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22.08.2025 um 13:49
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22.08.2025 um 15:15
Anna Mitgutsch - Die Züchtigung

Mitgutsch Zuechtigung

Die österreichische Autorin Anna Mitgutsch arbeitete als promovierte Literaturwissenschafterin (Germanistik, Anglistik) an Universitäten in Österreich, Großbritannien, Südkorea und den USA, bis sie nach dem Erfolg ihres ersten Romans Die Züchtigung (1985) mit 37 Jahren den Weg als freie Schriftstellerin einschlug.

In diesem Roman arbeitet sich Mitgutsch vermutlich an ihrer eigenen Biographie, an einer Hassliebe zu ihrer gewalttätigen und folternden Mutter ab, welche die feste Ansicht vertritt, dass Kinder nur mit brutalen Schlägen auf einen "rechten" Weg geführt werden können. Tatwerkzeug: Teppichklopfer. Das Leben ist von Armut geprägt, dennoch wird der Schein nach außen gewahrt, die Mutter ist äußerst gepflegt und trägt geschneiderte Kleidung aus bestem Stoff, auch wenn das Geld nur für ein Bad in der Woche reicht, und die ganze Familie badet im selben Wasser einer Badewanne.

Die Mutter Marie stammt aus einer Bauernfamilie im Norden Österreichs nahe der tschechoslowakischen Grenze und heiratet einen Ostfrontheimkehrer aus dem Zweiten Weltkrieg wegen seiner von Liebe triefenden Briefe. Als Personen werden sie sich nicht lieben. Aus der Sicht ihrer Eltern (auch der Vater ist ein brutaler Züchtiger) heiratet sie unter ihrem Stand, Friedl ist ein Häuslersohn (Besitzer eines kleinen Hauses, aber ohne Felder). Arbeit findet er in der Stadt (wird wohl Linz sein) als Straßenbahnschaffner, und er macht keine Karriere, bleibt zeitlebens Schaffner. Zunächst wohnen sie bei einem Bauern in einer schäbigen Wohnung an dessen Hof, dessen Frau demütigt das Ehepaar durch Boshaftigkeiten. Schließlich kaufen sie sich Blockhaus mit 25 Quadratmetern. Im ersten Stock befinden sich zwei Zimmer mit Dachschrägen, die über eine Hühnerleiter zu erklettern sind. Das Geld leiht ihnen ihr Vater und eine ihrer Schwestern. Zum Haus gehört ein Pachtgrund, auf dem sie Hühner halten und Gemüse anbauen können. In diese Verhältnisse kommt die Tochter Vera zur Welt.

Vera wächst in Armut auf, auch wenn der Hunger der Nachkriegsjahre vorbei ist. Seit sie denken kann, erinnert sie sich an die Züchtigungen ihrer Mutter. Keine Zornestaten im Affekt, sondern geplante Folter aus unterschiedlichesten Anlässen, die zu einem strafwürdigen Vergehen erklärt werden (Schmutz auf der Kleidung, aufgeschundenes Knie, Lachen in der Kirche). In der Schule fällt ihr Verhalten auf, sie wird untersucht, die blauen Flecken werden entdeckt, die Mutter wird ermahnt. Das war es. Das Schlagen geht ungehindert weiter. Vom antriebslosen Vater wird Vera auch nicht geschützt.
Nach der Kirche musste ich mich nackt ausziehen und wurde mit dem Teppichklopfer geschlagen, bis ich bewegungslos und lautlos auf dem ­Boden lag, und mein Vater sagte, da siehst du, was du mit deiner Brutalität ausrichtest, erschlagen tust du das Kind noch. Aber als ich geschrien hatte, Papa, Papa, hilf, war er auf dem Sofa gesessen und hatte nicht gewagt, in die Züchtigung einzugreifen.

Schlagen war ein Ritual, von Ritualen umgeben.
Veras Leistungen in der Schule sind unterschiedlich. In der Volksschule Klassenbeste, sie geht gegen den Willen der Eltern auf das Gymnasium, obwohl sie sich damit abfinden und sogar eine Privatschule sich leisten. Das ist die andere Seite der Eltern: Sie bringen finanzielle Opfer, um der Tochter (sie ist ein Einzelkind) eine Zukunftschance bieten zu können. Die Mutter hofft, dass Vera ihren eigenen Berufstraum wahr werden lässt: Klosterlehrerin. Erst am Ende der Gymnasialzeit fängt Vera sich wieder und legt die Reifeprüfung mit Vorzug ab. Das durch die häusliche Gewalt begründete psychische Auf und Ab zeigt sich auch körperlich. Bis zur Pubertät isst Vera Unmengen und wird immer dicker, ab der Pubertät verweigert sie Essen, bricht es und wird hager. Abgemagert.

Über den weiteren Lebensweg Veras nach der Schule erfahren wir nur aus Eingesprengsel. Sie hat verschiedenste Beziehungen, vor allem mit Künstlern, von denen sie sich immer rasch trennt.
Später verliebte ich mich in Künstler, feminine Männer, Träumer, denen irgendwann die Träume zerfallen waren und die mich in ihre Träume hineinziehen wollten, sich von mir ihre Träume bestätigen und realisieren lassen wollten, während ich sie durchschaute, verachtete und enttäuscht weglegte.
Vera ist alleinerziehende Mutter einer Tochter und will die Tradition gewalttätiger Erziehung defintiv nicht fortsetzen, was ihr postwendend wegen der Verhaltensauffälligkeit ihres Kindes Tadel eines Psychologen einbringt:
Das eine vor allem wollte ich von Anfang an, das Kind vor dieser Erbschaft der Selbstzerstörung bewahren. Den Zwang wollte ich fernhalten, die Angst vor der Strafe, die Demütigung, der Schwächere zu sein, und die Unfähigkeit, sich dagegen aufzulehnen. Sie ersticken das Kind mit Liebe, sagte der Psychologe, Sie können nicht loslassen, Sie hemmen seine Entwicklung. Das ist nicht wahr, wollte ich rufen, aber ich schwieg und nahm alle Schuld auf mich, ich hatte wieder einmal versagt.
Die Mutter stirbt relativ jung. Sie hat über Jahre hinweg an Kopfschmerzen gelitten, und das eher scherzhaft gemeinte Bonmot ihres Mannes, dass da wohl ein Tumor in ihrem Hirn sitze, welcher der Grund für ihr Verhalten sei, stellt sich als korrekte Diagnose heraus. Nur ging Marie selten zum Arzt und dieser hat auch keine Ahnung, wie er diagnostizieren sollte. Es sei wohl psychisch. Als Marie verfällt, im Krankenhaus künstlich ernährt wird, Morphium gegen ihre Schmerzen erhält und schließlich stirbt, wird im Krankenhaus die wahre Diagnose gegeben: Ihr gesamter Körper war bereits von Metastasen zerfressen.

Vera reflektiert über die Zeit danach:
Ich trat ihr Erbe an, in den Trauerkleidern, die sie vom Spitalsbett aus für mich bestimmt hatte, mit der Frisur, die sie für richtig befunden hatte, kein Haar hing aus der Frisur. Ich wurde fromm, streng, unnahbar, misstrauisch und ehrgeizig. Ich glänzte in den Seminaren und biss vor Einsamkeit schreiend in die Polster. Mein Vater heiratete übers Jahr und wurde glücklich. Er konnte sich endlich erlauben, seinen Hass auszusprechen, seine zwanzigjährige Demütigung abzugrenzen, sie war ein Abschnitt seiner Vergangenheit geworden. Ich liebte sie und wollte werden wie sie, bis ich ihr Gegenteil wurde und sie hasste.
Einblick bekommen wir auch in die Schwestern von Veras Mutter Marie. Rosi heiratet einen Lehrer, der Gedichte schreibt, sie jedoch permanent grün und blau schlägt und sich dabei befriedigt. Sie lässt sich scheiden. Ein Familienskandal. Die Scheidung, nicht die sadistische Perversion ihres Mannes. Angela wird Bäuerin und hat neben ihrer schweren Arbeit sechs Geburten in acht Jahren. Ihr Mann schlägt sie. Heidi heiratet ebenso wie Marie einen Häuslersohn (sogar einen unehelich geborenen). Dieser geht zur Zollwache an der tschechoslowakischen Grenze und sie können sich einen gewissen kleinbürgerlichen Wohlstand leisten. Auch ist er nicht gewalttätig, das Kind ist ein Wunschkind und sie können sich ein Motorrad leisten.

Auch Politik wird immer wieder angesprochen, vor allem die Zeit des Nationalsozialismus, über die die Kriegsgeneration der Mutter ein Schweigen gelegt hat.

Mitgutsch greift thematisch für die damalige Zeit Typisches in der österreichischen Literatur auf: Anti-Idylle des bäuerlichen und dörflichen Lebens, Armut, Familiengewalt und Nationalsozialismus. Sie war aber vermutlich die erste, die keine Vaterabrechnung, sondern eine Mutterabrechnung geschrieben hat.


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22.08.2025 um 18:33
Vea Kaiser - Makaronissi

Kaiser-Makarionissi

2015 erschien der zweite Roman der österreichschen Schriftstellerin Vea Kaiser, in der die ausgebildete Altphilologin die Zeit ab 1945 in einer Mehrgenerationengesichte einer griechischen Familie aus dem fiktiven nordgriechischen Bergdorf Varitsi spiegelt.

