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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 17:25
Zitat von AndanteAndante schrieb:Was die Ermittlungsbehörden aber nicht verhindern können, ist, dass Opferangehörige, die ja Akteneinsicht haben, hingehen und der Presse erzählen, wie der Stand ist. So was es im Fall Möhlmann ja auch. Es war der Vater, der die Öffentlichkeit eingespannt hat, um eine Gesetzesergänzung zu erreichen.

Man kann Opferangehörigen die Akteneinsicht auch kaum versagen, denn der Fall ist ja nicht abgeschlossen bzw. aufgeklärt. Wenn es der Freigesprochene nicht war, muss ja jemand anders der Täter sein, und der wird ja weiter gesucht.
Verstehe. Die Akteneinsichthabenden dürfen mit dem neuesten Stand an die Öffentlichkeit gehen.
Wenn es keine Angehörigen gibt, liest niemand die Akten.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Der unschuldig Verurteilte müsste dann ein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Gunsten anstrengen, in dem die neuen Beweismittel definitiv verwertet werden dürfen. Sie dürfen nur eben nicht als Grundlage für einen neuen Prozess gegen den bereits Freigesprochenen verwendet werden. Das sind dann aber eben zwei Verfahren, einmal die Wiederaufnahme und das Verfahren gegen den Freigesprochenen, dass dann aber nun einmal nicht mehr geführt werden darf.
Der Verlauf ist mir klar.
Mir geht es um Folgendes. Ich fass mal meine lange Rede kurz zusammen:

Der in seinem Prozess Freigesprochene hat das Recht, von der Öffentlichkeit unbehelligt zu leben.
Wenn die Boulevardmedien den Fall immer wieder aufgreifen und ihn mit Alter, Namenskürzung und Balken über den
Augen abbilden, muss er damit leben. Aber von offizieller Seite darf er nicht mehr "vorgeführt" werden.
So verstehe ich das zumindest. Er hat genau so als unschuldig zu gelten, wie ein X-beliebig anderer.

Aber so absolut kann dieses Recht nicht sein, denn ein an seiner Stelle unschuldig Verurteilter kann erreichen, dass
der wahre Täter doch genannt wird. Wenn auch ohne juristische Folgen für den Täter.

Da steckt für mich ein Wurm drin.
Und die Nichteinstimmigkeit in der Richterabstimmung zeigt das auch.

Ich kann das Urteil nachvollziehen, aber es macht mir auch Bauchschmerzen.

Hier liegen Jahrzehnte zwischen Freispruch und erneuter Beweisführung.
Aber was wäre, wenn es (nach dem sich der Täter sicher fühlt) weitere Opfer gibt?
Ich könnte mir Psychen vorstellen, die sich dann unbesiegbar fühlen.

Und irgendwann wird die Tür zur Selbstjustiz geöffnet. Dann, wenn Angehörige die "juristische Ästhetik" des Paragraphen nicht würdigen können, weil ihr Schmerz zu groß ist.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 17:41
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Aber so absolut kann dieses Recht nicht sein, denn ein an seiner Stelle unschuldig Verurteilter kann erreichen, dass
der wahre Täter doch genannt wird. Wenn auch ohne juristische Folgen für den Täter.

Da steckt für mich ein Wurm drin.
Und die Nichteinstimmigkeit in der Richterabstimmung zeigt das auch.
Die beiden Verfahren sind aber eben voneinander unabhängig. Zumal der unschuldig Verurteilte für die Wiederaufnahme ja nicht die Schuld eines anderen nachweisen muss, sondern nur neue Beweise oder Tatsachen beibringen muss, die für einen Freispruch geeignet sind. Dabei muss kein anderer Name genannt werden. Sollte dies passieren, so ist dann eine juristische Verfolgung des anderen nicht möglich. Es geht hier ja immer um die Strafverfolgung als solche und die würde ja trotz einer Wiederaufnahme beim Unschuldigen nicht gegenüber dem mutmaßlichen Täter stattfinden.

