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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

677 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, Celle, Strafrecht ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 11:23
Zitat von AndanteAndante schrieb:Andererseits haben die Bürger durchaus mal ein feines Gespür dafür, was noch gehen sollte und was nicht. Das jetzige Urteil des Bundesverfassungsgerichts mag juristisch einwandfrei sein. Es könnte sich aber einfügen in eine Reihe von Urteilen, über die die Bürger vielfach den Kopf schütteln bzw. bei denen ihnen das Verständnis abgeht.
Nein, ein feines Gespür hat die Bevölkerung in Wirklichkeit nicht. der Unschuldsvermutung wird dort nicht wirklich gelebt. Und daher ist es so wichtig, dass Freigesprochene einfach nach dem rechtkräftigen Freispruch vom Staat in Ruhe gelassen werden. Ihr soziales Umfeld ist auch nach einem Freispruch meist zerstört, Arbeitsstelle verloren etc., sie werden Jahre benötigen, um es wieder halbwegs aufzubauen, ein Umzug wird sicher notwendig sein. Wenn dann der Staat IHN trotzdem weiter verfolgt, dann kommt derjenige nie mehr zur Ruhe.

Man sieht ja hier in einem anderen Thread, selbst ein Freispruch aus erwiesener Unchuld wird von manch einem angezweifelt. Nein, dieses notwendige feine Gespürr fehlt dem Großteil der Bevölkerung.

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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 12:29
Zitat von LentoLento schrieb:Man sieht ja hier in einem anderen Thread, selbst ein Freispruch aus erwiesener Unchuld wird von manch einem angezweifelt. Nein, dieses notwendige feine Gespürr fehlt dem Großteil der Bevölkerung.
Es ging bei der jetzigen Entscheidung des BVerfG doch nicht um die Frage „War er´s oder war er´s nicht?“

Es ging darum, ob ein von der Volksvertretretung, immerhin dem Verfassungsorgan Bundestag, verabschiedetes, vom Bundestag mehrheitlich gewolltes Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wie immer beim Gesetzemachen gibt es da im Vorfeld verschiedene Meinungen, Experten werden gehört, die einen Experten sagen so, die anderen so. Hier ist es dann zur poltischen Entscheidung gekommen, das Gesetz zu machen, welches nun gekippt wurde. Klar überzeugen den einen nun die Entscheidungsgründe des BVerfG, andere wiederum nicht.

Aber noch mal: Es ging um reine Rechts- und strafprozessuale Fragen, nicht um Tatsachenermittlung und nicht um Beweiswürdigung.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 12:32
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Man lese einfach mal die Entscheidung, dann wird man schnell bemerken, dass es schon lange Konsens unter Verfassungsjuristen ist, dass diese Formulierung ein Verfolgungsverbot beinhaltet, denn das wird auch aus dem Sinn der Vorschrift bekannt.
@Rick_Blaine
Da können 1000 Verfassungsjuristen behaupten, dass semantisch der Begriff "Bestrafung" gleichzusetzen ist mit dem Begriff "Verfolgung", es ist einfach falsch!

Hier der 1. Leitsatz des BVerfG zu dem Urteil:
Das grundrechtsgleiche Recht des Art. 103 Abs. 3 GG enthält kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfachverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt.
Quelle: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/10/rs20231031_2bvr090022.html

Hervorhebungen durch mich.

Das wird einfach so behauptet, und im Wesentlichen werden dann alle Folgerungen aus dieser Behauptung abgeleitet. Ein unzulässiges Verfahren: Man behauptet etwas Falsches und nimmt diese falsche Behauptung dann als Grundlage für alle weiteren Schlüsse. Das abgeleitete System selbst ist dann im besten Fall widerspruchsfrei, aber halt wertlos, weil die Anfangs-Annahme schon falsch ist.

Für mich sieht es so aus, dass viele Juristen sich für die besseren Germanisten halten, und dass die Neigung, sich selbst für unfehlbar zu halten, bei Juristen umso ausgeprägter ist, je höher ihre Position ist. Meiner Meinung nach sind das Rechtssystem und die Rechtssicherheit aber durch falsche Auslegung des Gesetzestextes weit stärker gefährdet als durch das jetzt für verfassungswidrig erklärte Gesetz.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 12:47
Zitat von AndanteAndante schrieb:Aber noch mal: Es ging um reine Rechts- und strafprozessuale Fragen, nicht um Tatsachenermittlung und nicht um Beweiswürdigung.
Die lassen sich in Wirklichkeit nicht trennen.

