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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 10:03

Eroberer Wurm

O schaut, es ist festliche Nacht
Inmitten einsam letzter Tage!
Ein Engelchor, schluchzend, in Flügelpracht
Und Schleierflor sieht zage
Im Schauspielhaus ein Schauspiel an
Von Hoffnung, Angst und Plage,
Derweil das Orchester dann und wann
Musik haucht: Sphärenklage.

Schauspieler, Gottes Ebenbilder,
Murmeln und brummeln dumpf
Und hasten planlos, immer wilder,
Sind Puppen nur und folgen stumpf
Gewaltigen düsteren Dingen,
Die umziehn ohne Form und Rumpf
Und dunkles Weh aus Kondorschwingen
Schlagen voll Triumph.

Dies närrische Drama! – O fürwahr,
Nie wird's vergessen werden,
Nie sein Phantom, verfolgt für immerdar
Von wilder Rotte rasenden Gebärden,
Verfolgt umsonst – zum alten Fleck
Kehrt stets der Kreislauf neu zurück –
Und nie die Tollheit, die Sünde, der Schreck
Und das Grausen: die Seele vom Stück.

Doch sieh, in die mimende Runde
Drängt schleichend ein blutrot Ding
Hervor aus ödem Hintergrunde
Der Bühne – ein blutrot Ding.
Es windet sich! – windet sich in die Bahn
Der Mimen, die Angst schon tötet;
Die Engel schluchzen, da Wurmes Zahn
In Menschenblut sich rötet.

Aus – aus sind die Lichter – alle aus!
Vor jede zuckende Gestalt
Der Vorhang fällt mit Wetterbraus:
Ein Leichentuch finster und kalt.
Die Engel schlagen die Schleier zurück,
Sind erbleicht und entschweben in Sturm,
»Mensch« nennen sich sie das tragische Stück,
Seinen Helden »Eroberer Wurm«.

Edgar Allan Poe



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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 10:05

Geister der Toten

Dein Seel` wird einstens einsam sein
in grauer Grabsgedanken Schrein -
kein Blick. der aus der Menge weit
noch stört` deine Abgeschiedenheit.

Sei still in jener Öde Weben,
das nicht Alleinsein ist - es sind
die Geister derer, die im Leben
vor dir gestanden, ganz gelind
nun wieder um dich - und ihr Wille
umschattet dich: darum sei stille.

Die Nacht wird finster drücken -
kein Stern herniederblicken
vom hohen Thron im Himmelssaal,
nein, die glanzlos droben ziehn,
werden deinem müden Sinn
wie ein Fieber und ein Brennen
nun und nimmer Ruhe gönnen.

Wähnen, das nicht zu verwinden,
Visionen, die nicht schwinden:
weichen werden sie von dir
nie mehr - wie der Tau vom Grase hier.

Die Luft - der Odem Gottes - schweigt -
auf dem Berg der Nebel steigt,
schattenhaft - flüchtig - doch ohne zu weichen:
dir ein Sinnbild und ein Zeichen -
wie er in den Bäumen schwingt,
Geheimnis in Geheimnis dringt!

Edgar Allan Poe




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 10:06

Das Geisterschloß

In der Täler grünstem Tale
Hat, von Engeln einst bewohnt,
Gleich des Himmels Kathedrale
Golddurchstrahlt ein Schloß gethront.
Rings auf Erden diesem Schlosse
Keines glich;
Herrschte dort mit reichem Trosse
Der Gedanke – königlich.

Gelber Fahnen Faltenschlagen
Floß wie Sonnengold im Wind –
Ach, es war in alten Tagen,
Die nun längst vergangen sind! –
Damals kosten süße Lüfte
Lind den Ort,
Zogen als beschwingte Düfte
Von des Schlosses Wällen fort.

Wandrer in dem Tale schauten
Durch der Fenster lichten Glanz
Genien, die zum Sang der Lauten
Schritten in gemeßnem Tanz
Um den Thron, auf dem erhaben,
Marmorschön,
Würdig solcher Weihegaben,
War des Reiches Herr zu sehn.

Perlen- und rubinenglutend
War des stolzen Schlosses Tor,
Ihm entschwebten flutend, flutend
Süße Echos, die im Chor,
Weithinklingend, froh besegen
– Süße Pflicht! –
Ihres Königs hehres Prangen
In der Weisheit Himmelslicht.

Doch Dämonen, schwarze Sorgen,
Stürzten roh des Königs Thron. –
Trauert, Freunde, denn kein Morgen
Wird ein Schloß wie dies umlohn!
Was da blühte, was da glühte
– Herrlichkeit! –
Eine welke Märchenblüte
Ist's aus längst begrabner Zeit.

Und durch glutenrote Fenster
Werden heute Wandrer sehn
Ungeheure Wahngespenster
Grauenhaft im Tanz sich drehn;
Aus dem Tor in wildem Wellen,
Wie ein Meer,
Lachend ekle Geister quellen –
Weh! sie lächeln niemals mehr!

Edgar Allan Poe




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 10:07

Lenore.

Zerschellt die goldne Schale, ach!
Der Geist so fern entflogen!
Schickt Glockenschall der Seele nach,
die fort zum Styx gezogen!
Und Guy de Vere, weinst du nicht mehr?
Jetzt oder nie sei trübe!
Da liegt, sieh her, und liebt nie mehr
Lenore, deine Liebe.
Komm! laß vollziehn mit frommem Wort
des Grabes Heiligung –
Nichts Königlichres stirbt hinfort
als sie, die starb so jung –
Man singe, bete immerfort
für sie, die starb zu jung.

»Wichte! ihr Reichtum war euch lieb,
ihr Stolz war euch verhaßt,
Und da die Zarte fiel und blieb,
das Grab ihr segnen laßt!
Das Ritual und Requiem,
wie frommt's der Heiligung?
Durch euch – durch euch: den bösen Blick?
Durch euch: die Lästerung,
Die diese Unschuld totgehetzt,
die starb – und starb so jung?«

Peccavimus; doch laß Verdruß!
Sing wie am Feiertag
Ein Lied zu Gott, daß keine Qual
die Tote fühlen mag.
Lenore schritt voran, und mit
ihr flog die Hoffnung traut
– Die unbedacht und toll dich macht –
auf die erkorene Braut:
So sanft sie war und wunderbar,
erlag sie dem Geschick –
Das Leben noch im gelben Haar,
doch nicht in ihrem Blick –
Noch immerdar im gelben Haar,
doch Tod in ihrem Blick.

»Hinweg! Leicht wacht mein Herz heut nacht:
Kein Schmerzlied will ich klagen,
Triumph soll meinen Engel sacht
im heiligen Fluge tragen.
Kein Glockenschlag! daß nicht noch zag
die süße Seele werde
Bei solchem Ton, aufgleitend schon
von der verfluchten Erde:
Zu Freunden hin, von Feinden hier,
laßt frei die Tote gehen –
Aus Hölle auf zu hohem Rang
hoch oben in den Höhen –
Aus Gram und Groll auf goldnen Thron
zum Herrn der Himmelshöhen.«

Edgar Allan Poe




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 13:07
Wahre Freundschaft soll nicht wanken
wenn sie gleich entfernet ist,
lebet fort noch in Gedanken
und der Treue nicht vergißt.

Keine Ader soll mir schlagen
wo ich nicht an dich gedacht
für dich werd ich Liebe tragen
bis in tiefe Todesnacht

Wenn der Mühlstein traget Reben
und daraus fließt süßer Wein
wenn der Tod mir nimmt das Leben
hör ich auf dein Freund zu sein

Jetzo schlägt die Trennungsstunde
reißt gewaltsam mich von dir
es schlägt zu früh die Scheidestunde
ach, ich fand mein Glück in dir

So nimm denn hin vom blassen Munde
den Abschiedskuß, der weinend spricht
und denk an diese Trennungsstunde
0 einz'ger Freund, vergiß mein nicht

Im Stillen werd ich Tränen weinen
und träumend dir zur Seite stehn
und seh ich Gottes Sonne scheinen
werd ich für dich um Segen flehn

Vermutlich aus dem 18. Jahrhundert


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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 14:09
Lass mich allein

Sei Du glücklich und zufrieden,
fühl Dich wohl und ganz geborgen,
lass mich allein mit meinem Schmerz,
mit meinem Leid und meinen Sorgen.
Sei Du glücklich nur das zählt,
geh' Dein Leben wohlgeniessen,
lass mich allein mit meinem Kummer,
mit meinem ewig'n Tränengiessen.

Sei Du glücklich, Du hast es verdient,
vergiss alles was Du versprochen,
lass mich allein mit meinem Herzen,
welches Du schon längst gebrochen.

Sei Du glücklich aber werde nicht,
davon blind und so besessen,
lass mich allein mit mein'n Gedichten,
welche Du schon längst vergessen.

Sei Du glücklich, ach ich gönne es dir,
Du darfst dein Glück doch nicht versäumen,
lass mich allein mit meinen Wünschen,
lass mich allein mit meinen Träumen.

Von Baufritze


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25.12.2012 um 22:09

Trübe Ahnung

Gelehnt an's Birkengeländer
Schaut' ich hinunter in's Thal:
Tannen und Felsenränder
Glänzten im Abendstral.

Und horch! Nun mußt' ich lauschen,
Es rief im Grunde der Bach
Mit seinem düsteren Rauschen
Mir düstre Gedanken wach.

Die Augen werden mir trübe,
Das Herz ward mir so schwer,
So schwer, ob meine Liebe
Verloren für ewig wär'!

Max Kalbeck




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 22:10

Trübe Ahnung

Sag' an, o wack'rer Schiffer,
Dir darf ich wohl vertrau'n!
Ich brauche nur Dein Auge,
Den festen Blick zu schau'n.

Ich les' in Deinen Zügen
So manchen harten Strauß,
Und die geschloss'nen Lippen
Sie sprechen's deutlich aus.

Du hast wohl manches Ringen
Mit Not und Tod durchlebt,
Doch hat für's eigne Leben
Dein Herz wohl nie gebebt.

Ob tausendmal Verderben
Dir drohten Sturm und Flut,
Sie übten nur die Kräfte,
Sie stählten Deinen Mut.

So nimm mich auf und leite
Mich in die Heimat Dein!
Mich treibt's hinaus in's Weite,
In ferne Welt hinein.

Bald möcht' ich schweben, fliegen
Weit über Land und Meer,
Bald wieder ruhig liegen; —
Mich quält es allzusehr.

O könnt'st Du schau'n in's Herze,
Tief in die Seele mein,
Du fühltest meine Qualen,
Du littest meine Pein!

Bald quälen mich Gedanken,
Gedanken hoch und hehr,
— Und wie ich ring' und strebe,
— Ich find' sie nimmermehr.

Bald schwimmt mein Herz in Liebe,
Im Liebesglutenmeer,
— Und wie ich sehnlichst suche,
— Ich find' sie nimmermehr.

Nun wandr' ich schon und eile
Viel Mond' und Jahre lang,
Noch immer glüht die Liebe,
Noch quält der Wissensdrang.

Wär' all mein Streben eitel,
Fänd' nie ich Rast und Ruh',
So möcht' ich heut' noch schließen
Die müden Augen zu!

Ja, schau' nur an mich Armen,
Du kalter Steuermann,
Mir ist noch viel zu enge
Dein weiter Ocean!

