Verdammt.
Warum muss es nun die Transplantation sein?
Obwohl ich gerade ziemlich sauer auf Dich war, hat mich die Nachricht doch geknickt.
Du bist ist eben, auch wenn der Kontakt rein virtuell ist, kein Unbekannter mehr, dessen Schicksal einem am Ar*** vorbeigeht.
Ich drücke Dir alle Daumen!
Sauer war ich, weil Du über Depressive Zeug geschrieben hast, das einfach unmöglich ist.
Zwar hast Du eine schreckliche Krankheit bis hierhin überlebt, hast dabei diverse Tiefpunkte überstanden und schreckliche Schmerzen aushalten müssen.
Von Deiner Warte aus mag es so aussehen, als hätten Depressive ein Luxusproblem und sollten nur mal aufhören zu jammern.
Aber ...
Mit Dir kann ich mitfühlen, weil mehrere Menschen in meiner Umgebung Krebs hatten, und ich mich damit auseinandersetzen musste.
Deshalb muss ich keinen Bullshit darüber schreiben wie "Hey, das ist doch nicht so wild, da gibt es Schmerzmittel und Chemo, die Heilungsschancen stehen gut. Krebs ist sowieso eine Zivilisationskrankheit, die nur Jammerlappen bekommen, die Mitleid heischen wollen."
Zu Zeo muss ich deshalb nicht schreiben "Wer einen gesunden Körper hat, ist meiner Meinung nach meistens gesund.
Alles andere sind meiner Meinung nach meistens Empfindlichkeiten. Natürlich gibt es auch wirklich psychisch kranke Leute, aber ich glaube die meisten reden sich das einfach nur selber ein um Aufmerksamkeit zu bekommen.", weil meine Schwester und meine Freundin sich wegen schwerer Depressionen/Psychosen das Leben genommen haben.
Nun stelle Dir die tiefsten seelischen Tiefpunkte vor, die Du durchmachen musstest.
Stelle Dir vor, aufgrund von Medikamenten, Nebenwirkungen oder Deiner Krankheit hätte die Laune monatelang angehalten.
Stelle Dir vor, dass keine Freundin, keine Verwandten, keine Kumpels da gewesen wären, um Dich zu unterstützen.
Und wenn sie da waren, hätten sie Dir gesagt: "So ein Quatsch, hör auf zu jammern. Ich hatte auch mal einen Blase am Fuss, daher weiss ich was Schmerzen sind."
"Lach doch mal, geh an die frische Luft, wenn Du immer hier herumliegst wird es auch nicht besser"
Und dergleichen. Du hättest das Gefühl gehabt, dass niemand auch nur ansatzweise versteht, was Du empfindest. Ihre Ratschläge hätten Dich nur noch mehr belastet, weil es Dich angestrengt hätte, Dich gegen sie zu wehren, und wütend gemacht, ihnen zuzuhören.
Deine Freundin hätte Dich verlassen, weil Du immer so miese Laune hast.
Depression ist eine Krankheit wie andere Krankheiten auch. Bloss tückisch, weil viele Mitmenschen sie eben nicht ernst nehmen (so wie Du), sich nicht zu verhalten wissen, Krankheitssymptome nicht von Person des Kranken trennen können, alles persönlich nehmen und sich abwenden.
Psychopharmaka dimmen das Hirn, werden also nicht gerne genommen.
Oft gibt es Biografien mit vielen Aufenthalten in Kliniken, geschlossenen Abteilungen, langjährige Therapien.
Aber bei einigen versagt all das, und die landen irgendwann an einem Ort, aus dem es nur einen einzigen Ausweg zu geben scheint. Sie fühlen sich nur noch als Belastung für andere, wollen anderen keinen Schmerz mehr zufügen, fühlen sich überflüssig und sogar als Gefahr für andere.
Die Verantwortung für eigene Kinder wird nicht als Grund für ein Weiterleben empfunden, sondern erst recht als Grund für den Suizid, denn leiden die Kinder nicht am meisten darunter, wenn ein Elternteil sie immer wieder verletzt und enttäuscht, sich nicht um sie kümmern kann sondern im Gegenteil ihnen eine zusätzliche Last aufbürdet? Und eine Besserung scheint unmöglich, denn das ist das Wesen der Depression: Hoffnungslosigkeit.
Wenn es keinen anderen Weg mehr gibt, keine Kraft und keinen anderen Antrieb mehr, dann gehen sie. Nicht aus einer freien Entscheidung, sondern aus dem grösstmöglichen Zwang heraus.
Es ist falsch für die Zurückgebliebenen, wütend auf den Toten zu sein, denn das würde bedeuten, dass man ihm übelnimmt, diese Wahl getroffen zu haben. Es gab aber gar keine Wahl mehr ... sonst hätte es keinen Suizid gegeben. Und jemandem, der keine Wahl hat, kann man nicht vorwerfen, so gehandelt zu haben.
Jedenfalls sollte man sich hüten, Depressionen zu unterschätzen. Man kann den Zustand nicht nachvollziehen, wenn man ihn nicht erlebt, oder wenigstens aus nächster Nähe beobachtet hat.
Und ich würde auch immer mehr Mitleid mit jemanden haben, der Lungenkrebs hat als eine schwere Depression.
Psychische Krankheiten halte ich als Laie für überbewertet.
Ganz ehrlich?
Mein Vater starb an Lungenkrebs, bei seinen Töchtern, in der Sicherheit geliebt und umsorgt zu werden, zu Hause. Vollgepumpt mit hoch wirksamen Drogen, die ihn schmerz- und sorgenfrei in den Schlaf gleiten liessen.
Davor hatte er ein halbes Jahr Zeit, alles zu ordnen, Abschied zu nehmen, Wichtiges zu sagen, Leckeres zu essen, guten Wein zu trinken, heimlich noch ein paar Zigaretten zu paffen und den letzten Abschied zu planen.
Genauso meine Tante.
Beide waren dankbar, dass sie nicht vom plötzlichen Herzinfarkt dahingerafft wurden, bevor sie nicht noch alles für sie Wichtige tun und erleben konnten ... trotz der schweren Krankheit, Chemotherapien, Bestrahlungen, ätzender Krankenhausaufenthalte, Schmerzen, Ängste.
Eine Freundin warf sich vor einen Zug nachdem sie ihr Baby ein letztes mal bei den Adoptiveltern gesehen hatte und gut aufgehoben fand.
Meine Schwester ist alleine, in tiefster Verzweiflung gestorben. Nach vielen quälenden Jahren, Kämpfen, zerstritten mit den meisten Freunden und ihrer Familie - auch eine Art, Abschied zu nehmen: Alle so sehr zu verletzen, dass man sich einbilden kann, niemandem läge mehr daran, dass man lebt.
Und niemand hat die Gefahr richtig eingeschätzt ... sie erschien in ihrem Zorn so
stark, behauptete Pläne zu haben und sprach nie über den einen Plan, den sie schon lange hatte. Selbst die Psychologin war überrascht. Aber der Abschiedsbrief war klar genug.
Ich denke, dass diese Art von Verzweiflung jedes Mitgefühl der Welt verdient.
Dir wünsche ich aus ganzem Herzen, dass Du diese Verzweiflung niemals erleben musst, sondern Dir Deine Stärke, Hartnäckigkeit und Zuversicht erhältst. Du wirst sie brauchen!
Streiten können wir dann immernoch.
;)Von ganzem Herzen: Alles Gute.
FF