Das "Ermittlungsverbot", das nun das BVerfG als sehr wichtig ansieht und aus diesem Grund der Gesetzesentwurf mit dem Grundgesetz unvereinbar hält, betrifft genau diese Tatsachenermittelung. Diese entsteht eben nicht einfach aus dem luftleeren Raum. Es gibt eben diesen Weg dorthin und der führt natürlich zu Beeinträchtungen von Freigesprochenen. Welche habe ich im vorherigen Beitrag auch deutlich vor Augen geführt.

Wie gesagt, die beiden Richter und auch das OLG Celle - und genaugenomkmmen auch der Gesetzgeber - sieht neue Beweismittel als Deus ex machina. Diese Betrachtungsweise ist vollkommen weltfremd und hat mit einer ausreichenden Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz nichts zu tun. In Wirklichkeit weiß man eben erst meist nach Ermittlungen GEGEN den Freigesprochenen, dass es neue Beweise gibt und die Ermittlungen sind beeinträchtigend genug.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 13:08
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Das wird einfach so behauptet, und im Wesentlichen werden dann alle Folgerungen aus dieser Behauptung abgeleitet. Ein unzulässiges Verfahren: Man behauptet etwas Falsches und nimmt diese falsche Behauptung dann als Grundlage für alle weiteren Schlüsse. Das abgeleitete System selbst ist dann im besten Fall widerspruchsfrei, aber halt wertlos, weil die Anfangs-Annahme schon falsch ist.

Für mich sieht es so aus, dass viele Juristen sich für die besseren Germanisten halten, und dass die Neigung, sich selbst für unfehlbar zu halten, bei Juristen umso ausgeprägter ist, je höher ihre Position ist. Meiner Meinung nach sind das Rechtssystem und die Rechtssicherheit aber durch falsche Auslegung des Gesetzestextes weit stärker gefährdet als durch das jetzt für verfassungswidrig erklärte Gesetz.
Juristen halten sich nicht für die besseren Germanisten, da sie keine sind. Und rein am Wortlaut zu kleben (was Germanisten vermutlich tun würden) hat mit Rechtswissenschaft überhaupt nichts zu tun. Ganz im Gegenteil. Art. 103 III GG statuiert den Grundsatz ne bis in idem, der eben auch ein Mehrfachverfolgungsverbot vorsieht. Man muss Gesetze immer im Kontext lesen und die Intention des historischen Gesetzgebers berücksichtigen. Und dann kann nur das Ergebnis stehen, dass dieser Grundsatz ein Mehrfachverfolgungsverbot vorsieht, insbesondere vor dem Hintergrund der NS-Zeit.

Ich verweise hierzu auch gerne auf einen vorherigen Beitrag meinerseits:
Beitrag von Juris019 (Seite 28)


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 13:31
Zitat von Juris019Juris019 schrieb:Ganz im Gegenteil. Art. 103 III GG statuiert den Grundsatz ne bis in idem, der eben auch ein Mehrfachverfolgungsverbot vorsieht.
@Juris019
Es wird etwas Falsches nicht dadurch richtiger, dass man es mehrmals wiederholt. Das Mehrfachverfolgungsgebot steht halt einfach nicht im GG.

Interessanterweise schreibt das BVerG in seiner Begründung zum 1. Leitsatz
Als abwägungsfestes Verbot ist Art. 103 Abs. 3 GG eng auszulegen;
Quelle: Randziffer 55, BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2023, https://www.bverfg.de/e/rs20231031_2bvr090022.html

legt aber dieses Verbot sehr weit aus, meiner Meinung nach überdehnt es den Anwendungsbereich des Verbotes.

Mit dieser Meinung stehe ich auch nicht alleine, hier zum Beispiel die Meinung der SPD-Fraktion, die vom BVerG verworfen wurde:
Art. 103 Abs. 3 GG sei nicht verletzt. Die Norm beinhalte nach ihrem eindeutigen Wortlaut schon kein Mehrfachverfolgungs-, sondern nur ein Mehrfachbestrafungsverbot. Dieses greife bei § 362 Nr. 5 StPO mangels Bestrafung im Erstverfahren nicht. Aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich nichts anderes. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates fänden sich keine Hinweise darauf, dass neben der wiederholten Bestrafung auch die erneute Strafverfolgung habe erfasst werden sollen. Die gegenteilige Auffassung des Bundesgerichtshofs beruhe auf einer grundlegend falschen Prämisse, da die rechtsstaatlichen Grundlagen des Mehrfachverfolgungsverbots nicht mit denen des Doppelbestrafungsverbots identisch seien. Das Mehrfachverfolgungsverbot sei als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG zu verorten. Eine Abwägung mit anderen Grundsätzen des Rechtsstaats, hier der materiellen Gerechtigkeit, sei dann möglich.
Quelle: Randziffer 35, BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 31. Oktober 2023, https://www.bverfg.de/e/rs20231031_2bvr090022.html

