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7.572 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

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23.10.2025 um 10:32
Zitat von parabolparabol schrieb am 18.10.2025:Solaris von Stanislaw Lem
Solaris habe ich vor vielen Jahren mal gelesen.
Auf astronalpha gibts eine gute inhaltliche Zusammenfassung

"In ferner Zukunft begibt sich der Psychologe Kris Kelvin zu einer Forschungsstation, die etwa 600 Meter über der Oberfläche des viele Lichtjahre entfernten Planeten Solaris schwebt. Dieser Planet, der eine instabile Umlaufbahn um zwei Sonnen beschreibt, wurde ein Jahrhundert vor Kelvins Geburt entdeckt und gibt der Wissenschaft seither Rätsel auf. Fast die gesamte Oberfläche von Solaris ist von einer Art Ozean bedeckt, der die Konsistenz einer sirupartigen, plasmatischen Masse hat. Diese bildet aus schaumigen Kronen immer wieder riesige, oft sehr komplexe Ausformun­gen, die sich in den Himmel recken und verfestigen, um später wieder in den Ozean abzusinken und sich aufzulösen. Auch scheint der Ozean durch die Beeinflussung der Raumzeit in der Lage zu sein, die instabile Umlaufbahn des Plane­ten zu korrigieren.


Ein ganzes Heer von Wissenschaftlern hatte sich auf die Erforschung dieses Ozeans ge­stürzt, woraus schließlich ein eigener Wissenschaftszweig entstand, die „Solaristik“. Viele Beobachtungen und For­schungsberichte deuteten darauf hin, dass der Ozean auf Solaris eine intelligente Lebensform ist, doch konnte diese Annahme ebensowenig sicher bewiesen werden, wie es regelmäßig misslang, eine direkte Kontaktaufnahme herzu­stellen. Mit der Zeit wurden die Forschungsgelder der Solaristen nach und nach gestrichen, und immer mehr Wissen­schaftler verließen die über dem solarischen Ozean schwebende Forschungsstation.


Als Kelvin auf der Station eintrifft, findet er sie in einem heillos verwahrlosten Zustand vor. Von den drei zuletzt ver­bliebenen Wissenschaftlern sind nur noch der Kybernetiker Snaut und der Biologe Sartorius übrig; der Stationsleiter Gibarian hat kurz zuvor Selbstmord begangen. Snaut und Sartorius wirken überdies nervlich angespannt und beinahe geisteskrank. Bald entdeckt Kelvin, dass sich seltsamerweise noch weitere, unbekannte Personen auf der Station be­finden: In einem Korridor begegnet ihm eine schwarze Frau, und Sartorius, der sich die meiste Zeit im Laboratorium der Station einschließt, verbirgt darin offenbar ein kleines Kind. Snaut erklärt Kelvin, dass diese anderen Menschen – er nennt sie „Gäste“ – leibhaftige Manifestationen von Erinnerungen an Personen sind, die der denkende Ozean von So­laris aus den Köpfen der Forscher entstehen ließ.


Schon in der ersten Nacht bekommt auch Kelvin einen „Gast“: In seiner Kabine begegnet er einer Inkarnation seiner ehemaligen Lebensgefährtin Harey, die sich vor zehn Jahren das Leben genommen hatte, weil er sie damals verlassen wollte. Die Inkarnation hat zwar alle Eigenschaften der echten Harey, weiß aber fast nichts über ihre Vergangenheit. Kelvin gerät in Panik und versucht, die unheimliche Erscheinung wieder aus der Welt zu schaffen. Es gelingt ihm, Harey in eine Rakete zu locken und ins All zu schießen, doch schon am nächsten Tag erscheint in seiner Kabine eine neue Inkarnation von Harey. Nach und nach wagt es Kelvin, sich mit der Inkarnation zu beschäftigen, die dadurch mehr über sich erfährt. Sie beginnt, Ansätze einer menschlichen Persönlichkeit zu entwickeln. Schließlich erklärt sie Kelvin sogar, ihn zu lieben. Auch Kelvin macht sich irgendwann vor, dieses lebendige Abbild von Harey zu lieben, und malt sich sogar eine gemeinsame Zukunft mit ihm aus. Snaut indes warnt Kelvin und erinnert ihn daran, dass Harey kein Mensch, sondern nur ein künstlich geschaffenes Trugbild ist und vernichtet werden muss. Kelvin selbst erkennt, wie recht Snaut hat, als er bei der Untersuchung von Hareys Blutzellen feststellt, dass diese nicht aus Atomen, sondern aus Neutrinos aufgebaut sind, zusammengehalten von einem bislang kaum verstandenen Neutrinofeld.

Je mehr Harey ihre prekäre Situation mit Kelvin reflektiert, desto mehr ist sie davon überzeugt, dass nur ihr Verschwin­den Kelvin und ihr selbst helfen könnte. Sie versucht sich umzubringen, indem sie flüssigen Sauerstoff trinkt, doch wie durch Zauberhand heilen ihre inneren Verätzungen innerhalb von Stunden.

Sartorius hat indessen eine neue Idee entwickelt, dem Ozean von Solaris eine Botschaft zu übermitteln: Eine Aufzeich­nung der Hirnströme von Kelvin, umgesetzt in Röntgenstrahlen, soll auf den Ozean abgestrahlt werden, um so Kelvins Gedanken mitzuteilen. Das Experiment könnte ein Ende der Inkarnationen herbeirufen, wenn der Ozean, der vermut­lich unfähig ist, menschliche Gefühle nachzuvollziehen, erfährt, dass die Menschen keine Inkarnationen mehr ertragen wollen. Kelvin lässt sich auf das Experiment ein, und tatsächlich erscheinen danach keine Inkarnationen mehr. Harey aber kann nun endlich sterben: Ohne sich von Kelvin zu verabschieden, geht sie zu Sartorius und lässt sich von einem von ihm entwickelten „Annihilator“ – einem Gerät, das Neutrinofelder aufheben kann – vernichten. Harey verschwin­det in einem Lichtblitz. Kelvin erkennt, dass er nach dem erneut durchlittenen Verlust von Harey nicht mehr in ein ge­wöhnliches Leben zurückkehren will. Er beschließt, mit Snaut und Sartorius auf der Station zu bleiben, um sich weiter­hin der Möglichkeit auszusetzen, mit dem solarischen Ozean in irgendeiner Form in Kontakt zu treten."

https://www.astronalpha.de/b%C3%BCcher/stanislaw-lem-solaris/


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26.10.2025 um 20:32
Aktuell lese ich Harry Potter und die Kammer des Schreckens. Lese einmal im Jahr die Harry Potter Reihe ☺️


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26.10.2025 um 21:00
Zitat von KixiKixi schrieb:Aktuell lese ich Harry Potter und die Kammer des Schreckens. Lese einmal im Jahr die Harry Potter Reihe ☺️
Dito, allerdings als Hörbuch. Bin momentan bei Teil 5 angelangt.


