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Welches Buch lest ihr gerade?

7.466 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Welches Buch lest ihr gerade?

02.06.2025 um 12:38
https://www.piper.de/buecher/bewusstseinskultur-isbn-978-3-8270-1488-7#detail-rezensionen

Bewusst seins Kultur von Thomas Metzinger.

Hat wohl gute ansätze etwas zu ändern. Bin gespannt. Mal schauen was ich für mich rausholen kann.

Wie bewahrt man seine selbstachtung in einer historische Epoche, in der die Menschheit ihre Würde verliert.

Hoffe es ist trotz allem ein Positives Buch mit gute denkansätze.


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05.06.2025 um 15:59
Melanie Raabe - der längste Schlaf

Die Handlung des Buches war unerwartet, und einer der interessantesten Romane, den ich seit langem gelesen habe.

Es handelt von einer Schlafforscherin, die nicht schlafen kann, und unerwartet ein Haus erbt.
Mehr will ich nicht verraten.


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07.06.2025 um 17:09
Reinhard Wittmann - Geschichte des deutschen Buchhandels

wittmann

Ich habe dieses Werk des Münchner Literatur- und Buchwissenschafters Reinhard Wittmann in der zweiten Auflage aus 1999 vorliegen, aktuell ist die dritte aus 2011. Es gibt einen Überblick nicht nur über den Buchhandel mit Handschriften im Mittelalter bis zum Ende des zweiten Jahrtausends, sondern auch Einblick in Verlage, die Vertragsverhältnisse der Schreibenden und die Leserschaft. Wenn immer möglich, sind die Aussagen mit statistischen Zahlen unterlegt.

Nachvollzogen wird der Transfer der Buchzentren vom ursprünglich südwestdeutschen Raum (Nürnberg, Augsburg, Straßburg, Köln, Basel) im Lauf des 18. Jahrhunderts ins liberalere Sachsen mit dem Zentrum Leipzig. Erst mit der DDR verlagerte sich das Zentrum in den Westen nach Frankfurt/Main, wo es sich auch heute noch befindet.

Lange Zeit war aufgrund der Verkehrsverhältnisse es mehr oder weniger nur bei den Buchmessen möglich, Bücher zu verteilen, und diese nicht gebunden, sondern in ungebundenen Bögen. Verkauft wurde es von Buchführern an den langsam beginnenden stationären Handel, der jedoch nicht wie heute binnen kürzester Zeit Bücher bestellen konnte. Verkauft wurde hauptsächlich auf Märkten. Die Darstellung des Buchführers Hainrich Kepner aus Nürnberg (1543) ist nun auch als gemeinfreies Bild auf Wikimedia:

Landauer I 031 vOriginal anzeigen (0,4 MB)

Über die unsichere Exitenz von Buchführern schrieb noch Johann Gottfried Herder Ende des 18. Jahrhunderts:
„Der Buchführer muß zur Messe reisen, ein großes Kapital zum Ankauf der Bücher anlegen, die theure Fracht und Assekuranz bezahlen: von den mitgebrachten Büchern sezt er etwa den vierten Theil ab, aber gemeiniglich auf Credit; die Bezahlung erfolgt erst nach geraumer Zeit, wohl gar mit einigem Verlust. Manches Buch liegt mehrere Jahre unverkauft."
Auch war lange Zeit aufgrund der hohen Preise und der geringen Alphabetisierung der Bevölkerung nur einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung es möglich, Bücher zu erwerben. Dennoch war vor allem zur Zeit der Reformation und der Bauernkriege in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Verbreitung schriftlicher Propaganda enorm, da die Herstellung billig war und sich wohl ausreichend Vorleser fanden.

Beinahe durchgehend ist der Streit zwischen Verlagen und Autor:innen um das Honorar. Verlage wollen am liebsten nichts zahlen. Hauptberufliche Schriftstellerei war und ist eine prekäre Angelegenheit. Nur sehr wenige können bis heute vom Buch- und Textverkauf gut leben. Marktgerechte Honorare wurden ab ca. 1800 üblich, zuvor sind Selbstverlagsinitiativen wie z. B. von Klopstock gescheitert. Aber noch Theodor Fontane klagte:
„Die Stellung eines Schriftstellers ist miserabel. Welchem Lande nach dieser Elendsseite hin der Vortritt gebührt, mag schwer festzustellen sein, doch wird sich vielleicht sagen lassen, dals Preußen-Deutschland immer mit an erster Reihe figuriert hat und erfolgreich bemüht ist, sich auf dieser alten Höhe zu halten. Die, die mit Literatur und Tagespolitik handeln, werden reich, die sie machen, hungern entweder oder schlagen sich durch. Aus diesem Geld-Elend resultiert dann das Schlimmere: der Tintensklave wird geboren. Die für die Freiheit arbeiten, stehen in Unfreiheit und sind oft trauriger dran als mittelalterliche Hörige."
Für 1911 zieht Wittman eine Informationsbroschüre des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller heran. Die Autoreneinkommen seien wie folgt gewesen:
Nach Freds Bereichnungen waren mit Dramen, insbesondere Lustspielen, leicht jährliche Einkommen von 10000 bis 15000 Mark erzielbar, die bei Publikumserfolgen bis auf 100000 Mark ansteigen konnten (dies entsprach den Tantiemen von Gerhart Hauptmann). Bei jährlicher Verfertigung von zwei erfolgreichen Romanen sei mit 25000 bis 50000 Mark Jahreseinkommen zuzüglich Buchhonoraren zu rechnen. An der unteren Grenze der schriftstellerischen Einkommensskala reihte Fred jene Autoren ein, die vom journalistischen Vertrieb kleinerer Arbeiten lebten: Sie hätten sich mit weniger als 10000 Mark im Jahr zu bescheiden. Immerhin lag das Durchschnittseinkommen eines Verwaltungsangestellten damals bei 2500 Mark jährlich.
Wolfgang Koeppen 1972: „Werde ich krank, unfähig, bleibe ohne Einfall, stürze ich ab."