Die Kernfigur ist Eleni. Sie ist wild, beißt auch schon mal in einen Arm und heiratet ihren Cousin Lefti (Cousinenehen sind im Innzuchts-Varitsi normal), um mit ihm in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre als Gastarbeiterfrau nach Hildesheim in Deutschland zu ziehen. Varitsi ist wie ganz Griechenland politisch zerrissen. Für Kaiser gibt es nur zwei Seiten, die sich bekämpfen: die Königstreuen, die zuvor Faschisten waren, und die Kommunisten. Leftis Vater ist Kommunist, wird nach der Niederschlagung im Bürgerkrieg aufgegriffen und verschleppt. Er taucht nie wieder auf. Elenis Vater ist Königstreuer, sie selbst wird jedoch zu einer Parolen-Kommunisten (aktiv wird sie nicht tätig), während Lefti Politik verachtet, da sie nur Unglück über die Menschen bringe. Eleni wird nach dem Militärputsch 1967 verhaftet, in ein Gefängnis gebracht, gefoltert (Kaiser erspart uns Details) und nur unter der Bedingung freigelassen, dass sie Lefti heiratet. Ihre Großmutter hat im Hintergrund intrigiert.

Obwohl Eleni und Lefti als Kinder fast unzertrennlich waren, funktioniert ihre Ehe nicht. Sie lieben sich nicht und ihre Charaktere passen nicht zusammen. Eleni ist aufbrausend, durchaus jähzornig und Lefti ist sehr phlegmatisch. So verlieben sich beide in andere. Lefti in seine aus Österreich stammende einige Jahre ältere Deutschlehrerin, die er nach der Scheidung von Eleni ehelicht und mit der er nach St. Pölten zieht, wo sie ein griechisches Restaurant eröffnen, nachdem Lefti keinen Job gefunden hat (die Firma will keinen Griechen, obwohl er Fachmann ist, da bei ihr Türken arbeiten und sie sich einen Zypernkomflikt auf Betriebsgelände sparen will).

Eleni ist in einem Hildesheimer Verein der Exilgriechen aktiv, der gegen die Militärjunta agitiert, und verliebt sich in Otto (Ottmar Müller), einen Hippie-Liedermacher, den sie jedoch fluchtartig nach einer Indienreise (sie ist sauer, weil sie den Sturz der Junta nicht mitverfolgen konnte) verlässt, als er will, dass sie ihr gemeinsames Kind abtreiben lässt. Sie geht zurück nach Varitsi, tischt der Familie auf, dass Lefti der Vater sei, und bringt ein Mädchen zur Welt. Nicht so richtig wissend, was sie tun soll, fliegt sie ohne Kind zu einer Verwandten einer Bekannten nach Chicago, arbeitet in deren Brautmodengeschäft im griechischen Viertel, lässt ihre Tochter Aspasia nachkommen und heiratet einen viel älteren griechischen Restaurant- und Konditoreibesitzer, Milton. Dieser scheint so reich zu sein, dass er auf seiner Heimatinsel Makarionissi im Westen Griechenlands (auch diese Insel ist fiktiv) ein riesiges Hotel errichten lässt (dürfte wohl ein Fünf-Sterne-Ding sein).
achtzigtausend Quadratmeter, zweihundertsiebenundachtzig Zimmer, drei Restaurants, ein großer Süßwasserpool, zwei Kinderbecken, Haupthaus, einige Bungalows und Vierundzwanzigstunden-Roomservice wie in amerikanischen Nobelressorts ... Die Balkone, die das Hotel sowohl zum Meer als auch zum Binnenland hin umgaben, waren in leuchtendem Weiß gestrichen. Die Oleanderhecken, Palmen, Bananenstauden, die die Einfahrt säumten und die große Sonnenterrasse von der Inselseite abschirmten, mussten zwar noch wachsen, doch ihr sattes Grün ließ schon jetzt erahnen, was Milton mit dem »paradiesischen Garten« meinte, den er zwischen den Swimmingpools und der mit Marmor gepflasterten Promenade hinunter zum Strand anlegen wollte.
Nachdem ihr Mann Milton im Schlaf gestorben ist, führt Eleni das Hotel allein weiter. Die ortsansässigen Arbeitskräfte sind längst durch solche aus Albanien ersetzt worden. Angeblich, weil alle sich im Tourismusbereich, den das Hotel angekurbelt hat, selbständig gemacht hätten. Dass vielleicht ihre Löhne niedriger sein konnten, davon schreibt Kaiser nichts. Auch hält sie Yogakurse für die Hotelgäste. Elenis Tochter Aspasia wird als Teen von einem Ingenieur schwanger und gebiert Zwillinge. Zwei Söhne. Sie werden alleine aufgezogen.

Zeitsprung. Aspasias Söhne Iannis und Manolis sind nun Jünglinge um die 16, Iannis liebt es zu kochen und soll das Hotel übernehmen, Manolis ist Athlet und Handwerker, arbeitet in der Schaumstoffzuschneidefabrik und ist als Radikalkommunist in der Gewerkschaft aktiv. Doch als Iannis am Hochzeitstag von seiner Verlobten versetzt wird (Manolis und Eleni haben noch am Tag der Hochzeit auf sie eingewirkt, nicht zu heiraten), packt er wutentbrannt seine Sachen und fährt nach St. Pölten zu Lefti und seiner Frau, wo er als Koch zu arbeiten beginnt.

Iannis ist Experimentalkoch mit einheimischen Kräutern und Insekten. Seine Kreationen werden auf einer Spezialkarte angeboten und ein wegen eines Zugunglücks gestrandeter Lokalkritiker aus Zürich betritt das Restaurant, ist begeistert und lädt ihn nach Zürich ein. Nachdem Leftis Restaurant wegen einer Gasexplosion durch einen Rohrschaden zerstört ist und Lefti mit seiner Frau sich mit den Versicherungsgeldern ein Wohnmobil kaufen und auf Reisen gehen, zieht Iannis nach Zürich und wird Jungstar in einem der angesagtesten Haubenlokale.

Noch zuvor kommt auch Otto auf seiner Tournee nach St. Pölten. Er ist Schlagerstar geworden und in jeder Stadt geht er in ein griechisches Restaurant und fragt, ob sie eine Eleni kennten. In St. Pölten wird er fündig, erkennt Lefti wieder und erfährt, wo Eleni nun lebt. Er steuert seinen Tourbus nach Makarionissi, wo er eine Bucht auf Lebenszeit pachtet und in seinem Tourbus lebt. Das Wiedersehen mit Eleni und das Bekanntwerden mit seiner Tochter ist zunächst nicht friktionsrei, aber alles löst sich in Wohlgefallen auf. Aspasia liebt ihren verrückten Vater, und dieser trinkt und kifft mit seiner großen Liebe Eleni auch noch im hohen Alter.

Am Ende fallen Tragik und Kitsch einander in die Arme. Die Frau von Manolis wird von einem maroden Baukran, den die Baufirma aus Geldmangel während der Finanzkrise nicht mehr abbauen kann, erschlagen. Sie liegt im Koma, die Ärzte wollen die lebenserhaltenden Geräte ausschalten. Manolis verschanzt sich im Krankenhaus. Doch Iannis ist mittlerweile zurück auf die Insel gekommen, da er von dem Unglück gelesen hat, und kann ihn zum "Loslassen" bewegen. Manolis, der auf Bewährung freikommt, wird wunderlich und sucht die ganze Zeit mit einem Metalldetektor seinen verlorenen Ehering.

Doch auch Lefti und seine Frau Trude sowie Iannis' Schweizer Freundin kommen auf die Insel und bei ihrer Ankunft werden sie von allen empfangen. Es findet eine große Vesöhnung der nun alten Leute statt, die sich in ihrer Lebenszeit gegenseitig doch oft sehr verletzt haben.

Der Roman ist lange, fast 500 Seiten, seine Stärken liegen zu Beginn über das verarmte Randlagendorf im Norden Griechenlands an der albanischen Grenze, die Beschreibung der Lebensverhältnisse, der Armut, der Beziehungsgeflechte und der politischen Kluft, die Menschen zu Feinden werden lässt.

Nur mehr schwer nachzuvollziehen ist der zweite Teil. Woher nimmt ein Restaurant- und Konditoreibesitzer das Geld, um ein Fünfsterne-Hotel mit dreihundert Betten aufzuziehen? Das kann sich wohl auch in Chicago nicht abgespart werden. Woher kommt das Geld für den logistischen Aufbau und für die Angestellten, die ja vorhanden sein müssen, bevor die ersten Gäste kommen? Wie wird das Hotel beworben? In welche Reiseveranstalter-Netzwerke wird das Hotel integriert? Dies sind alles weiße Löcher im Roman. Und als während der Finanzkrise etwa 50 Prozent der Inselbewohner arbeitslos sind, stellt sich auch die Frage, warum Eleni die Stellen, es sind ja Saisonstellen, noch immer mit Arbeitskräften aus Albanien besetzt und nicht mit Leuten von der Insel wie zu Beginn.

Auch familienintern erscheint mir Einiges nicht stringent. Die Tochter einer reichen Hotelbesitzerin arbeitet als angestellte Friseuse in einem kleinen Laden auf der Insel und ruiniert sich dabei ihre Gesundheit. Warum? Der Enkelsohn einer reichen Hotelbesitzerin ist Arbeiter (!) in einer Schaumstoffzuschneidefabrik. Warum?

Für einen realistisch gehaltenen Roman mit sehr realen Einsprengseln (Weltkrieg, Bürgerkrieg, Militärdiktatur, Zypernkrieg, Finanzkrise) gleitet das Ende zu sehr ins Märchenhafte. Dass die Alten nun unsterblich auf einer Insel der Seligen (Untertitel) sind, passt nicht. Das ist ein kitschiger Cop-Out über ein Familien- und Freundschaftsnetzwerk, das über alle Widrigkeiten und Zwistigkeiten hinweg miteinander verbunden sein soll. Darüber helfen weder Kaisers Liebe zu Märchen (es werden im Roman sehr viele erzählt) und die Kapitelbenennung "Gesang" sowie die Bezeichnung der Hauptfiguren als Heldinnen und Helden (Mythenbezug) hinweg.