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27.10.2025 um 19:56
Ich habe heute Teil 3 angefangen ☺️


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27.10.2025 um 20:16
Zitat von KixiKixi schrieb:Ich habe heute Teil 3 angefangen
Ist mMn der beste Teil der Reihe.


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27.10.2025 um 23:21
Zitat von GrouchoGroucho schrieb:Ist mMn der beste Teil der Reihe.
Ich weiß dass ich damals beim ersten Lesen den vierten am besten fand, bei den Filmen ist der dritte mein Favorit.


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01.11.2025 um 20:04
Strugazki - Die bewohnte Insel
ScFi/Fantasy von 1969, könnte aber auch heute geschrieben sein.
Von Form und Inhalt eher konservativ und trotzdem gelungen, vom Stil erinnert das Buch an "Es ist nicht leicht ein Gott zu sein" von den Strugazkis.


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Wikipedia: Die bewohnte Insel


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05.11.2025 um 22:53
Zitat von parabolparabol schrieb am 23.10.2025:Viele Beobachtungen und For­schungsberichte deuteten darauf hin, dass der Ozean auf Solaris eine intelligente Lebensform ist, doch konnte diese Annahme ebensowenig sicher bewiesen werden, wie es regelmäßig misslang, eine direkte Kontaktaufnahme herzu­stellen.
Die Evolution von außerirdischem Leben ist ein Hauptthema bei Lem.
Ein Sachbuch, das sich mit diesem Thema auf hohem Niveau und trotzdem allgemeinverständlich befasst ist

"Life in the Universe" von Schulze-Makuch und Irwin


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10.11.2025 um 19:44
Zitat von parabolparabol schrieb am 05.11.2025:"Life in the Universe" von Schulze-Makuch und Irwin
Einige Themen - Lebensformen, die ihre Energie aus Gezeitenkräften ziehen, aus Magnetismus; Lebensformen, die auf
Silizium basieren; Lebensformen, die auf Blausäure oder Ammoniak als Lösungsmittel basieren


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15.11.2025 um 11:16
Derzeit lese ich: Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses - von Dee Brown - über das Hohelied vom sterbenden Indianer in einer Dokumentation vom letzten großen Kampf der Ureinwohner Amerikas.


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19.11.2025 um 12:02
2. Teil der Ruhrpott-Saga von Eva Voeller

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20.11.2025 um 12:08
Feridun Zaimoglu - Leyla

Zaimoglu-Leyla

Feridun Zaimoglu veröffentlichte diesen furiosen Roman, der den Lebensweg seiner Mutter nachgestaltet, im Jahr 2006. Vor allem der erste Teil, der aus der Sicht der vorpubertären Leyla das Aufwachsen in einer anatolischen Kleinstadt in den 1950er Jahren unter der Fuchtel eines toxischen, gewalttätigen und trinkenden Vaters geschildert wird, lässt einen sprachlos zurück. Nicht Zaimoglu, dessen Sprachmacht schier unerschöpflich ist.

