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09.07.2025 um 22:09Sachbuch: "Imagined Life" von James Trefil und Michael Summers. Mit großem Interesse und schwerem Herzen, da diese Entdeckungen in unerreichbarer Zukunft liegen. Alle Kontinente sind erforscht, alle Exoplaneten zu weit weg. Keine gute Zeit für Neugierige.
Fiktion: abwechselnd Kurzgeschichten von Ramsey Campbell und Thomas Ligotti. Campbell ist gut, wenn er Stimmung aufbauen kann. Ligotti baut immer Stimmung auf, vergisst aber manchmal die Handlung.
Fiktion: abwechselnd Kurzgeschichten von Ramsey Campbell und Thomas Ligotti. Campbell ist gut, wenn er Stimmung aufbauen kann. Ligotti baut immer Stimmung auf, vergisst aber manchmal die Handlung.
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10.07.2025 um 15:04Virginie Despentes - Das Leben des Vernon Subutex

Dieser 2015 erschienene Roman der französischen Autorin Virginie Despentes begleitet einen 50-jährigen ehemaligen Schallplattenhändler in die Pariser Obdachlosigkeit. Die Wende wird als "Napster-Tsunami" bezeichnet, als um die Jahrtausendwende Schallplatten und CDs out werden, Musik über das Internet verbreitet wird. Der Verkäufer Vernon Subutex übernimmt den Laden, bis er ihn 2006 aufgeben muss. Zwei Jahre lebt er von den Restbeständen, die er über eBay verkauft, die Miete wird von einem ehemaligen Kunden und Mitmusiker, Alex Bleach, bezahlt, der berühmt geworden ist, aber schließlich im Alkohol- und Medikamentenrausch in einer Badewanne ertrinkt. Vernon wird delogiert.
Einige Zeit kann er tageweise bei alten Freunden und Freundinnen unterkommen, wird Haus-DJ bei einem Ultrareichen, bis dieser ihn wegen einer Sex-Affäre rausschmeißt. Vernon ist auf der Straße. Die letzten Videoaufnahmen von Bleach, ein Selbstinterview, liegen bei einer Bekannten, als Pfand für einen ausgeborgten Laptop.
Am Ende ist er auf der Straße, einige Tage fährt er noch mit der Metro durch die Stadt, schließt sich aber einem Obdachlosenkreis an, wird von Xavier, einem rechtsradikal gewordenen Drehbuchautor (nur ein Erfolg vor 15 Jahren) und Freund, der reich geheiratet hat, entdeckt, der wiederum von einer Datenjägerin angesetzt wird, um die Bänder von Bleach ausfindig zu machen. Xavier wird von Skins ins Koma geschlagen. Am Ende ist Vernon auf einer Parkbank mit Ausblick auf Paris. Alle möglichen offenen Enden sind dann wohl die Basis für die Fortsetzungsbände.
Stilistisch ist der Roman ein Kaleidoskop der alt gewordenen Generation X, ausschweifend wird über Sex, Drogen und Alkohol berichtet. Manche aus dem Freundes- und Käuferkreis des Plattenladens "Revolution" sind reich geworden, viele sesshaft mit Jobs, manche haben es nicht geschafft oder durchlaufen einen Abstieg wie Vernon. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die in ihren Augen habgierige Jugend nicht mehr verstehen (in ihrer Jugend hätten sie getan, "als wäre Sein wichtiger als Haben", und "die Generation der Dreißigjährigen besteht aus egozentrischen Psychopathen an der Grenze zur Demenz"), und Despentes setzt sich mit den Hintergründen des Aufstiegs der Rechten auseinander, wobei sie einen Schnittpunkt zu der alten Linken erkennt: Den Antikapitalismus.