Laß wild die Wogen brausen,
Laß Stürme sich entzwei'n:
Vielleicht wird's still im Busen,
Dann schlaf' vielleicht ich ein!

Leo Sachse




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 22:16
Selige Sehnsucht

Sag es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du Schmetterling verbrannt.

Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und Werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

J.W. Goethe


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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 22:40

Vitzliputzli

Präludium


Dieses ist Amerika!
Dieses ist die neue Welt!
Nicht die heutige, die schon
Europäisieret abwelkt. -

Dieses ist die neue Welt!
Wie sie Christoval Kolumbus
Aus dem Ozean hervorzog.
Glänzet noch in Flutenfrische,

Träufelt noch von Wasserperlen,
Die zerstieben, farbensprühend,
Wenn sie küßt das Licht der Sonne.
Wie gesund ist diese Welt!

Ist kein Kirchhof der Romantik,
Ist kein alter Scherbenberg
Von verschimmelten Symbolen
Und versteinerten Perucken.

Aus gesundem Boden sprossen
Auch gesunde Bäume - keiner
Ist blasiert und keiner hat
In dem Rückgratmark die Schwindsucht.

Auf den Baumesästen schaukeln
Große Vögel. Ihr Gefieder
Farbenschillernd. Mit den ernsthaft
Langen Schnäbeln und mit Augen,

Brillenartig schwarz umrändert,
Schaun sie auf dich nieder, schweigsam -
Bis sie plötzlich schrillend aufschrein
Und wie Kaffeeschwestern schnattern.

Doch ich weiß nicht, was sie sagen,
Ob ich gleich der Vögel Sprachen
Kundig bin wie Salomo,
Welcher tausend Weiber hatte

Und die Vögelsprachen kannte,
Die modernen nicht allein,
Sondern auch die toten, alten,
Ausgestopften Dialekte.

Neuer Boden, neue Blumen!
Neue Blumen, neue Düfte!
Unerhörte, wilde Düfte,
Die mir in die Nase dringen,

Neckend, prickelnd, leidenschaftlich -
Und mein grübelnder Geruchsinn
Quält sich ab: Wo hab ich denn
Je dergleichen schon gerochen?

Wars vielleicht auf Regentstreet,
In den sonnig gelben Armen
Jener schlanken Javanesin,
Die beständig Blumen kaute?

Oder wars zu Rotterdam,
Neben des Erasmi Bildsäul,
In der weißen Waffelbude
Mit geheimnisvollem Vorhang?

Während ich die neue Welt
Solcher Art verdutzt betrachte,
Schein ich selbst ihr einzuflößen
Noch viel größre Scheu - Ein Affe,

Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht,
Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick,
Angstvoll rufend: »Ein Gespenst!
Ein Gespenst der alten Welt!«

Affe! fürcht dich nicht, ich bin
Kein Gespenst, ich bin kein Spuk;
Leben kocht in meinen Adern,
Bin des Lebens treuster Sohn.

Doch durch jahrelangen Umgang
Mit den Toten, nahm ich an
Der Verstorbenen Manieren
Und geheime Seltsamkeiten.

Meine schönsten Lebensjahre,
Die verbracht ich im Kyffhäuser,
Auch im Venusberg und andern
Katakomben der Romantik.

Fürcht dich nicht vor mir, mein Affe!
Bin dir hold, denn auf dem haarlos
Ledern abgeschabten Hintern
Trägst du Farben, die ich liebe.

Teure Farben! Schwarz-rot-goldgelb!
Diese Affensteißcouleuren
Sie erinnern mich mit Wehmut
An das Banner Barbarossas.I.

Auf dem Haupt trug er den Lorbeer,
Und an seinen Stiefeln glänzten
Goldne Sporen - dennoch war er
Nicht ein Held und auch kein Ritter.

Nur ein Räuberhauptmann war er,
Der ins Buch des Ruhmes einschrieb,
Mit der eignen frechen Faust,
Seinen frechen Namen: Cortez.

Unter des Kolumbus Namen
Schrieb er ihn, ja dicht darunter,
Und der Schulbub auf der Schulbank
Lernt auswendig beide Namen -

Nach dem Christoval Kolumbus,
Nennt er jetzt Fernando Cortez
Als den zweiten großen Mann
In dem Pantheon der Neuwelt.

Heldenschicksals letzte Tücke:
Unser Name wird verkoppelt
Mit dem Namen eines Schächers
In der Menschen Angedenken.

Wärs nicht besser, ganz verhallen
Unbekannt, als mit sich schleppen
Durch die langen Ewigkeiten
Solche Namenskameradschaft?

Messer Christoval Kolumbus
War ein Held, und sein Gemüte,
Das so lauter wie die Sonne,
War freigebig auch wie diese.

Mancher hat schon viel gegeben,
Aber jener hat der Welt
Eine ganze Welt geschenket,
Und sie heißt Amerika.

Nicht befreien konnt er uns
Aus dem öden Erdenkerker,
Doch er wußt ihn zu erweitern
Und die Kette zu verlängern.

Dankbar huldigt ihm die Menschheit,
Die nicht bloß europamüde,
Sondern Afrikas und Asiens
Endlich gleichfalls müde worden - -

Einer nur, ein einzger Held,
Gab uns mehr und gab uns Beßres
Als Kolumbus, das ist jener,
Der uns einen Gott gegeben.

Sein Herr Vater, der hieß Amram,
Seine Mutter hieß Jochebeth,
Und er selber, Moses heißt er,
Und er ist mein bester Heros.

Doch, mein Pegasus, du weilest
Viel zu lang bei dem Kolumbus -
Wisse, unser heutger Flugritt
Gilt dem gringern Mann, dem Cortez.

Breite aus den bunten Fittig,
Flügelroß! und trage mich
Nach der Neuwelt schönem Lande,
Welches Mexiko geheißen.

Trage mich nach jener Burg,
Die der König Montezuma
Gastlich seinen spanschen Gästen
Angewiesen zur Behausung.

Doch nicht Obdach bloß und Atzung,
In verschwenderischer Fülle,
Gab der Fürst den fremden Strolchen -
Auch Geschenke reich und prächtig,

Kostbarkeiten kluggedrechselt,
Von massivem Gold, Juwelen,
Zeugten glänzend von der Huld
Und der Großmut des Monarchen.

Dieser unzivilisierte,
Abergläubisch blinde Heide
Glaubte noch an Treu und Ehre
Und an Heiligkeit des Gastrechts.

Er willfahrte dem Gesuche,
Beizuwohnen einem Feste,
Das in ihrer Burg die Spanier
Ihm zu Ehren geben wollten -

Und mit seinem Hofgesinde,
Arglos, huldreich, kam der König
In das spanische Quartier,
Wo Fanfaren ihn begrüßten.

Wie das Festspiel war betitelt,
Weiß ich nicht. Es hieß vielleicht:
»Spansche Treue!« doch der Autor
Nannt sich Don Fernando Cortez.

Dieser gab das Stichwort - plötzlich
Ward der König überfallen,
Und man band ihn und behielt ihn
In der Burg als eine Geisel.

Aber Montezuma starb,
Und da war der Damm gebrochen,
Der die kecken Abenteurer
Schützte vor dem Zorn des Volkes.

Schrecklich jetzt begann die Brandung -
Wie ein wild empörtes Meer
Tosten, rasten immer näher
Die erzürnten Menschenwellen.

Tapfer schlugen zwar die Spanier
Jeden Sturm zurück. Doch täglich
Ward berennt die Burg aufs neue,
Und ermüdend war das Kampfspiel.

Nach dem Tod des Königs stockte
Auch der Lebensmittel Zufuhr;
Kürzer wurden die Rationen,
Die Gesichter wurden länger.

Und mit langen Angesichtern
Sahn sich an Hispaniens Söhne,
Und sie seufzten und sie dachten
An die traute Christenheimat,

An das teure Vaterland,
Wo die frommen Glocken läuten
Und am Herde friedlich brodelt
Eine Ollea-Potrida,

Dick verschmoret mit Garbanzos,
Unter welchen, schalkhaft duftend,
Auch wohl kichernd, sich verbergen
Die geliebten Knoblauchwürstchen.

Einen Kriegsrat hielt der Feldherr,
Und der Rückzug ward beschlossen;
In der nächsten Tagesfrühe
Soll das Heer die Stadt verlassen.

Leicht gelangs hineinzukommen
Einst durch List dem klugen Cortez,
Doch die Rückkehr nach dem Festland
Bot fatale Schwierigkeiten.

Mexiko, die Inselstadt,
Liegt in einem großen See,
Inder Mitte, flutumrauscht:
Eine stolze Wasserfestung,

Mit dem Uferland verkehrend
Nur durch Schiffe, Flöße, Brücken,
Die auf Riesenpfählen ruhen;
Kleine Inseln bilden Furten.

Noch bevor die Sonne aufging,
Setzten sich in Marsch die Spanier;
Keine Trommel ward gerühret,
Kein Trompeter blies Reveille.

Wollten ihre Wirte nicht
Aus dem süßen Schlafe wecken -
(Hunderttausend Indianer
Lagerten in Mexiko).

Doch der Spanier machte diesmal
Ohne seinen Wirt die Rechnung;
Noch frühzeitger aufgestanden
Waren heut die Mexikaner.

Auf den Brücken, auf den Flößen,
Auf den Furten harrten sie,
Um den Abschiedstrunk alldorten
Ihren Gästen zu kredenzen.

Auf den Brücken, Flößen, Furten,
Hei! da gabs ein toll Gelage!
Rot in Strömen floß das Blut,
Und die kecken Zecher rangen -

Rangen Leib an Leib gepreßt,
Und wir sehn auf mancher nackten
Indianerbrust den Abdruck
Spanscher Rüstungsarabesken.

Ein Erdrosseln wars, ein Würgen,
Ein Gemetzel, das sich langsam,
Schaurig langsam, weiter wälzte,
Über Brücken, Flöße, Furten.

Die Indianer sangen, brüllten,
Doch die Spanier fochten schweigend;
Mußten Schritt für Schritt erobern
Einen Boden für die Flucht.

In gedrängten Engpaßkämpfen
Boten gringen Vorteil heute
Alteuropas strenge Kriegskunst,
Feuerschlünde, Harnisch, Pferde.

Viele Spanier waren gleichfalls
Schwer bepackt mit jenem Golde,
Das sie jüngst erpreßt, erbeutet -
Ach, die gelbe Sündenlast

Lähmte, hemmte sie im Kampfe,
Und das teuflische Metall
Ward nicht bloß der armen Seele,
Sondern auch dem Leib verderblich.

Mittlerweile ward der See
Ganz bedeckt von Kähnen, Barken;
Schützen saßen drin und schossen
Nach den Brücken, Flößen, Furten.

Trafen freilich im Getümmel
Viele ihrer eignen Brüder,
Doch sie trafen auch gar manchen
Hochvortrefflichen Hidalgo.

Auf der dritten Brücke fiel
Junker Gaston, der an jenem
Tag die Fahne trug, worauf
Konterfeit die heilge Jungfrau.

Dieses Bildnis selber trafen
Die Geschosse der Indianer;
Sechs Geschosse blieben stecken
Just im Herzen - blanke Pfeile,

Ähnlich jenen güldnen Schwertern,
Die der Mater dolorosa
Schmerzenreiche Brust durchbohren
Bei Karfreitagsprozessionen.