Die immer noch schwelenden ethnischen Konflikte verdichten sich in Leylas Familie. Der Vater, Halid, ist ein aus der Sowjetunion geflüchteter Tschetschene, der Kurden hasst und Leyla nur nach Intervention des Schuldirektors bei einem Schulausflug an den Euphrat mitfahren lässt, da diese von einem reichen Kurden organisiert ist, die Mutter Armenierin, die Halid nach einer Massenvergewaltigung durch sowjetische Soldaten geheiratet hat. Vor seinem Tod in Istanbul erzählt Halid:
Die Rote Armee kam wie eine Gottesplage über uns, das war nichts Neues, der Russe bekriegt uns, und wir bekriegen ihn im Gegenzug. Ein großes Gemetzel. Meine Väter haben Haus und Hof verlassen, sie sind geflohen, was hätten sie sonst tun sollen? Die einen wurden gemordet, die anderen deportiert. Einigen wenigen gelang die Flucht hierher, in dieses Land, sie flohen in den Osten des Landes. Der Russe ist mit dem Instinkt gesegnet, uns zu unterjochen, und weil wir … uns dagegen auflehnen, morden sie uns.
Unter den Vertriebenen waren also meine Großeltern, mein Vater und ein Großteil der Sippe. Sie haben es geschafft, am Leben zu bleiben, sie sind von Gott ausgezeichnet worden. Sie kamen hierher, die Vertriebenen stießen auf die Ackerherren, und es gab bald wieder eine große Unruhe. Meine Ahnen standen auf der Seite der Mehrheit des Volkes, und sie gingen dazu über, die Widerstandsnester auszumerzen. Ist das die Wahrheit oder wieder einmal nur ein Märchen? Es ist mir zu dieser Stunde egal. Es geht nicht um Recht oder Unrecht. Es geht nicht um meine Sippe, sondern um dich, Frau. Denn du hast mich zu deinem lebenslänglichen Gefangenen gemacht. Weiß es unserer beider Brut?
Das Massaker dort in der Oststadt dauerte viele Tage. Ich habe mich keiner Partei angeschlossen, ich war kein Soldat einer bewaffneten Einheit. Trotzdem weiß ich, was passiert ist, ich weiß auch, was im Stall passiert ist, ich weiß, was man mit deinen Brüdern gemacht hat … Man nahm sie mit, die Soldaten haben sie mitgenommen, und du hast sie nie wiedergesehen. Das Massaker dauerte viele Tage an. Verdammt will ich sein, wenn ich mich einer Einheit angeschlossen habe. Ich habe mich versteckt, ich habe mich in diesem Stall versteckt, und da sah ich alles, ich konnte mich doch nicht umdrehen und so tun, als gebe es dich nicht … als gebe es diese Männer nicht … Im Krieg sind alle Mittel recht, diese Soldaten haben die Beute geteilt …
Dich habe ich geliebt, Frau. Du lagst unter einem Soldaten, du konntest nichts tun, weil ein zweiter Soldat die Spitze seines Bajonetts auf deine Kehle richtete … Ein dritter und ein vierter Soldat, jeder kam an die Reihe, und ich … ich habe in meinem Versteck ausgeharrt, meinen Blick aber konnte ich nicht abwenden. Fremde Männer haben sich an dir vergangen, und ich konnte nicht dazwischengehen. Sie haben dich angebrochen, sie haben dich zerfetzt, sie haben mit dir gespielt und die schöne Puppe zurückgelassen. ... Du warst keine Jungfrau mehr, als ich dich geheiratet habe. Ich war vernarrt in dich. Kein Mann hätte dich genommen, nicht … in dem Zustand, in dem du warst. Sie hätten dich vielleicht mit Steinen vertrieben oder mit dornigen Stengeln gepeitscht.
Aber aus diesem Grund sieht Halid aus eigenem wie auch muslimischen Ethos seine Frau als Hure und sie hat ihm willenlos zu gehorchen. Ihre fünf gemeinsamen Kinder sind "Tiere", wie er viel früher in Anatolien zu ihr sagt:
Du mußt mir dankbar sein, sagt Halid, aber du bist eine undankbare armenische Nutte. Du hast kein Viertel Anstand, nicht in der vergifteten Milch deiner Brüste, nicht dort, wo diese fünf Tiere herausgekommen sind. Nicht in deinen Augen, nicht in deinen Händen … Er wirft mit einem harten Gegenstand aus seiner Jackentasche nach ihr. ... Du bist mir als Soldatenflittchen zugelaufen, und ich hatte Erbarmen mit dir. Mein Erbarmen mit euch Hunderasse ist verschwendet.
Lauthals beruft er sich bei seinem Familienterror auf den Koran:
Hier steht es, schreit er, ihr seid meine Untergebenen. Der Schlüssel zum Paradies ist in meinen Händen, ihr Hundebrut! Nicht ich habe die Regeln aufgestellt, sondern der Erhabene, dessen Namen ihr nicht in den Mund nehmen dürft, so schmutzig seid ihr … Der Prügel treibt die Gläubigen ins Paradies, hier steht es geschrieben, der Bolschewist ist ein Feind Gottes und lehrt daher lockere Sitten. Hier, an dieser Stelle, lese ich: Ihr Frauen tut den Feinden Gottes einen großen Gefallen, wenn ihr eure Vorderseiten von fremden Männern aufreißen laßt. Der Vater ist Herr des Weibes und der Kinder … Der Vater ist euer Fürst! Der Vater ist euer Bollwerk gegen die Bolschewisten! Der Vater wartet im anderen Leben an der Paradiespforte, und nur wenn er es zuläßt, werdet ihr hineingehen können. Das alles steht im Koran, ihr Dämonenbrut!
Die Familie lebt in bitterer Armut und haust in einer Lehmhütte. Die Mutter ist Tagelöhnerin und verrichtet Hilfsdienste für Nachbarinnen. Halid, der für die ethnischen Türken im Ort "der Tschetschene" ist, verliert seine Stellung bei der türkischen Staatsbahn, da er Akten verbrannt hat, und hält die Familie mit Schiebereien am Bahnhof über Wasser. Als er sich jedoch als Drogenkurier anheuern lässt und das Opium auf seinem Grundstück lagert, wird er bei einer Razzia gefasst und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Für die Familie ist diese Gefängniszeit trotz noch schlechterer Lebensbedingungen eine Befreiung vor diesem jähzornigen Menschen, den Leyla nie Vater, sondern immer nur "Mann meiner Mutter" nennt. Nach Halids Entlassung wird es nur noch schlimmer. Er beginnt zu saufen und verbringt seine Tage im Café und bei Prostituierten. Nicht nur einmal muss Leyla ihren besinnungslos betrunkenen Vater nach Hause bringen, da er von selbst nicht mehr dazu fähig ist.

Zaimoglu lässt Halid aber auch über sein früheres Leben in Tschetschenien berichten. So über einen Überfall der Roten Armee auf das Dorf seiner Eltern:
Die Soldaten stellten Fragen, auf die wir keine Antwort wußten. Sie stachen meiner Mutter ein Auge aus und stellten weiter ihre Fragen. Sie fesselten meinen Vater, sie fesselten meine Brüder und führten sie weg. Ich habe sie nie wiedergesehen. Sie gingen einfach weg, sie durften nicht zurückschauen. Sie stellten ihre Fragen, und ich wußte keine Antwort. Dann … haben sie das Unaussprechliche mit mir gemacht. Ihr Satansbrut, ist es das, was ihr wissen wolltet?! Seid ihr jetzt zufrieden?! Keine Antwort ist die falsche Antwort, und man wird bestraft. Zwei Tage habe ich meine einäugige Mutter gepflegt, und dann starb sie mir weg. Seid ihr jetzt zufrieden? Ist das die Antwort, auf die ihr gewartet habt? Zwei Schwestern sind geflohen, auch sie sind weggegangen, aber sie kehrten zurück. Sie waren Amerikanerinnen geworden. Sie wollten mich unbedingt mitnehmen. Ich willigte ein, ich wollte das verfluchte Land verlassen. Du, Yasmin, warst noch sehr klein, und euch gab es noch nicht. Ich wollte meine einzige Tochter schnappen und fliehen ins Land Amerika. Er hat mich geschnappt. Prügelte auf mich ein, prügelte auf meine Schwestern ein und jagte sie fort. Sie gingen, ich blieb. Ich habe nie wieder etwas von den beiden gehört. Meine Schwestern in Amerika. Wie schön sie waren, in was für schönen Kleidern sie steckten! Richtige Damen, meine Schwestern, richtige Amerikanerinnen.
Neben Erzählungen Leylas über ihre Freundinnen und die Schule wird immer wieder Politisches eingeflochten. So entzweien sich die Stadtbewohner über die türkische Teilnahme am Koreakrieg. Wie es verkrüppelten Rückkehrern im Ort ergeht, zeigt diese kleine Episode:
Die Kriegsheimkehrer in unserem Viertel gehen auf Holzkrücken und in eigenartiger Bekleidung herum, sie tragen ihre Uniformen, Halbmondorden hängen an ihrer Brust, die Saumnaht ihrer Soldatenmäntel ist aufgegangen, der schwere Stoff verwischt ihre Fußspuren im Staub. Die Kinder finden Spaß an einem neuen Spiel, sie binden nicht mehr leere Konservendosen an die Schwänze der Katzen. Sie folgen heimlich einem Soldatengespenst, dann blasen sie eine Papiertüte auf und lassen sie platzen. Der Soldat wirft sich fast immer auf den Boden, bedeckt seinen Kopf mit beiden Händen.
Wie in Bertoluccis Film 1900 entzweien sich auch Leylas Brüder. Einer ist glühender Nationalist und Rassist, der andere steht links und sympathisiert mit den Kommunisten. Anders als bei Bertolucci wird dieser Konflikt nicht ins Extreme geführt, sondern beide werden mit der Zeit, vor allem nach der Übersiedlung nach Istanbul moderater.