Hervorhebungen durch mich.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 14:43
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Art. 103 Abs. 3 GG sei nicht verletzt. Die Norm beinhalte nach ihrem eindeutigen Wortlaut schon kein Mehrfachverfolgungs-, sondern nur ein Mehrfachbestrafungsverbot. Dieses greife bei § 362 Nr. 5 StPO mangels Bestrafung im Erstverfahren nicht. Aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich nichts anderes. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates fänden sich keine Hinweise darauf, dass neben der wiederholten Bestrafung auch die erneute Strafverfolgung habe erfasst werden sollen.
Aber ganz praktisch gesehen: welchen Sinn sollte denn Deiner Meinung nach eine Mehrfachverfolgung machen, wenn eine Mehrfachbestrafung ausgeschlossen ist?

Die Ermittlungsbehörden sollen dann aus Neugier rumermitteln, weil es halt einfach interessant ist, wer es denn nun gewesen ist?

Praktisch und faktisch macht doch eine Verfolgung im Sinne einer Täterermittlung keinen Sinn, wenn danach eh keine Verurteilung erfolgen kann!


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 14:47
Zitat von cododerdrittecododerdritte schrieb:Aber ganz praktisch gesehen: welchen Sinn sollte denn Deiner Meinung nach eine Mehrfachverfolgung machen, wenn eine Mehrfachbestrafung ausgeschlossen ist?
Fällt ein Freispruch unter Bestrafung?


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 15:12
Zitat von LentoLento schrieb:Die lassen sich in Wirklichkeit nicht trennen.
Doch. Ich erkläre noch mal, worum es mir geht:

Selbstverständlich ist eine neuerliche Strafverfolgung für einen Freigesprochenenen eine Belastung. Darüber brauchen wir nicht weiter zu diskutieren, auch wenn das dein ständiges Herzensanliegen ist

Der Punkt ist nun, dass so eine Belastung aber hingenommen wird bei den Wiederaufnahmegründen des § 362 Nummern 1 bis 4. Liegen die dortigen Voraussetzungen vor, kann einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen staatfinden, Belastung für ihn hin oder her. Sprich: in diesen Fällen haben der Rechtsfrieden und der Schutz des Freigesprochenen Nachrang gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung. Ist allgemein akzeptiert.

Damit lässt sich schon mal grundsätzlich sagen, dass Art. 103 (3) GG eben kein absolutes Recht ist, das nie durchbrochen werden dürfte. So weit, so gut erst mal.

Nun stellte sich die Frage, was - im Vergleich zu den Nummern 1 bis 4 - an der Neuregelung des § 362 Nr. 5 so ganz anders soll, das DIESE Regelung eben nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen kann, soll, darf. Man muss also die Nummern 1 bis 4 einerseits und die Nummer 5 andererseits vergleichen.

Bundesverfassungsgericht und OLG Celle sind sich darin einig, dass bei den Nummern 1 bis 3 eine Wiederaufnahme gerechtfertigt bzw. verfassungsgemäß ist, weil in diesen Fällen bisher gar kein rechtsstaatliches erstes Verfahren stattgefunden hat und daher per Wiederaufnahme nun ein solches erstes rechtsstaatliches Verfahren stattfinden muss, wie gesagt Belastung des Freigesprochenen dabei unerheblich.

Nicht einig sind sich beide Gerichte bei der Nummer 4 (Ablegung eines glaubwürdigen gerichtlichen oder außergerichtlichen Geständnisses).

Da sagt nun das Bundesverfassungsgericht, dass Nummer 4 als Wiederaufnahmegrund gerechtfertigt ist, weil der Freigesprochene ja quasi selber seinen Schutz aus 103 (3) GG aufgegeben hat. Man könnte es wohl auch volksnäher ausdrücken: Wer so dumm ist, nach einem rechtskräftigen Freispruch noch freiwillig zu gestehen, verdient keinen Schutz vor Mehrfachverfolgung.