Xavier, der bereits als Jungendlicher zu Gewalt neigte, gibt sie in einem Monolog Gedanken, bei denen sich gefragt werden kann, ob sie als typisch für die zum Rassismus und Rechtsextremismus neigende männliche bürgerliche Mittelschicht der Generation X ist, die übrigens nach Wählerstromanalysen die Altersgruppe ist, die auch noch 2025 am meisten rechtspopulistische Parteien und Kandidat:innen wählen. TRIGGERWARNUNG: DIE FOLGENDEN PASSAGEN ENTHALTEN SEHR EXPLIZITE, RASSISTISCHE UND BELEIDIGENDE SPRACHE!
Aber da ist auch Xaviers Antikapitalismus, der Schnittpunkt der Rechten zu den Linken. Über den Vater seiner reichen Frau sagt er zu Vernon:

Dieser 2015 erschienene Roman der französischen Autorin Virginie Despentes begleitet einen 50-jährigen ehemaligen Schallplattenhändler in die Pariser Obdachlosigkeit. Die Wende wird als "Napster-Tsunami" bezeichnet, als um die Jahrtausendwende Schallplatten und CDs out werden, Musik über das Internet verbreitet wird. Der Verkäufer Vernon Subutex übernimmt den Laden, bis er ihn 2006 aufgeben muss. Zwei Jahre lebt er von den Restbeständen, die er über eBay verkauft, die Miete wird von einem ehemaligen Kunden und Mitmusiker, Alex Bleach, bezahlt, der berühmt geworden ist, aber schließlich im Alkohol- und Medikamentenrausch in einer Badewanne ertrinkt. Vernon wird delogiert.
Einige Zeit kann er tageweise bei alten Freunden und Freundinnen unterkommen, wird Haus-DJ bei einem Ultrareichen, bis dieser ihn wegen einer Sex-Affäre rausschmeißt. Vernon ist auf der Straße. Die letzten Videoaufnahmen von Bleach, ein Selbstinterview, liegen bei einer Bekannten, als Pfand für einen ausgeborgten Laptop.
Am Ende ist er auf der Straße, einige Tage fährt er noch mit der Metro durch die Stadt, schließt sich aber einem Obdachlosenkreis an, wird von Xavier, einem rechtsradikal gewordenen Drehbuchautor (nur ein Erfolg vor 15 Jahren) und Freund, der reich geheiratet hat, entdeckt, der wiederum von einer Datenjägerin angesetzt wird, um die Bänder von Bleach ausfindig zu machen. Xavier wird von Skins ins Koma geschlagen. Am Ende ist Vernon auf einer Parkbank mit Ausblick auf Paris. Alle möglichen offenen Enden sind dann wohl die Basis für die Fortsetzungsbände.
Stilistisch ist der Roman ein Kaleidoskop der alt gewordenen Generation X, ausschweifend wird über Sex, Drogen und Alkohol berichtet. Manche aus dem Freundes- und Käuferkreis des Plattenladens "Revolution" sind reich geworden, viele sesshaft mit Jobs, manche haben es nicht geschafft oder durchlaufen einen Abstieg wie Vernon. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die in ihren Augen habgierige Jugend nicht mehr verstehen (in ihrer Jugend hätten sie getan, "als wäre Sein wichtiger als Haben", und "die Generation der Dreißigjährigen besteht aus egozentrischen Psychopathen an der Grenze zur Demenz"), und Despentes setzt sich mit den Hintergründen des Aufstiegs der Rechten auseinander, wobei sie einen Schnittpunkt zu der alten Linken erkennt: Den Antikapitalismus.
Xavier, der bereits als Jungendlicher zu Gewalt neigte, gibt sie in einem Monolog Gedanken, bei denen sich gefragt werden kann, ob sie als typisch für die zum Rassismus und Rechtsextremismus neigende männliche bürgerliche Mittelschicht der Generation X ist, die übrigens nach Wählerstromanalysen die Altersgruppe ist, die auch noch 2025 am meisten rechtspopulistische Parteien und Kandidat:innen wählen. TRIGGERWARNUNG: DIE FOLGENDEN PASSAGEN ENTHALTEN SEHR EXPLIZITE, RASSISTISCHE UND BELEIDIGENDE SPRACHE!
