Rick_Blaine schrieb:Beispiel: Der Thomas wird beschuldigt, an einem wunderschönen und aussergewöhnlich heissem Sommertag die Bayerische Vereinsbank in Landshut überfallen und um 500000 Taler erleichtert zu haben. Zeugin Zenzi, die Nachbarin des Thomas sagt, sie habe ihn mit seiner, ihr sehr bekannten, dicken Winterjacke mit Pelzkragen aus der Bank kommen sehen.
Nun sollte man nicht einfach sagen: Bei 33 Grad C geht doch niemand mit einer solchen Jacke herum. Das mag auf 99% der Niederbayern zutreffen, aber vielleicht hatte der Thomas ja seine Gründe. Kann der Verteidiger hingegen klar nachweisen, dass Thomas die besagte Jacke schon vor einem Jahr der Altkleidersammlung übereignete, ist dies ein viel besseres Argument, als nur, dass "man" an so einem Tag so eine Jacke nicht trägt.
Das Argument " sowas macht kein Mensch" ist nur dann wichtig, wenn man keine anderen hat. Dann freilich, sollte man es unbedingt einbringen, das ist klar.
Und man kann diese Argumentation noch ganz leicht weiter entkräften:
Wenn die überfallenen Bankangestellten aussagen, dass der Täter eine dicke Winterjacke mit Pelzkragen trug, dann trifft das Argument, niemand würde doch bei so einem Wetter so eine Jacke tragen, eben nicht nur auf Thomas, sondern auch auf jeden anderen Menschen mit ungestörtem, also nicht pathologisch verändertem Wärme- und Kälteempfinden zu. Das Argument entlastet Thomas damit als individuelle Person nicht
Für den hier diskutierten Fall bedeutet das:
Irgendjemand ist mit blut- und dreckverschmierter Kleidung an der Straße lang gelaufen und wurde dabei von der Zeugin gesehen. Mir fallen wenige Argumente ein, welchen anderen Grund es geben könnte, blut- und dreckverschmierte Kleidung zu tragen: Pathologen und Metzger tragen in der Regel Berufskleidung, in der sie nicht nach Hause laufen. Ein Bauarbeiter mag dreckverschmiert aussehen, hat aber eher kein Blut an der Kleidung etc.
Jetzt ist in der unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Nähe zu der Sichtung ein Doppelmord passiert, bei dem die Ermittler aufgrund der Auffindesituation davon ausgehen, dass der Täter blutverschmierte Kleidung gehabt haben müsste (so steht es in der PCA zur Hausdurchsuchung bei RL).
Es ist also nahe liegend, dass es sich bei der gesehenen Person um den Täter auf dem Weg zwischen Tatort und XY handelt.
Allerdings ist es nur nahe liegend, nicht etwa sicher. Man muss aufpassen, hier nicht Opfer eines Confirmation bias zu werden, also das offensichtliche anzunehmen und einen logischen Zusammenhang anzunehmen, nur weil es das naheliegendste ist.
Aber ich bin mir sicher, dass die Ermittler die Sichtung durch weitere Indizien abgesichert und verifiziert haben. Nur weil diese nicht in der PCA aufgeführt wurden, heißt dass nicht, dass es sie nicht gibt.
Und deshalb spricht die These :
"Kein Täter wäre so dumm, nach so einem Verbrechen blutverschmiert eine öffentliche Straße langzulaufen, anstatt sich möglichst versteckt durchs Unterholz zu schlagen."
eben nicht dagegen, dass RA der Täter war. Wenn es der Täter war, den die Frau an der Straße beobachtet, dann war dieser Täter, egal ob es RA war oder jemand anderes, eben so dumm, unvorsichtig und/oder waghalsig, dort lang zu laufen.
Rotkäppchen schrieb:Nachdem ich Beinen Beitrag abgeschickt hatte, ist mir aufgefallen, dass ich eben das Nachtatverhalten vergessen hatte. Wir wissen nicht, was die Tat on dem Täter ausgelöst hat, nachdem er sie begangen hatte.
Das sehe ich auch so. Man geht irgendwie immer von einem planenden, rational handelnden, intelligenten und allwissendem Täter aus. Alle Handlungen, die dieser begangen hat, müssen zu diesem Bild passen. Aber es gibt eben auch dumme Täter, die Tatsituation entwickelt sich völlig anders als geplant und erfordert damit spontane und unter Zeitdruck getroffene Entscheidungen. Zudem erscheinen unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Handlungsoptionen als "rational" oder sinnvoll.
Dass, was man aber immer am meisten vergisst, ist dass kein Täter (und überhaupt kein Mensch) allwissend ist. Wir bilden uns das immer ein, wenn wir Entscheidungen treffen müssen und erstmal Informationen eingeholt haben. Tatsächlich sind die Informationen immer lückenhaft und schon die Frage, welche Infos wie bewertet werden, ist rein subjektiv.
Es ist also durchaus möglich, dass der Täter mag sich in der Gegend nur grob ausgekannt haben, konnte also nicht beurteilen, wie stark befahren die Straße war. Vielleicht hat er das ganze auch nur falsch eingeschätzt, hat die Straße schon mehrmals benutzt und ist dabei nie auch nur einem Auto oder Fußgänger begegnet, aber auf dem Wanderweg sind ihm mindestens die Frau an der Brücke und die drei Mädchen begegnet, so dass er vielleicht dachte, die Straße sei der "sicherere" Weg für ihn....
Wir wissen nicht, was er sich dabei gedacht hat und nur weil uns in 7000 km Entfernung und mit 6 Jahren Abstand etwas unlogisch und irrational vorkommt, heißt das nicht, dass es ihm in seiner Situation genauso unlogisch und irrational erschien. Er wird schon einen Grund gehabt haben, dort und nicht woanders lang zu laufen.