Sterbend übergab Don Gaston
Seine Fahne dem Gonzalvo,
Der zu Tod getroffen gleichfalls
Bald dahinsank. - Jetzt ergriff

Cortez selbst das teure Banner,
Er, der Feldherr, und er trug es
Hoch zu Roß bis gegen Abend,
Wo die Schlacht ein Ende nahm.

Hundertsechzig Spanier fanden
Ihren Tod an jenem Tage;
Über achtzig fielen lebend
In die Hände der Indianer.

Schwer verwundet wurden viele,
Die erst später unterlagen.
Schier ein Dutzend Pferde wurde
Teils getötet, teils erbeutet.

Gegen Abend erst erreichten
Cortez und sein Heer das sichre
Uferland, ein Seegestade,
Karg bepflanzt mit Trauerweiden.II

Nach des Kampfes Schreckenstag
Kommt die Spuknacht des Triumphes;
Hunderttausend Freudenlampen
Lodern auf in Mexiko.

Hunderttausend Freudenlampen,
Waldharzfackeln, Pechkranzfeuer
Werfen grell ihr Tageslicht
Auf Paläste, Götterhallen,

Gildenhäuser und zumal
Auf den Tempel Vitzliputzlis,
Götzenburg von rotem Backstein,
Seltsam mahnend an ägyptisch,

Babylonisch und assyrisch
Kolossalen Bauwerk-Monstren,
Die wir schauen auf den Bildern
Unsers Britten Henri Martin.

Ja, das sind dieselben breiten
Rampentreppen, also breit,
Daß dort auf und nieder wallen
Viele tausend Mexikaner,

Während auf den Stufen lagern
Rottenweis die wilden Krieger,
Welche lustig bankettieren,
Hochberauscht von Sieg und Palmwein.

Diese Rampentreppen leiten,
Wie ein Zickzack, nach der Plattform,
Einem balustradenartgen
Ungeheuern Tempeldach.

Dort auf seinem Thronaltar
Sitzt der große Vitzliputzli,
Mexikos blutdürstger Kriegsgott.
Ist ein böses Ungestüm,

Doch sein Äußres ist so putzig,
So verschnörkelt und so kindisch,
Daß er trotz des innern Grausens
Dennoch unsre Lachlust kitzelt -

Und bei seinem Anblick denken
Wir zu gleicher Zeit etwa
An den blassen Tod von Basel
Und an Brüssels Mannke-Piß.

An des Gottes Seite stehen
Rechts die Laien, links die Pfaffen;
Im Ornat von bunten Federn
Spreizt sich heut die Klerisei.

Auf des Altars Marmorstufen
Hockt ein hundertjährig Männlein,
Ohne Haar an Kinn und Schädel;
Trägt ein scharlach Kamisölchen.

Dieses ist der Opferpriester,
Und er wetzet seine Messer,
Wetzt sie lächelnd, und er schielet
Manchmal nach dem Gott hinauf.

Vitzliputzli scheint den Blick
Seines Dieners zu verstehen,
Zwinkert mit den Augenwimpern
Und bewegt sogar die Lippen.

Auf des Altars Stufen kauern
Auch die Tempelmusici,
Paukenschläger, Kuhhornbläser -
Ein Gerassel und Getute -

Ein Gerassel und Getute,
Und es stimmet ein des Chores
Mexikanisches Tedeum -
Ein Miaulen wie von Katzen -

Ein Miaulen wie von Katzen,
Doch von jener großen Sorte,
Welche Tigerkatzen heißen
Und statt Mäuse Menschen fressen!

Wenn der Nachtwind diese Töne
Hinwirft nach dem Seegestade,
Wird den Spaniern, die dort lagern,
Katzenjämmerlich zu Mute.

Traurig unter Trauerweiden,
Stehen diese dort noch immer
Und sie starren nach der Stadt,
Die im dunkeln Seegewässer

Widerspiegelt, schier verhöhnend,
Alle Flammen ihrer Freude -
Stehen dort wie im Parterre
Eines großen Schauspielhauses,

Und des Vitzliputzli-Tempels
Helle Plattform ist die Bühne,
Wo zur Siegesfeier jetzt
Ein Mysterium tragiert wird.

»Menschenopfer« heißt das Stück.
Uralt ist der Stoff, die Fabel;
In der christlichen Behandlung
Ist das Schauspiel nicht so gräßlich.

Denn dem Blute wurde Rotwein,
Und dem Leichnam, welcher vorkam,
Wurde eine harmlos dünne
Mehlbreispeis transsubstituieret -

Diesmal aber, bei den Wilden,
War der Spaß sehr roh und ernsthaft
Aufgefaßt: man speiste Fleisch,
Und das Blut war Menschenblut.

Diesmal war es gar das Vollblut
Von Altchristen, das sich nie,
Nie vermischt hat mit dem Blute
Der Moresken und der Juden.

Freu dich, Vitzliputzli, freu dich,
Heute gibt es Spanierblut,
Und am warmen Dufte wirst du
Gierig laben deine Nase.

Heute werden dir geschlachtet
Achtzig Spanier, stolze Braten
Für die Tafel deiner Priester,
Die sich an dem Fleisch erquicken.

Denn der Priester ist ein Mensch,
Und der Mensch, der arme Fresser,
Kann nicht bloß vom Riechen leben
Und vom Dufte, wie die Götter.

Horch! die Todespauke dröhnt schon,
Und es kreischt das böse Kuhhorn!
Sie verkünden, daß heraufsteigt
Jetzt der Zug der Sterbemänner.

Achtzig Spanier, schmählich nackend,
Ihre Hände auf dem Rücken
Festgebunden, schleppt und schleift man
Hoch hinauf die Tempeltreppe.

Vor dem Vitzliputzli-Bilde
Zwingt man sie das Knie zu beugen
Und zu tanzen Possentänze,
Und man zwingt sie durch Torturen,

Die so grausam und entsetzlich,
Daß der Angstschrei der Gequälten
Überheulet das gesamte
Kannibalen-Charivari. -

Armes Publikum am See!
Cortez und die Kriegsgefährten
Sie vernahmen und erkannten
Ihrer Freunde Angstrufstimmen -

Auf der Bühne, grellbeleuchtet,
Sahen sie auch ganz genau
Die Gestalten und die Mienen -
Sahn das Messer, sahn das Blut -

Und sie nahmen ab die Helme
Von den Häuptern, knieten nieder,
Stimmten an den Psalm der Toten,
Und sie sangen: De profundis!

Unter jenen, welche starben,
War auch Raimond de Mendoza,
Sohn der schönen Abbatissin,
Cortez’ erste Jugendliebe.

Als er auf der Brust des Jünglings
Jenes Medaillon gewahrte,
Das der Mutter Bildnis einschloß,
Weinte Cortez helle Tränen -

Doch er wischt’ sie ab vom Auge
Mit dem harten Büffelhandschuh,
Seufzte tief und sang im Chore
Mit den Andern: miserere!III

Blasser schimmern schon die Sterne,
Und die Morgennebel steigen
Aus der Seeflut, wie Gespenster,
Mit hinschleppend weißen Laken.

Fest und Lichter sind erloschen
Auf dem Dach des Götzentempels,
Wo am blutgetränkten Estrich
Schnarchend liegen Pfaff und Laie.

Nur die rote Jacke wacht.
Bei dem Schein der letzten Lampe,
Süßlich grinsend, grimmig schäkernd,
Spricht der Priester zu dem Gotte:

»Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Liebstes Göttchen Vitzliputzli!
Hast dich heute amüsieret,
Hast gerochen Wohlgerüche!

»Heute gab es Spanierblut -
O, das dampfte so apptitlich,
Und dein feines Leckernäschen
Sog den Duft ein, wollustglänzend.

»Morgen opfern wir die Pferde,
Wiehernd edle Ungetüme,
Die des Windes Geister zeugten,
Buhlschaft treibend mit der Seekuh.

»Willst du artig sein, so schlacht ich
Dir auch meine beiden Enkel,
Hübsche Bübchen, süßes Blut,
Meines Alters einzge Freude.

»Aber artig mußt du sein,
Mußt uns neue Siege schenken -
Laß uns siegen, liebes Göttchen,
Putzlivitzli, Vitzliputzli!

« O verderbe unsre Feinde,
Diese Fremden, die aus fernen
Und noch unentdeckten Ländern
Zu uns kamen übers Weltmeer -

»Warum ließen sie die Heimat?
Trieb sie Hunger oder Blutschuld?
Bleib im Land und nähr dich redlich,
Ist ein sinnig altes Sprüchwort.

»Was ist ihr Begehr? Sie stecken
Unser Gold in ihre Taschen,
Und sie wollen, daß wir droben
Einst im Himmel glücklich werden!

»Anfangs glaubten wir, sie wären
Wesen von der höchsten Gattung,
Sonnensöhne, die unsterblich
Und bewehrt mit Blitz und Donner.

»Aber Menschen sind sie, tötbar
Wie wir Andre, und mein Messer
Hat erprobet heute Nacht
Ihre Menschensterblichkeit.

»Menschen sind sie und nicht schöner
Als wir Andre, manche drunter
Sind so häßlich wie die Affen;
Wie bei diesen sind behaart

»Die Gesichter, und es heißt,
Manche trügen in den Hosen
Auch verborgne Affenschwänze -
Wer kein Aff, braucht keine Hosen.

»Auch moralisch häßlich sind sie,
Wissen nichts von Pietät,
Und es heißt, daß sie sogar
Ihre eignen Götter fräßen!

»O vertilge diese ruchlos
Böse Brut, die Götterfresser -
Vitzliputzli, Putzlivitzli,
Laß uns siegen, Vitzliputzli!« -

Also sprach zum Gott der Priester,
Und des Gottes Antwort tönt
Seufzend, röchelnd, wie der Nachtwind,
Welcher koset mit dem Seeschilf:

Rotjack, Rotjack, blutger Schlächter,
Hast geschlachtet viele Tausend,
Bohre jetzt das Opfermesser
In den eignen alten Leib.

Aus dem aufgeschlitzten Leib
Schlüpft alsdann hervor die Seele;
Über Kiesel, über Wurzel
Trippelt sie zum Laubfroschteiche.

Dorten hocket meine Muhme
Rattenkönigin - sie wird sagen:
»Guten Morgen, nackte Seele,
Wie ergeht es meinem Neffen?

»Vitzliputzlelt er vergnügt
In dem honigsüßen Goldlicht?
Wedelt ihm das Glück die Fliegen
Und die Sorgen von der Stirne?

»Oder kratzt ihn Katzlagara,
Die verhaßte Unheilsgöttin
Mit den schwarzen Eisenpfoten,
Die in Otterngift getränket?«

Nackte Seele, gib zur Antwort:
Vitzliputzli läßt dich grüßen,
Und er wünscht dir Pestilenz
In den Bauch, Vermaledeite!

Denn du rietest ihm zum Kriege,
Und dein Rat, es war ein Abgrund -
In Erfüllung geht die böse,
Uralt böse Prophezeiung

Von des Reiches Untergang
Durch die furchtbar bärtgen Männer,
Die auf hölzernem Gevögel
Hergeflogen aus dem Osten.

Auch ein altes Sprüchwort gibt es:
Weiberwille, Gotteswille -
Doppelt ist der Gotteswille,
Wenn das Weib die Mutter Gottes.