Der fetten verschleierten Araberin, die sich vor ihm durch den Gang wälzt, würde Xavier am liebsten in den Arsch treten. Kann man überhaupt noch zweihundert Meter die Straße langgehen, ohne dass man ihre Schleier, die Hand der Fatima an jedem Rückspiegel und die Aggressivität ihrer Bälger ertragen muss? Widerliche Rasse, kein Wunder, dass niemand sie ausstehen kann! Er steht hier und kauft ein, anstatt zu arbeiten, weil Madame nicht will, dass man sie für ein Dienstmädchen hält, aber die dreckigen Faulenzer von Kanaken hängen draußen rum, ohne einen Finger krumm zu machen; haben die ein Schwein! Zusammen mit den Arbeitslosen, denen die Stütze in den Arsch geschoben wird, sitzen sie den ganzen Tag im Café, während ihre Weiber schuften. Die machen nicht nur alles im Haus, ohne zu jammern, und gehen arbeiten, um ihre Kerle durchzufüttern, sie müssen sich auch noch einen Schleier umhängen, um ihre Unterwerfung zu demonstrieren. Das ist doch Psychoterror! Alles nur, damit der französische Mann merkt, dass er nichts mehr wert ist.Anhand Xavier, dem nun Wohlhabenden, zeigt Despentes auch, dass Hass auf muslimische Araber:innen ganz eng mit einem klassischen Antisemitismus verflochten ist. Während er eine Nachrichtensendung mit der Moderatorin Elisabeth Lévy (einer in der realen Welt existerenden Journalistin) schaut, raunt er in seinem Wohnzimmer:
Das ist umso deprimierender, weil die Kanakenweiber ja die Wahl haben. In den Achtzigern und Neunzigern haben sie sich auf alle Jobs gestürzt und Karriere gemacht – auch wenn man genau gesehen hat, dass sie sich vor allem einen reichen Mann angeln wollten, blöd sind sie nicht. Aber sie haben sich ins Zeug gelegt und es weiter gebracht als manche andere. Und dann haben sie den Rückwärtsgang eingelegt. Haben sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen und das Kopftuch umgehängt, damit sie bloß nicht ihre Brüder demütigen.
Wenn du Frankreich nicht magst, pack deine Koffer und geh nach Hause, du Schlampe. Diese Zionisten machen mich fertig, man hört sie überall. Wir sind immer noch ein christliches Land, oder? Ich war nie Antisemit, aber wenn mich jemand fragt, ich würde das ganze Gebiet mit Napalm zukippen, Palästina, Libanon, Israel, Iran, Irak, alles dasselbe: Napalm. Und dann baust du da ein paar Golfplätze und Formel-1-Rennstecken. Ich würde das Problem ganz schnell lösen. Mir tut der Arsch weh, wenn ich eine Kanakenjüdin über Frankreich reden höre, als wäre sie hier zu Hause.Erzählerinnenkommentar: "Xavier war schon immer ein rechter Sack."
...
Xavier zieht inzwischen über den Rap her, diese von jüdischen Lobbys manipulierte Anti-Musik, die den Afrikanern das Gehirn rauspusten soll.