Halid bestimmt, nach Istanbul zu ziehen, als die Söhne dort zu studieren und arbeiten beginnen. Beide müssen das Geld abliefern. Etwas undurchsichtig ist, warum eine "Großtante" die komplette Familie in ihre große Wohnung aufnimmt. Es sickert durch, dass sie in jungen Jahren eine Geliebte Halids hat sein müssen. Dieser dominiert binnen kürzester Zeit und pudelt sich als Hausherr auf. Auch werden Ehen eingefädelt, und bei den Eheverhandlungen gebiert sich Halid als Ehrenmann, der er überhaupt nicht ist, und es ist offensichtlich, dass es ihm nur darum geht, in der gesellschaftlichen Hierarchie nach oben zu heiraten bzw. in Geld einzuheiraten.

Gegen Leylas Verehrer Metin sperrt er sich Ewigkeiten, doch schließlich heiraten die beiden. Doch auch diese Ehe ist für Leyla zunächst nur die Fortsetzung eines Horrortrips. Da Metin sich selbst verwirklichen will und seinen Traum, nach Deutschland zu ziehen, umsetzen will, schickt er Leyla binnen kürzester Zeit zu ihrer Familie zurück, nicht ohne sie unflätig zu beleidigen, was auch die Arroganz Istanbuls gegenüber der Provinz zum Ausruck bringt:
Degeneriert – so hat auch Metin mich geschimpft. Ich sei ein Mädchen, das den geringsten Anforderungen eines Mannes nicht genügte.
Damit ist Metin wohl ehrlicher, der nicht nach Deutschland gereist ist, wie er angegeben hat, sondern sich in Istanbul mit anderen Frauen und Mädchen vergnügt. Doch auch Metin kann seinem wahren Stand nicht entkommen. Er lebt bei seinem Vater, arbeitet in einer Schlachterei (auch mit seinem Beruf hat er gegenüber Leyla gelogen). So ziehen sie wieder zusammen und hausen unter ärmlichsten Bedingungen. Aus einer Deutschlandreise, wo er Arbeit gesucht hat, kommt Metin abgemagert zurück.

Halid hat inzwischen ein Delikatessengeschäft eines vertriebenen Griechen übernommen (es gibt nach wie vor Animositäten gegenüber den restlichen verbliebenen Griechen, die in Pogrome ausarten), verkauft teuerst, doch auch dieses Geschäft geht wegen illegaler Gebahrung den Bach runter. Halid verkommt und beginnt wieder zu saufen. Dies jedoch ist sein Ende, er stirbt elendiglich.

Die älteren Schwestern Leylas arbeiten mittlerweile in einer Elektronikfabrik in Deutschland, auch Metin hat eine Stelle gefunden. Und nach dem Tod Halids fahren Leyla, ihr kleiner Sohn und ihre Mutter mit dem Zug nach Berlin. Die Reise dauert drei Tage.


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20.11.2025 um 13:51
Peter Handke - Don Juan (erzählt von ihm selbst)

Handke-Don Juan

2004 erschien dieses Büchlein Peter Handkes. Nach seinen Ausschweifungen zum Jugoslawienkrieg wieder ein scheinbar unpolitisches mit typischer Komplexität.

Ich-Erzähler ist ein erfolgloser Gastwirt, leidenschaftlicher Koch und Leser, beim ehemaligen Kloster Port Royal des Champs in der Nähe von Versailles, deren Nonnen im 17. Jahrhundert Anhängerinnen der jansenistischen Glaubenslehre waren, die von der römischen Kirche als ketzerisch eingestuft wurde. 1706 wurde das Kloster zerstört, heute ist es eine einsame Gegend.

Don Juan kommt über eine Mauer in den Garten des Anwesens gestürzt, als er vor einem Motorradpärchen flieht, das er bei einem Stelldichein in freier Natur voyeuristisch beobachtet hat. Sein Verhalten ist eigentümlich, so geht er oft rückwärts, und er hat viele Spezialitäten (Kräuter, Pilze) bei sich, die er während der Flucht gesammelt hat. Er hinterlässt einen gemischten Eindruck zwischen Gelassenheit und Gehetztsein.

Eine Woche lang erzählt er dem Gastwirt von seiner letzten Woche. Jeden Tag war er in einem anderen Land und hatte jeden Tag eine andere Geliebte. Die Orte waren unter anderem Georgien, Damaskus, Ceuta, Norwegen, die Niederlande - immer wird mit dem Flugzeug gereist. Aber immer - auch bei einer Hochzeit, bei der er mit einer Frau einig wird - sind auch die Geliebten und Ehemänner gut Freund mit Don Juan.

Die Erzählperspektive ist mehrfach gebrochen, denn es wird nicht in Ich-Form, sondern in Er-Form erzählt, wobei nicht klar ist, ob es die Stimme des Gastwirts oder des Erzählers ist. Don Juan wird nicht als Verführer präsentiert, sondern als einer, dem die Beziehungen mehr oder weniger zufliegen. Es wird von der Einsamkeit der Frauen geschrieben, die eine Grundvoraussetzung ist, um Don Juan zu suchen.
Don Juan war kein Verführer. Er hatte noch nie eine Frau verführt. Zwar waren ihm welche begegnet, die ihm das dann nachgesagt hatten. Aber diese Frauen hatten entweder gelogen, oder sie wußten nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand, und hatten damit eigentlich etwas ganz anderes sagen wollen. Und umgekehrt war Don Juan auch noch keinmal von einer Frau verführt worden. Es war vielleicht vorgekommen, daß er solch einer Möchtegern-Verführerin ihren Willen, oder was es eben war, ließ, doch im Handumdrehen wurde ihr dann klargemacht, daß es jetzt um keine Verführung mehr ging und daß er, der Mann, weder den Verführten verkörperte noch auch das Gegenteil. Er hatte eine Macht. Nur war seine Macht eine andere.
Und es wäre kein Buch von Handke, wenn er nicht jegliche Begebenheit in ihrem kleinsten Detail darlegen würde. Es ist dieser Stil, der Handkes spätere Texte sowohl etwas sperrig als auch faszinierend macht.