Das Bundesverfassungsgericht sagt dann weiter: Damit ist aber die neue Nummer 5 nicht vergleichbar, weil in diesem Fall der Freigesprochene nicht selber auf seinen Schutz aus Art. 103 (3) GG verzichtet. Nummer 5 ist damit, anders als Nummer 4, nicht als Wiederaufnahmegrund zuzulassen.

Das OLG Celle argumentiert anders. Es sagt: Im Grunde genommen ist Nummer 4 (Geständnis nach rechtskräftigem Freispruch) nichts anderes als das Auftauchen neuer Beweismittel im Sinne von Nummer 5. Beide hätten womöglich, wären sie im ersten Verfahren schon bekannt gewesen, vielleicht zu einer anderen Entscheidung geführt, natürlich nach gründlicher Prüfung. Und wenn bei Nummer 4 das Geständnis im wiederaufgenommenen Verfahren geprüft werden kann und muss, wäre das so auch bei Nummer 5 der Fall. Zwischen Nummer 4 und Nummer 5 ist also systematisch im Grunde kein Unterschied. Und wenn Nummer 4 ein legaler Wiederaufnahmegrund ist, muss das auch für Nummer 5 gelten.

Das sind, grob gefasst, die letztlich entscheidenden Sichtweisen, und ich finde, man kann mit guten Gründen sowohl das eine vertreten wie das andere.


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01.11.2023 um 15:16
Das ist halt wie in der Bibel Interpretationssache. Das BVG hat Recht gesprochen und das gilt jetzt.

Übrigens haben auch die beiden vom Urteil abweichenden Richter festgestellt, dass die neue gesetzliche Regelung, die jetzt verworfen wurde, gegen dass Rückwirkungsverot verstoßen hätte. D.h. im Fall Möhlmann hätte der Verdächtige sowieso nichr mehr angeklagt werden dürfen.
4. Unabhängig von bestehenden Zweifeln an der Vereinbarkeit der konkreten Ausgestaltung der streitgegenständlichen Norm mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit liegt ein Verstoß gegen das Verbot der echten Rückwirkung aus Art. 103 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vor.
Quelle:https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2023/bvg23-094.html


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 15:16
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:dass manche Staatsanwälte im Zweifelsfall künftig verstärkt auf eine durchaus mögliche Anklage verzichten - aus Sorge um ein frühzeitiges und endgültiges Scheitern?
Aber hoffentlich klagen Staatsanwaltschaften nur an, wenn sie sich sicher sind, dass die Beweise/Indizien ausreichen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber du sprichst hier, unfreiwillig(?), einen Punkt an, der zeigt, wie richtig die gestrige Entscheidung ist. Ohne den Ne bis in idem Grundsatz könnte es tatsächlich passieren, dass zu früh angeklagt wird. Man hätte ja dann auch nach einem Freispruch eine erneute Chance.
Zitat von emzemz schrieb:Das könnte nicht drohen, das ist tatsächlich so.
Ich meine, dass die Angst vor dem Strafklageverbrauch so manchen Fall erst mal auf Eis legt.
Und das ist auch richtig so. Wenn die Indizien nicht ausreichen sollte schlicht nicht angeklagt werden.
Zitat von Oliv3rOliv3r schrieb:durch Talkshows ziehen und die wahre Geschichte verkaufen, genauso wie Bücher veröffentlichen und Geld damit verdienen.
Nun. Ein Geständnis ist eine der Ausnahmen zum Ne bis in idem Grundsatz.
In deinem Szenario hätte ein Täter den Weg für eine erneute Anklage freigemacht.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 15:17
Zitat von EichenstarkEichenstark schrieb:Fällt ein Freispruch unter Bestrafung?
Ein Prozess stellt zumindest einen massiven Eingriff in die Rechte eines Bürgers dar und auch ein große Belastung (psychisch, oft aber auch finanziell, selbst wenn der Staat nach einem Freispruch am Ende die Prozesskosten trägt).

Der übergeordnete Sinn dieser Regelung ist doch der Rechtsfrieden. Und das darb man eben bei aller Wortklauberei und -deutung nicht vergessen. Wie @Juris019 schrieb halten sich Juristen eben nicht für Germanisten und betreiben solche Wortklauberei. Sondern sie beschäftigen sich mit der Auslegung von Gesetzen und dabei steht nun mal zu aller erst immer die Frage, was genau wollt der Gesetzgeber denn mit dem Gesetz bewirken. Vielleicht sind die ein oder anderen Gesetzestexte für Laien schwer zu verstehen, weil sie ich eines Spezialvokabulars und teilweise auch veralteter Sprache bedienen (weil sie teilweise eben schon sehr alt sind. Aber wer Jura lernt lernt eben nicht einfach den Gesetzestext auswendig, sondern lernt auch den Gesamtzusammenhang und die Stellung des jeweiligen Gesetzes und wie es auf dieser Basis auszulegen ist.