Und der Senat hat einstimmig über die Verfassungswidrigkeit entschieden. Zwei Richter haben lediglich in Teilen eine etwas andere Auffassung, die unter Umstände eine solche Regelung möglich machen könnte, wenn sei deutlich strenger noch formuliert ist.
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Aber was wäre, wenn es (nach dem sich der Täter sicher fühlt) weitere Opfer gibt?
Dann würde er für diese strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie nicht zur Anklage dazu gehörten.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 17:41
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Verstehe. Die Akteneinsichthabenden dürfen mit dem neuesten Stand an die Öffentlichkeit gehen.
Wenn es keine Angehörigen gibt, liest niemand die Akten.
Die Akteneinsicht ist auch für das Opfer bzw. deren Angehörigen begrenzt.

Gemäß § 406e (2) gilt:
(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.
Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__406e.html

Schon dehalb hätte es diese Diskussion in der Öffentlichkeit bzgl. Möhlmann nicht geben dürfen. Die Sta hätte die Einsicht verwehren müssen.

Außerdem entsteht das Problem nur sehr selten.

Hätte die STA sich wirklich an das Strafverfolgungsverbot gegen den Freigesprochenen gehalten, hätte sie auch nicht die Analyse der DNA des Haares des Freisgeprochenen in Auftrag geben dürfen. Es lag also einen AKTIVE Strafverfolgung gegen den Freigesprochenen vor. Nur bei einem Zufallstreffern (DNA in Datenbank) hätte es anders ausgesehen.

Dieser ganze Fall Möhlmann ist nur durch das Umgehen des Ermittlungsverbots publik geworden und die "Unerträglichkeit" ist auch nur dadurch entstanden. Gut dass das nicht auch noch durch eine Gesetzesänderung belohnt wurde.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 17:45
Zitat von LentoLento schrieb:Diser ganze Fall Möhlmann ist nur durch das Umgehen des Ermittlungsverbots publik geworden. Gut dass das nicht auch noch durch eine Gesetzesänderung belohnt wurde.
Dem kann ich nur zustimmen.

Wobei die DNA-Untersuchung als solche völlig legitim war, allein der aktive Abgleich mit dem bereits Freigesprochenen hätte nicht erfolgen dürfen. Hätte es einen Datenbank-Treffer gegeben, dann wäre es ermittlungstechnisch völlig in Ordnung gewesen. Mit dem Ergebnis, dass die Spur eben nicht für eine juristische Aufklärung verwendet werden kann. Das wollte ich nur klarstellen, bevor hier argumentiert wird, man dürfe in einem Fall, in dem es bereits ein Urteil gibt, dann ja grundsätzlich keine weiteren Ermittlungsschritte vornehmen. Das darf man natürlich, gerade weil es offiziell keinen Täter gibt.


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31.10.2023 um 17:57
Für mich sind die rechtstheoretischen Überlegungen mehr als unbefriedigend.

Der Mörder einer unschuldigen jungen Frau darf niemals ungestraft davonkommen. Punkt.

Wenn die staatlichen Rechtsnormen das nicht hergeben, dann stimmt etwas mit dem Rechtssystem nicht und das ist zu ändern.

Mir tun die Hinterbliebenen von Frederike leid.


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31.10.2023 um 18:09
Zitat von KieliusKielius schrieb:Wenn die staatlichen Rechtsnormen das nicht hergeben, dann stimmt etwas mit dem Rechtssystem nicht und das ist zu ändern.

Mir tun die Hinterbliebenen von Frederike leid.
Beim Grundsatz "ne bis in idem" handelt es sich um einen Grundpfeiler des Rechtsstaates. An diesem zu rütteln stellt den gesamten Rechtsstaat infrage. Eine Aufhebung oder Verwässerung dieses Grundsatzes würde dafür sorgen, dass Freisprüche nur noch auf dünnem Eis stehen und auch Unschuldige nicht mehr darauf vertrauen könnten. Im schlimmsten Fall gäbe es einen Dammbruch und die Norm würde auf noch mehr Straftatbestände ausgeweitet werden.
Die Strafverfolgungsbehörden hatten ihre Chance und haben diese im Fall Möhlmann nicht zufriedenstellend genutzt. Das ist schwer auszuhalten, allerdings ist diese Konstellation extrem selten.