Etwas weniger an Zeitspanne und an Hauptfiguren hätte dem Roman gut getan. Denn eines kann Vea Kaiser exzeptionell: erzählen.


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24.08.2025 um 13:02
Jostein Gaarder - The Orange Girl

Gaarder-Orange Girl

So richtig warm bin ich mit diesem Roman von Jostein Gaarder nicht geworden. Der Vater des 15-jährigen Georg Reed ist einer schweren Krankheit erlegen, als dieser vier Jahre alt war, und hat vor seinem Tod noch einen langen Brief an seinen Sohn geschrieben, den er in einem Kinderwagen versteckt hat und der nun zum Vorschein kommt. Georg liest ihn.

In diesem Brief erzählt er des Langen und Breiten, wie er als junger Medizinstudent mit einem Mädchen in der Straßenbahn zusammenstößt und dadurch veranlasst, dass sie einen großen Sack mit Orangen fallen lässt. Er verliebt sich in die junge Frau, die auch Augenkontakt mit ihm sucht. Wochenlang versucht er herauszubekommen, wer sie ist. Einmal kommt sie in sein Stammcafé und hält seine Hände, dann sieht er sie in einem Gemüsemarkt und in der Kathedrale bei der Weihnachtsmesse. Sie sprechen miteinander (sehr wenig), sie küssen sich, er ist erstaunt, als sie beim Weggehen ihn beim Namen nennt. Und: Er müsse sechs Monate warten, danach könne er sechs Monate täglich mit ihr zusammen sein.

Der Vater fühlt sich wie im Märchen mit seinen auferlegten Regeln, die nicht gebrochen werden dürfen. Auch geht seine Fantasie durch, wer es sein könnte und wozu sie so viele Orangen bräuchte. Schließlich kommt eine Karte von ihr vom Orangenhof der Kathedrale von Sevilla. Er solle noch ein paar Monate aushalten. Kann er aber nicht und fliegt nach Sevilla, wo er auf einem Platz im jüdischen Viertel hofft, dass sie vorbeikommt. Was sie auch tut und sie weist ihn nicht zurück. Nun löst sich die Story der ersten Hälfte auf. Sie heißt Veronika, die beiden waren als Kleinkinder Spielkameraden, nur er kann sich nicht mehr an sie erinnern. Nun studiert sie an der Kunstakademie in Sevilla, die Orangen benötigte sie als Übungsmodelle. Sie verlieben sich trotzdem, werden nach ihrer Rückkehr nach Oslo ein Paar, ziehen zusammen und übernehmen schließlich, nachdem seine Eltern an ihren Alterssitz gezogen sind, deren Haus und Georg kommt zur Welt. Rätsel gelöst: Das Orangenmädchen ist Georgs Mutter.

Der zweite Teil des väterlichen Briefs stellt die Sinnfrage des menschlichen Lebens, das in kosmische Zusammenhänge gesetzt wird: Größe und Alter des Universums gegenüber Kleinheit und Kürze des menschlichen Daseins, bis schließlich die zentrale Frage an Georg gestellt wird, da der Vater ein schlechtes Gewissen hat, ein Kind in die Welt gesetzt zu haben, wohlwissend, dass es mit dem Tod enden werde: Würde Georg, falls er zu Anbeginn des Universums die Frage gestellt bekommen hätte, ein kurzes Leben mit seinem tödlichen Ende wählen oder nicht.

Die Antworten und diesen Ich-Roman schreibt Georg auf dem alten Computer seines Vaters, dessen Passwort "Orangen" er erraten hat, in dessen Brief hinein. Er bejaht sie. Auch reflektiert Georg über diese Kontaktaufnahme durch seinen verstorbenen Vater. Er ist irritiert. Eigentlich sollten Tote sich nicht mehr bei den Lebenden einmischen.

Etwas heftig ist am Ende nach Lesen des langen Briefes auch sein Verhalten gegenüber seiner Mutter, die nun mit einem Jörgen verheiratet ist, der vor seinem Vater ihr Freund gewesen ist. Er schmeißt Kekse auf den Boden und nennt die Mutter "blöd".
‘... you’re bloody daft!’ I shouted. ‘You had two boyfriends at once!’
Und gleich weiter ist sie für ihn ein "altes Huhn".
I almost felt a bit sorry for the old chick now. She was still pale. Despite myself I said: ‘Could I ask which of the two the Orange Girl was fondest of?’

‘No,’ she said emphatically, ‘you can’t ask.’
Dieses impertinente Verhalten passt eigentlich nicht zu dem eher gesetzten, nicht emotional hochbrausenden Stil des Textes.

Mir ist die Stalker-Geschichte mit dem Orangenmädchen schlichtweg zu langatmig und die Fantasien des Vaters sind zum Teil an den Haaren herbeigezogen. Die Sinnfrage wird zu breit ausgewälzt. Und Georgs plötzliche Unverschämtheit gegenüber seiner Mutter ist unvorbereitet. Sie hat seinen Vater ja nicht sitzen lassen.

Fazit: Unausgegoren.


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25.08.2025 um 10:33
Bov Bjerg - Auerhaus

Bjerg-Auerhaus

Bov Bjerg (echter Name Rudolf Schmidt) legte 2015 einen Coming of Age-Roman vor, der in den 1980er Jahren in einem Dorf bei Stuttgart spielt und mich konzeptionell an Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. erinnert. Sechs junge Erwachsene um die 18 Jahre ziehen in das leerstehende Großelternhaus von Frieder Wittlinger ein. Ich-Erzähler ist ein Höppner.

Höppner und Frieder gehen in die Abiturklasse des Stadtrandgymnasiums und Frieder überlebt einen Selbstmordversuch mit Tabletten. Zu ihnen ziehen Vera (die Freundin Höppners) und Cäcilia (Klassenkollegin). Später stoßen Harry (Frieder kennt ihn aus dem Kindergarten, er ist Elektrikerlehrling, Schwulenstricher in Stuttgart und Drogendealer) sowie Pauline (Pyromanin, sie lernt Frieder in der Psychiatrie kennen, später sitzt sie wegen Brandstiftung mit Todesfolge 10 Jahre ein).

Sie leben zum Teil mit Unterstützung ihrer Eltern, aber hauptsächlich von Ladendiebstahl, der jedoch nie zu einer Anzeige führt. Ansonsten wird viel gequatscht und Unfug getrieben (Frieder hackt zum Beispiel den Weihnachtsbaum am Hauptplatz um oder spielt aus einem Autofenster heraus mit einer Holzpistole, indem er einen Streifenwagen bedroht, was nicht so gut ankommt). Auch stürmt eine Razzia ins Haus, weil sie nach Drogen bei Harry suchen, sie aber nicht finden.

Dreh- und Angelpunkt ist die Hauptfrage, ob Frieder weiterhin suizidgefährdet ist. Ja, er ist, am Ende schafft er es, sich mit Tabletten umzubringen.

Knapp am Klamauk rauschen die Schulszenen bzw. die Szene bei der Musterung vorbei. Höppner schafft das Abitur nicht, zieht nach Berlin, um der Bundeswehr entgehen zu können, und arbeitet als Reinigungskraft.

Der Text ist rasant geschrieben und sehr schnell zu lesen, die zeitgenössischen Kritiken waren überschwänglich, für mich hält er, obwohl Klamauk mit Tiefgangversuchen, den Vergleich zu Plenzdorf nicht Stand. Warum Frieder überhaupt suizidgefährdet ist, erschließt sich mir nicht. Vielleicht wollte Bjerg nicht nur Klamauk schreiben.

Tiefgangversuche in Bonmots:

  • Mehrfach wird phrasiert, das normale Leben bestehe nur aus "Birth, school, work, death".
  • "Literatur, das ist das Klopapier, mit dem sich jedes Arschloch putzt."


Trotzdem: Gute Unterhaltungsliteratur.

Das Haus heißt übrigens Auerhaus nach einem Song von Madness: "Our House".


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26.08.2025 um 13:06
Gavriel Savit - Anna und der Schwalbenmann

Savit-Schwalbenmann

Der Eindruck lässt nicht los, dass der bei Erscheinen seines Erstlingromans 2016 28-jährige New Yorker Schauspieler und Musiker Gavriel Savit sich von Elem Klimovs Jahrhundert-Antikriegsfilm Komm und sieh (Wikipedia) hat inspirieren lassen.

Die Geschichte beginnt im Herbst 1939 in Krakau, der Vater der siebenjährigen Anna Łania ist Sprachwissenschafter an der Universität Krakau und wird am 6. November 1939 bei der "Sonderaktion Krakau" (Wikipedia) im Rahmen einer "Säuberung" polnischer Intellektueller verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verfrachtet, wo er verstirbt. Zuvor bringt er Anna zu einem befreundeten Apotheker, der das Mädchen nach einer Nacht auf die Straße setzt. In die Wohnung kann sie nicht, da sie keinen Schlüssel hat, so bleibt sie vor der Apotheke sitzen, bis sie auf einen gut gekleideten, großen, schlanken Mann aufmerksam wird, der die Fähigkeit besitzt, Schwalben zu rufen und sie auf seinen Finger setzen zu lassen.

Anna zieht mit ihm aus der Stadt und damit beginnt eine eigenartige mehrjährige Odyssee durch Kriegspolen. Der Schwalbenmann zieht als Landstreicher umher, immer darauf bedacht, nicht als Fremder zu erscheinen. Essen und das Lebensnotwendige wird durch Geschenke, Diebstahl und nach Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion durch Leichenfledderei besorgt. Vom Holocaust ahnen sie etwas durch Erzählungen und Massengräbern, die sie auf ihren Wegen sehen, wie auch durch einen Flüchtling aus dem Ghetto Lublin, Reb Hirschl, einem fröhlichen Musiker und Trinker, der sich schließlich erhängt.

