Boden, weil die Arbeit auf ihm so hart war. Am letzten Ende hinten oben wohnten Maria und Josef mit ihrer Familie. Man nannte sie »die Bagage«. Das stand damals noch lange Zeit für »das Aufgeladene«, weil der Vater und der Großvater von Josef Träger gewesen waren, das waren die, die niemandem gehörten, die kein festes Dach über dem Kopf hatten, die von einem Hof zum anderen zogen und um Arbeit fragten und im Sommer übermannshohe Heuballen in die Scheunen der Bauern trugen, das war der unterste aller Berufe, unter dem des Knechtes.
Der Großvater, der gut rechnen kann, übernimmt die Buchführung des Bürgermeisters, eines Gewehrproduzenten, und hat mit ihm wohl illegale "Geschäfte" laufen.

Als der Großvater 1914 an die Isonzo-Front eingezogen wird, beauftragt er den Bürgermeister, auf seine Frau "aufzupassen". Er versorgt sie und die Kinder mit Lebensmittel, und als er sie zum Viehmarkt in einer benachbarten Kleinstadt mitnimmt, verliebt sich Maria in einen jungen Mann aus Hannover, der sich als flüchtiger Bankräuber ausgibt. Dieser besucht sie auch zweimal am Hof, und im Dorf geht das Gerücht, dass sie nicht von ihrem Mann (der zweimal auf Fronturlaub ist), sondern von diesem deutschen Georg.

1918 kommt Josef aus dem Krieg zurück, er trägt neue und teure Kleidung, scheint also auch an der Front "Geschäften" nachgegangen zu sein. Schon bei seinen beiden Fronturlauben hat er Bündel von Geldscheinen mitgebracht, die im Text jedoch untergehen. Wir erfahren nicht, ob das Geld ausgegeben wird, und auch nicht, was damit geschehen ist, als er verstorben ist.

Josef hört von den Gerüchten, dass Margarethe nicht sein Kind sei, und Gottlieb Fink - der Bürgermeister, der nun nicht mehr Bürgermeister ist - erklärt eigenartigerweise, dass er der Vater des Kindes sei, obwohl seine Zudringlichkeiten abgewehrt worden sind und er danach die Versorgung der Familie eingestellt hat, sodass Lorenz, eines der Kinder, die Vorratskammer der Familie eines Schulfreundes bei einem Einbruch ausgeräumt hat. Die Zudringlichkeit wird so erzählt:
Aber vom Bürgermeister wollte sie sich nichts erzählen in ihren Gedanken. Er hatte ihr die Bluse aufgeknöpft, elf Knöpfe, um an ihren Busen heranzukommen, und dabei hatte er ihr vorgesponnen, wie es wäre, wenn Josef von dem Mann aus Hannover erführe. Und Maria hatte die Augen geschlossen und abgewartet. Je eine Hand hatte er auf ihre Brüste gelegt. Und dann hatte er in den Bund ihres Rocks gegriffen, nicht tief, weil sie geblinzelt hatte. Das hatte genügt. Geblinzelt, und der Bürgermeister war erschrocken, hatte die Hände hinter seinen Rücken gerissen. Wie viel, dachte Maria, muss ich mir gefallen lassen, damit unser Leben durch seine Gaben erleichtert wird und er den Mund hält.
Josef wird mit dem Kind, Margarethe, bis zu seinem Tod kein Wort reden, auch wenn im Text hervorgehoben wird, dass er mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit der leibliche Vater ist.

Maria (Blinddarm) und Josef (Blutvergiftung) sterben beide früh, die Kinder werden Waisen, leben weiterhin im elterlichen Haus, einer der Brüder, Lorenz, beginnt zu wildern, ist gefürchtet und niemand klagt ihn an. Da nun die Perspektive der Großmutter, deren Sehnsucht nach Männern immer wieder thematisiert ist wie auch dass die Familie das Angebot eines Schwagers nicht angenommen hat, in einer Stadt eine Stickerei zu gründen, verloren ist, wird skizzenartig das weitere Leben der Geschwister nachgezeichnet.

Da dies erzählstrukturell mittels Zeitsprüngen in den Roman eingebaut ist, sind diese Lebensskizzen etwas schwierig nachzuvollziehen. Der Fokus der Erzählung geht zum Teil verloren und eigentlich würde jede einzelne Figur einen eigenen Text verdienen. Dennoch ist dies eine nicht uninteressante Lektüre, vor allem über die Lebensverhältnisse am Rand der österreichischen Gesellschaft während des Ersten Weltkriegs, auch wenn die Schönheits- und Sauberkeitsmetapher für letztlich gute Menschen zu oft verwendet und daher eher zum Klischee wird.


melden

Ähnliche Diskussionen
Themen
Beiträge
Letzte Antwort
Literatur: Wann legt ihr ein Buch vorzeitig zur Seite?
Literatur, 61 Beiträge, am 03.10.2025 von Aiolod
symbiotic am 19.04.2018, Seite: 1 2 3 4
61
am 03.10.2025 »
von Aiolod
Literatur: Eure Bücher Wunschliste
Literatur, 153 Beiträge, am 11.03.2024 von .lucy.
Dr.Manhattan am 19.12.2011, Seite: 1 2 3 4 5 6 7
153
am 11.03.2024 »
von .lucy.
Literatur: Zeig mir deine Bücher und ich sag dir wer du bist
Literatur, 337 Beiträge, am 11.02.2023 von Paulianer
Somayyeh am 16.01.2011, Seite: 1 2 3 4 ... 14 15 16 17
337
am 11.02.2023 »
Literatur: Was sind eure Lieblingsbücher?
Literatur, 166 Beiträge, am 11.08.2023 von PeterWimsey
jessishan am 17.01.2011, Seite: 1 2 3 4 5 6 7 8 9
166
am 11.08.2023 »
Literatur: Der Thread für Leseratten.
Literatur, 280 Beiträge, am 17.10.2019 von MissHudson
Jinana am 03.10.2012, Seite: 1 2 3 4 ... 11 12 13 14
280
am 17.10.2019 »