Zurück ins 18. Jahrhundert. Aufgrund der hohen Buchpreise und der schwierigen Transportverhältnisse blühte das Nachdruckwesen ("Raubkopien"), das in Wien sogar von höchster Stelle gefördert wurde, so von Erzherzogin Maria Theresia (der angesprochene Trattner ist ein Top-Verleger in Wien, Sonnenfels ein Schriftsteller):
„Unterdessen aber, lieber Trattner, sagen Wir ihm, daß es unser Staatsprinzip sei, Bucher hervorbringen zu lassen, es ist fast gar nichts da, es muß viel gedruckt werden. Er muß Nachdrucke unternehmen, bis Originalwerke zustande kommen. Drucke Er nach. Sonnenfels soll ihm sagen, was."
Erste Urheberrechtsinitiativen begannen beim Wiener Kongress 1815, aber zunächst nur für Verlage, die mit dem Kauf eines Manuskripts ewige Verwertungsrechte beanspruchten. Die Interessen der Autor:innen fanden erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zaghaft Eingang in Gesetze, 1870 in ein gesamtdeutsches Gesetz. 1825 gründete sich als Interessensvereinigung der Börsenverein der Deutschen Buchhändler. 1888 wurde vom Börsenverein die Buchpreisbindung beschlossen.

Der Vertrieb durchlief folgende Entwicklungsstufen:


  1. Tauschhandel: Die Verleger tauschten auf Buchmessen gegeneinander Druckbögen und versuchten sie dann in ihrem Einflussbereich zu verkaufen.
  2. Nettohandel: Bücher werden vom Zwischenhändler und vom Sortiment gekauft. Was nicht verkauft werden kann, ist Verlust.
  3. Kommissionshandel: Abgerechnet wird nur, was verkauft wird. Unverkauftes wird einmal im Jahr den Verlagen auf einer Buchmesse zurückgegeben.


Raum widmet Wittmann auch staatlichen Eingriffen in das Buchwesen. So konstatiert er, dass nach der Zensur bis zur Märzrevolution 1848 sich ein juristisches System durchsetzte, das nicht das Buch, sondern Personen angriff: Verbreitung und/oder Verfassen von Schriften, die gegen ein Gesetz verstießen. Besonders perfide sei dies im Nationalsozialismus gewesen, wo es keine Vorzensur gab, aber wenn eine Veröffentlichung dem NS-System sauer aufstieß, konnte dies das Leben der Beteiligten kosten. Wer noch blieb und schrieb (also in der Reichsschrifttumskammer Mitglied war), lebte in permanenter Angst und dauernder Selbstzensur.

Das Verlagssystem wurde während des Nationalsozialismus in seiner Eigentümerstruktur radikal verändert: Jüdische Verlage wurden arisiert, verschwanden oder schafften es, durch nichtjüdische Treuhänder zu überleben. In der DDR mussten Verlage in den Westen gehen, um nicht verstaatlicht oder scheinverstaatlicht (Parteieigentum) zu werden.

In der Bundesrepublik, in der Verlage praktisch ungehindert tätig sein konnten, steigerte sich die Zahl der jährlichen Neuerscheinungen von 14.000 (1951) auf 67.000 (1980). Auch wurde der Preis von Büchern erschwinglicher:
Insgesamt sind die Durchschnittsladenpreise für Bücher weit weniger gestiegen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten, nämlich von 6,84 DM im Jahr 1951 auf 40,46 DM im Jahr 1997. Ein Roman, der damals zehn Mark kostete, müßte (nach Stundenlöhnen berechnet) heute für 185 Mark verkauft werden.
Beobachtbar ist eine Eigentümerkonzentration sowohl bei Verlagen als auch beim Buchhandel. Die Verlage werden von zwei Eigentümergruppen dominiert: Bertelsmann und Holtzbrinck. Von den bedeutenden Verlagen waren 1999 Suhrkamp, Hanser, Aufbau und Luchterhand unabhängig. Letzterer wurde 2001 von Random House (Bertelsmann) übernommen.

Diese Auflage endet wohl zu einer Sattelzeit: Am Beginn des elektronischen Zeitalters, das sowohl den Vertrieb (Internet; Amazon wird genannt) wie auch die Welt der Trägermedien (elektronisches Buch) ändern wird. Wohin die Reise geht, wagt Wittmann nicht zu prognostizieren, denkt jedoch, dass aufgrund der Unsicherheit bezüglich Langlebigkeit von Speichersystemen das Papierbuch nicht untergehen werde.


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07.06.2025 um 23:06
The Perfect Parents
J.A. Baker

202219952

Jackson and Lydia Hemsworth are pillars of the community, feted for having the perfect marriage and three wonderful children – Florence, Jessica and Ezra.

But appearances can be deceptive.

Because behind closed doors Jackson Hemsworth rules his family with cruelty and control. His marriage is a sham; his children for years have cowed in fear.

Until the day that Jackson and Lydia throw themselves off Newport Bridge in a joint suicide pact – the final cruel blow by Jackson to control his wife and torture his adult children.

As the Hemsworth siblings return to their family home, they must try to make sense of their parents’ last act. But there are many dark secrets waiting to be unearthed at Armett House.

Like, why are the townsfolk so suddenly hostile towards them? And who are the strangers who arrive at Armett House unannounced? And why has their mother’s body still not been found?

In the aftermath of their parents’ death, it becomes clear that something terrible is about to be exposed about the Hemsworths’ perfect parents.

A secret they may all wish had stayed hidden...