Der Schwalbenmann ist schweigsam, sie überqueren mehrfach Grenzposten an Zonengrenzen mit falschen Pässen und straßenweisen Tricks. Mit Reb Hirschl überqueren sie den Bug, um ins sowjetisch besetzte Polen zu gelangen, doch dies ist der 22. Juni 1941, sie geraten in die deutsche Offensive und beschließen, zurückzukehren, da sie nicht an der Front bleiben wollen.

Nach einer Episode in einem von deutschen Truppen verlassenen, bombardierten Landhaus, in dem der Schwalbenmann von Jugendlichen angeschossen wird, ziehen sie nach Danzig, wo sich das Geheimnis um den Schwalbenmann aufklärt, der nach der Ermordung eines aufdringlichen Krämers konstatiert: Dieser sei nur ein Leben, doch mit seinem Leben sei das Leben der Menschheit verbunden. Die Tabletten, die der Schwalbenmann regelmäßig einnehmen muss und die ihm ausgegangen sind, was eine psychotische Charakteränderung wie Haarausfall nach sich zieht, sind Kaliumiodidtabletten. Auch besucht er in Danzig einen alten Mann, mit dem er über "spaltbares Material" und Waffenfähigkeit spricht, auch wird er als Professor angesprochen. Ergo: Der Schwalbenmann ist Atomphysiker. Inwiefern diese Art von Untertauchen realistisch ist oder pure Fantasie, entzieht sich meiner Kenntnis. Auf jeden Fall wird er mit regelmäßiger Einnahme der Tabletten psychisch wieder normal.

Welchen Beitrag der Schwalbenmann zur Entwicklung einer Atombombe hätte beitragen können, bleibt offen. Als relevanten polnischen Atomphysiker mit Bezug zur Atombombe finde ich Jozef Rotblat, aber der lebte ab 1938 in Großbritannien und ging 1943 nach Los Alamos. In Polen blieben seine Schüler Marian Danysz (er arbeitete aber in einem Telekommunikationsunternehmen) und Ludwik Wertenstein. Dieser hatte radioaktives Radium, tauchte bis zu seiner Flucht 1944 nach Ungarn unter, wo er während der Schlacht um Budapest ums Leben kam. (Info aus der polnischsprachigen Wikipedia) Wenn Savit eine reale Vorlage für den Schwalbenmann hatte, dann am ehesten Wertenstein.

Der Roman endet, dass der Schwalbenmann in Danzig Anna einem Fischer übergibt, der sie auf eine Fahrt mitnimmt. Der Schwalbenmann geht weg und verschwindet für immer aus Annas Leben. Sie selbst wird von dem Fischer in Richtung einer Insel gefahren. Ist die Halbinsel Hel gemeint? Gotland wird es kaum sein.

Als Lebensmotto des Schwalbenmann nimmt Anna dieses mit:
Menschen sind die größte Hoffnung des Menschen, zu überleben.
Eine zentrale Rolle in diesem Text spielt Sprache. Anna wie der Schwalbenmann sprechen viele Sprachen, Anna wegen ihres Vaters und seiner Freunde, mit denen sie immer in unterschiedlichen Sprachen konversiert hat:
Mit ihren knapp sieben Jahren sprach Anna fließend Deutsch, Russisch, Französisch und Englisch, konnte sich auf Jiddisch und Ukrainisch verständigen und besaß Grundkenntnisse in Armenisch und dem karpatischen Romani. Ihr Vater sprach niemals Polnisch mit ihr. Polnisch, die Landessprache, erklärte er, käme von selbst.
Wie realistisch dies ist, kann ich nicht beurteilen.

Aber: Sie können nicht nur viele Sprachen, sondern sie verwenden sie auch mit unterschiedlichen Akzenten, sodass das Gegenüber der Ansicht ist, Anna ist eine Deutsche oder der Schwalbenmann ein Russe aus irgendeinem sibirischen Gebiet. So bei der Zonenüberquerung in die sowjetische Zone:
Gewöhnlich reichte dem Schwalbenmann diese Aufforderung – ein Wort oder zwei –, um den Dialekt des Sprechers zu erkennen, doch er war so gewieft, dass er zunächst einen Moment vor sich hin murmelte, während er in seinem Arztkoffer herumkramte. »Ah«, sagte er dann in Sprache und Dialekt des Soldaten. »Natürlich. Papiere, Papiere, Papiere …«

Es kam auf das perfekte Timing bei der Übergabe des Dokuments an. Der Schwalbenmann musste die Frage stellen, bevor er dem Soldaten den Pass reichte, damit der Soldat antwortete, bevor er ihn öffnen konnte, doch er durfte dabei auf keinen Fall anbiedernd wirken.

»Woher kommen Sie?« Die Frage musste zurückhaltend klingen, fast unfreiwillig, als wäre es eine kleine Zumutung für ihn, überhaupt zu fragen.

Ganz gleich welcher Orts- oder Gebietsname dem Soldaten nun über die Lippen kam, stets riss der Schwalbenmann perplex die Augen auf und lachte durch und durch ehrlich überrascht. Eine Reaktion, wie sie nur von einem Landsmann stammen konnte: die verblüffte Freude, den Namen des geliebten Orts zu hören, wenn man so weit fort von daheim war.

Erst konnte Anna kaum glauben, wie täuschend echt der Betrug wirkte. Immerhin sah sie den Schwalbenmann, wenn nicht jedes Mal exakt gleich, so doch nicht weniger beglückt reagieren bei Namen, die so exotisch und fremd klangen wie Lindau, Saraisk, Machatschkala, Quedlinburg, Gräfenhainichen, Mglin und Suhl – Ortsnamen, die für Anna genauso gut Sterne an den entferntesten Ausläufern des Himmels bezeichnen konnten. Doch bald begriff sie, dass es gar keine Täuschung war.

Lügen stellen den Versuch dar, über die existierende Welt die hauchdünne Schicht einer Ersatzwelt zu stülpen, um sie den eigenen Absichten anzupassen. Der Schwalbenmann aber musste sich die Welt nicht anpassen. Er passte sich der Welt an. Das war es, was es hieß, die Sprache der Straße zu beherrschen.

Der Schlüssel ihres Erfolgs beim Grenzübergang war, dass der Schwalbenmann nie direkt sagte, er käme aus dem Ort, den der Soldat nannte. Die Menschen (auch verkleidete Raubtiere) waren sich ihrer Meinung sicherer, wenn sie sich einbildeten, sie hätten sie aus freien Stücken gefasst. Statt ihnen eine simple Lüge aufzutischen, erging sich der Schwalbenmann in einer Reihe von Fragen und Lobgesängen.

»Warum braut hier keiner Bier wie zu Hause?«, sagte er. »Was würde ich für ein gutes Helles geben.« Selbst wenn ausgerechnet dieser Soldat kein Biertrinker wäre (und welcher junge Mann war das nicht?), würde er niemals zurückweisen, dass ein Produkt seiner Heimat das Beste sei. Oder er sagte: »Wie ist das Leben auf dem Lenin-Prospekt?« Inzwischen gab es in jeder Stadt der Sowjetunion eine Straße, die nach Lenin benannt war. Oder er rief: »Unser Weihnachtsmarkt! Ich hatte solches Heimweh. Es ist doch die schönste Zeit im Jahr.« In welcher deutschen Stadt gab es keinen romantischen Weihnachtsmarkt? Und welcher junge Mann hatte kein Heimweh, wenn die Feiertage nahten und er durch irgendein gottverlassenes polnisches Feld stapfen musste?
Ein zweites Kernthema ist Natur. Nicht nur dass der Schwalbenmann mit Vögeln kommunizieren kann, er gibt auch vor, auf seiner Wanderung ein Exemplar einer aussterbenden Vogelart zu suchen (welche, wird nicht genannt). An einer Stelle wird konstatiert, dass sie nicht nur von Betteln und Diebstahl lebten, sondern auch von den Früchten Polens. Der Schwalbenmann kennt die essbaren Beeren und Kräuter. An den masurischen Seen angeln sie. Hart wird es im Winter, als sie viele Hungertage durchmachen müssen.

Unklar ist, wie sie sich in Städten bewegen können. Der Schwalbenmann hat in seiner Tasche einen teuren Anzug. Nur: Eigentlich müssen sie verheerend gestunken haben. Das wird nie thematisiert.

Fazit: Kein uninteressantes Gedankenexperiment, ob man als Landstreicher in Polen von 1939 bis 1945 hat überleben können, aber nicht alle Aspekte scheinen mir realistisch dargelegt zu sein.


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28.08.2025 um 11:40
Dirk Reinhardt - Train Kids

Reinhardt-Train Kids

Der deutsche Schriftsteller Dirk Reinhardt hat 2015 einen extrem spannenden Text im Genre Abenteuerroman veröffentlicht, der eine Gruppe von Kindern von der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko bis nach Texas begleitet, die als Illegale auf Güterzügen durch Mexiko reisen. Diese Migrationsreisen gibt es wirklich und Reinhardt hat in Mexiko recherchiert und mit Migranten sowie Unterstützungshäusern Kontakt aufgenommen. Ob er einen Teil der Strecke mitgefahren ist, weiß ich nicht und er schreibt auch nichts darüber, aber die Schilderungen sind sehr detailliert und nachvollziehbar, wie überhaupt Reinhardt ein begnadeter Schriftsteller ist: Bis ins Detail werden die Fahrt und die Ereignisse, denen die Kinder ausgesetzt sind, beschrieben.