Und zu Deinem letzten Punkt: Ich interpretiere ihn so, dass du das Strafverfahren als etwas siehst, das für die Opfer ist. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum, da es im Strafverfahren um den Täter und seine Tat geht. Es geht dort gerade nicht um die Opfer, auch wenn das schwer zu verstehen ist. Es geht um den staatlichen Strafanspruch gegenüber dem Täter. Die Auswirkungen der Tat sind im Rahmen der Strafzumessung natürlich relevant, aber eben nicht prägend für einen Strafprozess.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 19:08
Zitat von KieliusKielius schrieb:Für mich sind die rechtstheoretischen Überlegungen mehr als unbefriedigend.

Wenn die staatlichen Rechtsnormen das nicht hergeben, dann stimmt etwas mit dem Rechtssystem nicht und das ist zu ändern.

Mir tun die Hinterbliebenen von Frederike leid.
Im Allgemeinen ist nach einem Freispruch ist ja nicht sicher, ob im Falle neuer Erkenntnisse der erneut Angeklagte überhaupt schuldig ist.
Nach vielen Jahren könnte ein Unschuldiger dann immer wieder vor Gericht kommen, wenn anscheinend gewichtige neue Beweise gefunden werden. Das ist mMn. i.a. nicht zumutbar. Selbst im vorliegenden Fall beweist der DNA Match nicht per se, dass das der Täter war. Daher hätte das DNA Muster des alten Verdächtigen nicht verglichen werden dürfen.


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31.10.2023 um 19:21
Sehr schade. Das Gericht kann gute Gründe für sein Urteil anführen, aber in meinen Augen wird nicht genügend gewürdigt, welche neuen Methoden zur Beweissicherung uns heute zur Verfügung, ganz zu schweigen davon, was in Zukunft möglich sein wird.

Die Römer stützten sich vor Gericht vor allem auf Zeugenaussagen. Das war auch noch bis in die frühe Bundesrepublik häufig der Fall. Forensische Methoden waren häufig ungenau, und haben wie in diesem Fall mit dem Reifengutachten auch des Öfteren falsche Schlüsse zugelassen. Da machte es Sinn, den Grundsatz "Nicht zweimal in derselben Sache" eisern durchzuhalten. (Fast) niemand würde nach einer Wiederaufnahme in diesem Fall rufen, wenn sich nur plötzlich nach 40 Jahre eine neue Zeugin melden würde, die den Freigesprochenen gesehen haben will. Zu fragwürdig wäre die Beweiskraft einer solchen Aussage.

Stattdessen haben wir nun Möglichkeiten, die eine Schuld auch nach 50+ Jahren zweifellos nachweisen können. Leider scheint das Gericht hier eine rückwärtsgewandte, dem technischen Fortschritt misstrauende Ansicht zu folgen. Bedauerlich, auch weil Asservate seit 20-30 Jahren viel besser gelagert und somit in Zukunft durch neue Methoden ausgewertet werden können. Solche Fälle werden sich also vermutlich wiederholen. Aber man kann hoffen, dass die Richter in 20-30 Jahren dann mit dieser Erfahrung anders urteilen werden.


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31.10.2023 um 19:24
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Stattdessen haben wir nun Möglichkeiten, die eine Schuld auch nach 50+ Jahren zweifellos nachweisen können. Leider scheint das Gericht hier eine rückwärtsgewandte, dem technischen Fortschritt misstrauende Ansicht zu folgen. Bedauerlich, auch weil Asservate seit 20-30 Jahren viel besser gelagert und somit in Zukunft durch neue Methoden ausgewertet werden können. Solche Fälle werden sich also vermutlich wiederholen. Aber man kann hoffen, dass die Richter in 20-30 Jahren dann mit dieser Erfahrung anders urteilen werden.
Wenn jetzt beispielsweise nach 30 Jahren DNA Spuren bei einem Opfer gefunden werden, z.B. eine Hautschuppe, warum soll das dann zwingend ein zweifelloser Beweis für die Schuld des Inhabers sein?


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31.10.2023 um 19:30
Meines Wissens nach handelte es sich in diesem Fall um Sperma-Spuren auf dem Körper des Opfers, die dem Freigesprochenen zugeordnet werden konnten. Eindeutiger geht es doch gar nicht.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 19:32
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Meines Wissens nach handelte es sich in diesem Fall um Sperma-Spuren auf dem Körper des Opfers, die dem Freigesprochenen zugeordnet werden konnten. Eindeutiger geht es doch gar nicht.
Ein Einzelfall. Wenn es jetzt eine Hautschuppe gewesen wäre und der Verdächtige hätte damals seinen Mantel seinem Bruder geliehen? Nach 30 Jahren weiss das kein Mensch mehr.