Quelle: https://www.goodreads.com/book/show/202219952-the-perfect-parents

Jackson und Lydia Hemsworth galten in ihrer Stadt als Vorzeigepaar — angesehen, mit einer scheinbar perfekten Ehe und drei erfolgreichen Kindern: Florence, Jessica und Ezra. Doch hinter verschlossenen Türen herrschten Missbrauch und Kontrolle. Jackson tyrannisierte seine Familie über Jahre hinweg, stellte jungen, minderjährigen Mädchen nach.

Eines Tages stürzen sich Jackson und Lydia in einem gemeinsamen Suizid von der Newport Bridge. Für die Kinder ist das ein Schock. Als die Geschwister ins Elternhaus, Armett House, zurückkehren, versuchen sie, den Grund für die Tragödie herauszufinden.

Doch mit ihrer Rückkehr tauchen neue Fragen auf: Warum begegnen ihnen die Menschen im Ort plötzlich mit offener Feindseligkeit? Warum blieb Lydia bis zum Ende bei Jackson und ließ sich nicht einfach scheiden?
Und warum bleibt Lydias Leiche verschwunden?

Je tiefer die Geschwister in die Vergangenheit eintauchen, desto deutlicher wird, dass ihre "perfekten" Eltern dunkle Geheimnisse verbargen — und dass etwas Schreckliches kurz davorsteht, ans Licht zu kommen.

Das Ende des Buches ist relativ vorhersehbar, da im Verlauf der Handlung zahlreiche Hinweise auf die spätere Auflösung gestreut werden. Gleichzeitig ist die Erzählweise teils verwirrend: Die Perspektiven von Florence und Jessica werden in der Ich-Form erzählt, während Jackson und Lydia in der dritten Person dargestellt werden. Ezra hingegen bleibt stumm und entwickelt sich kaum über eine Nebenfigur hinaus. Insgesamt wirken die Charaktere wenig ausgearbeitet und bleiben recht blass. Statt eines spannungsgeladenen Thrillers entwickelt sich die Geschichte eher zu einem klassischen Familiendrama.


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10.06.2025 um 10:53
Ljuba Arnautovic - Im Verborgenen

Arnautovic-Im Verborgenen

Die österreichischen Autorin Ljuba Arnautovic zeichnet in diesem 2019 erschienenen ersten Band ihrer Familientrilogie das Leben ihrer Großmutter mütterlicherseits nach, wobei sie nicht chronologisch erzählt, sondern zwischen den Zeiten und Figuren hin und her springt.

Genovefa wächst in einem Arbeiterhaushalt auf, heiratet zunächst einen Bosnier, deren Ehe schließlich geschieden wird, mit einem Lebensgefährten (Karl), den sie nicht mehr heiraten kann, hat sie einen zweiten Sohn (auch Karl). Sie ist aktiv in der Sozialdemokratie tätig, nähert sich den Kommunisten an und wird nach dem Februaraufstand 1934 immer wieder verhaftet und gefoltert. Nach einer Wasserfolter (Zelle wird bis zum Bauch unter kaltes Wasser gesetzt) entzünden sich Gebärmutter und Eierstöcke, ihr wird durch eine Notoperation das Leben gerettet. Sie versucht sich mit Tabletten zu töten, ihr muss ein Stück Darm herausgeschnitten werden. Bei einem weiteren Verhör wird sie während der Vernehmung stundenlang auf den Kopf geschlagen, was zu einer Gehirnblutung führt, was immer wiederkehrende Lähmungeserscheinungen zu Folge hat. Da sie ihre beiden Söhne mit Hilfe tschechischer Kommunisten in die Sowjetunion schickt, wird sie des Landes vewiesen. Sie lebt in Buchlovice bei ihrer Mutter und in Prag in Wohnungen von Kommunisten. Anträge für ein Exil in der Sowjetunion werden zurückgewiesen. 1939 flieht ihr Lebensgefährte nach London, wird mit der HMT Dunera 1940 nach Australien verfrachtet, kehrt 1942 nach England zurück und heiratet.

Bei einer Inkognito-Fahrt nach Wien trifft sie ihren ehemaligen evangelischen Gefängnispfarrer Hans Rieger, zu dem der Kontakt nie abgebrochen ist, und er erwirkt für Genofeva/Eva von den Nationalsozialisten eine Arbeitsgenehmigung als Kanzleikraft im evangelischen Zentrum. Sie bekommt eine kleine Wohnung in der Kanzlei, wo auch jüdische Menschen versteckt werden. Beklemmend ist, wie die Leiche einer an Lungenentzündung verstorbenen alten Frau von Fleischern im Bad zertückelt, in Bücherkisten aus dem Haus geschmuggelt wird und die Leichenteile in die Donau geworfen werden. Mit dem U-Boot Walter Baumgarten, der wegen seiner getauften jüdischen Großeltern zum "Juden" abgestempelt worden ist, geht sie eine Beziehung ein und heiratet ihn. Doch als Baumgarten die ihm nach Kriegsende zugewiesen Drogerie nicht erhalten kann, da ein Käsehändler dieselbe Räumlichkeit besetzt, erhängt er sich.

Anhand der beiden Söhne zeichnet Arnautovic das Leben in der Sowjetunion nach. Zunächst leben die Kinder, abgeschirmt von der sowjetischen Armut, in besten Verhältnissen: Privatschulen, Sommer in Jalta. Ab 1939 verlieren sie ihre Privilegien. Der ältere Sohn Slavoljub/Slavko wird aus seinem Studentenheim abgeholt, da er ein Gesetz kritisiert und mit Kommiltonen in einer Geheimschrift kommuniziert hat. Wegen antisowjetischer Propaganda wird er zu Lagerhaft verurteilt, wo er 1942 offiziell an avitaminoser Kolitis (Darmentzündung wegen Vitaminmangels) stirbt. Der jüngere Bruder Karl reißt aus und schließt sich kriminellen Banden an. Nach seiner Verhaftung wird er nach Sibirien verbannt.