Erzählt wird aus der Perspektive des 14-jährigen Miguel. Er stammt aus einer kleinen guatemaltekischen Stadt, sein Vater ist verstorben und seine Mutter in die USA migriert, wo sie in Los Angeles als Haushaltshilfe und Kindermädchen arbeitet. Miguel lebt mit seiner jüngeren Schwester bei einer Tante und einem Onkel, und um Geld zum Überleben zu haben, gehen die beiden täglich auf die örtliche Müllhalde, um noch Verkaufbares herauszufischen. Seine Mutter schickt auch immer wieder Geld, aber sie holt ihn nicht wie versprochen in die USA. So beschließt er, auf eigene Faust den Güterzugweg durch Mexiko zu nehmen.

Am Grenzfluss zwischen Guatemala und Mexiko schließt er sich mit drei weiteren Kindern/Jugendlichen zusammen:

  • Fernando: Er ist aus El Salvador und schon etwas älter, scheint sich auszukennen, kennt die Gefahren, hat Kontakte und erzählt immer wieder von früheren Reisen.
  • Emilio: Er ist Indio aus Honduras und wurde auf einer Kaffeeplantage vom Verwalter und dessen Söhnen permanent geschlagen, sodass seine Beine mit Narben übersät sind. Er schafft es nicht bis zur US-Grenze. Bei einem Überfall auf den Zug wird er gefesselt vom Waggon geworfen, überlebt jedoch und geht vermutlich zurück. Sein Alternativtraum war immer, sich zuhause Rebellengruppen in den Bergen anzuschließen.
  • Ángel: Er ist aus Guatemala und erst zwölf. Nördlich von Mexico City beschließt er, zu seinen Großeltern zurückzukehren. Die Geiselnahme durch Mitglieder der Drogenbande Zetas, die Lösegeld erpressen und diejenigen ermorden, für die kein Geld gezahlt wird, hat ihm den Rest gegeben. Aufgrund seiner kleinen Hände kann er sich aus den Handschellen befreien (Preis: eine gebrochene Hand) und die anderen befreien. Ein Ranger fährt sie zu einer Hilfsstelle und dort beschließt er die Umkehr. Es gibt ein Netzwerk, welche Rückkehrwillige an die Grenze nach Guatemala fahren.
  • Jazmina: Sie ist aus El Salvador und auch 14 und gibt sich als Junge aus.


Es ist nicht nur die Fahrt beschwerlich (rüttelnde Waggons, sengende Hitze, gefährliches Aufspringen, Erstickungsgefahr in den Tunneln nördlich von Mexico City), sondern die Migrierenden sind auch permanent bedroht: durch Razzien der Migrationspolizei, Razzien der die Fahrenden ausraubenden regulären Polizei, betrügerische Mitreisende, den Zug stoppende Verbrecherbanden wie den Zetas. Hilfe gibt es nur an zwei Orten auf der Reise durch kirchliche Hilfsorganisationen, bei denen sie jeweils drei Tage bleiben dürfen, bzw. durch Bauernfamilien, die sie in ihrer Not ansteuern. Einmal zum Beispiel nach dem Überfall, bei dem Emilio vom Zug geworfen worden ist und gleich ihre Schuhe dazu. Sie springen vom Zug, vergessen ihr Gepäck, aber finden die Schuhe. In einem Bauernhof erhalten sie Hilfe, da der Sohn der Frau auch auf diesem Weg gefahren ist und sie nichts von ihm weiß, und sie erfahren, dass Emilio nicht schwer verletzt ist und den Bauernhof nach einer Nacht verlassen hat.

Zu dritt (Fernando, Jazmina und Miguel) erreichen sie die Grenzstadt Nuevo Laredo, die von Drogen- und Schlepperbanden kontrolliert wird und ein fragwürdiges Vergnügungsparadies für US-Amerikaner ist inklusive Kinderstrich (Buben und Mädchen) ist. Dort erwirtschaften sie Geld, um Schlepper bezahlen zu können, die sie über die Grenze bringen. Eine Methode: Miguel steht am Kinderstrich und gemeinsam mit Fernando raubt er Freier aus. Das geht einige Tage gut, dann werden sie von anderen Strichern, die ihr Geschäft gefährdet sehen, verjagt. Jazmina wollte sich prostituieren, schafft es aber nicht. Aber schließlich haben sie genug Geld.

Damit sollte ein Aspekt des Buchs angesprochen werden, der nachdenklich stimmt. Zweimal bezahlt Fernando Bandenmitglieder, um sie zu schleppen, und beide Male arbeiten die ihnen Zugeteilten höchst professionell. Einmal ist es ein Mitglied der Mara Salvatrucha (Wikipedia), der sie in Chiapas unbehelligt durch Polizeikontrollen und Überfälle bringt, das andere Mal ist es der Schlepper in Nuevo Laredo, der sie über den Rio Bravo und das US-Abwasserkanalsystem nach Texas bringt und Wagen stellt, die sie an ihre Zielorte bringen.

Am Ende stellt sich die Frage, warum Fernando das macht. Beim Kanaldeckel auf einem Supermarktparkplatz auf texanischer Seite wartet US-Polizei. Fernando lenkt sie ab und lässt sich festnehmen, während Jazmina und Miguel zu ihrem jeweiligen Wagen laufen können, der sie nach Chicago respektive Los Angeles bringt. Fernando erklärt vorher, dass sein Vater gar nicht in Texas lebe, sondern auf einer solcher Fahrten unter die Räder gekommen und verstorben sei. Er will zurück an den Anfang und wieder fahren. Wie schon so oft.

Miguel findet in Los Angeles seine Mutter an der von ihr geschriebenen Adresse, zieht bei ihr ein und beginnt als Schwarzarbeiter als Regalschlichter in einem Supermarkt. Wie es mit Jazmina weitergeht, erfahren wir nicht.

Wie gesagt, der Roman ist extrem spannend geschrieben, erhebt keine Zeigefinger, beschönigt nicht und ist definitiv eine Leseempfehlung auch für Erwachsene wie mich.


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30.08.2025 um 11:49
Johanna Reiss - Und im Fenster der Himmel

Reiss-Fenster

Die nun 93-jährige, in den USA lebende niederländische Autorin Johanna Reiss hat den Holocaust in einem Versteck auf einem Bauernhof überleben können und hat 1972 ihre Kindheitserlebnisse im Versteck zu einem Roman verarbeitet. Die erste deutsche Übersetzung 1975 war noch gekürzt und die Namen wurden nicht genannt, 2015 hat DTV eine wortgetreue Übersetzung veröffentlicht, die ich nun gelesen habe.

Johanna Reiss (Annie) stammt aus Winterswijk, einem kleinen Ort im Osten der Niederlande, ihr Vater ist Viehändler. Als jüdische Familie beobachten sie genau, wie in Deutschland die Verfolgung von Jüd:innen immer aggressiver wird und Nachbarländer in die Tasche gesteckt werden. Eine Familie von Verwandten schafft es noch, in die USA emigrieren zu können, Annies Familie bleibt, vor allem da die an schweren Kopfschmerzen leidende Mutter nicht ausreisen will, was zu Streitigkeiten mit ihrem Vater führt, doch dieser beugt sich dem Wunsch seiner Frau.

Als die Niederlande von der deutschen Wehrmacht besetzt werden, kommunizieren die Besatzer über Aushänge auf einem Baum am Hauptplatz des Ortes. Die Diskriminierungen werden schrittweise verschärft, erst langsam wird den Bewohner:innen die Härte und Schärfe der Maßnahmen bewusst. Zunächst muss Annie an eine jüdische Schule, Einkaufszeiten werden beschränkt, die Einwohner:innen registriert und schließlich beginnen die Besatzer, jüdische Menschen nächtens abzuholen und in Lager zu stecken bzw. ins KZ Mauthausen zu transportieren. Auch gibt es Gerüchte über polnische Lager, doch deren wahre Bestimmung ist niemandem bewusst. Visa für die USA sind nun nicht mehr möglich und ein Versuch des Vaters, in die Schweiz zu fliehen und die Familie nachzuholen, scheitert an der Schweizer Einreisesperre.

Die nächtlichen Razzien sind der Grund, warum der Vater sich um Verstecke kümmert, und sein Netzwerk, das er als Viehhändler aufgebaut hat, kommt ihm zu Gute. Anni kommt mit ihrer zehn Jahre älteren Schwester Sini bei einem Grundbesitzer (Hannick) unter, der sie einem seiner Pachtbauern (Johann Oosterveld) in einer Kleinstsiedlung namens Usselo übergibt. Die größte Schwester Rachel kommt bei einem Pastor in ein Versteck und auch der Vater findet einen Unterschlupf. Alle werden die Besatzungszeit überleben, ohne gefunden zu werden. Nur die Mutter verstirbt bereits sehr früh noch im Krankenhaus.

Die Erzählung konzentriert sich nun auf die Situation der beiden Schwestern Annie und Sini bei der Bauernfamilie Oosterveld (Johan, Dientje und Opoje, ihrer Mutter). Die Schwestern leben im Dachgeschoß, das sie kaum verlassen dürfen, schlafen im gleichen Raum wie die Familie. Als Versteck dient ein Zwischenraum in einem Kleiderschrank, der sie bei einer Razzia rettet.

Sehr ausführlich wird die psychische Belastung des Eingesperrtseins geschildert. Die Streitigkeiten mit der Schwester, die kindlichen Unachtsamkeiten Annies. Auch den Beziehungen mit bzw. zwischen der Gastgeberfamilie wird breiter Raum gegeben.

Als gegen Kriegsende sich deutsche Soldaten für einige Wochen einquartieren, schaut Annie einmal in die Küche und wird gesehen. Johan schafft es, sie davon zu überzeugen, dass ein Kind von Bekannten auf Besuch ist, das er sogar zum Zweck der Gegenüberstellung einlädt.

Nachrichten von der Außenwelt erhält Johan durch illegales Hören des aus England sendenden niederländischen Freiheitssenders, so sind sie über den Kriegsverlauf informiert. Dass die Lager in Polen Vernichtungslager sind, lesen sie in zirkulierenden Zeitungen einer Widerstandsgruppe.

