Schwerin
Staatsanwalt: Norman L. ist ein Mörder
Im Prozess um den Mord an Anna-Lena U. steht eine erdrückende Beweislast gegen den Angeklagten.
Schwerin. „Ich schließe mich den Worten meines Anwalts an.“ Mehr hat Norman L. in seinem letzten Wort, das die deutsche Rechtsordnung Angeklagten zubilligt, bevor sich das Gericht zur Beratung des Urteils zurückzieht, nicht mehr zu sagen. Es ist seine letzte Gelegenheit, doch noch aus eigenem Munde ein Wort der Reue von sich zu geben, eine letzte Entschuldigung für ein unentschuldbares Vergehen. Er lässt sie ungenutzt verstreichen.
Mit versteinerten Gesichtszügen und hasserfülltem Blick verfolgt Norman L. kurz vorher das Plädoyer von Staatsanwalt Jörg Seifert, der die Behauptung des Angeklagten, der Tod von Anna-Lena sei durch eine Art Unfall herbeigeführt worden, in der Luft zerreißt. „Das Absurdeste, was ich je gehört habe“, braust Seifert auf. Eine solche Aussage verhöhne geradezu das Opfer und ihre Hinterbliebenen.
Norman L. habe nicht den Entschluss gefasst, die 29-Jährige nur zu verletzten, um sich, wie er behauptet, für einige Jahre im Gefängnis seiner Verlobten zu entziehen; er habe sich entschlossen, zu töten. Das gehe aus den Spuren am Tatort und dem Verhalten des Angeklagten für ihn eindeutig hervor.
„Das Motiv dafür kennen wir noch immer nicht genau, vielleicht gab es nicht mal eines“, sagt der Anklagevertreter. Bei der Tat handele es sich gleichwohl um einen Mord. L. habe nicht nur heimtückisch gehandelt, indem er die arglose Anna-Lena U. unvermittelt attackiert habe, ohne dass die junge Frau die Gefahr hätte kommen sehen. Die Tat geschah auch aus niedrigen Beweggründen. L. habe Anna-Lena jeglichen Wert als Person abgesprochen, um womöglich den Frust über sein eigenes Dasein an ihr auszulassen. „Eine solche Tat ist verachtenswert und steht sittlich auf der niedrigsten Stufe.“ Dass L.
Anna-Lena U. tötete, um eine gescheiterte Vergewaltigung zu vertuschen, lasse sich zwar nicht ausschließen, anhand der vorliegenen Fakten allerdings nicht beweisen. Dennoch sieht Seifert „keine Anlässe, die die Schuld von Norman L. in irgendeiner Weise mindern“. Der 46-Jährige habe keinerlei ernsthafte Reue gezeigt; seine Einlassung habe allein dazu gedient, die objektiven Spuren in der für ihn vorteilhaftesten Weise zu erklären.
Seifert beantragt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes und fordert das Gericht zugleich auf, wegen der Kaltblütigkeit der Tat eine besondere Schwere der Schuld festzustellen. Eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren wäre für Norman L. damit ausgeschlossen. Sicherungsverwahrung komme jedoch allein aus formellen Gründen nicht in Betracht, da L.‘s letzte Straftat mehr als vier Jahre zurückliege.
Rechtsanwalt Henning Heintzenberg, der die Familie von Anna-Lena U. als Nebenkläger in dem Prozess vertritt, schließt sich der Forderung des Staatsanwaltes an. Im Gegensatz zu dem sieht es Heintzenberg aber ebenso als erwiesen an, dass L. die junge Mutter vergewaltigen wollte. „Es ist kaum vorstellbar, dass für die Tat eine andere Motivation in Frage kommt, als die einer sexuellen Nötigung“, erklärt der Jurist, der in seinem Plädoyer auch auf die Wirkung von Norman L.‘s Einlassung auf die Opferfamilie eingeht. Dessen Behauptung, Anna-Lena trage gewissermaßen eine Mitschuld am eigenen Tod, weil sie L. nach einem ersten Angriff am Arm gepackt habe, hat die trauernde Familie zutiefst verletzt. „Es fühlte sich an, als sei meine Tochter ein zweites Mal Opfer eines Verbrechens geworden“, zitiert Heintzenberg aus einer E-Mail von Anna-Lenas Mutter.
Die „erdrückende Beweislast“ (Seifert) macht es L.‘s Pflichtverteidiger Jörn Gaebell schwer, etwas zugunsten seines Mandanten in die Waagschale zu werfen. Gaebell räumt ein, dass L.‘s Entschluss, einen anderen Menschen anzugreifen, „völlig irrational“ gewesen sei. „Allerdings darf das späte Geständnis auch nicht gegen meinen Mandanten ausgelegt werden“, betont Gaebell. Überdies könne nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass Anna-Lena „logisch und rational“ gehandelt habe, als sie von L. angegriffen wurde. So habe auch ihr Ehemann vor Gericht ausgesagt, dass sich seine Frau gewehrt hätte, wäre sie von einem Fremden attackiert worden. Die Darstellung seines Mandanten, dass Anna-Lena ihm nach dem Angriff am Arm gezogen hat, woraufhin er auf sie gefallen sei und dabei das Messer „versehentlich“ in ihren Hals getrieben habe, könne durch die Spurenlage jedenfalls nicht widerlegt werden und müsse „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten, als wahrscheinlich angenommen werden.
Gaebell beantragt eine Haftstrafe von 11 Jahren und sechs Monaten für eine gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge. Das Urteil wird für Mittwoch, 11 Uhr erwartet.
http://www.ln-online.de/Nachrichten/Norddeutschland/Staatsanwalt-Norman-L.-ist-ein-Moerder (Archiv-Version vom 22.01.2014)