Arnautovic schiebt mehrfach Dokumente ein, für die sie Echtheit reklamiert. Unfassbar die Nüchternheit des Dokuments, das Walter Baumgarten zum "Juden" stempelt. Ein Todesurteil. Nach dessen Erhalt fingiert Baumgarten einen Selbstmord und taucht unter.
Gauleitung Wien – Amt für Sippenforschung
Wien 1, Josef-Bürckel-Ring 3, GauhausAn Walter Israel Baumgarten, Wien V, Christophg. 4
An die Geheime Staatspolizei, Stapoleitstelle Wien I, Morzinplatz 4
An den Herrn Polizeipräsidenten in Wien, Abt. II, Dez. 1b Wien I, Bräunerstr. 5

Unser Zeichen: Sippe WSch/Fi 01260/18

Wien, am 16. Oktober 1944

Betrifft: Prüfungsergebnis

In Ihrer Abstammungssache gelangte ich auf Grund der zur Verfügung gestellten Urkunden, des von meiner Dienststelle beschafften Materials und der durchgeführten Erhebungen zu folgendem

P r ü f u n g s e r g e b n i s

Der Prüfling Walter Israel B a u m g a r t e n, geboren am 19. Februar 1896 in Wien, wohnhaft in Wien V, Christophgasse 4, Stand: ledig, ist
J U D E
mit vier der Rasse nach volljüdischen Großelternteilen im Sinne der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 (RGBl. Teil I, Seite 1333).
Gründe: Der Prüfling, wie oben, wurde geboren und ausw. seines Geburts- und Taufscheines am 12.3.1896 röm-kath. getauft, als ehelicher Sohn des Wirts Ludwig Baumgarten und der Eleonore (Lea) geb. Richter (beide Eltern vorverstorben).
Der Vater des Prüflings, wie vorher, geboren am 16.5.1848 in Wien, ist der eheliche Sohn der Juden Leopold (isr. Geburtsname Simon) Baumgarten, geboren am 7.5.1798 in Aschau/Böhmen, Israelitische Kultusgemeinde, röm-kath. getauft am 23.7.1846 in der Schottenpfarre zu Wien (Sohn des Handelsmannes Herrmann Baumgarten und der Barbara Popper) und der am 16.2.1831 in Neuzedlisch, Israelitische Kultusgemeinde geheirateten Theresia Steinhart, geboren am 1.12.1812 in Neuzedlisch, röm-kath. getauft am 23.7.1846 in Wien (Tochter des Maierbeer Steinhart und der Barbara Abeles). Seine volljüdische Abstammung ist auf Grund der h.a. beschafften Unterlagen eindeutig nachgewiesen.
Die Mutter des Prüflings, wie vorher, geboren am 10.9.1859 in Lemberg, kath., ist als eheliche Tochter des Samuel Richter und Fanny Zuckerberg ebenfalls zweifellos volljüdischer Abstammung.
Der Prüfling verstand es bisher, seine volljüdische Abstammung, die ihm selbst keinesfalls unbekannt geblieben sein kann, zu verschleiern und sich bei allen Dienststellen als Mischling I. (ersten) Grades auszugeben.
Der Prüfling, selbst niemals dem Judentum angehörig, war auf Grund der oben angeführten Beweise als
J u d e
rassisch einzuordnen.
Dem Prüfling wird aufgetragen, sich unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens in der Stapo-Leitstelle Wien I., Morzinplatz 4, Eingang Salztorgasse, einzufinden. Gegenständliches Schreiben ist mitzuführen und gilt gleichzeitig als Passierschein.
Auch das Gerichtsprotokoll, das Slavko in der Sowjetunion unterzeichnen muss, ist zitiert:
Tschistopol, 12. Dezember 1941

Der Ermittlungsbeamte hat dem Beschuldigten seine Rechte erklärt, sich mit dem gesamten Material der Untersuchung bekannt zu machen, worauf dem Beschuldigten zur Einsichtnahme der gesamte Akt in abgehefteter und durchnummerierter Form auf 40 Seiten zur Verfügung gestellt wurde.

Der Beschuldigte hat im Verlauf von einer Stunde und 30 Minuten Einsicht genommen und nach der Einsichtnahme erklärt, dass ihm gemäß Artikel 206 der StPO »das gesamte Ermittlungsverfahren in meiner Sache, bestehend aus einer Akte von 40 Seiten, vollständig bekannt gegeben und erklärt wurde. Die von mir gegebene Aussagen über meine antisowjetischen Äußerungen werden von mir bestätigt. Dem Ermittlungsmaterial kann ich nichts mehr hinzufügen. Ich habe keinerlei Ansuchen an die Untersuchung.«
Drei weitere Aktenstücke sind von Slavko vorhanden:
Aktennotiz vom 15. Jänner 1942

Der Beschuldigte befindet sich im Gefängnis Nr. 4 der Stadt Tschistopol, Gesundheitszustand: gesund. Beweisstücke zur Sache: nicht vorhanden.

Aktennotiz vom 27. Mai 1942

Wir, die ärztliche Leiterin der Sanitätsabteilung des Gefängnisses Nr. 4 Mjatshina, die diensthabenden Arzthelfer Buljaewa und Djatshin, haben die Leiche des Strafgefangenen Arnautović Slavoljub besichtigt. Geb 1921 in Wien (Österreich), wohnhaft in Moskau, Fräserstraße 16/8, beschuldigt gemäß § 58/10/I, Zuständigkeit Gebietsabteilung des NKWD, überstellt in das Gefängnis Nr. 4 aus der Stadt Kasan, ist am heutigen Tag um 12 Uhr in der Einzelhaftzelle Nr. 8 verstorben. Die Leiche ist mittleren Wuchses, der Zustand ist schlecht und blass, zeigt Leichenflecken.
Die Todesursache: Kolitis avitaminosen Ursprungs.