Diese ist es, die mir zürnet,
Sie, die stolze Himmelsfürstin,
Eine Jungfrau sonder Makel,
Zauberkundig, wundertätig.

Sie beschützt das Spaniervolk,
Und wir müssen untergehen,
Ich, der ärmste aller Götter,
Und mein armes Mexiko.

Nach vollbrachtem Auftrag, Rotjack,
Krieche deine nackte Seele
In ein Sandloch - Schlafe wohl!
Daß du nicht mein Unglück schauest!

Dieser Tempel stürzt zusammen,
Und ich selber, ich versinke
In dem Qualm - nur Rauch und Trümmer -
Keiner wird mich wiedersehen.

Doch ich sterbe nicht; wir Götter
Werden alt wie Papageien,
Und wir mausern nur und wechseln
Auch wie diese das Gefieder.

Nach der Heimat meiner Feinde,
Die Europa ist geheißen,
Will ich flüchten, dort beginn ich
Eine neue Karriere.

Ich verteufle mich, der Gott
Wird jetzund ein Gottseibeiuns;
Als der Feinde böser Feind,
Kann ich dorten wirken, schaffen.

Quälen will ich dort die Feinde,
Mit Phantomen sie erschrecken -
Vorgeschmack der Hölle, Schwefel
Sollen sie beständig riechen.

Ihre Weisen, ihre Narren
Will ich ködern und verlocken;
Ihre Tugend will ich kitzeln,
Bis sie lacht wie eine Metze.

Ja, ein Teufel will ich werden,
Und als Kameraden grüß ich
Satanas und Belial,
Astaroth und Belzebub.

Dich zumal begrüß ich, Lilis,
Sündenmutter, glatte Schlange!
Lehr mich deine Grausamkeiten
Und die schöne Kunst der Lüge!

Mein geliebtes Mexiko,
Nimmermehr kann ich es retten,
Aber rächen will ich furchtbar
Mein geliebtes Mexiko.

Heinrich Heine




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 22:41

Das Hexenlied


Zu Hersfeld im Kloster der Prior sprach:
„Der Bruder Medardus ward alt und schwach.
Ich glaube, sein Stündlein ist heute gekommen
Geh, Bruder Beicht’ger, hinein zu dem Frommen,
Vernimm das Geständnis von seinen Sünden:
Zwar weiß ich, du wirst nicht viele finden.
Er dienet dem Kloster heut fünfzig Jahr’,
Im Klosterschatten verbleichte sein Haar;
Er hat gefastet, er hat sich kasteit,
Wohl vorbereitet zur Seligkeit,
Er ist der heiligste von uns allen
Und wird dem Allmächtigen wohlgefallen.“
Der Beichtiger schlug an Medardus’ Thor.
Von innen tönte kein Ruf hervor,
Der Beichtiger trat wohl über die Schwelle
Und schritt hinein in Medardus Zelle
Und Stunde auf Stunde nach Stunde verrann.
Die Mönche schauten sich staunend an:
„Er, der unsträflich in Worten und Thaten,
Was kann Medardus an Sünden verraten?“

Die Vesperglocke mit dumpfen Schall,
sie rief zur Kapelle die Mönche all’,
sie beugten die Häupter. Sie knieten im Kreise,
für Bruder Medardus sie beteten leise.
Da horch. Da von ferne herüberklang
mit klagender Stimme ein düstrer Gesang.
Der Prior hob sich vom Boden empor,
Die Mönche lauschten und neigten das Ohr:
Aus Medardus Zelle der Sang erklingt,
das ist Medardus, der also singt:
Sie lauschten und horchten: „Was mag es sein?
Das sind nicht Gebete und Litanei’n,
das klingt wie sündige, weltliche Worte?“
Und siehe, und siehe, herein in die Pforte
der Beichtiger kam voll Schrecken und Hast.
„Wir haben den Teufel im Kloster zu Gast,
Medardus ist dem Versucher verfallen,
Medardus ringt in des Satans Krallen!“

Der Prior setzte die Kerze in Brand,
die heilig geweihte und nahm sie zur Hand;
die Mönche thaten alle, wie er,
und hinter dem Prior schritten sie her;
von Wand und Gewölbe scholl dröhnend wieder
die Klagestimme der singenden Brüder:
„Vor Sündenfrevel, vor Satans Spott,
bewahr’ uns in Gnaden, allmächtiger Gott!“
Die Zelle war offen bleich hager und mager
lag Bruder Medardus auf kärglichem Lager,
die Hände gefaltet in betender Wut,
die starrenden Augen voll sehnender Glut,
und von den stammelnden Lippen sprang
rastlos und ohn’ Ende der wilde Gesang.
Das Lied das hatte so seltsamen Ton,
wie sehnende Liebe, wie lästernder Hohn,
als trüge von fernher herüber die Luft
fremdländischer Blumen bestrickenden Duft.
Es war ein Lied, wie man keines vernahm,
das jemals aus menschlicher Kehle kam,
so in klagendem Leid, so in jauchzender Lust,
das Entsetzen und Wonne erfasste die Brust.
Die Mönche sie schwangen die heiligen Kerzen:
„Fleuch, Satan, entweiche aus seinem Herzen!“
Sie schwangen die Kreuze, die heiligen Bilder,
Medardus’ Gesang ward wilder und wilder,
und tief in die schaudernden Seelen drang
das sündige Lied, das Medardus sang.

Die Mönche beschlich es wie sehnender Schauer,
verlorenen Lebens tief nagende Trauer.
Sie dachten an Dinge, die einst sie besessen,
an Tage der Jugend, die lange vergessen.
Und mählich, allmählich verstummte der Chor,
sie schwiegen und lauschten und neigten das Ohr.
Der Prior, ein frommer, ein eifriger Geist,
er stand voller Schrecken und blickte im Kreis,
zu Bruder Medardus erhob er die Stimme
und sprach in frommen, in eiferndem Grimme:
„Darfst du mir verführen die heiligen Brüder?
Verdammter, so fahre zur Hölle hernieder!“
Und siehe, vom Lager Medardus sich hob,
ein leuchtender Glanz sein Antlitz umwob,
sein starrendes Aug’ in die Ferne blickte,
als säh’ er ein Bild, das tief ihn entzückte.
Und plötzlich die strömende Träne ihm rann.
Zu den Brüdern zu sprechen Medardus begann

Ich war ein Priester, war fromm wie ihr,
voll Andacht las ich das heil’ge Brevier,
ich las es in Ängsten, ich las es in Glut,
denn jung war mein Leib und heiss mein Blut.
Die blonden Locken vom Haupt mir flossen
Wie strömendes Gold, das darüber gegossen,
und als man hineinschnitt die erste Tonsur,
das war es, als mähte man Frühlingsflur.
Es war zur Zeit, als im deutschen Land
Der böse Teufel zur Macht erstand,
als er die Weiber zur Buhlschaft verführte
und als man Hexen zum Brandpfahl schnürte.
Damals geschah’s, ich saß allein,
in tiefer Nacht, bei der Lampe Schein,
da schlug es klopfend an meine Thür:
‚Komm, Priester, heraus, man verlangt nach dir.’
Die Nacht war schwarz, dumpf heulte der Sturm,
man führete mich hinaus an den Turm,
tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen -
mir war es, als würd’ ich zur Hölle gerufen.
Man gab eine Fackel in meine Hand
und wies mir ein Loch in der steinernen Wand:
‚Zur Hexe, die morgen in Feuers Pein
ihre Sünden büßt, da geh’ du hinein,
Bereite sie betend zu seligem Sterben,
entreiss’ ihre Seele dem ew’gen Verderben,

Ich schritt hinein in der Erde Bauch,
in meiner Kehle stockte der Hauch,
da kam von drüben ein Rascheln her,
Geklirr von Ketten und Seufzen schwer,
und sich, in der Mauer finsterster Ecke,
wie ein Tier des Waldes in seinem Verstecke,
da sah ich ein Weib, gebeugt und gebückt,
das Haupt an die triefende Mauer gedrückt.
Die Fackel heftet’ ich in den Ring,
der schwebend herab von der Wölbung hing,
ich sagte: ‚Wende zu mir dein Gesicht,
komm her, meine Schwester, und fürchte dich nicht.’
Ich sah, wie ihr Ohr meine Worte trank,
wie Hand nach Hand ihr vom Antlitz sank,
sie wandte das Haupt, sie schaute mich an,
auf ihren Knien kroch sie heran,
Ihr nackter Arm meine Knie’ umfing,
an meinem Antlitz ihr Auge hing,
ich schaute herab, der Fackel Licht,
umspielte ihr liebliches Angesicht;
da fühlt ich das Herz so süss mir erwarmen,
da quoll in die Augen mir heisses Erbarmen,
Meine Lippen verstummten in lautlosem Leide,
in schweigendem Jammer weinten wir beide.

Und als meine Thränen sie fliessen sah,
mit bebenden Armen umfing sie mich da,
ein Schluchzen tief aus dem Busen ihr quoll,
von stammelnden Lippen ein Flüstern scholl:
„Du kannst noch weinen, du weinest um mich,
wie den gütigen Heiland, so liebe ich dich!“
Mich fasste der Schreck ob des sündigen Worts:
„Gedenke der Stunde, gedenke des Orts,
in Flammen soll morgen der Leib dir verderben.
Durch Busse entfliehe dem ewigen Sterben!“
Da sah sie mich an so bangen Gesichts:
„Was soll ich büssen, verbrach ich doch nichts?
Meine Eltern sind tot im Walde allein,
Großmutter und ich, wir wohnten zu Zwei’n.
Großmutter kannte manch’ heilsames Kraut,
manch Tränklein hat sie für Kranke gebraut,
Großmutter im Feuer verbrannten sie
eine Teufelshexe sie nannten sie.
Ein altes Lied Großmutter sang,
ich lernt’ es ihr ab, weil so süss es klang.
Sie sagte, es käme aus fernen Landen,
wo Liebeszauber die Menschen verstanden.
Ich sang’s und wusste nicht, was es bedeute,
da griffen sie mich hartherzige Leute,
und sperrten mich in den finsteren Turm;
sie sagen, es sei der höllische Wurm,
der singe aus mir zu der Menschen Verderben.
Drum soll ich morgen im Feuer sterben.“

Ihre bebende Lippe berührte mein Ohr,
ihr Auge mich flehend in Ängsten beschwor,
ihr Busen drängte an meinen sich,
„Errette“, sprach sie, „errette mich!
So süß ist zu leben, so bitter der Tod,
und Feuers zu sterben, ist schreckliche Not!
Kein Wesen hab’ ich gekränkt und betrübt,
keine Sünde gethan, keinen Zauber geübt,
die Herzen der Menschen gleichen den Steinen,
du aber bist gut, du kannst noch weinen!
Der Wächter schläft, frei ist die Tür,
komm, lass mich flieh’n, entflieh’ mit mir!’
Wir gehen leise, man hört uns nicht;
die Fackel erlischt, uns verrät kein Licht,
die Turmespforte geht in das Feld,
niemand uns sieht, niemand uns hält,
wenn morgen der Schreie der Hähne schallt,
sind wir schon ferne, im fernen Wald;
der Wald ist dunkel, der Wald ist dicht,
ich weiss eine Stelle, sie finden uns nicht,
ich weiss eine Stelle, ich weiß einen Platz,
da liegt verborgen ein alter Schatz;
Wir werden suchen, du wirst ihn heben,
Wir ziehen ferne, wir werden leben
im fernen Lande, du nur mit mir,
ewig und ewig ich nur mit dir!
Du hast kein Weib an das Herz noch gedrückt,
du weißt nicht wie Weibes Liebe beglückt,
reicher an Liebe sollst du werden,
als jemals Menschen waren auf Erden!
Die Sterne wandeln, die Stunden ziehn,
es ist Zeit, komm, lass uns entfliehn!’

