RayWonders schrieb:wenn alles so zufällig ist, wieso treten dann diese Mutationen vermehrt und wiederholt auf?
Weil Zufall weder heißt, dass alles nur einmalig geschieht, noch heißt es, dass jedes Ergebnis gleichwahrscheinlich ist.
Beispiel: Nehmen wir ein Smartphone und werfen es einfach mal quer über die Straße. Einfach mal machen. Einfach mal gucken, was so passiert (ist bestimmt lustig). Mit hoher Wahrscheinlichkeit: Displayschaden. Mit weitaus geringerer Wahrscheinlichkeit: USB-Anschluss defekt. Und welche Schäden genau eintreten, ist letztendlich weitestgehend zufällig.
Noch ein Beispiel: Wir werfen zwei Würfel. Mehrfach, vielleicht 100 Mal. Die Ergebnisse treten entsprechend wiederholt auf, sind zufällig, aber nicht gleich wahrscheinlich. Der Wurf einer 2 oder 12 ist bspw. am seltesten, der Wurf einer 7 am häufigsten.
RayWonders schrieb:...da passieren ja fast schon unendlich viele Kopierfehler...
Ja, nee... eben nicht
unendlich viele. Sowas muss man halt mal durchrechnen, grob überschlagen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Dazu muss man (d.h. der Mensch) zuvor natürlich diverse empirische Untersuchungen anstellen, kann sich Wahrscheinlichkeiten ja nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Und man weiß mittlerweile: Die spontane Mutationsrate in einer Bakterienzelle beläuft sich ungefähr auf 10
9 bis 10
10 Austausche einzelner Nucleotide pro Basenpaar und Generation.
Beispiel: Kolibakterium (E. coli) - Genomgröße: ca. 5x10
6 Basenpaare. Rechnen wir mit einer Mutationsrate von 5x10
9, kommt man also auf eine Mutation pro 1000 Zellteilungen. Oder anders ausgedrückt: Bei einer Population von 1000 Koliviechern hast du im Schnitt ein Mutantenbakterium dabei. Oder noch einmal anders ausgedrückt: Nicht
"unendlich viele Kopierfehler", sondern lediglich
im Promillebereich.
Bakterien sind auch ein gutes Beispiel, weil man hier Evolution faktisch live beobachten kann. Siehe Lenski-Experiment:
Das sogenannte Lenski-Experiment ist eines der bekanntesten Langzeitexperimente zur Evolution und zeigt eindrucksvoll, wie sich Bakterien über viele Generationen hinweg verändern. Seit 1988 kultiviert der Evolutionsbiologe Richard Lenski zwölf unabhängige Linien des Bakteriums E. coli unter konstanten Laborbedingungen. Durch die extrem kurze Generationszeit von Bakterien konnten in inzwischen über 80.000 Generationen Veränderungen beobachtet werden, wie sie in größeren Organismen viele Jahrtausende dauern würden. Dabei zeigten sich typische Evolutionsmechanismen: Die Bakterien entwickelten sich durch zufällige Mutationen weiter, wobei vorteilhafte Veränderungen (bspw. schnelleres Wachstum) durch natürliche Selektion begünstigt wurden. In einer Linie entstand sogar die Fähigkeit, Citrat als Energiequelle zu nutzen - etwas, das E. coli normalerweise nicht kann. Das Experiment beweist, dass Evolution nicht nur ein theoretisches Konzept ist, sondern ein beobachtbarer und messbarer Prozess, der bereits unter einfachen Bedingungen abläuft.
RayWonders schrieb:laut Google verdoppeln sich viele Populationen von Bakterien in 20 Minuten. man rechne das mal hoch auf 1 Million Jahre oder noch mehr!
Nichtsdestotrotz folgt das Wachstum von Bakterien in der Regel nicht einer
exponentiellen Wachstumskurve, sondern einer
logistischen Wachstumskurve. Exponentielles Wachstum wäre nur unter idealen Bedingungen der Fall, wo sich Bakterien unbegrenzt vermehren können. Logistisches Wachstum berücksichtigt, dass Bakterienpopulationen irgendwann durch begrenzte Ressourcen wie Nahrung oder Platz an eine bestimmte Kapazität stoßen, was zu einer Verlangsamung des Wachstums führt.