In diesem Fall möchte der Gesetzgeber sicherstellen, dass eine Person sich auf einen Freispruch verlassen kann, man nicht ständig in Angst leben muss, noch mal und noch mal vor Gericht gestellt zu werden.
Sie dient damit zum eine dem Schutz der Bürger, soll aber auch die strafverfolgenden und rechtsprechenden Instanzen entlasten.

Die Vorstellung eines Komissars, den ein Fall nicht loslässt und der deshalb immer und immer wieder nachwühlt, mag ja romantisch sein und die Basis für gute Kriminalgeschichten sein, aber es kann doch nicht der Sinn polizeilicher Ermittlungsarbeit sein, sich ewig an einem Fall und hier noch schlimmer, an einem Tatverdächtigen abzuarbeiten.


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01.11.2023 um 15:21
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Übrigens haben auch die beiden vom Urteil abweichenden Richter festgestellt, dass die neue gesetzliche Regelung, die jetzt verworfen wurde, gegen dass Rückwirkungsverot verstoßen hätte. D.h. im Fall Möhlmann hätte der Verdächtige sowieso nichr mehr angeklagt werden dürfen.
Ja, hatte ich schon geschrieben.

Beitrag von Andante (Seite 26)

An sich hätte das BVerfG hier schon haltmachen können, indem es geschrieben hätte, dass die Neuregelung auf den Ausgangsfall nicht angewendet werden kann wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot. Aber das BVerfG wollte halt umfassende Hinweise zur Vereinbarkeit der Neuregelung mit der Verfassung nicht nur für Aöt- sondern auch für künftige Fälle geben.


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01.11.2023 um 15:21
Zitat von TiergartenTiergarten schrieb:Im Übrigen stellt sich mir die Frage, ob nach diesem höchstrichterlichen Entscheid vielleicht die Konsequenz drohen könnte, dass manche Staatsanwälte im Zweifelsfall künftig verstärkt auf eine durchaus mögliche Anklage verzichten - aus Sorge um ein frühzeitiges und endgültiges Scheitern?
Es gab ja Möglichkeit zur Mehrfachanklage bisher eh nicht. Daher sollte sich auch nichts an der Vorgehensweise der Staatsanwälte ändern.


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01.11.2023 um 15:24
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ja, hatte ich schon geschrieben.
Stimmt, hatte ich übersehen.
Zitat von AndanteAndante schrieb:An sich hätte das BVerfG hier schon haltmachen können, indem es geschrieben hätte, dass die Neuregelung auf den Ausgangsfall nicht angewendet werden kann wegen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot. Aber das BVerfG wollte halt umfassende Hinweise zur Vereinbarkeit der Neuregelung mit der Verfassung nicht nur für Aöt- sondern auch für künftige Fälle geben.
Eigenlich müsste jetzt das GG so angepaßt werden, dass das BVG-Urteil darin klar reflektiert wird.


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01.11.2023 um 15:27
Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben Gesetzeskraft. Da hier das BVerfG die Neuregelung für nichtig erklärt hat, gilt sie automatisch nicht, der Gesetzgeber muss sie nicht aufheben bzw. streichen. Eine Grundgesetzänderung ist auch nicht erforderlich.


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Eine Wende des Strafrechts: Der Fall F. von Möhlmann

01.11.2023 um 15:31
Zitat von simiesimie schrieb:Wenn die Indizien nicht ausreichen sollte schlicht nicht angeklagt werden.
Im Fall Möhlmann war es allerdings so, dass Ismet K. im ersten Verfahren verurteilt wurde. Die StA hatte also bis dahin zu Recht Anklage erhoben und die Verurteilungswahrscheinlichkeit richtig eingeschätzt.

Das Urteil wurde allerdings auf Revision des Angeklagten aufgehoben und an ein anderes Landgericht zurückverwiesen. Erst dieses Landgericht sprach K frei.


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01.11.2023 um 15:33
Zitat von AndanteAndante schrieb:Eine Grundgesetzänderung ist auch nicht erforderlich.
Finde ich schon, man müsste es verändern auf:

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals angeklagt werden.


