Noumenon schrieb:Aber netter Versuch, der nur leider genau das verfehlt, worum es hier geht, ...
Nicht so schnell.
"Schmerz" ist ein abstrakter Begriff.
"Schmerz" ist kein etwas, das irgendwo herumhängt.
"Schmerz" ist verortet.
"Schmerz" ist poetisch und gemeint ist eigentlich "konkret (dramatisch) belastete Körperregion".
Es ist "der Körper, der sich anfühlt", nicht "der Schmerz".
In Schmerzsituationen wird die Form der Belastung über das Körpergefühl verstanden.
Eine dumpfe Einwirkung wird anders verstanden, als eine stechende Einwirkung. Beide Einwirkungen werden exakt in Bezug auf den Körper verortet.
Es gibt auch unspezifische Verortung, wenn "einfach alles am Körper belastet ist".
Genau diese Konkretisierung (neben anderen Details) hätte ich von dir in deinen Antworten auf meine Beispiele erwartet.
Noumenon schrieb:Was sich nicht vollständig daraus ableiten lässt, ist hier das subjektive Schmerzerleben, welches mit den hier skizzierten Abläufen einhergeht: Das "Wie es sich anfühlt, auf einen Reißnagel zu treten". Dieses "Anfühlen" ist nicht mit der bloßen Signalleitung gleichzusetzen, sondern das phänomenale Resultat, welches im Erleben bewusst wird. Ich weiß dann also, dass Schmerz verursacht wurde, nicht weil ich eine Reaktion sehe oder mir jemand sagt, dass ich mich schmerzhaft verhalte, sondern allein dadurch, dass ich ihn fühle.
Der kleine Analyseschritt von oben hat hoffentlich verdeutlicht, dass es um den Körper geht.
Der Körper verfügt über einen gigantischen Umfang an Sensoren, durch die eine Abgrenzung zur Aussenwelt detailliert (an manchen Stellen mehr Details als an anderen) vorliegt bzw. erschlossen werden kann.
Ein heranwachsendes Lebewesen durchläuft (noch im Mutterleib bzw. "Ei") einen Bewegungs-Trainingsablauf der eine Körper-Umwelt-Interaktion darstellt, sodass sowohl die Abgrenzung als auch die Volumenzusammenhänge des Körpers erschlossen werden können (es wird noch mehr erschlossen, aber belassen wir es mal hierbei).
Ein Nervensystem, das nach einer plausiblen Reaktion zu all diesen Umständen strebt, hat keine andere Möglichkeit, als den Körper als ein konkret abgegrenztes aktives Volumen zu verwalten, wobei automatisch eine Perspektive enthalten ist, denn die Zusammenhänge der Sensoren sind alle vom Körper nach aussen gerichtet.
Der Körper ist in diesen Zusammenhängen der Mittelpunkt von allem und über den Körper geht es zur Aussenwelt, für die kein entsprechender Einblick vorliegt.
Dass sich der Körper "subjektiv anfühlt", ist also unmittelbar der Körpersituation geschuldet - die Zusammenhänge sind sozusagen im Verlauf der Nervenimpulse aus der Körperoberfläche enthalten, sobald der Körper interaktiv mit einer Umwelt umgeht.
"Subjektives Anfühlen" ist somit kein sensationell neuer Weltanteil, sondern eine Überzeugung, die exakt zur Situation des Körpers passt.
Es ist sozusagen eine Art "Lösung", für ein Problem, dass sich einem körperlich eigenständigen Akteur stellt.
Kommt es nun zu einer Belastung auf den Körper, dann wird diese von eigens dafür vorhandenen Rezeptoren erkannt. Als Beispiel kann der Körper Gewebeverletzungen über eigene
zusätzliche Impulse verwalten.
Der Impuls aus einer Gewebeverletzung steht dabei nicht für sich, sondern ist eingebettet in die Impulse aus dem ganzen Körper (sprich es sind viele Impulse unterwegs), d.h. der "Impuls aus der Verletzung" steht letztlich in konkretem Bezug zum Körpervolumen.
Der Körper verwaltet exakt, wo etwas geschieht.
Lösen die Rezeptoren in einer bestimmten Verteilung (sowohl räumlich als auch zeitlich) aus, dann ergibt sich in Verbindung mit den bereits vorhandenen Körper-Ausdehungs-Zusammenhängen die Gelegenheit, exakt den Ort und die Form der Belastung zu verwalten.