Aber ja... die Zahlen sind nichtsdestotrotz krass!
Der Mensch braucht Mikroorganismen zum Leben: Etwa 100 Trillionen (= 100.000.000.000.000.000) mit einem Gewicht von etwa zwei Kilogramm leben in und auf unserem Körper.https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/w-wie-wissen/sendung/2010/die-welt-in-zahlen-hygiene-100.htmlDie Zahl der Viecher weltweit ist geradezu gigantisch. Studien - bspw. Whitman et al. (1998) - gehen von ca. 10
30 Bakterienviechern weltweit aus. Und die geschätzte Zahl aller Zellteilungen seit Beginn des Lebens liegt vielleicht irgendwo zwischen 10
42 bis 10
45 oder so.
RayWonders schrieb:je nach dem was ich jetzt nicht weiß sondern nur annehme. ab einer bestimmten Länge der Kette von Aminosäuren die notwendig ist für die Ausprägung von z.b. lichtempfindlichen Zellen, würde ich es als Indiz sehen, dass das ganze mit kausaler Ursache geschah..
Basiert halt wieder auf
falschen Prämissen, bspw. dass nur eine ganz bestimmte Aminosäurensequenz funktionieren würde.
Beispiel: Du möchtest ein Fahrrad bauen. Natürlich fängst du nicht komplett bei Null an, sondern hast bereits einen Haufen von Ersatzteilen. Evolution arbeitet ähnlich - bspw. die Entstehung von Rhodopsin ist kein
"blinder Schöpfungsakt aus dem Nichts", sondern ein Paradebeispiel dafür, wie Evolution mit vorhandenen "Bauteilen" arbeitet. Rhodopsin besteht nämlich aus zwei Komponenten: dem Protein Opsin und dem lichtempfindlichen Molekül Retinal. Opsin ist Teil einer großen Familie von Rezeptorproteinen, die ursprünglich andere Reize wie chemische Signale erkennen konnten - es erfüllte also bereits eine Funktion, ähnlich wie das Zahnrad in unserem Beispiel mit dem Fahrrad. Und Retinal ist ein lichtempfindliches Molekül, das bereits in frühen Mikroorganismen (etwa Halobakterien) schon als Lichtsensor diente. Dort war es bspw. an ein anderes Protein gebunden: Bakteriorhodopsin, welches Lichtenergie direkt in Ionenpumpen umsetzte. Evolution hat hier letztendlich nur Retinal an Opsin gekoppelt, fertig war unser Sehpigment Rhodopsin. Rhodopsin ist also kein Produkt einer einzigen Mutation, sondern das Ergebnis der Kombination bereits vorhandener "Bauteile" (Opsin und Retinal), einer Funktionaler Umnutzung (chemischer Rezeptor > Lichtrezeptor) und "evolutionärer Tüftelei" über lange Zeiträume.
Am Beispiel des Fahrrads zeigt sich auch: Es muss weder ein ganz bestimmtes Modell sein, noch muss es perfekt sein. Viele Modelle und Konstruktionsmöglichkeiten realisieren
dieselbe Funktion: Fahren auf zwei Rädern. Und solange das Fahrrad funktioniert, bringt es bereits den entscheidenden Fortbewegungs- bzw. Evolutionsvorteil. Später kann man dann immer noch daran herumtüfeln, alternative Varianten und Ersatzteile ausprobieren, bessere Modelle entwickeln usw.
Das zeigt sich übrigens auch anhand der Evolution des Auges, welches im Laufe der Evolution ca. 40 Mal
unabhängig voneinander entstanden ist. Das ist so, als würdest du 40 verschiedene Fahrradmodelle entwickeln, welche dieselbe Funktion realisieren: Fahren auf zwei Rädern. Es gilt also eben nicht, die
einzige und perfekte Lösung für eine Problemstellung zu finden, wie auch häufig unterstellt wird, sondern nur
eine und halbwegs funktionierende Lösung.