Ihr heißer Odem wie Sturmwind ging,
ihr weisser Arm meinen Nacken umfing,
ihr dunkles Haar, wie Fittich der Nacht,
umfloss des Leibes herrliche Pracht
in meinem Haupte, in meiner Brust
war schwindelnde Wonne, tödliche Lust;
ich beugte mich nieder, ich wollte sie küssen,
da fühlt’ ich mich schaudernd rückwärts gerissen:
„Du küssest die Hexe, du segnest die Schuld,
du hast keinen Teil mehr an göttlicher Huld!“
Auf meinen Lippen starb das Wort,
von meinem Herzen stieß ich sie fort,
Entsetzen jagte mich aus der Kammer
da schrie sie mir nach in Verzweiflung und Jammer;
sie brach zur Erde, sie lag auf den Steinen,
dumpf hinter mir hört ich sie schluchzen und weinen!’

Ich aber ging, ging hinaus in die Nacht,
auf den Knien betend hab’ ich gewacht,
bis die Nacht entwich, bis der Schrecken begann
und es kam der Schrecken, der Tag brach an.
Der Himmel brannte in Morgen – Flammen,
die Menschen rotteten sich zusammen,
im Felde draussen, von Scheitern geschichtet
stand dunkel und düster der Holzstoss errichtet
und aller Augen hingen am Pfahl
da stand sie und harrte ihrer Qual.
Wie taumelnde Vögel, verflattert im Meer
so glitten voll Angst ihre Augen umher;
da trat ich heran mit dem Kruzifix,
ihr Auge erfasste mich suchenden Blicks,
und siehe, und siehe verstohlener Weise
da neigte ihr Haupt sie, da nickte sie leise,
und ein Lächeln erstand in dem süssen Gesicht
wie der scheidenden Sonne verlöschendes Licht.

Die lodernde Fackel der Henker schwang,
ihr lechzendes Aug’ in meine Auge sich trank;
die Flamme griff in das dürre Geäst,
ihr starrenden Augen hielten mich fest;
die Funken flogen wie prasselnder Staub,
ihr Lippen erbebten wie sinkendes Laub,
und plötzlich, und plötzlich vernahm ich ein Klingen,
vom brennenden Holzstoß begann sie zu singen!
Wie Frühlingsregen, durchrauschend die Nacht
so ergriff mich des Liedes süßselige Macht;
mir war’s, als trüge herüber die Luft
fremdländischer Blumen bestrickenden Duft,
als spräch’ eine Stimme zu meinen Ohren
vom seligen Glück, das für ewig verloren.
Die Flamme ergriff ihren nackten Fuss,
Sie neigte sich scheidend zum letzten Gruss;
Der schwarze Rauch sie wirbelnd umschwoll.
ihr klagender Sang aus dem Rauche scholl,
dumpf brausend die Flamme zum Himmel sprang,
wie zitternde Glocken ertönt’ ihr Gesang
die Ohren bedeckt’ ich mit meinen Händen:
„Das Singen, das Singen, wann wird es enden?“
Ich wandte mich schaudernd, ich floh von dem Ort,
die klagende Stimme zog mit mir fort,
wohin ich entfloh, wohin ich entwich,
der Gesang, der Gesang, er begleitete mich.
Ob ich schlummernd lag, ob ich betend gewacht,
zu jeglicher Stunde, bei Tag und bei Nacht,
seit jenem Tage die fünfzig Jahr,
ich höre ihn immer und immerdar!“

Medardus fuhr auf, wild war sein Gesicht:
„Ich höre sie wieder, vernehmt ihr es nicht?
Den Gang herauf, es kommt durch die Thür
sie tritt auf die Schelle ist hier, ist hier!
Du reines Weib, das sie Hexe genannt,
du süßer Leib, den sie schändend verbrannt,
ihr schwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte,
du spielender Glieder süss quellende Blüte,
du liebende Wonne, die einst sich mir bot,
und die ich verachtend verstiess in den Tod,
du rufst mich zum Heil, das ich frevelnd verlor,
du öffnest zur Seligkeit selbst mir das Thor,
nach fünfzig Jahren voll Busse und Pein,
ich komme, um ewiglich bei dir zu sein!“

Er reckte die Arme, er streckte die Glieder
„Medardus ist tot,“ dumpf sprachen’s die Brüder.
Sie knieten im Kreis. Durch die Fenster brach
der grauende Morgen; der Prior sprach:
„Was Menschenaugen nicht fassen, noch seh’n,
dort oben ist einer, der wird es versteh’n,
er hat gesprochen: „Mein ist das Gericht“
geht beten, ihr Brüder und richtet nicht!“

Ernst von Wildenbruch




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Gedichte: Tragik

25.12.2012 um 22:47
Sehnsucht

Was zieht mir das Herz so?
Was zieht mich hinaus?
Und windet und schraubt mich
Aus Zimmer und Haus?
Wie dort sich die Wolken
Um Felsen verziehn!
Da möcht' ich hinüber,
Da möcht' ich wohl hin!

Nun wiegt sich der Raben
Geselliger Flug;
Ich mische mich drunter
Und folge dem Zug.
Und Berg und Gemäuer
Umfittigen wir;
Sie weilet da drunten,
Ich spähe nach ihr.

Da kommt sie und wandelt;
Ich eile so bald,
Ein singender Vogel,
Zum buschichten Wald.
Sie weilet und horchet
Und lächelt mit sich:
"Er singet so lieblich
Und singt es an mich."

Die scheidende Sonne
Verguldet die Höhn;
Die sinnende Schöne,
Sie läßt es geschehn,
Sie wandelt am Bache
Die Wiesen entlang,
Und finster und finstrer
Umschlingt sich der Gang.

Auf einmal erschein' ich,
Ein blinkender Stern.
"Was glänzet da droben,
So nah und so fern?"
Und hast du mit Staunen
Das Leuchten erblickt:
Ich lieg' dir zu Füßen,
Da bin ich beglückt!

Goethe


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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 10:23

Kölner Dombau

Denkt ihr auf Häuser, eh der Gast noch da?
Die Einheit wohnt in Balken nicht und Steinen,
Sie lebt im Fühlen, das dem Herzen nah,
Und was sich liebt, wird sich von selbst vereinen.

Mit eurer Schriften hochhinwehndem Wind
Bewegt die Oberfläche höchstens der Verfasser,
Die Fische bleiben lautlos, wie sie sind,
Und schwimmen unberührt im tiefern Wasser.

Kehrt euch ans Volk mit Taten, nicht mit Witz,
Gebt ihnen erst, was sie verteidgen sollen,
Den Namen Deutscher, macht ihn zum Besitz,
Dann müssen sie nicht können, ob auch wollen,

Macht, daß Verlust des Rechts, das Thronen baut,
Zugleich Verlust sei jedes einzeln eignen,
Dann wie an Franken ihrs und Briten schaut,
Wird vaterländscher Sinn sich nie verleugnen.

Schon früh, auf daß sich Einheit nie verliert,
Erbauten sie den Riesenturm zu Babel,
Doch ward das Wort, wie längst der Sinn, verwirrt,
Und Turm und Widmung kennt nur noch die Fabel.

Franz Grillparzer




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 10:25

Urwanderung

Raunen und Schrei
Fuß vor Fuß!
Winken Hasten Zagen
Hinab zum Fluß!
Schlürfen und Schnaufen
Weiter... weiter!

Ungeheuer!
Schrecken und Wut!
Mann und Weib
Steine in krampfenden Fäusten
Hinweg!... Hinweg!

Rauschen und Wehn!
Hunger!
Rinde und Blatt
Weiter!

Entwurzelter Stamm
In nerviger Faust!
Schwung und Schlag!
Blutiger Fraß!
Fort!

Blendende Strahlen
Aus blutrotem Rund!
Machtvoller!
Hin!

Blindes Dunkel
Grausen um um
Schlaf und Tod
Schrecklicher!
Hilf!

Ruhe und Rast
Weiter und weiter!
Fluß und Tal
Weiter und weiter!
Wasser und Sand
Weiter und weiter!

Weiter! Weiter!

August Stramm




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 10:29

Giganten

Stell’ Dir vor – Urzeitgigant,
lebt heute noch, dicht neben Dir,
trifft auf den Mensch - neuzeitverwandt,
- und Konkurrent - was wird aus Dir?

Im Museum sind sie zahm,
toll anzusehn’ - und grandios…
und wenn Du wegrennst, wirkst Du lahm,
sie gebn’ Dir leicht den Todesstoß.

Sind fünfzehn Meter lang - und wild…
mit Zähnen, scharf wie Messer…
ihm ist’s egal, ob er Dich killt…
ist nur trainiert auf Fresser!

Klar - er rennt schneller, kriegt Dich ein,
kennt keine Gnade, keine Not,
und Du kannst dann nur dankbar sein,
für einen schnellen Tod.

Was würd’ passiern’, wem geht es besser?
Uns? - Mit Geist und mit Verstand?
Oder siegen doch Fleischfresser,
mit denen uns einst nichts verband?

Wir Jäger sammelten noch Beeren,
auch wir hatten Vergangenheit
und konnten uns doch nur schlecht wehren,
gegen die Monster jener Zeit!

Ich kann nur sagen, sein’ wir froh,
jedes Geschöpf lebt seine Zeit.
Die Genesis hielt’s immer so…
ein jeder kommt so weit,

wie Gott es sich hat ausgedacht,
in seiner weisen Güte,
er verteilt nur selten Macht,
auf dass man sie behüte.

Millionen Jahre Übermacht
von Giganten – reicht da kaum…
der Mensch hat’s trotzdem weit gebracht,
zum eignen Lebenstraum.

Drum habe Acht und pass gut auf,
wie Du nutzt verliehne Macht!
Sei dankbar für der Schöpfung Lauf,
geh’ mit ihm um… ganz sacht.

© Ute Kirchhof




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 10:31

Zwei Welten

Ein langgeführtes hohes goldnes Gitter,
Mit kunstgeformten Spitzen dehnt sich weit
In grader Linie aus nach Nord und Süd.
Ein Rasen, englisch zugestutzt, begleitet
Die eine Seite. Und auf dieser Seite,
An einer Stelle, fünfzig Schritt entfernt,
Erhebt ein Hügel sich, auf dem ein kleiner,
Von Säulen, zehn, getragner Tempel prunkt.
Vor diesem Tempel, den ein dunkler Wald
Von Eichen, Buchen, Tannen hinten deckt,
Sitzt nachlässig im roten Sammetsessel,
Im Schatten des Gehölzes, die Prinzeß.
Wie jung ist sie! Den rechten Arm, von dem
Der Ärmel fiel bis auf den Ellenbogen,
Hat sie gehoben, und die Augen folgen,
Mit kindlichem Gelächter, einem Zeisig,
Den grausam ihre Hand am Seidenfaden
Vergeblich Freiheit suchend flattern läßt.
Zwei Ritter, ohne Bart, in grauem Eisen,
Mit seitwärts eingerammten Lanzen, hüten,
Gegossen wie aus Erz, das schöne Fräulein,
Daß keiner ihrem Thron zu nahe trete.
Sie starren trotzig, unbewegten Blickes,
Aus offenem Visir, Ringsum die Stille
Des sonnenheißen Sommernachmittags,
Die nur zuweilen unterbrochen wird,
Wenn sich im leisen Wind die Kronen mischen,
Die wipfelflüsternd an den Tempel grenzen.

