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Gedichte aus aller Welt

799 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Literatur, Gedichte, Lyrik ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:11
WOLFGANG BORCHERT

Laternentraum

Wenn ich tot bin,
möchte ich immerhin
so eine Laterne sein,
und die müßte vor deiner Türe sein
und den fahlen
Abend überstrahlen.

Oder am Hafen,
wo die großen Dampfer schlafen
und wo die Mädchen lachen,
würde ich wachen
an einem schmalen schmutzigen Fleet
und dem zublinzeln, der einsam geht.

In einer engen
Gasse möcht ich hängen
als rote Blechlaterne
vor einer Taverne –
und in Gedanken
und im Nachtwind schwanken
zu ihren Gesängen.

Oder so eine sein, die ein Kind
mit großen Augen ansteckt,
wenn es erschreckt entdeckt,
daß es allein ist und weil der Wind
so johlt an den Fensterluken –
und die Träume draußen spuken.

Ja, ich möchte immerhin,
wenn ich tot bin,
so eine Laterne sein,
die nachts ganz allein,
wenn alles schläft auf der Welt,
sich mit dem Mond unterhält natürlich
per Du.


Ein sehr informativer Bericht über das Leben und Werk Wolfgang Borcherts Tragischer Held der Trümmerliteratur

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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:35
Another Fresh New Year Is Here

Another fresh new year is here . . .
Another year to live!
To banish worry, doubt, and fear,
To love and laugh and give!

This bright new year is given me
To live each day with zest . . .
To daily grow and try to be
My highest and my best!

I have the opportunity
Once more to right some wrongs,
To pray for peace, to plant a tree,
And sing more joyful songs!

by William Arthur Ward



Ein weiteres frisches neues Jahr ist da. . .
Noch ein Jahr zu leben!
Um Sorgen, Zweifel und Angst zu verbannen,
Zu lieben und zu lachen und zu geben!

Dieses strahlende neue Jahr ist mir geschenkt
Jeden Tag mit Elan zu leben. . .
Um täglich zu wachsen und zu versuchen, zu sein
Mein Höchstes und mein Bestes!

Ich habe die Möglichkeit
Noch einmal, um einige Fehler zu korrigieren,
Um Frieden zu beten, einen Baum zu pflanzen,
Und sing noch mehr fröhliche Lieder!

William Arthur Ward
America.


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:37
Ich ging allein, den Wolken gleich,
Die über Tal und Hügel fliegen,
Da sah ich jäh vor mir ein Reich
Von goldenen Narzissen liegen.
Am See auf waldgesäumter Wiese
Wogten im Tanz sie in der Brise.

Wie nachts am Firmament der Schein
Sich flimmernd dehnt zu ferner Flucht,
Erstreckten endlos ihre Reih'n
Sich am Gestade einer Bucht.
Zehntausend warns auf einen Blick,
Keck warfen sie den Kopf zurück.

Die Wellen tanzten mit, doch sie
warn heitrer als der Wellen Glanz.
Ein solches Bild von Harmonie
Füllt eines Dichters Seele ganz.
Ich sah und sah, kaum daß ich dachte,
Wie reich mich dieser Anblick machte.

Oft, wenn auf meiner Couch ich ruh,
In heitrer oder trüber Zeit,
Blitzt mir ihr Bild von innen zu,
Beseligt meine Einsamkeit.
Dann jauchzt mein Herz, neu hingerissen,
Und tanzt vergnügt mit den Narzissen.

William Wordsworth (1770 - 1850), englischer Dichter der Romantik


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:39
That wind, I used to hear it swelling

That wind, I used to hear it swelling
With joy divinely deep;
You might have seen my hot tears welling,
But rapture made me weep.

I used to love on winter nights
To lie and dream alone
Of all the hopes and real delights
My early years had known.

And oh! above the best of those
That coming time should bear,
Like heaven's own glorious stars they rose,
Still beaming bright and fair.


*

Den Wind hört’ ich anschwellen


Den Wind, den Wind hört’ ich anschwellen
mit himmlisch tiefer Freud;
sahst meine heißen Tränen quellen -
es war Glückseligkeit.

Ich lag und träumt’ zur Winternacht
von Hoffen, Glücklichsein,
was Jugendjahre mir gebracht.
Lag einsam und allein.

Was auch die weit're Zeit mir noch
an Freuden zugesellt,
die Jugend überstrahlt sie, hoch,
wie Stern’ am Himmelszelt.




Emily Jane Brontë / britische Schriftstellerin


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:40
A Dream


In visions of the dark night
I have dreamed of joy departed
But a waking dream of life and light
Hath left me broken-hearted.

Ah! what is not a dream by day
To him whose eyes are cast
On things around him with a ray
Turned back upon the past?