Aktennotiz vom 16. Juli 1942

Während der Haft in Tschistopoler Gefängnis Nr. 4 ist Arnautović Slavoljub am 27. Mai 1942 verstorben.
Aufgrund des Dargelegten wird beschlossen, die strafrechtliche Verfolgung gemäß Artikel 4 Punkt 1 des Strafgesetzbuches einzustellen. Die Akte Nr. 1095 ist zur Aufbewahrung im Archiv der 1. Spezialabteilung des NKWD Moskau abzulegen.
Von Karl ist eine Aufzeichnung angeführt, die er nach Rückkehr nach Österreich über seine Haft in Sibirien verfasst hat und in der er offen zugibt, dass er einen Mord begangen hat, um an der Seite der Kriminellen zu sein und überleben zu können:
»Die tägliche Ration bei 100-prozentiger Normerfüllung: 800 g Brot, 20 g Fett, 120 g Hafer, 30 g Fleisch oder Fisch, 27 g Zucker. Es dürfen Ersatzstoffe verwendet werden.« Bei uns gibt es nur Ersatz: Innereien, Fischköpfe, Knorpel, Sehnen und Haut von Tieren. Brot wird mit Kleie und Sägespänen vermischt, wird feucht, lässt sich auswinden.

Nach der Brotverteilung um vier Uhr Früh geht der Brigadier (einer, der schon länger als zwanzig Jahre einsitzt) zum Lagertor, um nach dem Thermometer zu sehen. Unter vierzig Grad müssten die Sträflinge nicht zur Außenarbeit. Heute hat der Tatare Stepan Dienst, da ist nichts Gutes zu erwarten. Der arbeitet für die Lagerverwaltung, die einen Plan zu erfüllen hat. Moskau zählt auf die Arbeitsleistung der Lager überall im Land, und die tiefen Temperaturen stören diesen Plan. Stepan tränkt einen Wattebausch mit Spiritus, stopft ihn ans untere Ende des Thermometers, zündet ein Streichholz an. Ob ich heute als Arbeitsverweigerer in den Isolator geh? Ein gemauertes Erdloch, wenigstens kein Wind. Andererseits: seit über sechs Monaten kein Zucker, und das Gerücht, heute gibt es eine Verteilung. Im Isolator kriegt man nichts ab.

… Doch kein Zucker. Einige haben Erfrierungen an Nasen, Fingern und Zehen. Wunden im Gesicht von Eisteilchen, die der scharfe Wind in die Haut schießt, einige werden eitern. Manchmal stehle ich eine Wollmütze mit Löchern für die Augen, in der Nacht wird sie dann mir wieder gestohlen.

… Deutsche, Polen, Balten, Russen, Mongolen, Kaukasier.
Neider, Intriganten, Mitleidige, Diebe, Barmherzige, Hinterhältige.
Duckmäuser und Wortführer, Machtgierige und Speichellecker, ehrenhafte Diebe und miese Verräter, Jammernde und ewige Optimisten.
Der Hölle Entstiegene und biblische Gestalten: Luzifer, Judas, Hure, Heiliger, Prophet, Märtyrer.

Viele Selbstmorde. Als Erste sterben die Intellektuellen, die Politischen, die Religiösen und die mit den kurzen Strafen – die vertragen Willkür und Erniedrigung noch nicht. Wer vier Monate überlebt, hat kapiert, verbraucht seine Kräfte nicht mehr fürs Gekränktsein. Alle Kraft brauchst du fürs Überleben. Du ersinnst Tricks und Methoden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Als Einzelner hast du keine Chance. Du musst dich einem Rudel anschließen.

Wer sich keiner Gruppe anschließt, bleibt ohne Schutz, der hat schon verloren. Für mich, den physisch Schwachen, kommen nur die Stärksten infrage. Das Aufnahmeritual bei den Kriminellen: ein Mord. Das Opfer wird bestimmt. Ich betrinke mich gemeinsam mit ihm, dann gehen wir zur Latrine und ich schneide ihm die Kehle durch.



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10.06.2025 um 13:38
Cixin Liu - Die wandernde Erde

Liu-Wandernde Erde

Dies ist ein Band mit Erzählungen des chinesischen Science-Fiction-Autors Cixin Liu aus verschiedenen Schaffensepochen, aus dem ich in den letzten Monaten immer wieder mal eine Erzählung gelesen habe. Liu ist ursprünglich Softwareentwickler im Kraftwerksbereich gewesen, hat sich aber für eine Karriere als Schriftsteller entschieden.

Sein britischer Verleger Nicolas Cheetham schreibt im Nachwort, dass die chinesische SF-Szene sich nicht über Verlage, sondern das Internet entwickelt hat, und die begeisterten Leser:innen wurden immer mehr, dass auch kommerzieller und internationaler Erfolg nicht ausgeblieben ist. Warum dies so sein könnte, wird Liu zitiert:
Am Ende des neunzehnten und zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts überquerte die westliche Zivilisation den Ozean und machte das uralte chinesische Reich mit neuen Ideen bekannt, die es dramatisch veränderten und immer noch verändern: die moderne Technologie, der Marxismus, der Kapitalismus mit seinen freien Märkten, die Demokratie. Im Vergleich zu den westlichen Gesellschaften haben die Chinesen eine viel unmittelbarere und konkretere Vorstellung davon, wie es ist, wenn der Kontakt mit einer anderen Zivilisation die eigene verändert. In diesem Sinne kann man meine Trilogie auch als Ausdruck dieses nationalen Traumas verstehen.
Cheetham ergänzt, dass sich die aktuelle Industrialisierung Chinas innerhalb von zwei Generationen vollzogen hat, während der Westen dafür drei Jahrhunderte gebraucht habe.