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22.11.2025 um 11:15
Didi Drobna - Ostblockherz

Drobna-Ostblockherz

Didi Drobna ist Wienerin, als kleines Kind ist sie mit ihren Eltern aus der Slowakei nach Österreich migriert. In diesem unlängst erschienen Roman ist ihr Vater der Reibebaum. Diese Autofiktion ist so nahe am realen Leben, dass es eigentlich etwas sehr verfrühte Memoiren sind.

Drobna teilt ihre Kapitel in "Heute" und "Damals". Die Heute-Kapitel begleiten den todkranken Vater (Entzündung der Bauchspeicheldrüse), der nach Jahrzehnten immer noch kaum Deutsch spricht, zu Ärzten und in Krankenhäuser, die nicht den Eindruck eines reichen Landes, sondern eines desolaten failed state vermitteln. "wie bei den Hottentotten" lässt sie die Mutter sagen. Schließlich wird der Vater operiert. So nebenbei wird ventiliert, dass dies alles während der Corona-Lockdowns stattfindet, welche nicht nur in Österreich die Gesundheitssysteme an ihre Grenzen gebracht haben.

Lange Zeit überlegt man beim Lesen, warum die Eltern überhaupt aufgebrochen sind. Der Vater ist Flugzeugingenieur und in Österreich bekommt er nicht mal einen Job als Paketausträger, da er kein Wort versteht. Die Mutter arbeitet an der Wirtschaftsuniversität in Bratislava und ist die Pionierin. Sie geht als Erste nach Wien, da es "mehr Freiheit" gebe und arbeitet als Kellnerin in einem Café, "arbeitete zwölf Stunden und bekam als Lohn 20 Schilling" (das sind heute 3,50 Euro). Weiter im O-Ton der Mutter:
Der Besitzer war gut zu mir, der war schon in Ordnung. Neben dem Lohn lernte ich, wie man die Wiener Kaffee-Spezialitäten macht: großer und kleiner Brauner, ein Verlängerter, Melange und Einspänner. DAS war meine Bezahlung. Das Handwerk der Wiener Kaffeehauskultur.
Aus dem Mund einer Wirtschaftswissenschafterin? Irgendwas ist fishy. Also weiter:
aber ich verdiente mit dem Trinkgeld mehr, als Vater und ich zu Hause in einem Monat zusammen verdienten
Keine Ahnung, wieviel Trinkgeld in einem kleinen Café nicht im Zentrum drinnen ist. Aber selbst wenn es 20 Euro am Tag wären (und sie bekommt 3,50 für 12 Stunden, als 30 Cent in der Stunde? in Wien?). Auch weiß ich nicht, was Universitäten in der Tschechoslowakei Anfang der 90er Jahre bezahlten. Ich weiß es nur für Ungarn Anfang der 90er Jahre. Das waren netto etwa 300 Euro (4000 Schilling). Käme ich auf 600 für die beiden, seien es 500. Mit 30 Cent die Stunde kommt sie nie und nimmer dorthin. Ich glaube auch nicht, dass ein Vorortecafé damals so wenig bezahlt hat. Aber wer weiß das schon, wie das mit vermutlich schwarz Angestellten damals gelaufen ist. Und die Mutter hatte keine Arbeitserlaubnis und hauste in einer "Gastarbeiter-Unterkunft", "einer der heruntergekommenen Buden".

Auch in der folgenden Passage stellt sich die Frage, warum die Eltern nach Wien gegangen sind.
Egal, wie es uns in Wien ging, wie prekär unser Leben in Österreich sich gestaltete, in der Slowakei war Vater zu jemandem geworden, indem er gegangen war. Niemand fragte nach seiner Einsamkeit. Niemand fragte nach den Details. Als Auswanderer hatte es einem gut zu gehen, finanziell wie emotional. Ein Bild, das von beiden Seiten aufrechterhalten wurde. Niemand fragte, niemand berichtete. Was sollte man auch erzählen, es war doch überall schwierig.

Was niemand bedachte, war die zehrende Isolation im Ausland. Wir waren fern der Heimat und fern der Familie. Heimat ist Verbundenheit – mit den Menschen, dem Land, der Kultur. Unser Leben in Österreich blieb einsam. Wir waren Geister, die durch den Westen huschten.
Der Grund wird vermutlich am Ende des Buches gegeben: Sie taten es wegen der Kinder, damit sie als Österreicher:innen aufwachsen.

Und wie war das mit dem Reibebaum Vater? In den "Damals"-Kapiteln wird er als herrschsüchtig und jähzornig beschrieben, auch in Österreich, als er gänzlich von seiner Frau abhängig ist, da er nur selten Arbeit hat - in einer Lagerhalle oder bei einer Putzkolonne. In Kontext wird dies mit dem "Osten" gesetzt:
Der Osten war ein kaltes, hartes Pflaster. Was dir nicht die kriegs- und armutsgebeutelten Eltern rausprügelten, quetschte das Regime hinter dem Eisernen Vorhang aus dir raus.
Am Ende findet sich die Familie wieder. Didi lädt mit ihrem Mann Vater und Mutter zu einer Schottlandreise ein.

Und ideologisch? Folgende Passagen scheinen dem Zeitgeist geschuldet oder einer kognitiven Dissonanz.
Vater blieb unbeirrt und brachte mir früh bei, kritisch zu denken und nationalistische oder ideologisch gefärbte Tendenzen aufmerksam zu beobachten.
Bereits mit vier, fünf Jahren tastete ich mich an das Wertesystem heran, das die Grundlage für Alltagsrassismus und Sexismus bildete.
Auf der einen Seite standen die französischen Diplomatentöchter mit ihren geflochtenen Zöpfen, die einen derart dicken Akzent hatten, dass sie kaum zu verstehen waren – und dennoch schlugen die Kindergartenpädagoginnen entzückt die Hände über ihnen zusammen.
Das andere Ende des Spektrums bildeten türkische oder ägyptische Jungs mit dunkler Hautfarbe und ihrer als grob wahrgenommenen Aussprache, die oft in der Ecke stehen mussten. Ich lernte: Kulturen und Sprachen werden unterschiedlich bewertet. Es gab wertvolle Kinder und weniger wertvolle; eine unausgesprochene, aber allen Erwachsenen bekannte Skala zwischen West-Ost und Nord-Süd.
Denn wie sonst lassen sich immer wiederkehrende Sätze erklären, für die mir kein anderer Begriff als völkisches Denken einfällt?
So ist es mit uns Slawen: Die Art und Weise zählt weniger als das Überhaupt.
Er musste doch irgendwo in mir sein: der eiserne Wille meines Vaters und meines Volkes, der zähe Kampf um den Aufstieg.
Gerade im Angesicht von Widrigkeiten ließ sich der Slawe am wenigsten beeindrucken
Wir Slawen ließen höchstens unsere Literatur und unsere Lieder sprechen, vom tiefen Schmerz, von der Zerrissenheit, von der Sehnsucht ...
Ganz einleuchtend ist mir nicht, warum der renommierte Piper-Verlag dieses Buch herausbrachte. Es schmeckt nach Selbstverlag.


