@Lufton:
Ja, dieser Befehl war auch für mich lange ziemlich unverständlich, aber hat einen ganz einfachen Grund:
Die Ruderübersetzung auf alten Segelschiffen war so, dass man, wenn man nach links, also Backbord fahren wollte, das Ruder nach rechts, also Steuerbord, drehen musste, bzw. andersrum. Dies wurde zwar durch Übersetzung auf den damaligen Transatlantik-Linern behoben, aber es war in der Schifffahrt um 1912 dennoch üblich, für ein Backbord-Ausweich-Manöver den Befehl "Hart Steuerbord" zu geben - obwohl man das Steuerrad schon nach links drehen musste. Erst in den 20er Jahren wurde es üblich, bei "Hart Backbord/Steuerbord" auch wirklich in die gesagte Richtung zu drehen.
Gibt dazu auch eine kleine Anekdote, der ich aber nur schwer Glauben schenken mag:
http://www.welt.de/kultur/article9928849/Hat-der-Steuermann-links-und-rechts-verwechselt.htmlZwei Minuten erscheinen mir da etwas viel...
Zum Kommando "Full Astern" (Volle Kraft zurück), das Murdoch angeblich gegeben und damit den Zusammenstoß verschlimmert haben soll: Ich bezweifle, dass er die Maschinentelegrafen vor der Kollision auf diesen Befehl eingestellt hat. Überlebende aus dem Maschinenraum erzählten, dass kurz vor der Kollision alle vier Maschinentelegrafen "Stop" empfangen hätten. Beim Umsteuern von "Full Ahead" auf "Full Astern" sind normalerweise massive Vibrationen im Heckbereich zu spüren; niemand der Überlebenden hat allerdings sowas bemerkt. Daher ist es wahrscheinlicher, dass Murdoch erst nach dem Zusammenstoß die Maschinentelegrafen auf "Full Astern" gestellt hat, um das Schiff anzuhalten.
Siehe auch Wikipedia-Artikel "RMS Titanic".
Ich wüsste nichts, was man Murdoch beim Ausweichmanöver anlasten könnte. Er hat lehrbuchmäßig gehandelt.
Die Theorie, die Titanic sei allgemein viel zu schnell unterwegs gewesen (im Eisfeld war sie es ohne Zweifel!!!), halte ich für vollkommen falsch.
Zuerst einmal war es nicht das Ziel der Titanic-Reederei, der White Star Line, den Atlantik möglichst schnell zu überqueren oder gar um das Blaue Band zu fahren. Diesen Kampf hat man schon Jahre zuvor aufgegeben und dem Konkurrenten Cunard den Vorzug in diesem Bereich gegeben. Die White Star wollte durch Luxus und Komfort überzeugen. Das war damals auch nichts Ungewöhnliches, war doch beim größten Konkurrenten der Briten, den großen deutschen Reedereien, Norddeutscher Lloyd und der HAPAG eine ähnliche Marktaufteilung entstanden (Lloyd stand für Schnelligkeit, HAPAG für Komfort).
Die Titanic und ihr Schwesterschiff Olympic waren folglich auch im Vergleich zu den Schnelldampfern Cunards, der Mauretania und der Lusitania, in Sachen Geschwindigkeit vollkommen unterlegen. Die beiden Cunard-Liner erreichten 28 kn Höchstgeschwindigkeit, also knapp 52 km/h, eine Geschwindigkeit, an die die Schiffe der Olympic-Klasse nicht einmal ansatzweise herankamen (rund 21 kn bzw. 39 km/h).
Der Zeitgewinn, den die Titanic bei "Volle Kraft voraus" also hätte haben können, war im Vergleich zu den Cunard-Linern vernichtend gering.
Ein interessanter Aspekt rund um den Untergang ist allerdings, dass man wohl aus Gründen des Nationalstolzes und falscher Fahnentreue Hilfe abgelehnt hat: Ein deutsches Schiff des Norddeutschen Lloyd, Frankfurt (in Wikipedia unter dem Artikel "Köln-Klasse (NDL)" zu finden), empfing in der Unglücksnacht wohl als erstes Schiff die Notrufe der Titanic. Die Frankfurt fragte, was los sei. Gemäß der Signalstärke der Frankfurt-Funker mussten die Titanic-Funker eigentlich davon ausgehen, dass die Frankfurt das nächste erreichbare Schiff ist. Doch die Frankfurt bekam irgendwann einfach nur die barsche Antwort "Halt die Klappe, Du Idiot".
Dazu muss man wissen, dass der Funkverkehr damals etwas ganz Neues war. Funker waren nicht Angestellte der Reedereien, sondern der Funkunternehmen. Die britischen Funker gehörten zu Marconi, der Erfinder-Firma des drahtlosen Funks. Die deutschen Funker jedoch gehörten zu Telefunken. Unter den beiden Unternehmen gab es ein großes Konkurrenzverhalten. Jedenfalls schenkten die Titanic-Funker relativ dümmlichen Antworten englischer Schiffe (Schwesterschiff Olympic: "Kommt ihr uns entgegen?") mehr Aufmerksamkeit als der relativ harmlosen Frage der Frankfurt. Vielleicht wollte man sich auch einfach nicht, kurz vorm ersten Weltkrieg, gerade von einem DEUTSCHEN Schiff retten lassen, noch dazu mit Telefunken-Leuten (aus Sicht von Marconi "Amateure") sprechen. Die gexakte Position der Frankfurt in der Unglücksnacht ist nicht bekannt und auch nicht mehr nachvollziehbar. Aber allein aufgrund der Signalstärke hätte sie für die Titanic-Funker eigentlich ein viel wichtigerer Ansprechpartner sein sollen...
Ausführliche Quelle:
http://books.google.de/books?id=Vjk01JlzjkcC&pg=PA27&dq=frankfurt+titanic+funker+idiot&hl=de&sa=X&ei=nwl6T53fC4rjtQaJ3d3SBA&ved=0CDsQ6AEwAA#v=onepage&q=frankfurt%20titanic%20funker%20idiot&f=falseFunkprotokolle der Titanic (anscheinend unvollständig):
http://www.filocom.de/funk.htm