That holy dream, that holy dream,
While all the world were chiding,
Hath cheered me as a lovely beam
A lonely spirit guiding.

What though that light, thro’ storm and night,
So trembled from afar
What could there be more purely bright
In Truth’s day-star?



Ein Traum

In dunkler Nächte Gesichten
träumte mir von versunkenem Glück,
doch ein Traum vom Leben, dem lichten,
warf mich gebrochen ans Ufer zurück.

Ach, was gilt dem des Tages Traum,
dem alle Dinge rings nur senden
Blicke wie aus dunklem Raum,
erloschener Augen süße Spenden?

Dieser heilige Traum, heilig und teuer,
den alle Welt als töricht von sich weist,
hat mich erwärmt wie Liebesfeuer,
meines Leitsterns einsamer Geist.

Was vor solchem Licht, das durch Sturm und Nacht
mir erzittert von so fern,
was könnte mit reinerem Strahle wohl bedacht
Wahres künden eines Tages Stern?

Edgar Allan Poe
US-amerikanischer Schriftsteller.


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:52
Was fange ich Silvester an?

Was fange ich Silvester an?
Geh ich in Frack und meinen kessen
Blausanen Strümpfen zu dem Essen,
Das Herr Generaldirektor gibt?
Wo man heut nur beim Tanzen schiebt?
Die Hausfrau dehnt sich wild im Sessel -
Der Hausherr tut das sonst bei Dressel -,
Das junge Volk verdrückt sich bald.
Der Sekt ist warm. Der Kaffee kalt -
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Wälz ich mich im Familienschoße?
Erst gibt es Hecht mit süßer Sauce,
Dann gibt’s Gelee. Dann gibt es Krach.
Der greise Männe selbst wird schwach.
Aufsteigen üble Knatschgerüche.
Der Hans knutscht Minna in der Küche.
Um zwölf steht Rührung auf der Uhr.
Die Bowle? („Leichter Mosel“ nur)
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?

Mach ich ins Amüsiervergnügen?
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
„Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr!“
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister -
Bleigießen? Ist’s ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein…
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an?

(Einladungen dankend verbeten.)

Kurt Tucholsky
deutscher Journalist und Schriftsteller


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 09:57
Jeder wünscht sich langes Leben,
seine Kisten voller Geld,
Wiesen, Wälder, Äcker, Reben –
Klugheit, Schönheit, Ruhm der Welt,
doch wenn alles würde wahr
was man wünscht zum neuen Jahr,
dann erst wär es um die Welt,
glaubt es, jämmerlich bestellt.

Heinrich Daniel Zschokke (1771 - 1848),
Schweizer Erzähler


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Gedichte aus aller Welt

28.12.2021 um 10:12
Zehn Löwen und das
Ende der Welt
In einer bekannten
großen Illustrierten
(ja, so was lese ich)
sah ich ein Foto von Löwen
die in irgendeinem Dorf
über die Straße gehen
und sich Zeit lassen.
So sollte es sein
und eines Tages, wenn
das Licht ausgeht und
alles zu Ende ist
werde ich hier sitzen
im kalkgrauen Rauch
und an diese zehn
(ja, ich habe sie gezählt)
verdammten Löwen denken
die den Verkehr blockierten
während die Rosen blühten.
Das sollten wir heute
alle tun –
noch
ist
Z
e
i
t


CHARLES BUKOWSKI


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 11:39
Und wieder geht ein Jahr

Das Jahr ist müde,
geht nun schlafen.
Verbraucht und kraftlos,
still der Tag;
ein wenig traurig
auch die Stunden,
die man ganz leicht schon
zählen mag ...

Gedanken kreisen
um Sinn und Schöpfung,
um Tod und Leben,
schwankend, zag;
bis endlich dann
um Mitternacht
der tiefen Glocke
letzter Schlag:

Jäh alles,
was im Dunkel war,
erstrahlt in Freude, Zuversicht –
das neue Jahr
ist angebrochen!
Es liegt
verheißungsvoll
im Licht.

Ingrid Streicher,
österreichische Autorin von Lyrik-, Erzähl- und Kinderbüchern


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:19
GOTTFRIED KELLER (* 19. Juli 1819 in Zürich; † 15. Juli 1890 ebenda)


Die Zeit geht nicht....

Die Zeit geht nicht, sie stehet still,
Wir ziehen durch sie hin;
Sie ist die Karawanserei,
Wir sind die Pilger drin.

Ein Etwas, form- und farbenlos,
Das nur Gestalt gewinnt,
Wo ihr drin auf und nieder taucht,
Bis wieder ihr zerrinnt.

Es blitzt ein Tropfen Morgentau
Im Strahl des Sonnenlichts;
Ein Tag kann eine Perle sein
Und ein Jahrhundert nichts.