Vor jenem Tempel liegt ein breiter Sumpf,
Den selbst die fürchterliche Hitze nicht
Getrocknet hat. In seinem Schlick und Schlamm,
Gradüber der Prinzessin, schläft ein Drache.
Halb Krokodil, halb Schlange, neunmal wohl
So lang wie eines Elephanten Länge,
Zeigt sich an seinem Haupt, das er allein
Aus Torf und Tümpel reglos streckt, ein Horn,
Gebogen wie beim Stier; und rechts und links
Von diesem wurzeln kleine Pferdeohren;
Und schnabelartig, bis zu sechzig Metern,
Ragt vor sein Rachen, der geschlossen ist.
Rings um der Ohren Außenseite sitzen,
An jedem zwölf, die Augen. Ganz bedeckt
Das trübe schwarze Wasser seinen Leib.

Und durch das Schweigen tönt ein Tubaton.
Das Ungetüm schläft unbekümmert weiter.
Die beiden Ritter rücken nicht den Kopf.
Nur die Prinzessin wendet lebhaft sich
Dahin, woher der Schall gekommen ist.
Und höchst lebendig wird's um ihren Stuhl:
Hoffräulein, Pagen, Kammerherrn, Minister
Umgeben wimmelnd ehrfurchtsvoll den Sessel.
Ganz ferne klingt die türkische Trommel her,
Nun mischt sich schon der Beckenschlag dazwischen,
Und näher, immer näher kommt Musik.
Die Wachtparade ist's. Ein schmucker Lieutenant
Ruft gellend durch den Höllenlärm: "Richt euch",
Und senkt den Degen. Hundert stramme Jungen
Marschieren stampfend der Prinzeß vorbei,
Die blanken Helme scharf zu ihr gewendet.
Und schwächer, immer schwächer hallt es her.
Das Ungetüm schlief unbekümmert weiter.
Nun folgen Gaukler, die mit Tellern spielen
- Und alles rasch im Vorwärtsziehen nur -
Und Messer auf den Lippen schweben lassen.
Kameele dann und angeschirrte Panther.
Darauf ein kecker Amazonenzug.
Ununterbrochen, eine volle Stunde
Wirbelt's so weiter: Tanz und Mummenschanz,
Der Araber Fantasia macht Schluß:
Sie sprengen blitzschnell, die Gewehre werfend,
Auf flittertandgeschmückten Berberhengsten
Mit wilden Rufen der Prinzeß vorbei.

Und eine tiefe Stille kommt gezogen.
Das Untier schläft noch immer unbekümmert.
Das Kind auf seinem roten Sammetsessel,
Verlangt nach einer Scheere und zerschneidet
Mit Emsigkeit das Band des Vögelchens,
Das zwitschernd auf zum blauen Himmel strebt.
Entlassen ist der Dienst, die Ritter nur
Bewachen nach wie vor den Marmorstuhl.
Was nun? Das süße Mädchen wirft, belustigt,
Gut zielend, Apfelsinen nach dem Drachen,
Und trifft ihn auch; doch reizt und rührt's ihn nicht.
Da plötzlich dringt ein feiner Sphärenklang,
Sanft wie Schalmei und zart wie Flötenschmeicheln,
Woher?
Doch sind es Flöten und Schalmeien nicht.
Musik, wie nirgends noch gehört auf Erden,
Klingt irgendwo ... Unruhig wird der Krake,
Er hebt den Schnabel hoch und schnuppert
Am goldnen Gitter; und ein einzig Zucken
Des Ungeheuers wühlt den Sudel auf
Und schleudert Pfützenspritzer in die Luft.
Es kriecht hervor, und auf den Vogelfüßen,
Die, dreißig, ihm, mit Schwimmhäuten versehn,
Am Bauche haften, hebt's sich wütend jetzt
Und tobt, des Gatters Stäbe mächtig rüttelnd,
- Der ekle Boden klackt vom Leib ihm ab -
Und schnuppert, wieder, nach den Sternen nun,
Die, trotz der Helle, klar zu sehen sind.
Besuch vom Sirius naht; ihn wittert schon
Das Ungetüm, das auch vom Sirius stammt.

Das Gitter schwindet, schwand; und eine Landschaft,
Von zwanzig Monden violett beschienen,
Zeigt sich auf einer fernen, fremden Welt.
Die Monde löschen aus. Und Finsternis.
In matten ginstergelben Farben kommt
Die Dämmerung. Ein schmaler, langgestreckter,
Von schroffen Felsen eingeengter See
Ruht in der Morgenfrühe ohne Laut.
Durch seine Längenrichtung schwimmt der Krake,
Wie eine Riesenschlange, ab und zu
Den Schuppenrücken krümmend fortbewegend;
Kein Plätschern stört die ungeheure Stille.

Detlef von Liliencron




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 10:33

Der Held ohne Furcht und Tadel
Legende

Seht ihr dort überm grünen Tal,
Das Fels und Wald umkränzen,
Im purpurroten Abendstrahl
Das alte Bergschloss glänzen?

Hoch ragen in der Vorzeit Pracht
Die Türme aus der Schattennacht
Fast tausendjähr’ger Eichen,
Die an die Wolken reichen.

Doch mied das Schloss der Wanderer
Mit flüchtig-scheuem Schritte,
Das Land umher lag wüst und leer,
Entvölkert jede Hütte;

Und Disteln, Dorn und Unkraut nur
Bedeckten die verlassne Flur.
Des Schlosses stumme Mauern,
Sie schienen selbst zu trauern.

Denn in des Tales tiefem Grund
Ließ zu der Menschen Grauen
Mit hungrigem, stets offnen Schlund
Ein Ungetüm sich schauen;

Vom Kopfe bis zum Schlangenschwanz
Bedeckt mit grünen Schuppen ganz
Und tausend Zähn’ im Rachen –
Man nannt’ es einen Drachen.

Des Fräuleins Vater auf dem Schloss,
Ein kühner Held in Kriegen,
Hat’s wohl gewagt auf hohem Ross
Das Untier zu besiegen;


Doch in die Schuppen fest wie Stein
Drang weder Schwert noch Lanze ein –
Vom Ungeheu’r zerrissen
Musst’ er das Wagstück büßen.

In einen hohlen Felsenstein
Des Quellchens Silber quillet,
Schnell tauchet sie ihr Krüglein ein
Und es bis oben füllet.

Doch weh! In naher Höhle Grund
Hebt sich der Drach’ mit offnem Schlund,
Und glutrot aus dem dunkeln
Geklüft’ die Augen funkeln

Doch horch! Sie hört’s mit einem Mal
Wie ferne Donner hallen,
Getroffen wie vom Blitzes Strahl
Sieht sie den Drachen fallen.

Ein Hufschlag war der Donnerhall,
Der Blitz des Speeres blanker Stahl,
Von Rittershand dem Drachen
Geschleudert in den Rachen.

Ha, wie das Tier vor Schmerz und Wut
Sich bäumt und krümmt und schmieget
Und endlich tot in einer Flut
Von schwarzem Blute lieget.

Der edle, hohe Rittersmann
Mit goldner Rüstung angetan,
Nun von dem Schimmel steiget
Und zierlich sich verneiget.

Die Freudenpost: „Der Drach’ ist tot!“
Geht schnell von Mund zu Munde,
Und alles dankt und lobet Gott
Viel Meilen in die Runde.

Mit Freudentränen in dem Blick
Kehrt das verscheuchte Volk zurück –
Das Schloss steht hoch inmitten
Beglückter, froher Hütten.

Der Ritter ward nach seinem Tod
Den Heil’gen beigezählet,
Vom Landmann nach dem lieben Gott
Zum Schutzpatron erwählet.

In mancher Kirche prangt sein Bild
Mit Schwert und Lanze, Helm und Schild;
Der Schimmel nebst dem Drachen
Wird es euch kenntlich machen.

Christoph von Schmid




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 22:03

Wikingerfahrt

Die Segel zerschlissen, zersplittert die Rah,
Das Steuer gebrochen, kein Hafen nah',
Der schuppige Drache gehaun vom Bord:
Doch braust in den Fluten ein freudiger Nord:
Er trägt uns zum Süd,
Wo die Traube glüht,
Zum sonnigen Süd!
Die Mäntel spannet als Segel auf!
Gott Odhin, leih' uns guten Lauf,
Zum Süd, zum sonnigen Süd!

Lang dient' ich dem Kaiser in Byzanz,
Dort ist zu holen Glück und Glanz:
Hei was ich da roten Goldes sah!
Ein Eiland heißet Sizilia,
Dort spülen die Quellen Edelstein
Und blau lacht ewig der Himmel drein:
Und vom selben Baum und vom selben Ast
Ich pflückte die Blüt' und der Goldfrucht Last:
Und nimmer sind' ich Ruh' und Rast
Bis ich wieder der seligen Insel Gast
Im Süd, im sonnigen Süd!

Dort blühen die Weiber in dunkler Pracht
Und die Männer wandeln in Weibertracht,
Sie tragen die Brünne von Gold statt Erz:
Doch darunter pochet ein feiges Herz.
Dies Reich ist ein Becher, gefüllt zum Rand,
Es harrt auf des kühnen Trinkers Hand,
Ist der Goldfrucht gleich, die vollreif glüht,
Der üppigen Witwe, des Schleiers müd:
Zum Süd, zum Süd!
Wir fahren zum sonnigen Süd!

Felix Dahn




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 22:05

Sanct Georg

Wie flog Dein Name von Land zu Land!
Wie eine süße Legende!
Du schwangst Dich auf das geflügelte Roß
So muthig, so behende.
Der Freiheit, der Freiheit! erscholl Dein Gesang:
Es wurde den Alten im Purpur so bang,
Es griffen zum Schwert ihre Hände.
Ich komme zu retten, riefest Du aus,
Die Armen, die Sklaven, die Schwachen!
Mein muthiger Ritter Sanct Georg,
So zogst Du, zu tödten den Drachen.

Und tausendfüßig, schnaubend vor Wuth,
Das Ungethüm kam gekrochen;
Da hast Du heiligen Zorn's Deinen Speer
Tief in den Schlund ihm gestochen.
Und ob er mit scharfen Zähnen auch biß,
Schmerzbrüllend und wüthend zerrte und riß,
Deine Lanze ist nicht gebrochen!
Ihm aber, ihm stürzte rasselnd das Blut
Hervor aus dem furchtbaren Rachen:
Mein muthiger Ritter Sanct Georg
O tödte, o tödte den Drachen!

Noch blitzet Dein Aug', noch flattert Dein Haar,
Noch singst Du heilige Lieder,
Noch hältst du mit nervigem Arm den Speer:
Stoß' nieder, Georg, stoß' nieder!
So ruft Dir Dein Volk, so ruft Dein Genoß',
Denn ob ihm rasselnd ein Blutstrom auch floß,
Der Lindwurm erhebt sich noch wieder!
Der Freiheit gilt es! drum auf und dran!
Bald wollen wir jubeln und lachen!
Mein muthiger Ritter Sanct Georg
Stoß' nieder den furchtbaren Drachen!