Nachdem Arnhem ausgebombt worden ist und viele Bewohner:innen auf der Flucht sind, schafft es Johan sogar, für Sini einen gefälschten Ausweis zu besorgen und sie bei einem benachbarten Bauern als Magd unterzubringen, worüber sie überglücklich ist (und sie verliebt sich in den Sohn).

Das Warten auf die Befreiung ab der Invasion in der Normandie wird lange, vor allem als der Süden der Niederlande befreit ist und sie noch immer unter Besatzung leben müssen. Doch schließlich wird die kleine Ansiedlung von einer kanadischen Einheit befreit. Annies Familie findet wieder zueinander, sie ziehen zurück in ihr Haus nach Winterswijk und Annie wird als junge Erwachsene in die USA gehen. Der Großteil der Verwandtschaft schaffte es nicht unterzutauchen und wurde in deutschen Vernichtungslagern ermordet.

Beeindruckend ist, mit welcher Opferbereitschaft nichtjüdische Familien bereit waren, ihr Leben zur Rettung ihrer jüdischen Mitbürger:innen einzusetzen.

Wie gefährlich es war, zeigt das Beispiel einer benachbarten Bauernfamilie, die zehn jüdische Kinder versteckt hat. Sie werden entdeckt und allesamt verschleppt. Niemand von ihnen (Kindern und Gastgeberfamilie) ist je wiedergesehen worden. Aber die Reaktion der Widerstandsbewegung ist prompt und brutal. Johan scheint Mitglied gewesen zu sein. Die Familie ist verraten worden und der Verräter ist bekannt. Johan erhält von Hannick eine Pistole und den Auftrag, den Verräter zu erschießen. Er tut es binnen eines Tages. Die Rache der Deutschen: Sie nehmen Geiseln und würden sie unter der Bedingung freilassen, wenn der Mörder sich meldet. Johan meldet sich nicht. Alle Geislen werden erschossen, nachdem ihnen die Finger gebrochen worden sind. Erzählt ist diese Passage sehr nüchtern.
Es war sehr spät und sehr finster, als Herr Hannink wieder zu uns kam. Er müsse Johan etwas Wichtiges fragen, sagte er, etwas, was mit dem Bauern und den zehn Juden zu tun hatte, die sie erwischt hatten.
»Setzen Sie sich«, sagte Johan ernst.
»Jemand hat den Deutschen einen Tipp gegeben«, sagte Herr Hannink. »Die wussten, dass die ganzen Juden da waren, und kannten ihr Versteck.« Er senkte die Stimme noch weiter. »Und ich weiß, wer dieser Jemand ist.«
Wir beobachteten seinen Mund. Was würde er als Nächstes sagen?
Er räusperte sich. »Dieser Mann muss weg, bevor er noch mehr Unheil anrichtet.« Seine Augen blieben an Johan hängen. »Traust du dir das zu?«
Dientje ging hinüber zu Johan. Drohend baute sie sich vor ihm auf.
»Nun ja«, sagte Johan zögerlich, »um ehrlich zu sein, Herr Hannink, eigentlich hab ich noch nie jemanden umgebracht.«
»Gottogottogott«, sagte Opoe.
Schwierig wäre es nicht, erklärte Herr Hannink. »Ich geb dir einen Revolver. Du kannst dich im Graben neben seinem Haus verstecken und warten, bis er rauskommt. Sobald du ihn erschossen hast, verschwindest du.«
Langsam schüttelte Johan den Kopf. »Wenn mir irgendwas zustößt, dann drehen die Frauen hier durch«, sagte er.
Dientje ging zurück zu ihrem Stuhl.
Ein paar Tage darauf kam ein Junge vorbei. Er wolle mit Oosterveld über einen Auftrag reden, der erledigt werden müsse, sagte er. Er zeigte Johan einen Zettel, den Herr Hannink unterschrieben hatte.
Er blieb noch eine Weile und zog dann mit dem Revolver und den Anweisungen ab, die Herr Hannink Johan erteilt hatte.
Es dauerte nur einen Tag. Die Deutschen waren sehr wütend. Warum war so ein guter Mann nur totgeschossen worden? Um zu zeigen, wie wütend sie waren, verhafteten sie eine Anzahl Leute. Die lassen wir frei, sobald sich der Mörder unseres Freundes stellt, sagten sie.
Als er das nicht tat, wurden die Geiseln auf der Hauptstraße von Usselo gefunden, erschossen. Man hatte ihnen die Finger gebrochen.
Da wurden wir sehr still, vor allem Johan.
Auch die Schilderung, dass gegen Ende der Besatzung die deutschen Soldaten immer brutaler mit der niederländischen Bevölkerung umgegangen ist, geht an die Grenze des Erträglichen.
Die Soldaten wurden gemeiner und gemeiner, und die Angst war größer denn je, bei allen, vor allem und jedem.
An einem Abend waren Soldaten in Amsterdam in die Kinos marschiert. Sie hatten das Licht angedreht, um zu sehen, welche Männer jung genug waren, um nach Deutschland zu gehen. Es gab immer noch so viel Arbeit zu tun für Deutschland, und nicht genug Deutsche dafür. Auch nicht genug Juden. Aber holländische Nichtjuden, die gab es noch. Nach diesem Abend ging kein Mann mehr ins Kino, aber das nützte auch nichts. Die Soldaten suchten auch anderswo: in Kirchen, in Zügen. Wenn sie sich aufregten, weil sie nicht genug Männer zum Mitnehmen fanden, dann schossen sie auf die Passanten auf der Straße.
Streckenweise ist es ein sehr beklemmendes Buch, auch wenn die Familie es schafft zu überleben.


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30.08.2025 um 14:45

Ladies and Gentlemen, das ist ein Überfall! Die Geschichte von Bonnie & Clyde
Michaela Karl




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Amerika in den 1930er-Jahren, die Zeit der Großen Depression. Um Armut und Arbeitslosigkeit zu entfliehen, entwickeln Bonnie & Clyde ein eigenwilliges Geschäftsmodell: sie rauben Banken aus. Bewundert von den Verlierern des amerikanischen Traums, halten sie das Land zwei Jahre lang in Atem. Doch dann erklärt FBI-Direktor Hoover den beiden Verbrechern den Krieg …

Wie konnten zwei junge Menschen aus Texas, auf deren Konto kaltblütige Morde gingen, zu Volkshelden werden?

Michaela Karl erzählt in ihrem neuen Buch die spannende Geschichte von Bonnie & Clyde: Es ist die Geschichte von einem kompromisslosen Kampf gegen Staat und Gesetz – und von der großen Liebe.
Sehr spannend & informativ 👌


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31.08.2025 um 04:21
Dostojewski: Schuld und Sühne.


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31.08.2025 um 08:43
Stefan Gemmel - Befreiungsschlag

Gemmel-Befreiungsschlag

2017 hat der deutsche Jugendbuchautor Stefan Gemmel gemeinsam mit dem Koblenzer Antigewaltstrainer Uwe Zissener einen idealtypischen Roman über Antigewalttrainings (AGTs) im Strafvollzug herausgebracht. Es vermittelt realistisch, mit welchen Methoden in AGTs gearbeitet wird, wobei der "pädagogische" Impetus des Werks seine literarische Ausgestaltung etwas eindimensional ausfallen lässt und Charaktere behavioristisch durch ein Reiz-Reaktions-Schema geprägt sind: Es sind Trigger, die gewisse Verhalten auslösen (gewaltsame oder eben nicht gewaltsame). In AGTs wird versucht, entweder die Trigger zu entschärfen oder die Reaktion auf einen Trigger neu zu belegen.

Der Roman beginnt damit, dass der 17-jährige Maik wegen schwerer Körperverletzung zu eineinhalb Jahren Gefängnis auf drei Jahre bedingt, 80 Sozialstunden und einem AGT verurteilt wird. Maik lebt bei seiner alleinerziehenden Mutter, hat einen sehr schlechten Berufsreifeabschluss, bekommt keine Lehrstelle und sitzt eine Berufsförderungsmaßnahme uninterssiert und mit vielen Fehlstunden ab. Er ist dermaßen reizbar, dass er zuschlägt, wenn ihn auch nur jemand schief anschaut.

Die beiden Trainer im AGT fördern in ihm den Hintergrund zu Tage, warum er so ist und warum er den ehemaligen Grundschulklassenkollegen Bjarne krankenhausreif geschlagen hat. Dieser hat ihn in der Grundschule permanent vor der Klasse als Loser beschimpft, da er in so armen Verhältnissen aufwächst, sodass er aus finanziellen Gründen nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen kann. In der Hauptschule wird er dann von einem Jonas gemobbt, den er am Schulhof blutig schlägt. Sein Selbstwertgefühl ist im Keller und diejenigen, die ihn nerven, stopft er das Maul durch Schläge. "Maiks Faust brachte Jonas zum Schweigen."

Im AGT, das ihm gefällt, wird er umgepolt. Er lernt die Sicht eines kennen, der wehrlos am Boden liegt und auf den eingetreten wird, er schreibt einen Brief Bjarne (kann er abschicken, muss aber nicht) und schließlich findet er für sich einen Weg, wie auf einen Trigger anders als mit Gewalt reagiert wird: Er geht von der Konfliktsituation weg, bevor er zuschlägt, und fühlt sich dabei nicht mehr als Verlierer (wird an einem Beispiel in einem Café veranschaulicht).