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01.11.2023 um 15:37
Zitat von AndanteAndante schrieb:Das Urteil wurde allerdings auf Revision des Angeklagten aufgehoben und an ein anderes Landgericht zurückverwiesen. Erst dieses Landgericht sprach K frei.
Eine erfolgreiche Revision mit anschließendem Freispruch bedeutet jedoch auch, dass das erste Gericht nur durch Rechtsfehler zu einer Verurteilung kam.


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01.11.2023 um 15:56
Zitat von AndanteAndante schrieb:Der Punkt ist nun, dass so eine Belastung aber hingenommen wird bei den Wiederaufnahmegründen des § 362 Nummern 1 bis 4. Liegen die dortigen Voraussetzungen vor, kann einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Freigesprochenen staatfinden, Belastung für ihn hin oder her. Sprich: in diesen Fällen haben der Rechtsfrieden und der Schutz des Freigesprochenen Nachrang gegenüber einer neuerlichen Strafverfolgung. Ist allgemein akzeptiert.
Ich denke, das hat das BVerfG ausführlich geklärt. Lies in der Pressemitteilung nach. Das BVerfG sieht hier durchaus Unterschiede, welche Du einfach nicht sehen willst.

Bei Punkt 1-3 erfolgen keine Ermittlungen GEGEN den Freigesprochenen, sondern gegen andere Personen. Der Punkt 4 ist komplett anders gelagert. All das hat schon @Juris019 ausreichend geklärt, Du brauchst hier nicht Deine üblichen gebetsmühlenartigen Wiederholungen anstoßen.

Bei 5 gehen eben Ermittlungen gegen den Freigesprochenen VORAUS, die auch dann erfolgen, wenn es keine ausreichenden Beweise sich ergeben. Ermittlungen sind eben komplett unabhängig von den Ansprüchen der Wiederaufnahme. Und allein diese Ermittlungen bedeuten einen schweren Eingriff in die Rechte eines Freigesprochene, er geht ein zweites , ein drittes, ein viertes mal durch die Hölle. Das BVerfG sagt, Strafverfolgung ja, aber nicht um jeden Preis, sprich Starfverfolgung muss Grenzen haben. Das sollte eigentlich jedem einleuchten.

Der Unterschied zwischen diesen Punkten ist evident und der BVerfG-Beschluss ist daher auch einleuchtend. Nicht einleuchtend ist die Rechtssicht des LG Celle, weil es erst Beeinträchtigungen von der Stattgabe des WAA an sieht das ist aber wie gesagt ein ganz grober Denkfehler.
Zitat von Sherlock_HSherlock_H schrieb:Art. 103 Abs. 3 GG sei nicht verletzt. Die Norm beinhalte nach ihrem eindeutigen Wortlaut schon kein Mehrfachverfolgungs-, sondern nur ein Mehrfachbestrafungsverbot. Dieses greife bei § 362 Nr. 5 StPO mangels Bestrafung im Erstverfahren nicht. Aus der Entstehungsgeschichte ergebe sich nichts anderes. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates fänden sich keine Hinweise darauf, dass neben der wiederholten Bestrafung auch die erneute Strafverfolgung habe erfasst werden sollen. Die gegenteilige Auffassung des Bundesgerichtshofs beruhe auf einer grundlegend falschen Prämisse, da die rechtsstaatlichen Grundlagen des Mehrfachverfolgungsverbots nicht mit denen des Doppelbestrafungsverbots identisch seien. Das Mehrfachverfolgungsverbot sei als Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 Abs. 3 GG zu verorten. Eine Abwägung mit anderen Grundsätzen des Rechtsstaats, hier der materiellen Gerechtigkeit, sei dann möglich.
Nein, das kann nicht überzeugen. Die SPD versucht den Art. 103 Abs. 3 GG vollkommen losgelöst vom übrigen Grundgesetz zu sehen. Sie macht es sich dabei extrem einfach, man fragt sich da schon, wen die SPD da berät oder sie wollte halt nur irgendwas schreiben. Es vergisst ganz andere Artikel insbesondere die wichtigsten, die mit den niedrigen Nummern, die hier natürlich mit zu berücksichtigen sind. Wenn die Interpretation des GG so einfach wäre, dann würden wir kein BVerfG benötigen. Es müssen eben unterschiedliche Rechte gegeneinander aufgewogen werden und das Ergebnis von jahrzehntelangen Rechtssprechung des BVerfG ist schlich und einfach das Verfolgungsverbot nach einem rechtskräftigen Urteil.


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