Es ist ein weisses Pergament
Die Zeit, und jeder schreibt
Mit seinem roten Blut darauf,
Bis ihn der Strom vertreibt.

An dich, du wunderbare Welt,
Du Schönheit ohne End',
Auch ich schreib' meinen Liebesbrief
Auf dieses Pergament.

Froh bin ich, dass ich aufgeblüht
In deinem runden Kranz;
Zum Dank trüb' ich die Quelle nicht
Und lobe deinen Glanz.


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:31
Schweizerheimweh

Herz, mein Herz, warum so traurig,
Und was soll das Ach und Weh?
's ist so schön im fremden Lande,
Herz, mein Herz, was fehlt dir mehr?

Was mir fehlt? Es fehlt mir alles,
Bin ja wie verloren hier!
Ist's auch schön im fremden Lande,
Wird's doch nie zur Heimat mir.

In die Heimat möchte ich wieder,
Aber bald, ich bitte, bald!
Möcht' zum Vater, möcht zur Mutter,
Möcht' zu Berg und Fels und Wald!

Möcht' auf Flüh und Hörner steigen,
Möcht' am heiterblauen See,
Wo der Bach vom Felsen schäumet,
Unser Dörflein wiedersehn!

Wiedersehn die alten Häuser
Und vor allen Türen frei
Nachbarsleut, die freundlich grüßen,
Möchte in mein Dörflein heim.

Möcht' die Freunde wiedersehen,
Mit der Liebsten Hand in Hand
Über Almenwiesen gehen
Im geliebten Schweizerland.

Herz, mein Herz, in Gottes Namen,
'ist ein Leiden, gib dich drein!
Will's der Herr, so kann er helfen,
Werd ich bald zu Hause sein!

Johann Rudolf Wyss
Schweizer Dichter


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:33
Abendregen

Langsam und schimmernd fiel ein Regen,
In den die Abendsonne schien;
Der Wandrer schritt auf schmalen Wegen
Mit düstrer Seele drunter hin.

Er sah die grossen Tropfen blinken
Im Fallen durch den goldnen Strahl;
Er fühlt es kühl aufs Haupt ihm sinken
Und sprach mit schauernd süsser Qual:

"Nun weiss ich, dass ein Regenbogen
Sich hoch um meine Stirne zieht,
Den auf dem Pfad, so ich gezogen,
Die heitre Ferne spielend sieht.

Und die mir hier am nächsten stehen,
Und wer mich wohl zu kennen meint,
Sie können selber doch nicht sehen,
Wie er versöhnend ob mir scheint.

So wird, wenn andre Tage kamen,
Die sonnig auf dies Heute sehn,
Um meinen fernen blassen Namen
Des Friedens heller Bogen stehn."

Gottfried Keller

Schweizer Dichter


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:34
Gedicht zum neuen Jahr

Ein bißchen mehr Friede und weniger Streit,
Ein bißchen mehr Güte und weniger Neid,
Ein bißchen mehr Liebe und weniger Haß,
Ein bißchen mehr Wahrheit - das wäre doch was!

Statt so viel Unrast ein bißchen mehr Ruh′,
Statt immer nur Ich ein bißchen mehr Du,
Statt Angst und Hemm

und ein bißchen mehr Mut
Und Kraft zum Handeln - das wäre gut!

Kein Trübsal und Dunkel, ein bißchen mehr Licht,
Kein quälend Verlangen, ein bißchen Verzicht,
Und viel mehr Blumen, solange es geht,
Nicht erst auf Gräbern - da blüh′n sie zu spät!

Peter Rosegger
österreichischer Volksschriftstelle


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:36
Es ist als Mensch deine heilige Pflicht,
den Tieren, die dir ihr Dasein weihn,
ein gütiger, milder Schutzherr zu sein.
Das Tier hat ein fühlendes Herz wie du,
das Tier hat Freude und Schmerz wie du,
das Tier hat ein Recht zu leben wie du.
Nicht viel sind dir, Mensch, der Tage gegeben,
doch kürzer noch ist des Tieres Leben.
Und muß es dein armer Sklave schon sein,
in dunkler Nacht wie im Sonnenschein,
und opfert es dir seine Kraft und Ruh,
und wendet dir all seine Neigung zu,
oder flieht es dich angstvoll, weil es ihm scheint,
du seiest sein allergrößter Feind,
o, sei sein Schutzherr! Es kann nicht klagen
den Schmerz, kann dir seinen Dank nicht sagen,
o, sieh sein flehendes Auge an,
es blickt eine verwunschene Seele dich an!

Peter Rosegger (1843 - 1918),
österreichischer Volksschriftsteller und Erzähler


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:39
Silvester



Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im Geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genau so wie zu Pfingsten,

Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.

Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.

Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und Prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!

Die Zeit verrinnt. Die Spinne, spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.