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31.10.2023 um 19:40
Ich kann dir nicht ganz folgen. Also wenn jemand vor Gericht freigesprochen, dann aber wegen eines fehlerhaften DNA-Beweise unschuldig verurteilt wird?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 19:52
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Meines Wissens nach handelte es sich in diesem Fall um Sperma-Spuren auf dem Körper des Opfers, die dem Freigesprochenen zugeordnet werden konnten. Eindeutiger geht es doch gar nicht.
Es ging hier aber eben gerade NICHT um einen Einzelfall. Es geht um eine grundsätzliche Frage des Rechtsstaates. Und DNA-Spuren beweisen im Regelfall keine Tat. Auch die Spermaspur beweist zunächst einmal "nur", dass der Spurenleger sehr wahrscheinlich Sex mit dem Tatopfer hatte. In der Gesamtwürdigung kann daraus der Schluss der Täterschaft gezogen werden. Nicht aber aus der Spur als solches.

Hätte diese Norm weiterhin Bestand, dann wäre jeder Freispruch in einem Mordprozess ein Freispruch auf Zeit, da das Verfahren jederzeit gegen denselben Angeklagten wieder aufgenommen werden könnte. Dürften die Strafverfolgungsbehörden auch gegen Freigesprochene weiter ermitteln, hätten sie auch weiterhin die Möglichkeit, Durchsuchungen und Abhörmaßnahmen etc. durchzuführen und dadurch stark in das Leben des Betroffenen und Dritter (Streubreite von Ermittlungsmaßnahmen) einzugreifen. Dieser Grundsatz schützt in diesem Einzelfall den mutmaßlichen Täter, aber eben in der Gesamtschau vor allem auch Unschuldige. Und das darf man in der Diskussion auch nicht vergessen. Die StA hatte ihre Möglichkeit und diese wurde leider nicht zufriedenstellend genutzt.


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31.10.2023 um 20:19
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Ich kann dir nicht ganz folgen. Also wenn jemand vor Gericht freigesprochen, dann aber wegen eines fehlerhaften DNA-Beweise unschuldig verurteilt wird?
Wenn er verurteilt wird, obwohl nicht er selbst seine DNA Spur am Tatort hinterlassen hat, dann hätte gerade die Wiederaufnahme aufgrund von Erkenntnissen, die durch neue Methoden erlangt wurden, zu einem Unrecht geführt.


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31.10.2023 um 21:27
Zitat von KieliusKielius schrieb:Für mich sind die rechtstheoretischen Überlegungen mehr als unbefriedigend.

Der Mörder einer unschuldigen jungen Frau darf niemals ungestraft davonkommen. Punkt.

Wenn die staatlichen Rechtsnormen das nicht hergeben, dann stimmt etwas mit dem Rechtssystem nicht und das ist zu ändern.

Mir tun die Hinterbliebenen von Frederike leid.
Der Einschätzung von @Kielius kann ich mich anschließen. Auch für mich ist es unerträglich, dass der Staat auf die Ausschöpfung aller Möglichkeiten verzichtet, um einen hochgradig Mordverdächtigen zu überführen und zur Rechenschaft zu ziehen.