Aber da ist auch Xaviers Antikapitalismus, der Schnittpunkt der Rechten zu den Linken. Über den Vater seiner reichen Frau sagt er zu Vernon:
Ihre Alten haben nie gearbeitet. Glaubst du das? Privatier, so was gibt’s noch. Nie gearbeitet! Papa verwaltet das Familienvermögen, und Mama hilft ihm. Knausrig wie alle Reichen, jeder Cent wird dreimal umgedreht. Du musst sie mal von Minijobbern reden hören … Dabei bin ich liberal und pragmatisch, du kennst mich, in mir ist wenig Platz für bolschewistische Fantasterei. Aber das musst du hören, um es zu glauben. Was für ein Glück die Angestellten haben! Schließlich haben sie weniger Verantwortung. Mein Schwiegervater hat nie im Leben gearbeitet, aber alle Arbeitslosen sind Nichtstuer, die sich bloß nicht die Finger schmutzig machen wollen. Das ist ernst gemeint – sie sind überzeugt, dass jeder hat, was er verdient. Wer weniger hat, verdient halt weniger.Und über den Opportunismus der Filmszene lässt sich bezüglich politischer Einstellung Xavier in einer Art und Weise aus, dass sich die Frage stellt, ob hier nicht doch etwas Despentes mitspricht.
Jetzt, wo sie mitkriegen, dass die Subventionen bald von den Ultrarechten kommen, ich wette, was du willst, dass sie ratzfatz den Ton ändern – dieses Pack hängt doch immer das Mäntelchen nach dem Wind. Gib ihnen vier, fünf Jahre, dann präsentieren dir dieselben, die heute das Lied der armen Flüchtlinge singen, Meisterwerke über jüdische Banker, diebische Roma und gierige Russen.Den linken Antisemitismus präsentiert Despentes anhand des vierzigjährigen Buchhändlers Louis:
Syrien beschäftigt ihn, er ist überzeugt, dass Bachar al-Assad im Westen das Opfer einer infamen Propaganda ist, die von Israel und Washington ausgeheckt wird. Die berühmte jüdisch-freimaurerische Front. Ein bissiger Linksradikaler, allem Anschein nach im Begriff, auf die dunkle Seite der Macht zu kippen.Beinahe noch ausgiebigeren Raum gibt Despentes Noel und Loic, zwei von den Skinheads, die Xavier ins Koma prügeln. Loic ist schon vierzig, Noel ist jung und arbeitet bei H&M. Anhand Noels Monologen blitzt durch, wie es denjenigen geht, die ganz unten in der gesellschaftlichen Hierarchie stehen.
Seine Mutter ist Kassiererin. Ein Leben lang hat sie geschuftet und ist von allen in den Arsch getreten worden. Sie wählt die Sozialisten. Heute noch. Dabei macht sie sich keine Illusionen. Wenn der Nouvel Obs mit Schlagzeilen über die Nutte des Exdirektors vom IWF aufmacht, spucken sie seiner Mutter ins Gesicht: Wir sind unter uns, wir können uns alles erlauben, Hauptsache, die Kohle bleibt in unseren Händen. Aber wenn es Sozialwohnungen zu verteilen gibt, sind dieselben Typen ganz freigebig, natürlich kümmern sie sich um die Ausländer, bevor seine Mutter dran ist, um die Ausländer und die Typen mit Einfluss. Für Leute wie ihn heißt es immer »Komm morgen wieder«. Wenn die Bobos alles eingesackt haben, ohne den anderen was übrig zu lassen. Aber immer schön den Schein wahren, wir sind die Großzügigen und Oberschlauen, auf Kosten der Trottel, die richtig arbeiten und um die sich nie, wirklich nie, jemand kümmert. Die Sozialversicherung kostet sie das letzte Hemd. Der RER fährt nur jeden zweiten Tag und wird jedes Jahr teurer. Alles wird teurer. Gammelfleisch, erst dachten sie, es schmeckt so verfault, weil es halal ist, aber dann hat sich rausgestellt, dass es von alten, mit Hormonen vollgestopften Gäulen oder tollwütigen Hühnern stammt, aber blech und friss, verdammter Proll, und wenn du dir fünfundvierzig Stunden die Woche dein Leben in ätzenden Shoppingcentern versaut hast, vergiss nicht, der rumänischen Fleischindustrie was von deinem Geld abzugeben, bevor du nach Hause gehst. Und denk dran, für deinen Krebs zu sparen, bescheuerter Proll, die staatlichen Krankenhäuser sind von allen Illegalen der Welt besetzt, die