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22.11.2025 um 11:56
Günter Grass - Mein Jahrhundert

Grass-Mein Jahrhundert

1999 hat Günter Grass in Miniaturen jedes Jahr des 20. Jahrhunderts durch eine Erzählfigur Revue passieren lassen. Manchmal ist diese Erzählfigur er selbst. Einige Geschichten sind überzeugend, andere wirken gestelzt. Die Themen sind nicht extravagant, es wird zumeist historisch Bekanntes personalisiert. Zumeist wird eine zeitgenössische Perspektive gewählt. Die beiden Weltkriege jedoch präsentiert er in Rückschau. Über den Ersten Weltkrieg lässt er Ernst Jünger und Erich Maria Remarque bei Wein reflektieren, über den Zweiten Weltkrieg sprechen hochrangige Redakteure der Bundesrepublik, die als Kriegskorrespondenten an der Ostfront waren - manche sind immer noch überzeugte Nationalsozialisten.

Sprachlich ist nichts auszusetzen, Grass kann schreiben, die Themenwahl selbst ist aber nicht prickelnd. Und die 90er Jahre mit ihrem Hedonismus sind nicht so Seines. Auch war es letztlich nicht so anregend, dass ich mir zu jeder Vignette eine Kurznotiz gemacht hätte. Nachlesen lässt sich so einiges aus einer Kritik von Roland Kroemer auf literaturkritik.de. Ein Verriss.


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22.11.2025 um 12:41
Erich Hackl - Auroras Anlaß

Hackl-Aurora

Erich Hackls Domäne ist die Dokufiktion. In dieser 1987 veröffentlichten Erzählung geht er ins frühe 20. Jahrhundert nach Spanien. Er zeichnet nach, warum 1933 Aurora Rodriguez ihre 18-jährige Tochter Hildegart im Schlaf erschossen hat. Runterbrechen lässt sich das Motiv darauf, dass eine Helikoptermutter, die sich in ihrer Tochter verwirklichen will, nicht akzeptieren kann, dass diese beschlossen hat, eigene Wege zu gehen.

Aurora wächst im verarmten Galizien auf, ihr Vater ist angesehener Rechtsanwalt und Freidenker. Schon früh kommt sie in Kontakt mit liberalem und sozialistischem Gedankengut, bildet sich in der Bibliothek ihres Vaters und hat zum Ziel, Gesellschaft und Frauen vom klerikal-konservativen Joch zu befreien. Ihr Vater stirbt, als sie 17 ist, und Aurora zieht, sobald sie volljährig ist, als Waise nach Madrid, wo sie vom Vermögen bzw. dem verkauften Gut ihres Vater selbst Grund erwerben und davon leben kann. Sie entscheidet, ein Kind ohne Vater aufzuziehen, und lässt sich von einem freisinnigen Priester, der sich als Scharlatan, Hochstapler und Betrüger herausstellt, schwängern. Es wird eine erwünschte Tochter.

Ihrer Tochter legt sie ein strenges Erziehungsregime auf. Sie muss bereits in Vorschulzeiten lesen lernen, kann mehrere Schulklassen überspringen und beginnt mit 13 Jahren ein Jurastudium, das sie innerhalb von vier Jahren abschließt. Gleichzeitig wird Hildegart in der sozialistischen Bewegung aktiv und setzt sich für die sexuelle Befreiung der Frau ein. Da dies kein politischer Hauptschwerpunkt ist, nähert sich Hildegart den Liberalen an. Auch verschärfen sich Konflikte mit ihrer Mutter.
Hildegart erwiderte barsch, daß Aurora ihr ganzes Leben über sie verfügt hatte, sie grundlos verfolgte und überwachte, so daß sie sich die Ahnungslosigkeit der Mutter nicht vorstellen könne. Sie habe sich entschlossen, nachdem Aurora Rodríguez, ohne sich um ihr Einverständnis zu bemühen, sogar einen Mann für sie ausgesucht hatte, ihren eigenen Willen durchzusetzen, frei und unabhängig zu leben, so wie sie es in ihren Schriften, die immer die Zustimmung der Mutter gefunden hätten, forderte.
Als sie nach einer Begegnung mit H. G. Wells von ihm und dem Sexualwissenschafter Havelock Ellis nach London eingeladen wird, um an der Universität eine Stellung einzunehmen, wird Hildegart vor Abreise von ihrer Mutter erschossen. Vor Gericht gibt sie an, Hildegart hätte sie angefleht, sie vor ihren Verfehlungen zu retten, sei aber zu schwach für den Freitod gewesen. Aurora wird in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, während des Franco-Regimes verliert sich ihre Spur. Es gibt Gerüchte, sie habe noch bis in die 1970er Jahre gelebt.

Die Erzählung ist streng komponiert, die Erzählperspektive durchgehend neutral beschreibend. Es gibt weder Erzählerkommentare, Wertungen noch Innensichten. Mehrfach erinnert dieser Stil an Kleist'sche Erzählungen.

Herausragend ist Auroras Aussage vor Gericht, als sie die Verfehlungen ihrer Tochter mit der Bibelerzählung von Kain und Abel gleichsetzt. Eine Täter-Opfer-Umkehr, die einen sprachlos zurücklässt.
Kain und Abel.

Man hat uns beigebracht, Kain zu hassen. Ihn als ersten Verbrecher der Menschheitsgeschichte hingestellt, als ersten Brudermörder. In den Räubergeschichten der sogenannten Heiligen Schrift hat man ihn so dargestellt, wie es später auch Wells tat: mit Affengesicht, mit Affenhänden, krummen Beinen und fliehender Stirn, abschreckend also für den Geschmack heutiger Leser.