Aus prinzipiellen Gründen -keine erneute Anklage gegen einen Freigesprochenen- wird davon abgesehen, in einem zweiten Prozess das inzwischen vorhandene äußerst belastende Beweismittel einer Spermaspur zu beleuchten und damit die Chance zu eröffnen, eine Verurteilung des Täters zu erreichen.
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Sehr schade. Das Gericht kann gute Gründe für sein Urteil anführen, aber in meinen Augen wird nicht genügend gewürdigt, welche neuen Methoden zur Beweissicherung uns heute zur Verfügung, ganz zu schweigen davon, was in Zukunft möglich sein wird.
Auch diese Auffassung teile ich. Izmet H. musste seinerzeit freigesprochen werden, weil die Spurenauswertung noch nicht das heutige Niveau erreicht hatte. Mit fortschreitender Entwicklung der Forensik ergibt sich aber auch in Zukunft die Gefahr, dass bestimmte Beweise erst nachträglich erbracht werden können. Darauf muss doch auch die Justiz reagieren können - indem sie in außergewöhnlichen Einzelfällen wie jetzt beim Möhlmann-Mord eine neuerliche Bewertung aufgrund von schwer wiegendsten neuen Erkenntnissen vornimmt.
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Die Strafverfolgungsbehörden hatten ihre Chance und haben diese im Fall Möhlmann nicht zufriedenstellend genutzt
Was soll dieser Anwurf von @JosephConrad
bedeuten? Wo haben die Strafverfolgungsbehörden im Fall Möhlmann eine Chance gehabt und nicht genutzt? Ist ihnen vorzuwerfen, dass sie die Spermaspur nicht rechtzeitig erkennen und zuordnen konnten?
Zitat von frauZimtfrauZimt schrieb:Und irgendwann wird die Tür zur Selbstjustiz geöffnet. Dann, wenn Angehörige die "juristische Ästhetik" des Paragraphen nicht würdigen können, weil ihr Schmerz zu groß ist.
Das ist eine bittere und düstere Schlussfolgerung, die @frauZimt da zieht. Aber leider wohl nicht ganz so abwegig, wenn Gerechtigkeit nicht (mehr) das oberste Gebot bei der Verfolgung schwerster Straftaten darstellt.

Dem Mörder in diesem Fall kann nun nichts mehr passieren. Er hat allen Grund zum Feiern - für die Angehörigen eine Qual ohne Ende.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

31.10.2023 um 21:46
Zitat von ZarastroZarastro schrieb:Meines Wissens nach handelte es sich in diesem Fall um Sperma-Spuren auf dem Körper des Opfers, die dem Freigesprochenen zugeordnet werden konnten. Eindeutiger geht es doch gar nicht.
Es waren Sperma-Spuren auf der Binde des Opfers, also ein Beweisstück, welches gelagert werden konnte.


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31.10.2023 um 21:51
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:Was soll dieser Anwurf von @JosephConrad
bedeuten? Wo haben die Strafverfolgungsbehörden im Fall Möhlmann eine Chance gehabt und nicht genutzt? Ist ihnen vorzuwerfen, dass sie die Spermaspur nicht rechtzeitig erkennen und zuordnen konnten?
Ich weiß jetzt nicht, an wen Du dich richtest, aber da du mich zitiert hast, antworte ich einfach mal.

Ismet H. wurde angeklagt und aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Wäre er nicht angeklagt worden, dann müsste man sich auch nicht über die Möglichkeit einer Wiederaufnahme streiten. Das heißt, dass die Strafverfolgungsbehörden auf Basis einer Beweislage angeklagt haben, die offenbar nicht wasserdicht war. Somit hatten sie bereits die Möglichkeit, ihm die Täterschaft nachzuweisen. Dies ist ihnen aber eben nicht gelungen. Das ist mit der Chance gemeint.

Für eine Anklage reicht rechtlich betrachtet zwar ein hinreichender Tatverdacht, aber insbesondere bei einer Mordanklage sollte es im Zeitpunkt der Anklage eine Beweislage geben, die kaum einen anderen Schluss als die Verurteilung hergibt. Einfach weil ein Freispruch praktisch nicht wieder revidiert werden kann. Somit hat die StA Anklage erhoben, als die Tat für einen Schuldspruch (noch) nicht ausreichend nachgewiesen werden konnte (auch wenn sie diese Ansicht vertrat). Das ist in der Konstellation ihr Fehler, den ein Angeklagter (auch nach Auffassung des BVerfG) nicht mir weiterer Strafverfolgung ausbaden muss. Sie hätte auch abwarten können, bis ausreichend feste Beweise vorgelegen hätten.
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:wenn Gerechtigkeit nicht (mehr) das oberste Gebot bei der Verfolgung schwerster Straftaten darstellt.
Ein Strafprozess orientiert sich an der Wahrheitsfindung. Damit ist im Allgemeinen die prozessuale Wahrheit gemeint, da man mehr nicht herausfinden kann. Recht ist aber nicht gleich Gerechtigkeit und das betrifft nicht nur diesen Einzelfall. Zumal jeder Gerechtigkeit auch anders definiert. Für den einen ist "Auge um Auge" Gerechtigkeit, für den anderen nicht. Von daher ist das ein sehr relatives Argument.