Und über die Ursachen des internationalen Erfolgs mutmaßt Liu:
Science-Fiction ist das globale und universelle Medium, um Geschichten zu erzählen. Sie wird von allen Kulturen verstanden. Die SF beschäftigt sich mit Problemen, denen die ganze Menschheit gegenübersteht, und die Gefahren, die sie heraufbeschwört, betreffen üblicherweise die Menschheit als Ganzes. Dieses Genre hat also eine einzigartige und sehr wertvolle Sichtweise auf die Menschheit – es betrachtet sie stets als eine unteilbare Einheit.
Ergänzt wird dieser Band durch Informationen zur chinesischen Sprache, der Schreibweise sowie der Aussprache.

Ausführlich zu den einzelnen Erzählungen in meinem Blog: Cixin Liu - Die wandernde Erde


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10.06.2025 um 14:37
Gore Vidal - Ewiger Krieg für ewigen Frieden

Vidal-Ewiger Krieg

Gore Vidal war linksliberaler (?) freier Journalist und Schriftsteller mit Hang zu Verschwörungsthesen und lässt gerne heraushängen, dass sein Großvater Oklahoma 1937 in die Union geführt hat sowie dessen erster Senator war und dass er mit John F. Kennedy bekannt war. Der Verdacht bleibt nicht aus, dass er dadurch seinen Ideen mehr Gewicht verleihen wollte. Seine politischen Ambitionen blieben glücklos.

Dieser Band präsentiert Artikel, die hauptsächlich für Vanity Fair geschrieben wurden, und gehen der Frage nach, warum Terroristen wie Timothy McVeigh, der Oklahoma-Attentäter, mit dem Vidal während dessen Gefangenschaft bis zur Hinrichtung in Kontakt war, und Osama bin Laden die USA attackieren woll(t)en.

Vidals Antwort folgt dem Schema Actio-Reactio. Die Terroranschläge von McVeigh und bin Laden waren Reaktionen auf die US-Politik. McVeighs Kontext ist die Verarmung bäuerlicher Familienbetriebe mittels Enteignung durch politisch geförderte Konglomerate, und Vidal ergänzt noch den ans Totalitäre grenzenden Abbau der Bill of Rights wie der US-Verfassung. Bin Ladens Kontext ist die Anwesenheit von US-Einheiten in Saudi Arabien sowie der Antiarabismus in US-amerikanischer Politik wie in den Medien. Und manchmal schießt Vidal meiner Ansicht nach übers Ziel:
Wenn man sich einmal klarmacht, dass die Vereinigten Staaten die übrige Welt unablässig mit Gewalt überziehen und hierzu Vorwände benutzen, die so durch und durch fadenscheinig sind, dass wohl selbst Hitler gezögert hätte, sie zur Rechtfertigung seiner dreistesten Lügen zu verwenden, begreift man allmählich, weshalb uns Osama Bin Laden aus der Ferne und im Namen von einer Milliarde Muslimen angegriffen hat.
Die meisten Artikel handeln von McVeigh. Vidal lässt definitv durchblicken, dass er nicht an eine Alleintäterschaft McVeighs glaubt, sondern dass er Mittäter gedeckt, aber auch einen schlechten Verteidiger gehabt hat. Dessen Tat sieht er in einem "übersteigerten Gerechtigkeitssinn", und mehrfach weist er auf den behördlichen, extrem mörderischen Überfall auf die friedlichen Branch Davidians in Waco hin. Selbst dass FBI und das Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives (ATF) am Oklahoma-Anschlag beteiligt waren, schließt Vidal nicht aus. Für ihn ist ein Indiz, dass es im ATF-Büro des Murrah Federal Building keine Opfer gegeben habe.

Vidal veröffentlicht auch aus Kommunikationen mit McVeigh, so dessen 10 Ergänzungspunkte zur US-Verfassung: Tim's Bill of Rights, in denen er eine radikale Föderalisierung der USA fordert. Beispiele: Keine direkte Bundesbesteuerung, keine Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen durch Bundesbehörden, Straftaten werden vor örtlichen Gerichten verhandelt. Ferner fordert er, dass sich jeder Bürger auf die gleiche Art und Weise bewaffnen darf wie Bundesbehörden, dass Geld jederzeit in einen international anerkannten Wert wie Silber eingetauscht werden kann und dass Angehörige der Legislative nicht mehr als das Doppelte der Armutsgrenze verdienen dürfen. Ob Letzteres wirklich ein geeignetes Mittel ist, Korruption von Gesetzgebern einzudämmen, bleibt dahingestellt.

Der letzte Beitrag ist ein offener Brief an den designierten Präsidenten George W. Bush vom 11. Januar 2001. Bush hat für ihn die Wahlen nicht gewonnen, sondern ist durch einen Trick, Auszählungen stoppen zu lassen, an die Macht gekommen. Er wünscht sich von ihm, dass er zum Pentagon auf Distanz geht und die Militärausgaben für Bildungsausgaben (was ja auch Bush' Ziel sei) und ein staatliches Krankenkassensystem umwidmet. Von 1949 bis 1999 habe der Staat 7,1 Billionen USD für Militär ausgegeben, der aktuelle Schuldenstand betrage 5,6 Billionen. Ohne Militärausgaben wären die USA schuldenfrei. Auch fordert Vidal höhere Unternehmenssteuern. Diese seien von 25 % im Jahr 1950 auf 10,1 % im Jahr 1999 gesunken.

Insgesamt eine interessante Zeitreise mit wichtigen Problematiken, die angeschnitten sind. Der süffisante, lakonische und nicht nur einmal selbstgerechte Stil mit Hang zu Verschwörungsthesen erhöht für mich das Lesevergnügen eher nicht.