Hier gilt wieder:
Ein Nervensystem, das nach einer plausiblen Reaktion auf all diese Umstände strebt, hat keine andere Möglichkeit, als den Körper als "in einer bestimmten Form an einer bestimmten Stelle belastet" zu verwalten.
Wie zuvor ist auch hier das "subjektive Anfühlen einer belasteten Körperregion" eine Art "Lösung", für ein Problem, dass sich einem derart mit Sensoren und Rezeptoren ausgestatteten Akteur stellt.
Beide sogenannte "Phänomene" (das "subjektive Anfühlen des Körpers" und das "subjektive Anfühlen einer belasteten Körperregion") sind passend zu den Möglichkeiten, die sich aus den Nervensystem-Ausstattungen des Körpers ergeben.
Wichtig:
Der Körper durchläuft ein explizites Trainingsprogramm (im Mutterleib bzw. „Ei“), bei dem die Möglichkeiten der Nervensystem-Ausstattungen integriert werden. Das ist ein Lernprogramm.
D.h. es gibt sowohl Ausstattung, als auch Trainingsprogramm, um zu Fähigkeiten zu kommen.
Die "Phänomene" (wenn man es so bezeichnen möchte - ich bleibe da lieber beim Begriff "Überzeugung") als Lösung für Probleme rund um das Eigenleben des Körpers sind nicht einfach da, sondern sie werden erlangt (Trainingsprogramm) und insbesondere können sie erlangt werden (Ausstattung).
Nimm diese Betrachtungen mal auf und versuche nochmal über die 4 Beispiele zu verdeutlichen, wo, wie, wann die Phänomenalexistenzen ins Spiel kommen.
Noumenon schrieb:In diesem Fall liegt der Ursprung des Schmerzes im Gehirn, nicht im Zahn.
Keine Frage, Beispiel 2 hat es in sich. Es liegt in der Luft, dass das Eis für Phänomenalexistenz hauchdünn ist (aus meiner Sicht gibt es da schon kein Eis mehr).
Die Verortung der belasteten Körperregion wird vom Patienten eindeutig durchgeführt: die Zahnregionen.
Vermutlich hat der Patient den Mund geöffnet und versucht, die Zähne möglichst Kontaktfrei zu halten.
Mit den obigen Betrachtungen ist nun bestimmt klar, was passiert: "mitten" auf einigen Rezeptorbahnen (es wird nicht nur eine einzige gewesen sein) entstehen plötzlich Impulse und das Nervensystem kann in der Reaktion auf diese Situation nur die einstudierte Relevanz der Impulse auf eine bestimmte Körperregion verwenden.
Das Nervensystem hat keine Möglichkeit die Entstehungsposition des Impulses zu bestimmen oder zu kontrollieren.
Wichtig dabei ist:
Die Impulse aus den Rezeptoren führen nur dadurch zu einer plausiblen Anschlussreaktion, weil im Nervensystem einstudiert ist, in welchem Körperzusammenhang sie stehen.
Noumenon schrieb:ein phänomenales Erlebnis, welches entstehen kann, sobald bestimmte neuronale Bedingungen erfüllt sind
Gehen wir hier mal langsam vor.
die "neuronalen Bedingungen" sind (wie oben dargelegt) nicht einfach direkt die Impulse der Rezeptoren, sondern mindestens die Einbindung der Impulse in die Zusammenhänge aus den anderen Körpersignalen.
Die Einbindung wiederum liegt dadurch vor, dass das Nervensystem durch ein Trainingsprogramm des Körpers, auf den Körper "geprägt" wurde.
Für das "phänomenale Erleben" muss das Nervensystem mindestens die Einbindung aktiv durchführen, denn ohne Durchführen liegt die Einbindung nur als Potenzial in der bautechnischen Konstellation des Nervensystems vor. Poetisch: „das Verständnis, was da gerade unterwegs ist, ergibt sich dadurch, dass das Nervensystem entlang seiner aktuellen Situation arbeitet“.
Für die Behauptung einer Phänomenalexistenz (laut deiner Formulierung "entsteht" diese, weshalb man sie vermutlich "Kurzzeit-Phänomenalexistenz" nennen sollte) wird somit die Durchführung der Einbindung benötigt (ich hoffe dir ist klar, wie verteilt im Nervensystem diese Durchführung stattfinden kann).