(Joachim Ringelnatz)
deutscher Schriftsteller


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:42
An denselben [Levin Schücking]

Zum zweiten Male will ein Wort
Sich zwischen unsre Herzen drängen,
Den felsbewachten Erzeshort
Will eines Knaben Mine sprengen.
Sieh mir ins Auge, hefte nicht
Das deine an des Fensters Borden,
Ist denn so fremd dir mein Gesicht,
Denn meine Sprache dir geworden?

Sieh freundlich mir ins Auge, schuf
Natur es gleich im Eigensinne
Nach harter Form, muß ihrem Ruf
Antworten ich mit scharfer Stimme;
Der Vogel singt, wie sie gebeut,
Libelle zieht die farb'gen Ringe,
Und keine Seele hat bis heut'
Sie noch gezürnt zum Schmetterlinge.

Still ließ an meiner Jahre Rand
Die Parze ihre Spindel schlüpfen,
Zu strecken meint' ich nur die Hand,
Um alte Fäden anzuknüpfen,
Allein den deinen fand ich reich,
Ich fand ihn vielbewegt verschlungen,
Darf es dich wundern, wenn nicht gleich
So Ungewohntes mir gelungen?

Daß manches schroff in mir und steil,
Wer könnte, ach, wie ich es wissen!
Es ward, zu meiner Seele Heil,
Mein zweites zarteres Gewissen,
Es hat den Übermut gedämpft,
Der mich Giganten gleich bezwungen,
Hat glühend, wie die Reue kämpft,
Mit dem Dämone oft gerungen.

Doch du, das tief versenkte Blut
In meinem Herzen, durftest denken,
So wolle ich mein eignes Gut,
So meine eigne Krone kränken?
O, sorglos floß mein Wort und bunt,
Im Glauben, daß es dich ergötze,
Daß nicht geschaffen dieser Mund
Zu einem Hauch, der dich verletze.

Du zweifelst an der Sympathie
Zu einem Wesen dir zu eigen?
So sag' ich nur, du konntest nie
Zum Gletscher ernster Treue steigen,
Sonst wüßtest du, daß auf den Höhn
Das schnöde Unkraut schrumpft zusammen
Und daß wir dort den Phönix sehn,
Wo unsre liebsten Zedern flammen.

Sieh her, nicht eine Hand dir nur,
Ich reiche beide dir entgegen,
Zum Leiten auf verlorne Spur,
Zum Liebespenden und zum Segen,
Nur ehre ihn, der angefacht
Das Lebenslicht an meiner Wiege,
Nimm' mich, wie Gott mich hat gemacht,
Und leih' mir keine fremden Züge!

Annette von Droste- Hülshoff
*10. Januar 1797 Havixbeck
24. Mai 1848 Meersburg


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:43
Im Winter

Der Acker leuchtet weiß und kalt.

Der Himmel ist einsam und ungeheuer.

Dohlen kreisen über dem Weiher

Und Jäger steigen nieder vom Wald.



Ein Schweigen in schwarzen Wipfeln wohnt.

Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.

Bisweilen schellt sehr fern ein Schlitten

Und langsam steigt der graue Mond.



Ein Wild verblutet sanft am Rain

Und Raben plätschern in blutigen Gossen.

Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.

Frost, Rauch, ein Schritt im leeren Hain.

Georg Trakl
österreichischer Dichter


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 22:45
VERKLÄRTER HERBST

Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.
Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht –
Das geht in Ruh und Schweigen unter.

Georg Trakl

Österreichischer Dichter


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 23:02
An die Melancholie

Du geleitest mich durch's Leben,
Sinnende Melancholie!
Mag mein Stern sich strahlend heben,
Mag er sinken - weichest nie!
Führst mich oft in Felsenklüfte,
Wo der Adler einsam haust,
Tannen starren in die Lüfte,
Und der Waldstrom donnernd braust.
Meiner Toten dann gedenk ich,
Wild hervor die Träne bricht
Und an deinen Busen senk' ich
Mein umnachtet Angesicht.

Nikolaus Lenau

(1802 - 1850), eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, Edler von Strehlenau, österreichischer Dichter und melancholischer Lyriker


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Gedichte aus aller Welt

29.12.2021 um 23:03
Für immer

Ganz ohne Ungeduld werde ich träumen,
Ich werde mich an die Arbeit machen,
Die nie enden kann,
Und nach und nach, gegen Ende,
Kommen Arme den Armen entgegen,
Öffnen sich wieder hilfreiche Hände,
Licht geben die wiederauflebenden Augen
In ihren Höhlen,
Und du, plötzlich unversehrt,
Wirst auferstehen, nochmals
Wird deine Stimme mir Lenkerin sein,
Für immer seh ich dich wieder.

Giuseppe Ungaretti
italienischer Schriftsteller.


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