wissen, dass man sich am besten in Frankreich niederlässt. Wenn man nicht die Nordafrikaner benutzt, um die Löhne der Arbeiter zu drücken, zieht gleich das ganze Unternehmen zu den Hungerleidern. Warum auch nicht? Wer bestraft sie dafür? Wer macht ihnen klar, dass fehlender Patriotismus eine Straftat ist? Inzwischen wird das Land an Russen, Katarer oder Schlitzaugen verkauft. An den Meistbietenden, die Mutter Heimat, wie die letzte Hündin, die sich dem Erstbesten hingibt, der die Kohle hat, sie in eins ihrer Löcher zu ficken. Und das soll man zulassen? Die Juden beherrschen die Finanzen, die interessiert nur, wie viel sie auf Kosten der anderen rausholen können, und die Freimaurer die Politik, sie sind nur scharf darauf, sich gegenseitig gute Jobs zuzuschanzen. Öffentliche Gelder auszugeben, das ist ihr Ding. Und inzwischen regt sich der Bobo auf, dass man die Roma beschimpft. Er wohnt ja nicht neben einem Zigeunerlager. Nein, der Bobo leistet sich Biofleisch mit französischem Herkunftsstempel, weil der Bobo seinen Körper vor Krankheiten schützen muss. Pech für die anderen, die Hungerleider. Aber wenn sein Kind in die Grundschule kommt, zieht der Bobo um, weil er keine Lust darauf hat, dass sein kleiner Blondschopf von den wilden Horden Kreidegesicht genannt wird. Wenn der jüdische Bankier ein Zimmermädchen vergewaltigt, zieht er sein Scheckheft, und sofort stehen alle Nutten der Republik Schlange, um sich von seiner phänomenalen Latte aufspießen zu lassen. Die Weiber lieben die Bekloppten, die Geldsäcke, die sich die Nase zuhalten, wenn die Prolls wählen gehen, und sich einbilden, wenn sie Zeitungen, Talkshows und Internet mit ihren Lügen füllen, kriegen sie sie immer noch rum. Sie vergessen die commune. Das Volk hängt mehr an der Nation als die Regierung. Der Unterschied ist die Ehre. Viva la muerte. Sie sind nicht bereit, zu sterben, weil sie verzweifelt sind oder weil sie nichts zu verlieren haben, sondern weil sie eine Vision haben. Die Nation sind wir. Die Zukunft Frankreichs hängt von unserer Entschlossenheit ab. Ein Volk, eine Sprache, eine Zukunft. Anders, als man ihnen ständig vorbetet, sind sie nicht zur Ohnmacht verdammt. Noël zittert vor Ungeduld, die Straffreiheit abzuschaffen, die die Großen dieser Welt schützt. Er wird ihren Kindern die Kehle durchschneiden, ohne mit der Wimper zu zucken, wird ihre widerlichen Schädel auf eine Lanze pflanzen und durch die Stadt tragen. Er wird im Kugelhagel fallen, wenn es nötig ist, um sein Vaterland zu verteidigen. Er ist zu allem bereit. Er wird nicht zulassen, dass sein Land den Bach runtergeht, während er sich den Arsch aufreißt, um seine Steuern zu bezahlen. Die Geldsäcke wiederholen in jedem Interview, dass nur die Moslems motiviert sind, sich im Kampf zu opfern. Demoralisierung der Massen. Sie werden das Gegenteil beweisen. Sie sind da. Sie bereiten sich auf den Krieg vor. Ehre, Vaterland. Diese Wörter lassen seine Brust schwellen, gehen ihm durch und durch, lassen ihn abheben.Loic sieht das nüchtener. Für ihn wäre ein Regimewechsel zu der radikalen Rechten nur ein Wechsel der Leute, die sich bereichern:
Alles zerstören? Ich bin bald vierzig. Ich kenne die Menschen zu gut, um mir noch Illusionen zu machen. Das werden drei Tage Fiesta und dann drei Jahre Kater. Das Einzige, was sich ändern wird, ist, dass vier Knallköpfe, die gestern niemand kannte, sich gute Posten unter den Nagel reißen. Es geht nur darum, dass man die Führungsriege austauscht, aber das Spiel bleibt dasselbe. Sie werden genau dasselbe machen wie ihre Vorgänger. Lügen, schmuggeln, betrügen und zusehen, dass ihre Schwäger alle Vergünstigungen genießen.Mit Aicha, die zur gläubigen Muslima geworden ist, präsentiert Despentes die andere Seite. Sie erzählt, wie ihr Vater von leeren Versprechungen Frankreichs hintergangen worden ist.