Aufgabe - Bring die Phänomenalexistenz-Entstehung mal in Bezug zum aktiven Nervensystem auf den Punkt:
wie, wo, wann, was, und nicht zu vergessen: durch was?
Hierbei solltest du beachten, dass jegliches Detailverständnis eines Systems (aus dem eine umfassende Beschreibung möglich wäre) komplizierter ist, als das System selbst.
Wenn du also irgendwo, irgendwie eine Fähigkeit hinterlegst, aus dem Nachvollziehen der Nervensystemvorgänge eine Phänomenalexistenz entstehen zu lassen, dann wird im Grunde das Nervensystem nicht benötigt, denn die von dir behauptete Fähigkeit ist komplexer als das Nervensystem.
Noumenon schrieb:Die Qualia sind real, selbst wenn die Ursache irreführend ist
Du behauptest also:
Entstehende Phänomenalexistenzen, die eine verortete Körperbelastung enthalten, die nicht vorliegt und schon gar nicht "dort".
Das ist an mehreren Stellen problematisch, und zwar dramatisch.
Die Behauptung einer "Entstehung von Existenz" ist etwas, das man ("bisher") in der Realität nicht vorfindet.
Im besten Fall verwendest du hier lediglich eine poetische Formulierung und meinst etwas anderes.
Was du als "irreführend" bezeichnest ist nichts weniger als ein eindeutiger Widerspruch in der Realität.
In der Existenz also einer Realitätsverankerung soll ein qualitativ konkreter Umstand vorliegen, der sich als falsch herausstellt.
Die Realität soll sozusagen das Thema verfehlen.
Mir ist klar, dass du dies durch die Flucht "nur in das Erleben existiert" versuchst, zu verharmlosen, aber du kannst nicht entsorgen, dass in der Realität der Entwurf einer "qualitativ-erfundenen Körperregionsbelastung" verankert sein soll, während gleichzeitig in der Existenz exakt dieser Körperregion keine Belastung vorliegt (wichtig: ich verwende hier den Begriff "Existenz", lieber wäre mir "Wechselwirkungen", aber egal).
Du behauptest so etwas wie eine Unabhängigkeit im Sinn von Existenz, die zum Widerspruch führen in der Realität kann.
Im Grunde behauptest du eine Existenz, deren Vorhandensein ein Fehler innerhalb der Existenzkonstellation ist.
Das hätte dramatische Auswirkungen auf den Begriff "Tatsache" und dem Begriff "Realität" erginge es nicht besser.
Noumenon schrieb:Aber das phänomenale Erleben ("wie sich das anfühlt", also als "Zahnschmerz") ist etwas, das nicht in diesen physikalischen Beschreibungen enthalten ist, d.h. es ist nicht einfach identisch mit der Ursache oder dem funktionalen Ablauf, es ist zwar damit verknüpft, aber geht darüber hinaus.
Naja, anstatt zu erklären, wechselst du hier zur Nicht-XXXX-Strategie.
Du weisst selbst, dass du damit nichts gesagt hast, insbesondere da ich ja ganz bestimmt nicht behaupte, dass es auf physikalische Beschreibungen ankommt.
Noumenon schrieb:Das Schmerzerleben ist real, obwohl das Objekt der Reizung fehlt.
Das Erleben ist verortet und dreht sich um eine Stelle, die im qualitativen Widerspruch zum Erleben steht.
Du möchtest auf Basis von Reizung, Existenz entstehen lassen, die den Hintergrund der Reizung enthält.
In der Realität kann eine Reizung aber viele Hintergründe haben, sodass du letztlich Widerspruch in der Realität verankerst.
Noumenon schrieb:Das zeigt: Schmerz ist kein direktes Abbild von Realität, sondern ein Bewusstseinsinhalt, der auf bestimmten Aktivitätsmustern beruht, aber nicht vollständig durch sie erklärbar ist.
Du verwendest hier den Begriff "Aktivitätsmuster", als ob es der abschliessende Sinn des Nervensystems wäre, Muster auszuprägen.