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11.06.2025 um 17:28
Ich bin gerade halbwegs durch Das Parfum (ich hab eigentlich damit letztes Jahr angefangen haha).

Gleichzeitig lese ich auch:

Cradles of Eminence, in dem es um die Erziehung erfolgreicher Menschen gibt;

The 4-Hour Workweek, hauptsächlich weil ich die Zeitverwaltung zwischen Arbeit und Leben schwierig finde;

und

The Angels of Perversity. Das habe ich wegen des Films Nosferatu entdeckt. Der Regisseur hat der Hauptdarstellerin eine Geschichte (Péhor) aus diesem Buch empfohlen. Das hatte ich schon vor paar Monaten gelesen, nun will ich das ganze Buch lesen.


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11.06.2025 um 17:44
Zitat von Nebel94Nebel94 schrieb:Ich bin gerade halbwegs durch Das Parfum
Gut ,:Y: wie auch das Hörbuch!


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11.06.2025 um 19:29
Zitat von FlamingOFlamingO schrieb:Gut ,:Y: wie auch das Hörbuch!
Oha es gibt auch ein Hörbuch dazu? Das wusste ich nicht! :D


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11.06.2025 um 23:43
Joachim Zelter - untertan

zelter-untertan

Der Freiburger Schriftsteller Joachim Zelter legte 2012 eine streckenweise bitterböse, aber nicht immer stimmige Satire auf das deutsche Bildungswesen wie die Politiklandschaft vor.

Friederich Ostertag ist Sohn eines Spielwarenhändlers aus Lindau und Enkel des Erfinders des Spiels Fang den Hut. Sein Vater ist von seinem riesigen Talent überzeugt und lässt ihn als Fünfjähriger einschulen, womit die Karriere eines eher minderbemittelten Schülers beginnt, der als lernunfähig charakterisiert ist. Er kann weder mit Buchstaben noch mit Zahlen umgehen. Trotz einer Nachhilfelehrerin, die zeitweise im Haus wohnt, und Helikopterbetteleien durch seinen Vater geht auch am Gymnasium nicht weiter: Friederich ist unfähig, Texte zu verstehen. Ergo: ab ins Internat Mochenwald.

Dieses ist nicht wegen seines Niveaus bekannt, sondern dafür, dass reiche Erbensöhne ohne Leistung das Abitur bestehen können. Internatsklassiker: Gewalt. Dazu saufen. Und als Schulklamauk: Den Schülern gelingt es mit Hilfe ihrer Eltern, permanent Klausuren zu vertagen. Lehrer werden gewechselt wie Unterhosen, da es dort niemand mit Verstand lange aushält.

Doch dann der Bruch: Friederich entpuppt sich als exzellenter Briefeschreiber. Woher diese Kompetenz plötzlich kommt, bleibt im Dunkel. Er schreibt für seine Mitschüler in deren Namen permanent Briefe an reiche Verwandte, worüber die so glücklich sind, dass sie ihren Cousins Unmengen an Geld schicken. Das Abi schafft Frederik (siehe oben).

Danach geht Friederich an die Uni Konstanz und studiert Politologie und Soziologie (permanente Seitenhiebe gegen diese Blümchenfächer sind aufgelegt). Doch auch dort entwickelt sich seine Schreibkunst weiter, er wird Ghost-Writer für Diplomarbeiten, so auch für einen jungen reichen Lebemann und Frauenhelden namens von Conti (mit Unmengen Vornamen). Für diesen schreibt er in kurzer Zeit dessen Magiserarbeit und im Anschluss über mehrere Jahre dessen Doktorarbeit (mit Unmengen an Zitaten aus Werken, die es gar nicht gibt - also ein Vorläufer einer halluzinierenden KI). Für sich selbst schafft er keine Abschlussarbeit (keine Diplomarbeit und schon gar keine Dissertation).

Von Conti macht Karriere und zieht Friederich als Berater und Ghostwriter mit: als Assistent seiner wissenschaftlichen Assistenz, als Ideengeber für seine Partei, für seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter, für seine Tätigkeit als Minister. Selbst kann von Conti ja nichts, er ist nur adelig, reich und beliebt. So richtig blüht Friederich auf, als er Bewerbungsgespräche für von Conti führt und die Bewerber:innen, meist weiblich, auflaufen lässt. Eine hingebrabbelte Frage des extrem schüchternen Friederich an eine junge Frau, ob sie ihn heiraten wolle, wird bejaht. Er kann sich auch nicht auf das Rollenspiel Bewerbungsgespräch ausreden, es wird geheiratet. Doch im Laufe der Geschichte verschwindet diese Karla wieder (mir wäre kein Exitszenario aufgefallen).

Als während der Finanzkrise von 2008/09 im Zuge der Sparmaßnahmen Friederich nicht nur den Verkauf mehr oder weniger allen Staatseigentums vorschlägt, sondern auch die Lizenzierung von Sprachen (Menschen sollten nur mehr einen sehr eingeschränkten Wortschatz kostenfrei verwenden dürfen), trennt sich von Conti von seinem Berater.

Friederich fällt ohne Studienabschluss ins Leere. Das Spielwarengeschäft seines Vaters ist geschrumpft und kämpft ums Überleben, seine Mutter ist bettlägrig. Seine Frau ist aus dem Roman verschwunden. Also bleibt ihm nur mehr eine Option: Er ertränkt sich im Bodensee.

Phasenweise witzig, das sprachliche Spektrum ist groß, aber die Geschichte hat so ihre Logikfehler. Die Seitenhiebe aufs Bildungswesen sind gelungen, auch wenn die Namen von Internatsschüler wie Suhrkamp dann schon ein zu übertriebener Seitenhieb auf Deutschlands Kulturlandschaft sind, und dass von Conti ein Alter Ego von Guttenberg sein könnte, ist Kritikern bereits bei Erscheinen aufgefallen. Der Bezug im Titel zu Heinrich Manns gleichnamigen Roman ist dann aber doch etwas zu hoch gegriffen.