Und doch ist Kain unter allen Helden der christlichen Mythologie der größte. Damit der Leser die wahren Ursachen von Abels Tod begreift, gebe ich zwei Zitate wieder, die von Marc Conelly und George Bernard Shaw stammen, zwei hellen Köpfen unserer Zeit: »…Abel lachte mich aus, weil ich immer arbeitete, während er im Schatten eines Baumes rastete. Er nannte mich einen Dummkopf, weil ich nicht untätig blieb.« »Abel wollte sich mit dem Alten begnügen, das Land bebauen, nur eine Frau besitzen, nicht jagen, nicht kämpfen. Er lachte über mich, weil ich kämpfte, jagte, liebte und anders arbeiten wollte.«

Wer also ist Abel? Wenn wir uns an die Zitate halten, dann erkennen wir in ihm einen Vorläufer der sozialistischen Politiker, die über die Arbeiter lachen, müßig sind, alles ablehnen, was ihrer Bequemlichkeit abhold ist. Einen Propagandisten der Trägheit, der nichts wissen will, nicht kämpfen will und edler Konkurrenz aus dem Weg geht.

Kain dagegen ist das Symbol des Fortschritts. Er ist der erste Anarchist. Und als solcher ist er aufsässig. Er gehört nicht zu den Zufriedenen und Satten. Er ist ein Genie. Abel wäre nie aus der Masse der Anonymen aufgetaucht, hätte ihn uns nicht die Bibel als Opfer hingestellt, als wäre die Tatsache, daß er eines war, nicht schon Beweis seiner Unterlegenheit. Im übrigen umgibt ihn die Aura einer frommen, dümmlichen Klosterschülerin. Er ist ein Feind des Fortschritts, verschlossen dem ungestümen Gang der Zivilisation, unfähig zum Kampf und zur Liebe. Ein kleiner Geist; Kain dagegen ist groß.

Nötig ist es also, Kain zu folgen, der auf seinem Weg alle Hindernisse beseitigt, selbst seinen Bruder, eine reinigende Tat. Kain ist bereits Mensch. Abel noch eine Puppe in Gottes Händen. Was Schöneres finden wir in der Bibel als Kain, der den göttlichen Willen mißachtet und ein Leben vernichtet, das keines ist, weil es ihm an Willenskraft mangelt!

Kain ist Inbegriff des Widerstandes gegen alles Althergebrachte. Abel der des Mittelmaßes. Kain ist der Hirte, Abel ein Schaf der Herde. Wie glücklich wäre eine Gesellschaft, in der es nur Menschen wie Kain gäbe! Obwohl es wahrscheinlich unmöglich ist. Um sie zu erkennen, braucht es die anderen, die Schar der Abel, der Dummen, die über uns lachen.

Als Opfer gilt immer der Tote, nie aber der, dessen Tat, so bedauerlich sie auch sein mag, Größe anhaftet. Wer sich, wie Abel, mit den alten Mächten arrangiert, wer nachgibt, auf halbem Weg stehenbleibt, hat sein Leben verwirkt. Kain hatte die Verpflichtung, Abel zu töten. Er konnte nicht anders. Das Opfer hat den Täter veranlaßt.



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23.11.2025 um 10:27
Josef Haslinger - Das Vaterspiel

Haslinger-Vaterspiel

2000 veröffentlicht, spielt dieser überlange Roman im Jahr 1999. Rupert Kramer, Sohn eines ehemaligen sozialdemokratischen österreichischen Verkehrsministers, der nach einer steilen Karriere mit Bau einer hypermodernen Villa am Rande des Wienerwalds seine Frau für eine Jüngere verlässt, aber in Skandale verstrickt wird und finanziell ins bodenlose Loch stürzt.

Rupert ist 35, hat kein Studium abgeschlossen, lebt von Zuwendungen seines Vaters, ist handwerklich geschickt und ein Computernarr. Um sich von der Überfigur seines Vaters zu befreien, entwickelt er ein Computerspiel, in dem Väter gefoltert und ermordet werden können. In New York gelingt ihm die Vermarktung als Online-Spiel, was ihm ein Jahr lang ein nettes Einkommen bescheren wird. Zurück aus New York erfährt er vom Selbstmord seines hochverschuldeten Vaters.

Die Geschichte ist ausgedehnt erzählt. Es geht um Ruperts Hässlichkeit, dass er nie mit einer Frau geschlafen hat, um die Klüfte zwischen der Familie der Mutter (konservative Niederösterreicher) und seines Vaters (gestandene Sozialdemokraten, der Großvater einige Monate im KZ), um seine Schwester, die einen Künstler heiratet und in Singapur zu einem "Chinesen" zieht, mit dem sie eine Tochter hat, um eine Sozialdemokratie, in welcher der Führungskader auch in der Privatindustrie Geld scheffelt.

Eigentlich seit Langem ein Roman, der zum Weglegen ist, da die Story nicht ansprechend ist, wenn da nicht eingeflochtene Zeugenaussagen eines Jonas Shtrom in Ludwigsburg und vor dem US-Justizministerium (1967) wären. Shtrom hat als Jugendlicher das Ghetto/KZ im litauischen Kaunas überlebt, seine Eltern sind ermordet worden. In den USA ist er sicher, den Mörder seines Vaters, den ehemaligen Schulkollegen Algis Munkaitis, entdeckt zu haben, der Teil einer litauischen Hilfstruppe der deutschen Besatzer war. Dieser hat den Namen Lucas Kralikauskas angenommen und führt in Chicago einen Großhandel für Fischereibedarf.

Diese beklemmend geschriebenen fiktiven Protokolle bilden die Klammer zu Rupert. 1999 ruft ihn die nun als Kulturkorrespondentin in den USA lebende ehemalige Studienkollegin Mimi Kralikauskas, der er einmal die Wohnung ausgemalt hat und welche die einzige Frau ist, mit der er sexuell (auch vor 25 Jahren waren pornographische Beschreibungen offenbar schon in - es war ein Handjob) jemals was hatte, an, damit er auf Long Island eine schalldichte Wohnung in einem Keller errichte.

In diesem Keller haust seit 1967 (der Aussage Shtroms vor dem Justizministerium) der an Arthrose leidende Lucas Kralikauskas, seine Frau (eigentlich seine Schwester, mit der er unter seinem falschen Namen eine Scheinehe eingegangen ist, um in die USA migrieren zu können) ist in einem Pflegeheim. Mimi pflegt ihn und erzählt Rupert, dass ihr (unechter) Großvater Opfer einer Verwechslung sei. Doch Rupert findet die Protokolle der Aussagen Shtroms (es bleibt unklar, wie diese in die Hand der Kralikauskas gekommen sind).