Adolf Glaßbrenner




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Gedichte: Tragik

26.12.2012 um 22:11

Lebens-Lieder und Lebens-Bilder.

1. Der Knabe.

Gehört vom Lindwurm habt ihr oft,
Ihr meine Spielgesellen,
Nun wird es wahr, was ich gehofft,
Den Drachen werd' ich fällen.
Er liegt gekrümmt am dunklen Ort
Im kleinen Schrank am Spiegel dort,
Da hat er seine Höhle.

Ihr seid die beiden Doggen traut,
Die ich zum Kampfe brauche,
Ich treib' euch an, ihr heulet laut
Und packt ihn unterm Bauche.
Ich geh' mit Schwert und Schild voran,
Mit Helm und Panzer angethan,
Und schrei' ihn aus dem Schlafe.

Hervor! hervor! du Höllenbrut!
Da, seht den grimmen Drachen!
Hu! wie er Feuer speit und Blut
Aus weit gesperrtem Rachen!
Wir kamen unbedachtsam nicht
Zu diesem Strauß, thut eure Pflicht,
Ihr meine guten Doggen.

Und schnappt er gierig erst nach mir,
Ich werd' ihn listig fassen,
Die aufgehäuften Bücher hier
Sind schwere Felsenmassen,
In seinen Rachen werf' ich sie,
Du Untier, erst verschlucke die,
Bevor du mich kannst beißen.

Die Schlacht beginnt, wohl aufgepaßt!
Wir wollen Gutes hoffen;
Er denkt: er hält mich schon gefaßt,
Sein weites Maul ist offen, –
Der dicke Scheller fliegt hinein,
Die andern folgen, groß und klein,
Der Bröder und der Buttmann.

O Buttmann! o was thust du mir,
Du dummer, zum Verderben?!
Du triffst den Spiegel, nicht das Tier,
Da liegen, ach, die Scherben!
Der dumme Spiegel nur ist schuld,
Und tragen soll ich in Geduld
Deshalb noch viele Schläge.

Das Glück hat feindlich sich erprobt,
Getrost, ihr Spielgesellen;
Ich werde, wenn der Meister tobt,
Mich selbst für alle stellen.
Er schlage mich nach Herzenslust,
Daß er es kann, ist mir bewußt,
Doch wird es so nicht dauern.

Ich bin auf immer nicht ein Kind,
Es wird das Blatt sich wenden.
Die durch die Rute mächtig sind,
Die Ruten werden enden.
Ich hab' als Kind den Schwur gethan,
Und bin ich erst erwachs'ner Mann,
Dann weh' den Rutenführern!


2. Das Mädchen.

Mutter, Mutter! meine Puppe
Hab' ich in den Schlaf gewiegt,
Gute Mutter, komm und siehe,
Wie so englisch sie da liegt.

Vater wies mich ab und sagte:
Geh', du bist ein dummes Kind!
Du nur, Mutter, kannst begreifen,
Welche meine Freuden sind.

Wie du mit den kleinen Kindern,
Will ich Alles mit ihr thun,
Und sie soll in ihrer Wiege
Neben meinem Bette ruh'n.

Schläft sie, werd' ich von ihr träumen,
Schreit sie auf, erwach' ich gleich, –
Meine himmlisch gute Mutter,
O wie bin ich doch so reich!


3. Er

Möchte doch Einer die Fäuste sich nagen!
Also zu jung! nicht stark noch genug!
Hören muß ich die Trommel schlagen,
Sehen die andern Waffen tragen,
Fernab ziehen, verschwinden den Zug.

Hören muß ich, und ruhig kauern,
Schelten der Fremden Übermut;
Sehen die Mutter beten und trauern,
Aber gefangen in diesen Mauern
Kühlen am Tacitus meine Wut.

Ziehet, ihr glücklichen, fröhlichen Fechter,
Sorget, daß ihr vom Joch uns befreit;
Aber bestellt mich vertrauend zum Wächter
Über die künftigen Schergengeschlechter,
Einst auch kommen wird meine Zeit.


4. Sie.

Mutter, Mutter! unsre Schwalben –
Sieh' doch selber, Mutter, sieh'!
Junge haben sie bekommen,
Und die Alten füttern sie.

Als die lieben kleinen Schwalben
Wundervoll ihr Nest gebaut,
Hab' ich stundenlang am Fenster
Heimlich sinnend zugeschaut;

Und wie erst sie eingerichtet
Und bewohnt das kleine Haus,
Haben sie nach mir geschauet
Gar verständig klug hinaus.

Ja, es schien, sie hätten gerne
Manches heimlich mir erzählt,
Und es habe sie betrübet,
Was zur Rede noch gefehlt.

Also hab' ich, liebe Schwalben,
Unverdrossen euch belauscht,
Und ihr habt, mit euren Rätseln,
Wunderseltsam mich berauscht;

Jetzt erst, jetzt hat das Geheimnis,
Das ihr meintet, sich enthüllt,
Eure heimlich süße Hoffnung
Hat sich freudig euch erfüllt.

Sieh' doch hin! die beiden Alten
Bringen ihnen Nahrung dar.
Giebt es Süßeres auf Erden,
Als ein solches Schwalbenpaar!


5. Er.

Kraft der Erde, Licht der Sonne,
Schäumt der edle Wein;
Laßt, ihr Brüder, ernst und heilig
Unsre Stimmung sein.

Heute nicht dem Rausch der Freude,
Nicht der eitlen Lust,
Nein, dem Gotte soll er gelten
Tief in unsrer Brust.

Gleich dem Weine warm und kräftig,
Lauter, rein und klar,
Bringen wir das volle Leben
Ihm zum Opfer dar.

Schmach der Feigheit! Krieg der Lüge!
Allem Schlechten Krieg!
Herrlich für die Freiheit sterben,
Herrlicher der Sieg!

Wir für Menschenrecht und Würde
Kämpfen allzumal,
Weihen den gefall'nen Helden
Funkelnd den Pokal.


6. Sie.

Rose, Rose, Knospe gestern
Schliefst du noch in moos'ger Hülle,
Heute prangst in Schönheitsfülle
Du vor allen deinen Schwestern.
Träumtest du wohl über Nacht
Von den Wundern, die geschahen,
Von des holden Frühlings Nahen
Und des jungen Tages Pracht?


7. Er.

Ich hab' in den Klüften des Berges gehaust
Gar manche schaurige Nacht,
Und wann in den Föhren der Sturm gesaust,
Recht wild in den Sturm gelacht.

Da, wo die Spur sich des Menschen verlor,
Ward's erst mir im Busen leicht;
Ich bin geklommen auf Gipfel empor,
Die sonst nur der Adler erreicht.

Das Land, vom luftigen Horst geschaut,
Lag unten, von Wolken verdeckt;
Da schallte mein Lied gar grimmig und laut, –
Das Lied – hat schier mich erschreckt.

Und nieder trieb mich die grausige Lust
Am Strom der Wildnis entlang;
Ihn überschrie aus bewegter Brust
Mein seltsam brausender Sang.

Der Strom vertobt in ein friedliches Thal,
Dort liegt ein einsames Haus –
Ein Rosengarten – ein Gartensaal –
Es schaut wohl jemand heraus.

Und wie ich schweifend vorübergewallt
Am Hag, wo die Rosen sind,
Sind alle die schaurigen Lieder verhallt,
Ich ward so ein sanftes Kind!


8. Sie.

Ich muß den Zweig, den bösen Rosenzweig
Verklagen.
Er bat so sanft, wie sollt' ich den ihm gleich
Versagen?

Doch war's, daß ich ihn selbst zum Strauch geführt,
Nicht weise,
Wo seine Hand die meinige berührt,
So leise.

Und als er zögernd aus dem Garten war
Gegangen,
Stand zitternd ich, als hätt' ich Böses gar
Begangen.

O hätt' ich seiner holden Rede nicht
Gelauschet!
Mich nicht an seines Auges klarem Licht
Berauschet!

Nun trag' ich unablässig, schreckhaft, bang,
Mit Schmerzen,
Das Licht des Auges und der Stimme Klang
Im Herzen.


9. Er.

Ein Rosenzweig dich schmücken?
Du Wilder, wie will sich's schicken?
Was hast du mit Rosen gemein?
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Zwei Knospen am Zweig und die Rose
Entscheiden nun meine Lose,
Die Dreie, die mein' ich allein. –
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Die Rose, die zarte, blühet,
Die Liebe blühet und glühet,
Das fühl' ich im Herzen mein. –
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Noch Knospen im grünen Laube,
Die Hoffnung und der Glaube,
Sie müssen zur Blüte gedeih'n. –
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Ich pflanz' ihn in meinen Garten,
Den Zweig, und seiner zu warten.
Dem will ich ernst mich weih'n. –
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Ich seh' ihn im freudigen Traume
Erwachsen zum starken Baume,
Mein Obdach soll er sein. –
Es stehen drei Sterne am Himmel,
Die geben der Lieb' ihren Schein.

Und hat der Traum mich betrogen,
Verdorrend der Zweig mich belogen,
Mag alles dann Lüge sein;
Dann steht kein Stern am Himmel,
Kein Stern giebt der Liebe den Schein.


10. Sie.

Hör' ich seine Stimme wieder?
Weh' mir, weh' mir! welche Lieder!
Ach! was hab' ich ihm gethan?
Mitleid sollt' er an mir üben,
Aber nur mich zu betrüben
Sinnt der schonungslose Mann.

Vor den Liedern sollt' ich fliehen,
Mich verbergen, mich entziehen
Der bezaubernden Gewalt –
Aber lauschen muß ich, lauschen,
Gierig, schmerzlich mich berauschen,
Bis der letzte Ton verhallt.

Schweigt er, hallt in mir die Weise
Nach, gar unbegriff'ner Weise,
Traurig mild, und schaurig wild. –
Und die Träume! Wehe, wehe!
Wann ich leuchtend vor mir sehe
Wundersam sein hohes Bild.


11. Er.

Am Rosenhag im Thal, am Quell der Linden,
Da haben meine Lieder oft gerauscht;
Sie hofften gläubig, Widerhall zu finden;
Hast, Widerhall, den Liedern du gelauscht,
Und ahnungsvoll gebebt bei ihrem Klange? –
Lange!

Geahnet hättest du, daß ich dich meinte,
Und dich in Schmerz und Lust mit mir vereint?
Und hättest bald, wenn ich verzagend weinte,
Betrübet und verzagend auch geweint?
Und bald gehofft, wann ich ermutigt hoffte? –
Ofte!

Du kennst das unbegriff'ne bange Sehnen,
Den Widerstreit in der bewegten Brust?
Den Hochgesang der Freuden und die Thränen,
Den liebgehegten Schmerz, die herbe Lust?
Der Hoffnung Honigseim, des Zweifels Galle? –
Alle!

Wohlan! Ich werde geh'n, mein Haus zu bauen:
Sei fest, wie ich es bin, gedenke mein.
Den dreien Sternen will ich fest vertrauen,
Die dort der Liebe geben ihren Schein;
Und wirst auch du vertrauen ihrem Schimmer? –
Immer!

So lebe wohl, du Seele meiner Lieder,
Und nur auf kurze Zeit verstumme du,
Gar bald erweckt dich meine Stimme wieder,
Dann rufen wir es laut einander zu,
Was ungesagt verschwiegen nicht geblieben, –
Lieben!