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12.06.2025 um 15:42
Zitat von Nebel94Nebel94 schrieb:Oha es gibt auch ein Hörbuch dazu? Das wusste ich nicht! :D
Youtube: Hörbuch: Das Parfum – Patrick Süskind Hörbuch
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15.06.2025 um 14:27
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb am 10.06.2025:Der süffisante, lakonische und nicht nur einmal selbstgerechte Stil
Ich habe mal ein Buch von Gore Vidal gelesen, der Stil war deutlich anders als bei einem typischen politischen Essay,
der Stil war "dandyhaft", ich fand das ganz lustig, inhaltlich war es aber mir zu Russland freundlich.


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17.06.2025 um 22:15
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18.06.2025 um 12:40
Dennis E. Taylor - Ich bin viele (Bobiverse 1)

Taylor-Bobiverse1

Der Programmierer Dennis E. Taylor stieg in den 2010er Jahren in die SF-Autorenwelt ein und schuf mit Bobiverse eine erfolgreiche SF-Serie, in der die Erde durch einen Krieg mehr oder weniger zerstört wird und Replikanten (Backup von menschlichen Gehirnmustern bzw. Persönlichkeiten als Software), die sich selbst vermehren können und mit Hilfe von Virtueller Realtiät menschliche Empfindungen haben können.

Ausgangspunkt: Der SF-Fan und Programmierer Bob Johansson hat einen Vertrag unterzeichnet, dass er nach seinem Tod wieder erweckt werden kann. Sein Tod geschieht rasch, er wird in Las Vegas von einem Auto überfahren. Nach seinem Aufwachen ist er nur mehr ein Computerprogramm in einer Schachtel, wird aber nach Wiedererwachen angeleitet, Hardware als Extention zu verwenden: Kameras, Greifarme etc.

Johannson erfährt, dass die USA nun im Jahr 2133 ein christlich-fundamentalistischer, faschistischer Staat sind, der sich in permanentem Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Europa, China, Australien und vor allem den neuen Supermächten Argentinien und Brasilien befindet. Besonders Brasilien ist ein sehr aggressiver Staat.

Der Replikant Johannson ist geschaffen worden, um mit einer Raumsonde ins System Epsilon Eridani zu fliegen, sich selbst zu replizieren (Maschinen sollen Metalle ausbeuten und 3D-Drucker Maschinen, Stationen, Hardware, Raumschiffe bauen). Somit wird Bob bzw. seine Kopien zu einer Art Von-Neumann-Sonden. Einen netten Kick ergibt, dass die Bob-Klone alle eine eigene Persönlichkeit entwickeln, die offenbar Teilaspekte der Psyche des menschlichen Robert Johannson übernehmen, sie also charakterlich unterschiedlich sind.

Die Bob-Klone reisen weiter im näheren Sternenbereich und in Delta Eridani wird ein belebter Planet mit intelligenten Zweibeinern auf altsteinzeitlichem Niveau (sie kennen Feuer und haben eine Sprache) entdeckt (Deltaner), deren Zahl mit etwa 400 Expemplaren am Rande des Aussterbens liegt. Gefährdet werden sie von gorillaähnlichen Tieren, die sie jagen. Die beiden dort befindlichen Bob-Klone entscheiden einzugreifen, nehmen Kontakt auf und geben ihne Möglickeiten, Waffen zu erzeugen (Feuersteine werden zur Verfügung gestellt), fördern einen intelligenten Jungen und greifen in die Überfälle ein, indem die Gorillaähnlichen zum Teil durch Kamikazedrohnen abgewehrt werden. Am Ende führen die Bob-Klonen die Deltaner zu einem infrasturkurell besseren, aber wegen der Gorillaähnlichen gefährlicheren Gebiet, aus dem sie vor drei Generationen geflohen sind.

Einer der Klone fliegt zurück zur Erde, die vor einem atomaren Winter steht und aufgrund des Krieges von einer auf 15 Mio Menschen reduzierten Bevölkerung bewohnt wird. Nachdem es gelungen ist, die Streitigkeiten auf ein Minimum zu reduzieren, wird beschlossen, die Menschen ins Doppelplanetensystem von Omicron2 Eridani zu evakuieren.

Für meinen Geschmack bilden die vielen Kämpfe mit brasilianischen Replikanten in unterschiedlichen Sonnensystemen einen etwas zu martialischen Aspekt (eher Trash), das dem zum Teil hochphilosophischem Werk eher nicht zur Ehre gereicht. Viel interessanter sind für mich die ethischen Implikationen bei der Entdeckung nicht industriellen intelligenten Lebens oder die Definition unterschiedlicher KIs auf Basis des Gedankenexperiments des chinesischen Zimmers (Wikipedia) von John Searle (KIs, die nur Zeichen zusammensetzen, ohne sie zu verstehen, bzw. starke KIs, die auch verstehen und eigenständig handeln können).

Letzeres macht mich neugierig auf den zweiten Teil, die Kampfszenen tun das eher nicht.


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19.06.2025 um 07:22
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Ich könnte ihn Erwürgen von Martin Wehrle
Vom einfachen Umgang mit schwierigen Menschen. Mit Weißglut-Test!

Schwierige Menschen können einen zur Weißglut treiben. Sie schwätzen dumm und klug, motzen und nörgeln, intrigieren und lästern. Ihre Maßstäbe sind nicht gerecht, nur selbstgerecht!
Ein interessantes Buch über schwierige Menschen.


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21.06.2025 um 14:00
Zitat von duvalduval schrieb:Ich könnte ihn Erwürgen von Martin Wehrle
Martin Wehrle ist super, gibt auch viel von ihm auf youtube.


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