Keine Frage, es kommt im Nervensystem zu einer Verteilung (zumindest, wenn man das Nervensystem unter dem Aspekt einer auffälligen chemischen Situation betrachtet -> bildgebende Verfahren) aber die Entstehung dieser Verteilung und insbesondere die Zusammengehörigkeit der "Aktivitätsinseln" sind in der Neurowissenschaft offene Fragen (-> "Bindungsproblem").
Du müsstest also mindestens das Bindungsproblem lösen, damit du irgendetwas auf "dem Muster" beruhen lassen könntest.
Jetzt willst du ja zusätzlich noch eine Phänomenalexistenz entstehen lassen, d.h. nach dem Überwinden des Bindungsproblems musst du klären, wer, welchen Überblick und welche Anschlussfähigkeiten haben soll.
Mit Phänomenalexistenzen führst du letztlich eine Explosion der Problematiken und eine Explosion der Komplexität ein.
Noumenon schrieb:Hier wird deutlich, dass Schmerz nicht immer negativ bewertet wird, aber das ändert nichts an seiner Erlebensqualität. Der Schmerz wird als Schmerz erlebt, auch wenn er positiv bewertet bzw. in einem bestimmten Bedeutungsrahmen eingebettet wird.
Geht es in einer Schmerzsituation dann um zwei Phänomenalexistenzen, zum einen um die "Phänomenalschmerzexistenz" und zum anderen um die "Phänomenalbewertungsexistenz"?
Können Phänomenalexistenzen nebeneinander stehen, gibt es Interaktion oder Interkausalität usw. usf.?
Noch eine interessante Anschlussfrage:
Wer ist das eigentlich, der den Phänomenalexistenzen begegnen und davon berichten können soll?
Noumenon schrieb:Erleben und Interpretation zwei verschiedene Ebenen sind, während Erleben nicht bloß auf die Interpretation reduzierbar ist.
Ist die Interpretation "dieser schmerzende Fuss ist einfach nur geil, ja Baby gibs mir" nicht qualitativ?
Noumenon schrieb:Schmerz ist aber nicht gleich Nervenreiz, nicht gleich Verhalten, nicht gleich Modellbildung.
Erinnerst du dich, dass du mir derartige Gleichsetzungen nicht vorwerfen musst, da ich sie nicht mache?
Noumenon schrieb:Schmerz ist subjektives Erleben, das sich im Bewusstsein manifestiert.
Das ist aber jetzt sehr poetisch, oder?
Noumenon schrieb:Dass es nicht vollständig lokalisiert,
Stopp, der Patent erlebt seinen konkret belasteten Mund.
Was ist das anderes, als eine Lokalisierung?
Der Patient hat sein Erleben ja überhaupt nur darüber zur Verfügung (poetisch), dass es verortet ist.
Noumenon schrieb:1. Das "Anfühlen von Schmerz" ist zunächst phänomenales Erleben - etwas, das sich unmittelbar in der Erfahrung zeigt: Ich fühle Schmerz. Das ist keine Theorie, keine Hypothese, keine Modellbildung, es ist schlicht das, was es heißt, Schmerz zu haben.
Nein, "Anfühlen von Schmerz" ist eine Abstraktion, denn "es fühlt sich dabei immer der Körper in einer konkreten Region konkret belastet".
Ich bin gespannt, ob du es immer noch anders siehst.
Noumenon schrieb:2. Die Frage "Wie ist dieses Anfühlen realisiert?" ist eine ontologische oder neurophysiologische Anschlussfrage, die nach den Bedingungen oder Ursachen dieses Erlebens fragt. Diese Frage ist offen und genau deshalb spricht man auch vom Qualiaproblem oder dem "hard problem of consciousness".
Verstehst du "hard problem of consciousness" als deine Hausaufgabe und welche Fortschritte machst du?
Noumenon schrieb:Ich kann bspw. auch die Farbe Rot erkennen, ohne zu wissen, wie Farbwahrnehmung genau entsteht oder worum es sich bei der Farbe Rot eigentlich handelt.
"Farbe" ist abstrakt und steht für "das Sehen einer farbigen Oberfläche".
Jetzt können wir alles analog zu "Schmerz" durchspielen und am Ende wirst du wieder Probleme mit dem Begriff "Tatsache" bekommen, denn das qualitative Auftreten farbiger Oberflächen ist verortet, aber genau dort ist keine farbige Oberfläche.