Mit für diese Wendung verantwortlich ist ein Besuch in einer Strafanstalt, wo er Gelegenheit hat, mit Totschlägern und Mördern zu reden. Und einer von ihnen sagt:
"Wir alle sitzen im Knast, weil wir nie über unsere Probleme gesprochen haben. Das ist das Verbrechen, das wir uns selbst gegenüber begangen haben. Alle anderen Taten resultieren einzig und allein daraus: Wir haben nie über unsere Gefühle gesprochen. Wie also hätte jemand wissen können, dass wir Hilfe brauchen? Wie soll uns jemand verstehen können, wenn wir das, was uns beschäftigt und so arg zusetzt, niemandem erzählen? All unsere ›Befreiungsschläge‹, all unsere Taten, um uns zu beweisen und uns durchzusetzen, waren ›Luftschüsse‹. Alles das wäre nicht nötig gewesen, wenn uns eines gelungen wäre: über unsere Gefühle zu sprechen."
Der Schluss wirkt dann schon übertrieben kitschig. Maik hat den Brief an Bjarne abgeschickt und klingelt schließlich an dessen Haustüre. Bjarne, den Maik fast tot geschlagen hat, ist erfreut über den Brief gewesen und bittet Maik ins Haus. Dies ist der Befreiungsschlag.

Bereits zuvor hat sich das Verhältnis zu seiner Mutter, die auch zu rauchen aufhört, gebessert, Maik ist mit seiner Freundin Julia nun fix beisammen, er hilft seinem Großvater samstäglich im Garten und beginnt eine Lehre als Pfleger, da ihm die Sozialstunden an einer Schule für Kinder mit besonderen Bedürfnissen sehr gut gefallen hat.

Dass nicht alles eitel Sonnenschein in AGTs ist, zeigt, dass drei rückfällig werden und in den Knast müssen, einer geht in eine Drogenentziehungskur. Von acht beenden vier den Kurs, ob jemand danach rückfällig wird, ist nicht angesprochen.

Fazit: Durchaus interessant (der AGT-Teil), aber schon sehr dick aufgetragen, was Charaktere und Handlung betrifft.


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02.09.2025 um 17:02
Michael Gerard Bauer - Die Nervensäge, meine Mutter, Sir Tiffy, der Nerd & ich

Bauer-Nervig

Keine Ahnung, was den australischen Jugendbuchautor Michael Gerard Bauer geritten hat, als er dieses Buch geschrieben hat. Maggie Butt (was für ein Name!) lebt mit ihrer Mutter (der Vater, ein Schauspieler, ist vier Jahre zuvor abgehaut) und schreibt über ihr vergangenes zehntes Schuljahr und ihre Ziele: in Englisch ein Sehr gut, eine Freundin (sie hat keine) und einen Tanzpartner für den Schulball. Diesem Text ist zu entnehmen, dass sich eigentlich alles nur um Maggie drehen soll, sie alle anderen für unerträglich hält und selbst wohl kaum auszuhalten ist. Die "Nervensäge" des Titels ist der neue Freund ihrer Mutter (Danny), der letztlich extrem nett zu ihr ist, was ihr eigentlich auch nicht passt. Beispiel: Eine neue Frisur gefällt ihr nicht, Danny bestätigt es, und damit ist er nervig und unerträglich ... hmmm ...

Keine Ahnung, ob der bei Veröffentlichung des Originals 2016 etwa 60-jährige ein pubertierendes Mädchen als extra nervig und geistig beschränkt darstellen wollte (eine Satire) oder ob er sich 16-Jährige so vorstellt.

Die in Ich-Form aus der Sicht von Maggie geschriebene Text strotzt nur so von GROSSBUCHSTABEN und Satzzeichen als Rudeltiere!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

Erinnert hat mich das an Musikalben, die von Bands nur veröffentlicht werden, um einen Vertrag zu erfüllen. Definitiv nicht mein Fall, dieses Buch, auch wenn es ratzfatz gelesen ist.


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02.09.2025 um 18:05
Mirjam Pressler - Bitterschokolade

Pressler-Bitterschokolade

Dies ist ein Jugendbuch von Mirjam Pressler aus 1980 und wohl eines der ersten, welches Dicksein und Bulimie thematisiert.

Eva ist eine genervte, dickliche 15-Jährige aus dem Raum München, die zuhause unter der Diktatur des Vaters leidet, der nicht will, dass sie abends ausgeht. In der Schule ist sie unsportliche Außenseiterin, aber sie ist eine gute Lernerin (zuhause lernt sie immer) und daher eine beliebte Klassenkollegin, die anderen hilft oder helfen soll. Von der Mutter lässt sie sich einen dunklen, konservativen Kleidungsstil aufschwatzen, der ihre Fettpölster nicht so betone. Ihr auch korpulente Vater meint, da hätten die Männer wenigstens was zum Anfassen. In ihrem Kummer verschlingt Eva immer wieder Süßes (das hat ihre Mutter schon gemacht, als Eva klein war: bei Kummer füttern) und nächtens hat sie Fressattacken, eine Diät kann sie nicht durchhalten.

Ihr erste Liebe ist ein Martin, der nicht wie Eva ans Gymnasium geht und der sich wundert, dass Eva sexuell so zurückhaltend ist. Bei einem Abendbesuch in einer Jugenddiskothek lernt sie eine andere Welt kennen: Als Martins Bruder Eva beleidigend anredet, schlägt Martin ihn mit einem Stuhl bewusstlos. Schließlich fährt Martin nach Ende seiner Schullaufbahn zu einem Onkel nach Hamburg, um dort eine Matrosenlaufbahn einzuschlagen. Eva beobachtet ihn heimlich am Bahnhof und ist wieder allein. Sie erhält nur mehr eine Karte von ihm.

Die Wende bringt eine gertenschlanke und den Schönheitsidealen entsprechende neue Mitschülerin aus Frankfurt namens Franziska. Eva hilft ihr in Mathematik und sie werden Freundinnen. Und als Franziska sie beim Kleidungskauf überzeugen kann, keine dunklen Röcke, sondern Jeans und Blusen in hellen Farben zu kaufen, gefällt sich Eva zum ersten Mal so, wie sie ist. Auch mit ihren Fettpölsterchen.

Damit hat Pressler eigentlich eine noch heute sehr aktuelle Diskussion aufgegriffen, nämlich sich selbst so akzeptieren zu können, wie man ist. Dass eine der Lösungen ist, auf sich selbst und nicht die Eltern zu hören, ist durchaus ein sympathischer Ansatz.


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05.09.2025 um 22:27
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Leider ein zielich dünnes Buch und dann noch gross geschrieben. Aber bis jetzt gut!


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08.09.2025 um 17:14
Catherine Clément - Theos Reise

Clement-Theo

Catherine Clément hat 1998 einen Roman veröffentlicht, der Kindern und Jugendlichen die Religionen der Welt anschaulich vermitteln will. So richtig gelungen ist der Entwurf nicht und mit gut 700 Seiten Länge vielleicht nicht gerade für die Zielgruppe attraktiv. Hinzu kommt eine etwas aufgesetzte Rahmenhandlung mit unausgegorenen Charakteren und einem kitschigen Schluss.

Theo ist knapp 14 Jahre alt, lebt in Paris (Mutter Griechin und Lehrerin, Vater Franzose und Laborleiter) und leidet an einer nicht diagnostizierten Krankheit (die Blutwerte sind schlecht). Marthe, die Schwester seines Vaters, ist atheistische Globetrotterin und lädt Theo zu einer Weltreise zu den religiösen Zentren ein. Sie touren neun Monate lang durch folgende Orte: Jerusalem, Kairo, Vatikan/Rom, Benares, Jakarta, Tokio, Moskau, Istanbul, Dakar, Bahia, New York und Prag. Obwohl die Tante Atheistin ist, kennt sie überall hochreligiöse Leute, die sie bzw. Theo zu heiligen Orten führen und die jeweilige Religion erklären. In Jerusalem sind es gleich drei: ein Rabbi, ein Priester und ein Scheich, im Vatikan ist es ein Kardinal.

Über die jeweiligen Religionen werden überall lange Vorträge gehalten. Der Roman wird zum Jugendlexikon, unterbrochen durch ein nerviges Gequengel und Gefrage eines altklugen Trotzkopfes namens Theo (charakterlich wirkt er wie ein Zehnjähriger, fummelt aber in Japan mit der 16-jährigen sexuell attraktiven Reisebegleiterin rum). Am Ende fasst Theo die Religionen so zusammen, dass sie Äste und Zweige eines Baumens seien, dessen Wurzeln und Stamm Gott bilden. Er ist also religiös geworden, sieht aber in den Religionen nur unterschiedliche Ausformungen desselben Glaubens. Und dass sie sich gewaltsam an die Wäsche gehen, sei nur logisch. Religionen seien wie Gärtner, die ständig irgendwelche Äste und Zweige abschneiden.

Und seine Krankheit? Alles mögliche wird vermutet, es gibt verschiedene Ansätze bis hin zu Pfeifer'schem Drüsenfieber (kann chronische Schwäche auslösen, nur ist es auch austestbar). Sehr stark wird ein unterbewusstes traumatisches Ereignis bei der Geburt vermutet: seine Zwillingsschwester ist bei der Geburt verstorben. Mehrfach fällt Theo bei mystischen Zeremonien mit Musik und Tanz in Trance, wo er einen Zwilling hört und sieht. Schließlich informiert ihn seine Mutter telefonisch von seiner Zwillingsschwester, was bis dahin verheimlicht wurde. Auf jeden Fall sind am Ende der Reise Theos Blutwerte in Ordnung, was weder die französischen Medikamente noch die tibetanischen Mittel zustande gebracht haben. Implizit wird vermittelt, dass das Geburtstrauma, das aufgebrochen wurde, an der Krankheit schuld gewesen sei und die tranceartigen Zustände eine Heilung bewirkt haben.

