http://www.ferner-alsdorf.de/rechtsanwalt/zivilrecht/verbraucherrecht-zivilrecht/taschenkontrolle-im-supermarkt/1503/ (Archiv-Version vom 20.10.2014)Stellen Sie sich vor, jemand wildfremdes kommt auf der Straße auf Sie zu und verlangt, in ihre mitgeführte Tasche sehen zu dürfen – würden Sie es zulassen? Wohl für jeden undenkbar – seltsamerweise aber nicht, sobald man irgendwo einkauft und der Mensch an der Kasse neugierige Blicke in die mitgeführte Tasche werden möchte.
Kurz und knapp: Einen Anspruch darauf gibt es nicht. Die unverschämte Vehemenz, mit der mancher Bediensteter sein vermeintliches Recht durchsetzen will grenzt dabei mitunter schon an Nötigung. Und seltsamerweise lassen sich sehr viele Menschen auch noch darauf ein. Eine rechtliche und kundenorientierte Darstellung.
Rechtlich gibt es gar keinen Diskussionsspielraum: Die Rechtslage ist längst geklärt. Der BGH stellte schon 1994 in seinem ersten Urteil (VIII ZR 106/93) zum Thema klar, dass eine Durchsuchung an sich ein erheblicher Eingriff in die Privatsphäre ist. Im Privatrechtsverkehr kann dabei kein anderer Maßstab gelten als im Strafverfahrensrecht, so der BGH:
Die Befugnis zu Durchsuchungsmaßnahmen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren setzt deshalb stets den Verdacht einer strafbaren Handlung voraus; ohne ihn ist die mit einer Durchsuchung verbundene polizeiliche Kontrolle – etwa im Kassenbereich eines Geschäfts – deshalb unzulässig. Auch die Sicherung oder Durchsetzung eines Anspruchs mittels privater Gewalt ist nur unter der Voraussetzung zulässig, daß die konkrete Gefahr einer Erschwerung oder Vereitelung der Durchsetzung eines bestehenden Anspruches droht
Vor diesem Hintergrund ist eindeutig festzustellen:
Die Bekl. darf daher Taschenkontrollen nur fordern, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt.
Sprich: Nur wenn ein konkreter Verdacht vorliegt, ist an Taschenkontrollen überhaupt zu denken. Ein pauschalisiertes “Wir überprüfen alle Taschen” gibt es nicht. Es muss im konkreten Einzelfall greifbar (und nachweisbar!) feststehen, dass Gründe vorliegen, die nahe legen, dass sich in dieser konkreten Tasche etwas gestohlenes befindet.
Nun versuchen manche Geschäfte diese eindeutige rechtliche Lage zu “klären”, indem man an die Türe ein Schild hängt “Taschen mitbringen verboten; Wir kontrollieren jede mitgebrachte Tasche”. Damit soll ein Einverständnis derjenigen fingiert werden, die das Geschäft betreten. Vehement behaupten dann auch manche Angestellte, dies wäre die “Hausordnung”, die man ja “akzeptiert habe”.
Rechtlich Blödsinn: Der BGH hat in seinem zweiten Urteil zum Thema (VIII ZR 221/95) klargestellt, dass solche Versuche als Allgemeine Geschäftsbedingungen zu qualifizieren sind. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) unterliegen in Deutschland aber einer rechtlichen Kontrolle, bei Verwendung gegenüber Verbrauchern sogar sehr strikten Vorgaben (§§307, 308, 309 BGB). Die Feststellung, dass Taschenkontrollen durchgeführt werden (ohne konkreten Anlass) ist dabei eine eine unangemessene Benachteiligung – die unwirksam ist. Der BGH:
[Diese]Klausel benachteiligt den Kunden unangemessen, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweicht, nach der Taschenkontrollen nur bei konkretem Diebstahlsverdacht zulässig sind.
Das Thema ist damit erledigt: Taschenkontrollen muss man nur bei konkretem Tatverdacht dulden. Und, ebenfalls gerne begangener Fehler: Nur weil ein Kunde die Durchsuchung verweigert, besteht kein konkreter Verdacht – er macht ja nur von seinem zustehenden Recht Gebrauch.
Zur Erheiterung beim Thema der Hinweis auf dieses Urteil:
In einem Hotel wurden die Gäste genötigt, Taschenkontrollen nach dem Buffet über sich ergehen zu lassen, Grund: Man wolle verhinden, dass Speisen/Getränke aufs Zimmer geschmuggelt werden. Das AG Kleve (3 C 346/00) sprach einer betroffenen Urlauberin zu Recht Schadensersatz zu, so eine Praxis ist nicht vertretbar.