Was nun folgt, passt zu dem eigentümlichen Text. Rupert und Algis Munkaitis setzen sich im Keller bei Bier und litauischem Bauernkäse zusammen, Algis erzählt, wie er litauischer Nationalist wurde und es nach dem Krieg geschafft hat, über Deutschland in die USA zu kommen. Seine Geschichte, warum er sich den Hilfstruppen angeschlossen hat, ist in diesem Zusammenhang unschlüssig. Und warum er Shtroms Vater erschlagen sowie stundenlang in Fort IX mit einem Maschinengewehr jüdische Menschen erschossen hat, ist mit diesem Erklärungsansatz nicht nachvollziehbar. Es bleibt die Frage offen, warum er als nationalistischer Widerstandskämpfer nicht gegen beide Seiten (Sowjets und Deutsche) gekämpft hat. Nach der Erzählung geht Rupert, der die schalldichte Wohnung fertig gebaut hat, besäuft sich in einem Hotel und fliegt nach Hause, wo er vom Freitod seines Vaters erfährt. Eine dekonstruierende Reflexion der Aussagen von Munkaitis findet nicht statt.

Fazit: Viel zu viel Einzelgeschichten und das Treffen mit Algis Munkaitis ist sehr fragwürdig. Die Kritik war sich nicht einig. Zwischen einem österreichischen Houellebecq und einem Exploit des Holocaust, um eine langweilige Geschichte aufzupeppen, war alles drinnen, wie im Perlentaucher noch nachzulesen ist.


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24.11.2025 um 23:39
Louis Sachar - Löcher

Sachar-Loecher

Louis Sachars Roman aus 1998 ist ein Klassiker der Kinderliteratur. Oder ist es Jugendliteratur? Die Hauptfigur, Stanley Yelnats, ist 14 Jahre alt und angeblicher Turnschuhdieb (von Turnschuhen eines berühmten Baseballstars mit Schweißfüßen). Angeprangert wird in satirischer Weise das private Bootcamp-System (Alternative zu Gefängnisstrafen) der USA, und dass es sich dabei um gewinnorientierte Projekte handelt, wird mit der Bootcamp-Leiterin auf die Spitze getrieben. Sie lässt die Jugendlichen jeden Tag ein Loch in den harten Boden eines ausgetrockneten Sees graben, um den vermeintlichen Schatz der Banditin Kate Barlow, die vor über 100 Jahren Reisende in Texas in Angst und Schrecken versetzt und auch den Urgroßvater Stanleys ausgeraubt hat, zu heben.

Meisterhaft sind absurd-skurrile, erfundene wie echte Kausalketten ineinandergeflochten. Der Fluch, der wegen Stanleys lettischen Ururgroßvaters auf der Familie liege, ist grandios witzig. Die Geschichte Kate Barlows ist beklemmend. Sie war Lehrerin am Green Lake, als er noch ein See und Pfirsichparadies war, doch ihr Liebling, ein afroamerikanischer Zwiebelverkäufer, wird erschossen, weil die beiden sich in der Öffentlichkeit geküsst haben. Kate zieht auf einen Rachefeldzug, der See trocknet aus.

Der Fluch wird gebrochen, als Stanley den fliehenden Afroamerikaner (dem er im Camp das Lesen beigebracht hat) auf einen Berg schleppt (er heißt Zeroni wie die Frau, die seinen Ururgroßvater verflucht habe, weil er sie nicht wie gefordert auf einen Berg getragen habe). Beide überleben, indem sie eine Woche Zwiebel essen, gehen zurück zum Camp, um den Schatz selbst zu suchen und finden den Koffer seines Urgroßvaters in dem Loch, in dem Stanley bereits eine Lippenstifthülse von Kate Barlow ausgegraben hat.

Cop-Out: Der Staatsanwalt und die Anwältin von Stanleys Eltern, die misstrauisch geworden sind, kommen rechtzeitig und bringen ein richterliches Dokument, dass Stanley die Sportschuhe, die ihm in einer Unterführung auf den Kopf gefallen sind, nicht gestohlen haben kann. Er ist frei. Das Camp wird geschlossen.

Nur das Ende ist etwas "amerikanisch" mit Super-Happyend. Im Koffer des Urgroßvaters finden sich Schmuckstücke und vor allem Wertpapiere, die nun so richtig Wert haben. Stanley ist Millionär, sein Vater erfindet ein Mittel gegen Schweißfußgeruch in Schuhen, das vom Baseballstar beworben wird, sein Freund Zeroni findet seine verschollene Mutter wieder. Er muss kein Straßenkind mehr sein. Und: Aus dem gemobbten dicklichen Stanley ist im Camp ein athletischer junger Mann geworden. Also doch ein Plädoyer fürs Löchergraben?

Leseempfehlung. Definitiv. Der Text ist bis ins kleinste Detail ausgefeilt und die deutsche Übersetzung gelungen.


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25.11.2025 um 22:06
gier-wie-weit-wuerdest-du-gehen-taschenb

Kurz zum Inhalt:
»Stoppt die Gier!«, rufen sie und »Mehr Gerechtigkeit!«. Auf der ganzen Welt sind die Menschen in Aufruhr. Bei einem Sondergipfel in Berlin will man Lösungen finden.

Der renommierte Nobelpreisträger Herbert Thompson soll eine Rede halten, die die Welt verändern könnte, denn angeblich hat er die Formel gefunden, mit der Wohlstand für alle möglich ist. Doch dazu wird er nicht mehr kommen. Bei einem Autounfall sterben Thompson und sein Assistent – aber es gibt einen Zeugen, der weiß, dass es Mord war, und der hineingezogen wird in ein gefährliches Spiel. Jan Wutte will wissen, was hinter der Formel steckt, aber die Mörder sind ihm dicht auf den Fersen …
»Eine rasante Flucht durch die Berliner Hausbesetzer-Szene und Nobelhotels hält den Leser über 448 Seiten in Atem.
Quelle: https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1056624195?ProvID=15322706&gad_source=1&gad_campaignid=17338972729&gbraid=0AAAAADwkCX7FvORAWP2IyYiiIFF3Bp_Jp&gclid=Cj0KCQiAxJXJBhD_ARIsAH_JGjihBRe5sCAceVP4uz7YAux5ozqqSYji_flsXTEfSD5AehRIXZCGR6caAjCKEALw_wcB


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30.11.2025 um 16:47
Brennen muss Salem

Mal abgesehen davon, dass es nicht so der Burner ist, ist die Sprache der deutschen Übersetzung unglaublich altmodisch.
"Er wurde ihrer gewahr" "Wüstling" "Kleiner Lauser"
Ist in den 80ern erschienen, aber die Übersetzung klingt eher nach den 50er Jahren


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