Kitschiger Schluss: Abschlussort ist Delphi. Die Pythia ist Theos senegalesische Freundin aus Paris, und seine Familie wie alle Reiseführer:innen bis auf den mittlerweile verstorbenen Scheich aus Jerusalem und die nun verheiratete kesse Japanerin. Und: Die Tante verlobt sich mit dem Bekannten aus Brasilien, der dort ihr Führer war (Historiker und Initiierter einer animistischen Religionsgemeinschaft in Bahia).

Zum Schreibstil: Dieser ist überbordend mit einer exorbitanten Länge, wobei der Großteil lexikonartige Erzählungen sind. Manchmal ist Interessantes dabei wie die Religionen im Senegal, aber es bleibt trocken. Dafür sind die Charaktere allesamt mehr oder weniger jähzornige Leute, die dauernd wegen irgendeiner Kleinigkeit ausrasten. Es stellt sich wirklich die Frage, ob und warum die sich überhaupt mögen.

Grundsätzlich wäre es durchaus ein Buch, um sich unterhaltsam über Religionen zu informieren und über sie nachzudenken. Es werden auch die Brutalitäten nicht ausgespart. Buddhistische Lehrer in Nordindien peitschen zum Beispiel ihre Schüler aus, da dies Verspannungen im Rücken löse, meint ein Lama zum irritierten Theo. Auch der Teil, wie sich der Islam in verschiedene Richtungen aufgespaltet hat, ist sehr informativ. Auch der schwarze und islamische Sklavenhandel im Senegal vor Ankunft der dann weiter Sklaven verschiffenden Franzosen ist thematisiert. Anderes ist dafür sehr langatmig und detailversessen, sodass es schwer ist, den Überblick zu behalten. Mehrfach habe ich mich beim Lesen gefragt, ob ich die Lektüre überhaupt fortsetzen will. Ich habe es dann doch durchgezogen.


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08.09.2025 um 17:37
Gabriele Wohmann - Eine souveräne Frau

Wohmann-Frau

2012 hat der Aufbau-Verlag diesen Erzählungsband der Darmstädter Schriftstellerin Gabriele Wohmann herausgegeben, der ihre gesamte Schreibspanne umfasst. Wohmann ist eine sprachliche Meisterin des knappen, distanzierten Erzählens über kleine Welten, Beziehungen und Nichtbeziehungen, kleine Bösartigkeiten, verlorene Liebe, tristen Alltag, Einsamkeit. Auch sind ihre Geschichten Miniaturen ohne viel Vorgeschichte, Hintergrund und vor allem ohne jeglichen Ausblick. Die meisten brechen einfach ab und bilden manchmal ein schwer zu entschlüsselndes Rätsel. Ein Manko ist vielleicht, dass viele der Geschichten eine sehr enge gesellschaftliche Welt abbilden: Sehr viele ihrer Charaktere stammen aus einer gutsituierten akademischen Mittelschicht.

Die Erzählungen stelle ich in meinem Blog vor: Gabriele Wohmann - Eine souveräne Frau


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08.09.2025 um 23:50
Herzl - Der Judenstaat


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Der Judenstaat ist in einer intensiven, überzeugenden Sprache geschrieben, das Werk sollte ja für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina werben (damals gehörte Palästina zum Osmanischen Reich).
Die Motivation sieht Herzl vor allem in dem (seiner Meinung nach) überhandnehmenden Antisemitismus. Er macht die interessante Feststellung, dass die Juden traditionell unter dem Schutz der Fürsten und Könige standen und die bröckelnde Macht der Fürsten macht die Juden schutzlos. Außerdem wird das neue Israel für die Juden wirtschaftlich attraktiv werden, zunächst für die ärmeren, dann für die reicheren.
Herzl sieht die Gründung von Israel vor allem als wirtschaftliche Unternehmung, dafür wurden schon Gesellschaften gegründet.
Arbeit soll es genügend geben (Herzl trat für einen Siebenstundentag ein) und für Leute ohne Arbeit schwebten ihm auch eine Art Arbeitsdienst vor.
Nach der Meinung von Herzl wird die Auswanderung der Juden nach Israel den Antisemitismus verringern.
Überhaupt will Herzl es allen recht machen - die Auswanderung soll freiwillig erfolgen, mit dem Osmanischen Reich will er die Staatsgründung friedlich regeln und sogar die Staaten, aus denen die Juden auswandern, sollen für den Verlust der Arbeits- und Kapitalkraft entschädigt werden.
Von der Verfassung her soll das neue Israel eine aristokratische Republik werden


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10.09.2025 um 14:22
Christoph Scheuring - echt

Scheuring-echt

Christoph Scheuring war Journalist unter anderem beim SPIEGEL und der ZEIT, bevor er sich der Schriftstellerei zuwendete. In diesem 2009 veröffentlichten Roman versucht er, die Jugend- und Drogenszene am Hamburger Hauptbahnhof in den Mittelpunkt zu rücken. Wie authentisch ihm das gelingt (der Vergleich zu Christiane F. drängt sich auf), kann ich schwer beurteilen.

Im Mittelpunkt steht Albert, der Ich-Erzähler, ein gut behüteter 16-jähriger Gymnasiast, der bei seinem Vater (Mathematiker, zuhause für ein statistisches Amt arbeitend) lebt und als Hobby Fotos von Abschieden am Bahnhof macht, was ihm neben Problemen mit der Polizei auch den Kontakt zu einer Kati bringt, einem sportlichen punkigen Mädchen mit Hooliganhänden, das in einem Boot auf einem Gebrauchtwagengelände lebt und großes Interesse für seine Fotos und besonders für eines zeigt. Langsam löst sich das Rätsel auf: Das Foto zeigt ihre 14-jährige Schwester, die sich von einem erwachsenen Mann verabschiedet. Zwei Tage später stürzt sie von einer Brücke auf Bahngeleise und ist tot. Kati glaubt nicht an Selbstmord und will diesen Mann finden.

Unterstützung bei der Suche erhalten beide von ihrer Clique, hauptsächlich drogensüchtigen Jugendlichen, und vor allem von einem Sam, der athletisch ist, aber Heroin raucht (er hofft, damit das Spritzen vermeiden zu können). Schließlich finden sie heraus, wer dieser Mann ist. Er ist ein ziemlich windiger Rechtsanwalt, der sein Geld mit Urheberrechtsabmahnungen, aber vor allem mit zwielichtigen Bettlergeschäften macht. Er lässt ausländische Bettler in einer Halle wohnen, kassiert dafür Miete vom Staat, nimmt den Leuten die Pässe ab und gibt vor, ihre Rechte zu schützen, und von den Betteleinnahmen kassiert er 50 Prozent. Kati versucht mit Albert herauszufinden, ob er auch in Kinderprostitution verwickelt ist und seine Schwester eines seiner Opfer war.

Doch dazu kommt es nicht, da Sam den Rechtsanwalt vor einen ICE stößt. Begründung: Sam sieht sein Leben zerstört, da er nicht von der Droge wegkkommt, aber er will nicht, dass Kati wegen eines Mordes ihr eigenes wegwirft (sie droht an, den Rechtsanwalt zu ermorden, wenn er am Tod ihrer Schwester schuld ist).

Das Ende bleibt offen, auch ob Albert und Kati weiter ein Paar bleiben.

Streckenweise spannend geschrieben, manchmal auch zäh, vor allem dann, wenn so manches übertrieben und nicht authentisch erscheint. Auch die Hamburger Kunstszene, die Albert eine Ausstellung ermöglicht, wirkt sehr aufgesetzt.

Positiv: Die erotischen Szenen sind nicht durch Detailbeschreibungen von Körperteilen und Körpervorgängen veranschaulicht. Scheuring kann drei Punkte ...


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10.09.2025 um 21:35
Project Hail Mary von Andy Weir
Richtig gut. Eine Enthüllung über das was vorgeht jagt die nächste und ich tue mich schwer das Buch wegzulegen.


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gestern um 16:36
Kissinger - Weltordnung



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Das Buch bietet einen Schnelldurchlauf durch die Weltgeschichte mit dem Schwerpunkt der Beziehungen zwischen den Staaten.
Die wichtigste Errungenschaft sieht Kissinger in dem Westfälischen Frieden (Westfälisches System), den er immer wieder erwähnt.

Der Westfälische Frieden bildet die Grundlage für eine funktionierende Friedensordnung in Europa und wurde teilweise nach 1945 auch für die Weltordnung adaptiert. Der Westfälische Frieden beruht vor allem auf der Achtung der Souveränität der Staaten, realistischen Bedürfnissen der Staaten und einem Bündnissystem und einem Gleichgewicht der Kräfte.

Kissinger geht auch detailliert auf die einzelnen Länder ein, paar Details sind auffällig. Von China hat Kissinger eine optimistische Vorstellung, das Mao Regime z.B. sah sich in der Tradition der großen chinesischen Kaiser, und Kissinger übernimmt diese Perspektive.
Von Russland zeichnet Kissinger dagegen ein wenig schmeichelhaftes Bild, obwohl Kissinger als einer der Architekten der Entspannungspolitik gilt.
Er sieht Russland als ein von tatarischer Grausamkeit geprägtes Land, die prowestlichen Traditionen sind nur Fassade.
Und die Arabische Welt driftet in einen Zustand des Chaos und Zerfalls ab...


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Literatur, 337 Beiträge, am 11.02.2023 von Paulianer
Somayyeh am 16.01.2011, Seite: 1 2 3 4 ... 14 15 16 17
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am 11.02.2023 »
Literatur: Was sind eure Lieblingsbücher?
Literatur, 166 Beiträge, am 11.08.2023 von PeterWimsey
jessishan am 17.01.2011, Seite: 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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am 11.08.2023 »
Literatur: Der Thread für Leseratten.
Literatur, 280 Beiträge, am 17.10.2019 von MissHudson
Jinana am 03.10.2012, Seite: 1 2 3 4 ... 11 12 13 14
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am 17.10.2019 »