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31.10.2023 um 22:46
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Das heißt, dass die Strafverfolgungsbehörden auf Basis einer Beweislage angeklagt haben, die offenbar nicht wasserdicht war
Zunächst einmal: Pardon, dass mir da etwas verrutscht ist und ich das Zitat jemand anderem zugeordnet habe.

Ansonsten: Ja, die Staatsanwaltschaft hat die Anklage nicht so erhärten können, dass das Gericht zu einer Verurteilung gelangte.

Das ist aber nicht das entscheidende Kriterium in diesem Fall. Maßgeblich geht es darum, dass nachträglich aufgrund neuer Methoden eine Spermaprobe vom Tatort Ismet H. zugeordnet werden konnte.

Dieser Nachweis wäre meiner Überzeugung nach geeignet gewesen, eine Anklage wasserdicht zu machen. Er kam aber zu spät, um einen Freispruch zu verhüten.

Und jetzt darf darauf in einem neuerlichen Verfahren nicht zurückgegriffen werden, nur um den Grundsatz des Verbots einer zweiten Anklage wegen desselben Delikts zu wahren?!

Mit meinem Rechtsempfinden ist es jedenfalls unverträglich, lieber einen Mörder frei rumlaufen zu lassen als vom Prinzip einer neuerlichen Anklage in extrem Einzelfällen abzuweichen.

Im Übrigen stellt sich mir die Frage, ob nach diesem höchstrichterlichen Entscheid vielleicht die Konsequenz drohen könnte, dass manche Staatsanwälte im Zweifelsfall künftig verstärkt auf eine durchaus mögliche Anklage verzichten - aus Sorge um ein frühzeitiges und endgültiges Scheitern?


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31.10.2023 um 23:03
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:Im Übrigen stellt sich mir die Frage, ob nach diesem höchstrichterlichen Entscheid vielleicht die Konsequenz drohen könnte, dass manche Staatsanwälte im Zweifelsfall künftig verstärkt auf eine durchaus mögliche Anklage verzichten - aus Sorge um ein frühzeitiges und endgültiges Scheitern?
Der für verfassungswidrig erklärte Teil der Norm galt erst seit 2021 und jeder, der sich im Strafrecht auskennt, konnte mit der Verfassungswidrigkeit rechnen. Von daher gehe ich davon aus, dass die Praxis sich nicht wirklich dadurch verändert hat. Zumal diese Konstellation auch recht außergewöhnlich ist.

Zu den restlichen Punkten möchte ich mich hier nicht wiederholen. Es wurde bereits vor dem heutigen Urteil im Thread mehrfach dargelegt, wieso eine Verfassungswidrigkeit nicht nur vertretbar, sondern sogar wahrscheinlich ist. Dazu kann man sich auch gerne die Leitsätze des Urteils durchlesen (oder auch mehr), die online für jeden verfügbar sind.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/10/rs20231031_2bvr090022.html


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31.10.2023 um 23:21
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:Im Übrigen stellt sich mir die Frage, ob nach diesem höchstrichterlichen Entscheid vielleicht die Konsequenz drohen könnte, dass manche Staatsanwälte im Zweifelsfall künftig verstärkt auf eine durchaus mögliche Anklage verzichten - aus Sorge um ein frühzeitiges und endgültiges Scheitern?
Das könnte nicht drohen, das ist tatsächlich so.
Ich meine, dass die Angst vor dem Strafklageverbrauch so manchen Fall erst mal auf Eis legt.

Schaun wir uns den Fall Maria Baumer an. Da kam man mit den Ermittlungen nicht recht weiter. Dann kam Staatsanwalt Rauscher, und der kannte ein Labor für eine neue Untersuchungsmethode und der Fall konnte nun acht Jahre nach der Tat wasserdicht angeklagt werden.

Oder Peggy Knobloch. Da deuten viele Indizien auf einen Manuel S. hin. Aber es wird keine Anklage erhoben, statt dessen hofft man, dass sich aus einem Zivilprozess heraus weitere Beweise ergeben könnten.


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