12. Sie.

So still das Thal geworden! – ach! die Lieder,
Seitdem er fortgezogen, sind verhallt;
Und sorglos wandl' ich, aber trauernd wieder
Am Quell der Linden, wo sie sonst geschallt.

Der Winter schleicht heran, die Bäume zeigen
Die Äste schon vom falben Schmuck beraubt,
Mein Rosenbaum wird bald die Krone neigen,
Vom Reife schwer und schimmernd neu belaubt.

Und auch auf meinen Wangen, hör' ich sagen,
Entfärben sich die Rosen, sie sind bleich;
Und mir ist wohl, ich habe nicht zu klagen,
Ich bin in der Erinnerung so reich!

Er hat, der Morgensonne gleich, dem Traume,
Dem nächtlichen, der Kindheit mich entrückt;
Er schreite vor im lichterfüllten Raume,
Es sinkt mein Blick geblendet und entzückt.

Ich werde nicht, einfält'ges Kind, begehren,
Daß mir die Sonne nur gehören soll;
Mag flammend mich ihr mächt'ger Strahl verzehren,
Ich segne sie und sterbe freudenvoll.


13. Er.

Wie stürmte der Knab' in das Leben
So feindlich schroff und ergrimmt! –
Ein Blick in dein klares Auge,
Ein Blick in den reinen Himmel,
Wie friedsam ward er gestimmt!

Er liegt, der Wilde, besänftigt,
Gelassen, besonnen und mild,
Zu deinen Füßen gebändigt,
Und hebet zitternd die Hände
Zu dir, du friedliches Bild!

Ich habe mir einen Garten
Bestellt nach allem Fleiß;
Da seh' ich die Rosen erblühen,
Sich härmen und still verglühen,
Von denen die Herrin nicht weiß.

Ich hab' ein Haus mir erbauet,
Begründet es dauerhaft;
Das seh' ich so düster trauern,
Weil nicht in den öden Mauern
Die segnende Hausfrau schafft.

Ich habe von reinem Golde
Bestellt mir einen Ring.
Den Ring – ich zittre verstummend –
Den Ring, du Reine, du Holde,
Nimm au den goldenen Ring.

Den Gartenhag und die Rosen,
Das Haus, des Ringes Zier,
Mein Herz und meinen Frieden,
Mein Leben und mein Lieben,
Die leg' ich zu Füßen dir.


14. Sie.

Mein güt'ger Herr, du willst herab dich lassen
Beseligend zu deiner armen Magd!
Mir hat die Sonne deiner Huld getagt!
Ich kann es nicht ermessen, nicht erfassen.

Du sollst nicht wirre Träume neu beleben,
Mein inn'res Herz nicht rufen an das Licht.
Laß ab, du täuschest dich, du kennst mich nicht,
Ich habe nichts als Liebe dir zu geben.

Laß ab, du Vielgeliebter, von der Armen,
Die schon der Liebe Schmerz um dich beglückt;
Sie heißt dich flieh'n, und fest und fester drückt
Sie wonnetrunken dich in ihren Armen.


15. Er.

Wie klang ans deinem Munde
Das Ja so wunderbar?
Ich bin nun zwei geworden,
Der ich so einsam war.

Sie.
Wie klang es aus deinem Munde
Beseligend meinem Ohr?
Ich habe Ruhe gefunden,
Da ich in dir mich verlor.

Er.
Mein Kind, mein Weib, mein Liebchen,
Mein süßes Eigentum,
Du meines Laubes Blume,
Du meine Freude, mein Ruhm!

Sie.
Dein Kind, dein Weib, dein Liebchen,
Und deine Magd, und dein!
Mein teurer Herr, mein Gebieter,
Du Vielgeliebter mein!

Er.
Wie anders ergeht in die Zukunft
Sich nun der Gedanken Flug!
Nun gilt es, stark zu erhalten,
Beharrlich, besonnen und klug.

Sie.
Vergessen aller Zeiten
An deiner lieben Brust!
Der Gegenwart genießen
In süßer, himmlischer Lust!

Beide.
Wirf, segenreicher Vater,
Den Blick auf die Kinder dein,
Und laß ihre fromme Liebe
Ein Dankgebet dir sein.


16. Sie.

Du schlummerst, feiner Knabe,
Du meiner Freuden Kind,
So sanft in meinen Armen,
Die deine Welt noch sind.

Nun wachst du auf, du lächelst,
Ich blicke wonnereich
In deines Vaters Augen
Und in mein Himmelreich.

Laß schwelgend mich genießen
Der süßen kurzen Frist,
Wo noch an meinem Herzen
Du ganz der Meine bist.

Es will sich bald nicht passen,
Es treibt und dehnt sich aus,
Es wird dem lock'gen Knaben
Zu klein das Mutterhaus.

Es stürmt der Mann ins Leben,
Er bricht sich seine Bahn;
Mit Lieb' und Haß gerüstet
Strebt kämpfend er hinan.

Und der verarmten Mutter
Ist nun Entsagung Pflicht;
Sie folgt ihm mit dem Herzen,
Ihr Aug' erreicht ihn nicht.

O Liebling meines Herzens,
Mein Segen über dich!
Sei gleich nur deinem Vater,
Das Andre findet sich.


17. Er.

Dein Vater hält dich im Arme,
Du goldenes Töchterlein,
Und träumt gar eigene Träume,
Und singt und wieget dich ein.

Es eilt die Zeit so leise,
Gewaltig und geschwind,
Aus enger Wiege steiget,
Hervor das muntere Kind.

Das Kind wird still und stiller,
Es drängt an die Mutter sich;
Wie blühet heran die Jungfrau
Bewußtlos so minniglich.

Ein Himmel, welcher Tiefe!
Ihr Auge so blau und klar!
Wie bist du gleich geworden
Der Mutter, die dich gebar!

Nun übertauen Perlen
Des hellen Blickes Glanz,
Nun will der Zweig der Myrte
Sich biegen zum bräutlichen Kranz.

Dein Vater hält dich im Arme.
Du goldenes Töchterlein,
Und träumt von deiner Mutter,
Und singt und wieget dich ein.


18. Sie.

Du liebst mich wohl', ich zweifle nicht daran,
Und lebte nicht, wenn mir ein Zweifel bliebe,
Doch liebst du mich, du lieber böser Mann,
Nicht so, wie ich dich liebe.

Geteilten Herzens, halb, und halb wohl kaum,
Wann eben Zeit und Ort es also geben,
Du aber bist mein Wachen und mein Traum,
Mein ganzes Sein, mein Leben.

Du kennst nicht deiner süßen Stimme Macht,
Wenn du dich liebeflüsternd zu mir neigest;
Ein armes Wort, das schon mich selig macht,
Du sprichst es nicht, du schweigest.

Noch winde dich aus meinem Arm nicht fort,
Laß lesen mich aus deinen lieben Augen,
Und von dem kargen Lippenpaar das Wort,
Das ungesproch'ne, saugen.


19. Er.

Ich werde nicht mit dir, du Süße, rechten, –
Dich lieben, so wie du mich liebest? nein.
Aus Rosen laß den Siegerkranz dir flechten,
Der Liebe Preis ist dein.

Die Lieb' umfaßt des Weibes volles Leben,
Sie ist ihr Kerker und ihr Himmelreich.
Die sich in Demut liebend hingegeben,
Sie dient und herrscht zugleich.

Gekehrt nach außen ist des Mannes Trachten,
Und bildend in die Zukunft strebt die That.
Als Pflegling muß die Liebe den betrachten,
Dem segnend sie sich naht.

So hab' ich dir im allgemeinen Bilde,
Beglückende, dein eigenes gezeigt,
Dein Bild, vor dem der Ungefüge, Wilde
Sich sanft gebunden neigt.

O lasse mich in deinen lieben Armen
Vergessen dieser Zeiten düstern Schein,
In deiner lieben treuen Brust erwarmen
Und reich und glücklich sein.


20. Sie.

Es wallt das Gewölk herüber,
Verhüllt, verfinstert meinen Stern.
Es faltet sich trüb und trüber
Die Stirne meines teuern Herrn.

Zu dir erhebet die Hände,
Erbarmer, die gebeugte Magd;
Du, schaffe des Grames Ende,
Der meinem Herrn am Herzen nagt.

Wo nicht sie vermag zu heilen,
Vertraut die Liebe dir allein!
Befiehl dem Gewölk sich zu teilen,
Gieb meinem Stern du seinen Schein.


21. Er.

Sei stark, du meine Männin, reiche mir
Und weihe, sie berührend, meine Waffen;
Nicht thöricht gilt's die Welt mehr umzuschaffen,
Sei stark, für Recht und Ordnung kämpfen wir.

Bricht selbstverschuldet Unheil auf ein Land,
Und krächzet mahnend links am Weg der Rabe,
Wird ihm verderblich seine Sehergabe,
Ihm giebt des Unheils Schuld der Unverstand.

Es hob sich wider mich der Thoren Zunft,
Sie stürmten auf mich ein, mich zu zerreißen;
Ich, Rabe, schrie: die schwangre Zeit will kreißen! –
Nun bebt die Welt bei ihrer Niederkunft.

Das haben ja die Kinder schon gewußt,
Und jene haben doch das Wort gesprochen;
Nun ist der Tag des Blutes angebrochen;
Mit Erz umgürte sich jedwede Brust.

Wir ziehen trauernd in die Männerschlacht,
Und über Trümmern kämpfen wir und Leichen.
Fluch über sie, die uns den Ölzweig reichen
Verschmähend sah'n, und Krieg uns zugebracht!

Fluch über sie! denn losgerissen stürzt
Anwachsend die Lawin' und schafft Verderben.
Für Recht und Ordnung gilt's annoch zu sterben –
Wer weiß, wie morgen sich der Knoten schürzt?

In Zwietracht auf erkämpftem Boden mag
Sich leicht die Schar zerspalten der Genossen,
Die heut' um mich den Heldenkreis geschlossen,
Sind Feinde mir vielleicht am nächsten Tag.

Ich werde stehen, wo ich soll und darf,
Und fallen, muß es sein, wo Edle starben,
Für Recht und Ordnung wehen meine Farben,
Für Recht und Ordnung ist der Tod nicht scharf.

Ich deck' euch kämpfend mit dem eig'nen Leib;
Umarme mich noch einmal, laß das Weinen,
Bring' her mir meine beiden armen Kleinen,
Und nun – – leb' wohl, du vielgeliebtes Weib.


22. Sie.

Bestreut mit Eichenlaub die Bahre dort – –
O meine Kinder! so wird hergetragen,
Der unser Vater war und unser Hort,
Sein Herz hat ausgeschlagen.

Heb' auf das Tuch, du bist sein einz'ger Sohn;
Dem Sohne wird die Wunde dieses Helden,
Was Mannestugend sei, und was ihr Lohn,
Gar unvergeßlich melden.

Des Namens Erbe, den er sich erwarb,
Sollst trachten du dereinst nach gleichem Adel
Und sterben, muß es sein, so wie er starb,
Stets ohne Furcht und Tadel.

Du, Auge meiner Freude, fielest zu,
Dich, süßer Mund, erschließet nicht mein Sehnen, –
Ja, weine, meine Tochter, weine du,
Ich habe keine Thränen.

Adelbert von Chamisso




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