Die Französische Republik hatte ihm vorgegaukelt, wenn er sich ihre universelle Kultur zu eigen machte, würde sie ihn wie all ihre Kinder mit offenen Armen aufnehmen. Schöne, heuchlerische Versprechen. Aber auch mit Hochschuldiplom sind die Araber die Kanaken der Republik geblieben, und man hat sie verschämt vor der Tür der großen Institutionen stehen lassen. Nichts ist schrecklicher für eine Tochter, als zu sehen, dass man ihren Vater betrogen hat – außer vielleicht, zu entdecken, dass er darauf reingefallen ist. Man hatte ihren Vater reingelegt. Man hatte ihn glauben lassen, in der Republik zähle der Verdienst, werde Leistung belohnt, man hatte ihn glauben lassen, in einem laizistischen System seien alle Menschen gleich. Und ihm dann eine Tür nach der anderen vor der Nase zugeschlagen und ihm verboten, sich zu beklagen. Keine Parallelgesellschaft! Aber es kommt immer der Moment, wo man seinen Vornamen schreiben muss – diesen Anti-Sesam-öffne-dich, mit dem die Wohnung besetzt, die ausgeschriebene Stelle vergeben, das Terminbuch des Zahnarztes zu voll ist. Sie sagen, integriert euch, und zu denen, die es versuchen, sagen sie, ihr seht doch, dass ihr nicht zu uns gehört.Mehrfach wird auch die unterschiedliche Lebenschance von Frauen und Männern thematisert, am anschaulichsten anhand des Paars Daniel und Pamela (einem ehemaligen Pornostar):
Er hat in einem der ersten E-Zigaretten-Läden in Paris angefangen. Auch auf das Business mit den falschen Kippen hätte Pamela keinen Cent gesetzt, wer hat schon Lust, seinen Füllhalter zu rauchen? Aber das ist abgegangen wie eine Rakete. Anstatt Verkäufer zu bleiben und den Mindestlohn zu kassieren, war Daniel bald zuständig für die Gründung von Verkaufsstellen in ganz Paris. Der ultimative Goldeseljob! Das macht Pamela verrückt: Ohne die Umwandlung wäre es nie so gelaufen. Erst mal hätte Déborah als Ex-Pornostar nie Verkäuferin werden können. Oder man hätte sie gefeuert, sobald man es mitbekommen hätte, und geh dann mal zum Arbeitsgericht und beklag dich, dass dein Arbeitgeber dich diskriminiert, weil man im Internet sehen kann, wie du drei Kerlen hintereinander einen bläst! Und selbst wenn Déborah ihr Aussehen verändert, sich die Nase operiert, die Haare abgeschnitten, zwanzig Kilo zugenommen hätte, damit man sie nicht erkennt – einer Frau vertraut man nicht den Job an, Verkaufsstellen für ein blühendes Business zu gründen. Bis ins kleinste Detail hatte ihr Daniel von seiner rasanten Beförderung erzählt, fassungslos von dem, was er entdeckte, das läuft mit einem Klaps auf den Rücken, Männerwitzen, der Zufriedenheit, unter Männern zu sein, und Zigarrenabenden.Und da ist natürlich das Altern, das dauernd - vor allem auch in Bezug auf Sex - thematisiert wird:
Ab dreißig verlieren die Dinge allmählich ihren Glanz, egal ob Hungerleider oder Megastar, besser wird es für niemanden. Der Unterschied besteht darin, dass es für die, die den Zug zum Erfolg verpasst haben, keinen Ausgleich gibt. Dass sie nicht, weil die Jugend sich verabschiedet, eine Weltreise in der Businessclass machen, die schönsten Mädchen vögeln, mit coolen Dealern verkehren oder ihr Geld in Harley-Davidsons stecken können.Und Emilie, die in Vernons Band gespielt hat, als sie jung waren, bringt das Altern der Männer auf den Punkt:
...