Fraglich ist, wie der Bedienstete an der Kasse damit umzugehen hat. Zuerst einmal ist m.E. festzustellen, dass es durchaus legitim und legal ist, den Kunden höflich darum zu bitten, in die Tasche sehen zu dürfen (so auch das AG Oldenburg, E 4 C 4286/97). Wenn der Kunde dies aber verneint, verbietet sich jede weitere Diskussion – nicht nur aus Gründen des Anstands (was geht die Kassenbedienung der Inhalt fremder Taschen oder Einkaufstüten an?), sondern auch aus rechtlichen Gründen – die Grenze zur strafbewehrten Nötigung ist fliessend und schneller erreicht als man glaubt.
Insbesondere Handgreiflichkeiten (“Nun geben Sie diese Tüte her”) sind keineswegs Bagatellen und haben unbedingt zu unterbleiben. Der Kassenangestellte muss sich dabei unbedingt im Klaren sein, dass er es ist der handelt und dass er strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird bei Fehlern. Inwieweit man dieses Risiko eingehen möchte, muss jeder selbst abwägen. Ich kann nur davor warnen, dieses Risiko zu unterschätzen.
Anders ist es bei einem konkreten Verdacht, hier kann eine Durchsuchung duchaus möglich sein – doch ist es selbst in diesem Fall, wenn man sich wirklich absolut sicher ist, wohl immer am klügsten die Polizei zu rufen und diese evt. Maßnahmen vornehmen zu lassen. Schwierig ist dabei das so genannte Festnahmerecht nach §127 I StPO: Entgegen der bei Laien verbreiteten Meinung reicht gerade kein allgemeiner Verdacht, um jemanden gegen seinen Willen festhalten zu dürfen. Wer einen anderen gegen dessen Willen festhält muss sich im Klaren sein, dass hier eine Freiheitsberaubung begangen wird – wer sich darauf einlässt sollte sich daher wirklich absolut sicher sein, was er da gerade macht. (Hinweis: Im Detail wird das Festnahmerecht hier von mir erläutert)
Bestenfalls unverschämt sind Hinweise wie “Lassen Sie Ihre Tasche bitte im Auto”. Dies widerspricht nicht nur gängigen Ratschlägen der Polizei (“Lassen Sie keine Wertsachen im Auto”) und ist spätestens bei Fußgängern & Radfahrern unmöglich. Hier wird zudem dem zahlenden Kunden das Risiko eines Diebstahls aufgebürdet, das sonst der Unternehmer in seinen eigenen Räumlichkeiten zu tragen hat.
Ebenfalls vorsichtig sollten Kunden mit evt. vorhandenen Schliessfächern sein: Zwar sind diese im Regelfall kostenlos zu benutzen und ohne Aufwand. Aber während man einerseits gezwungen sein soll diese Schließfächer zu benutzen, verweigert der Geschäftsinhaber gerne jegliche Haftung für Diebstahl und Verlust. Wieder wird dem ehrlichen, zahlenden Kunden das unternehmerische Risiko aufgebürdet.
Sie sollten daher im Fazit als mündiger und selbstbewusster Kunde darauf bestehen, auch entsprechend behandelt zu werden. Niemand hat das Recht, Sie anlaßlos zu durchsuchen. Dies ist auch keine Kleinigkeit, immerhin geht es um ihre Privatsphäre und die Frage, wen sie dort eindringen lassen. Allerdings braucht es sicherlich Mut, um eben nicht duckmäuserig alles mitzumachen – vielen ist es schlicht zu unangenehm, sich zu wehren. Wer allerdings bei solchen Spielchen mitmacht, muss sich nicht wundern, wenn man auch sonst als Kunde übervorteilt wird. Das Recht ist auf Ihrer Seite – Sie müssen nur den Mut haben, es auch duchzusetzen.
Auch juristisch sind Sie nicht wehrlos, wenn Sie trotz ausdrücklicher und ständiger Verneinung belästigt werden: Es liegt – so auch der BGH – unstreitig ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor. Ein solcher Eingriff kann durch einen Rechtsanwalt abgemahnt werden, was mitunter empfindliche Kosten erzeugt. Sofern der Verantwortliche sich nicht mit einer Unterlassungserklärung unterwirft, steht die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung im Raum, wiederum mit sehr empfindlichen Kosten verbunden.