paxito schrieb:Dann wären die dunkle Materie, die Abiogenese oder das Dreikörperproblem paranormale Phänomene. Nein, ich denke hier soll schon ein pejorativ belegter Rahmen für spooky Zeug gesteckt werden, so dass man alles was nicht ins moderne Weltbild passt irgendwie zusammenfassen kann. Ein verwandter Begriff ist der Aberglaube.
Nein, das hast Du missverstanden oder ich unpräzise erkärt; die angeführten Beispiele sind ja immer noch Fragestellungen innerhalb der
natürlichen Welt; insbesondere ist das Dreikörperproblem etwas, was sich immerhin numerisch lösen lässt. Und die Abiogenese braucht bspw. auch nicht weitere Entitäten (wie eine Lebenskraft), um isoliert zu funktionieren.
"Paranormale Phänomene" sind aktuell nicht Teil irgendeiner wissenschaftlichen Theorie. Ich behandle den Begriff des "Paranormalen" übrigens nicht pejorativ, auch wenn ich verstehe, woher deine Sorge kommt. Mir ist es am Ende einerlei, welchen Oberbegriff man findet, aber Du wirst mir vermutlich zustimmen, dass - würde man derartige Phänomene wissenschaftlich robust als existent ansehen - eine komplexe Taxonomie vonnöten wäre. Analog wie wir es in der Biologie mit ihrer Systematik haben.
Vereinfacht gesagt: Würden wir beispielsweise herausfinden, dass Geister existieren, sollte man dazu einen Oberbegriff sowie passende "Geistertypen" via Untergruppen definieren, wobei sich durch die Tiefe eines "Baumes" die Komplexität beliebig erhöhen könnte. Wenn ich also davon spreche, einen
umbrella term zu finden, dann in eben jenem taxonomischen Kontext und keineswegs abwertend.
Aber da Du Folgendes geschrieben hast, denkst Du nach wie vor, ich sei der Auffassung, diese Phänomene müssten sich physikalisch reduzieren lassen:
paxito schrieb:Jede Wahrnehmung spielt sich komplett im Kopf ab. Wo auch sonst, im Knie? Was dich triggert ist die Frage worauf sich die Wahrnehmung bezieht.
Du nimmst ne ganz bestimmte Haltung ein, die sowas wie Geister perse verunmöglicht. Dein Standpunkt, wie ich ihn verstehe:
Es gibt eine objektive Wirklichkeit die sich nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten richtet und sonst nix. Alles was wir wahrnehmen lässt sich entweder auf diese reduzieren oder ist im Grunde eine Illusion.
Wenn also jemand einen Geist sieht, ist entweder die Physik falsch oder er ist einer Illusion erlegen. Korrekt wiedergegeben?
Also "triggern" tut mich nichts, warum auch? Bloß gehe ich aktuell davon aus, dass solche Phänomene allgemein Irrtümer, Illusionen und andere Fehlwahrnehmungen sind. Mein Punkt war aber die ganze Zeit: Ich bin offen für Revision und Erweiterung, und die Wissenschaften sind ein systematischer Weg, unser Gesamtwissen zu erweitern. Heißt das, dass man z.B. Geister dann auf die bekannte Physik "reduzieren" könnte?
Das denke ich
nicht - ich stimme dir sogar auf theoretischer Ebene zu, dass es sich um Phänomene außerhalb der (bekannten) Physik ("Immaterialität") handeln würde! Und dennoch - sie würden ja in
irgendeiner Form existieren und genau diese hypothetische
Interaktion müsste in einem neuen, auch interdisziplinären Theoriegebäude abgebildet werden. Ob es jetzt z.B. Photonen sind, die mit Geisterwesen interagieren und uns die Wahrnehmung ermöglichen oder ob diese Wahrnehmung auf einer völlig anderen, "geistigen" Ebene ablaufen und so mit unserem Gehirn interagieren würde:
Irgendeine Form von Interaktion wäre da.
paxito schrieb:Hm, also weißt du besser als ich, was ich gesehen oder nicht gesehen habe? Wobei „ich“ hier nur als Stellvertreter diene für viele andere Menschen.
Natürlich weiß ich nicht, was "Du" bzw. andere Menschen erlebt oder wahrgenommen haben. Was ich meine und die ganze Zeit sage, ist: Die
mögliche Interpretation des Wahrgenommenen (zum Beispiel eine Geistererscheinung, bei der die Person selbst jene Erscheinung als Geist interpretiert) zweifle ich aber aufgrund meines Vorwissens und der Tatsache des fehlenden, robusten wissenschaftlichen Konsens in Bezug auf diese Phänomene an. D.h. dann auch nicht, dass ich solche Interpretationen mit 100%iger Sicherheit ausschließen könnte - und trotzdem ist es ein rational gerechtfertigter Skeptizismus.
paxito schrieb:Klares Erfassen was hier überhaupt als Geist beschrieben wird, selbstkritisches erfassen der eigenen kulturellen Verfasstheit zum Thema (die hier erheblich ist und bei dir Null reflektiert wird) und dann eine neutrale, sachliche und kritische Aufnahme der Berichte die existieren.
Und wenn du das fertig hast, dann kannst du mal überlegen ob da noch irgendwas an physikalischen Fragen gestellt werden muss und wenn ja welche.
+
paxito schrieb:Mein Beispiel machte doch deutlich: Du kannst durch kulturelle Prägung manchmal nicht mal sehen, worauf sich der andere überhaupt bezieht. Ja, man schaut auf das Gleiche und ja man interpretiert es anders. Aber wenn du nur Rechtecke siehst und sehen kannst, jemand anders aber nur Kreise sieht - wird es mit Verlaub schwierig. Und das ist noch ein triviales Beispiel.
Das wird bei mir vollkommen reflektiert; deswegen sage ich dir ja, dass es in der Wissenschaft gerade verschiedenste Ansätze gibt, solche kulturellen Wahrnehmungslücken (so nenne ich sie jetzt mal) zu überbrücken oder zu minimieren.
Der Ansatz, Erste-Person-Berichte erst einmal so zu nehmen, wie sie sind, möglichst unbiased, wird ohnehin schon in anderem Kontext innerhalb der Psychologie sowie der Kognitionswissenschaften verfolgt. Eine weitere interessante Methodologie dazu ist die "Heterophänomenologie". Dazu gibt es auch Paper, die die Methode weiter verfeinern möchten, wie dieses hier:
Heterophenomenology is a third-person methodology proposed by Daniel Dennett for using first-person reports as scientific evidence. I argue that heterophenomenology can be improved by making six changes: (i) setting aside consciousness, (ii) including other sources of first-person data besides first-person reports, (iii) abandoning agnosticism as to the truth value of the reports in favor of the most plausible assumptions we can make about what can be learned from the data, (iv) interpreting first-person reports (and other first-person behaviours) directly in terms of target mental states rather than in terms of beliefs about them, (v) dropping any residual commitment to incorrigibility of first-person reports, and (vi) recognizing that third-person methodology does have positive effects on scientific practices. When these changes are made, heterophenomenology turns into the self-measurement methodology of first- person data that I have defended in previous papers.
Quelle:
https://www.researchgate.net/publication/233594286_How_to_Improve_on_Heterophenomenology_The_Self-Measurement_Methodology_of_First-_Person_DataUnsere hypothetischen Experimente müssten also darin bestehen, solche Methoden unter besonderer Berücksichtigung kultureller Faktoren / Einflüsse mit möglichst vielen Probanden durchzuführen. Ich denke, immerhin darin könnten wir uns einig werden. Fehlt uns dann lediglich das Geld, um das alles durchzuführen.
;)