Wenn man über vierzig ist, gleicht die ganze Welt einer bombardierten Stadt.
Männer ihres Alters stoßen sie ab, ihre Eier hängen runter wie sklerotische Schildkrötenköpfe. Sie könnte kotzen, wenn sie sie anfassen muss. Sie hasst Männer, die beim Vögeln kurzatmig sind oder sich nach fünf Minuten auf den Rücken legen müssen, weil sie nicht mehr können, und die Partnerin den Rest allein machen lassen. Sie hasst ihren dicken Wanst und die kleinen grauen Schenkel.
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12.07.2025 um 13:27Rückblickend haben die ehemaligen Gebiete der DDR seit der Wiedervereinigung einen bespiellosen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, zum Beispiel im Vergleich mit anderen Gebieten des Ostblocks. Allerdings wurde damals wie heute die wirtschaftliche Entwicklung schlecht geredet, übertriebene Erwartungen wurden geweckt und da war die Enttäuschung vorprogrammiert.Narrenschiffer schrieb am 06.07.2025:Die 1990er Jahre sind geprägt durch die Kosten der Wiedervereinigung (wirtschaftlich, human, psychologisch), durch Arbeitslosigkeit und durch einen zerrütteten Staatshaushalt.
Ich habe einen Bekannten, der konnte sich gerade wegen der Entwicklung des Internets einen Handel mit SchalplattenraritätenNarrenschiffer schrieb:Dieser 2015 erschienene Roman der französischen Autorin Virginie Despentes begleitet einen 50-jährigen ehemaligen Schallplattenhändler in die Pariser Obdachlosigkeit. Die Wende wird als "Napster-Tsunami" bezeichnet, als um die Jahrtausendwende Schallplatten und CDs out werden, Musik über das Internet verbreitet wird. Der Verkäufer Vernon Subutex übernimmt den Laden, bis er ihn 2006 aufgeben muss. Zwei Jahre lebt er von den Restbeständen, die er über eBay verkauft
aufbauen. Der hat sein Hobby zum Beruf gemacht.
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Erich Fromm - Band 1 - Analytische Sozialpsychologie - dtv
Erich Fromm verbindet Psychoanalyse und Gesellschaftstheorie. Unter anderem entwickelt er die Theorie vom Autoritärem Charakter, der unter autoritären Bedingungen aufblüht. (Meiner Meinung nach kommt der Autoritäre Charakter mit jeder Gesellschaftsform klar, der Autoritäre Charakter bewegt sich in jeder Gesellschaft wie der Fisch im Wasser)
Wikipedia: Autoritärer Charakter
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14.07.2025 um 23:25Robert Menasse - Die Hauptstadt

2017 veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Robert Menasse diesen Roman über die EU. Hauptsächlich spielt er in Brüssel und er wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Letztlich ist es ein trauriger Roman, da dem europabegeisterten Menasse alles aus dem Ruder läuft. Alle Europaträume zerplatzen.
Da ist die Brüsseler Beamten-Riege mit ihren Intrigen, und es soll eine positive Veranstaltung zum fünfzigsten Jahrestag der EU-Kommission durchgeführt werden, die aber an allem scheitert, was nur scheitern kann. Eine Kunstausstellung, die nichts kostet, da sie aus dem Archiv einer Kunstsammlung genommen wird, baut die Rampe in Auschwitz nach ("vergessene" Kunst wird zur Todeskunst), und weder KZ-Überlebende noch gesunde Mitglieder der ersten EG-Kommission lassen sich noch auftreiben. Der in einem Altersheim lebende und Auschwitz überlebt habende de Vriend wird bei einem U-Bahn-Anschlag in Brüssel getötet, bevor ihn die EU-Beamt:innen kontaktieren können.
Eingebettet ist ein Mord im Brüsseler Hotel Atlas (gibt es wirklich), dessen Ermittlungen eingestellt werden müssen, da Geheimdienste und wohl auch die Nato wie der Vatikan intervenieren, da sie anscheinend die Auftraggeber sind. Auch ist die falsche Person, ein Tourist, ermordet worden. Der polnische Auftragsmörder Matek stirbt bei einem Zugunglück in Polen. Worum es wirklich gehen soll, bleibt im Dunkel.
Dann gibt es auch noch einen pensionierten österreichischen Wirtschaftsprofessor, Alois Erhart, der bei einer Arbeitsgruppe, einem "Think Tank" zur Förderung Europas mitarbeitet und in einer Rede wünscht, dass Europa eine Hauptstadt erhält, die bei Auschwitz neu gebaut werden solle.
Überhaupt ist Menasse von Auschwitz besessen, so legt er eine Rede zur Gründung der EG von Walter Hallstein, dem ersten EG-Kommissionspräsidenten, nach Auschwitz, wofür er ziemlich zeitnah nach Erscheinen des Romans von Historikern zerlegt worden ist.
Der Roman beginnt eigentlich witzig, mit einem frei herumlaufenden Schwein und einem Mord, und der Lobbyismus der Schweinezüchter ist durchaus amüsant dargestellt, aber nachdem letztlich nichts zusammenläuft und Themen einfach ins Leere laufen, bleibt im Kontext der historischen Fehler, die nicht unbedingt den Romanfiguren zuzuschreiben sind, das Gefühl, dass Menasse mit dem, was er sich vorgenommen hat, etwas überfordert war.

2017 veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Robert Menasse diesen Roman über die EU. Hauptsächlich spielt er in Brüssel und er wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Letztlich ist es ein trauriger Roman, da dem europabegeisterten Menasse alles aus dem Ruder läuft. Alle Europaträume zerplatzen.
Da ist die Brüsseler Beamten-Riege mit ihren Intrigen, und es soll eine positive Veranstaltung zum fünfzigsten Jahrestag der EU-Kommission durchgeführt werden, die aber an allem scheitert, was nur scheitern kann. Eine Kunstausstellung, die nichts kostet, da sie aus dem Archiv einer Kunstsammlung genommen wird, baut die Rampe in Auschwitz nach ("vergessene" Kunst wird zur Todeskunst), und weder KZ-Überlebende noch gesunde Mitglieder der ersten EG-Kommission lassen sich noch auftreiben. Der in einem Altersheim lebende und Auschwitz überlebt habende de Vriend wird bei einem U-Bahn-Anschlag in Brüssel getötet, bevor ihn die EU-Beamt:innen kontaktieren können.
Eingebettet ist ein Mord im Brüsseler Hotel Atlas (gibt es wirklich), dessen Ermittlungen eingestellt werden müssen, da Geheimdienste und wohl auch die Nato wie der Vatikan intervenieren, da sie anscheinend die Auftraggeber sind. Auch ist die falsche Person, ein Tourist, ermordet worden. Der polnische Auftragsmörder Matek stirbt bei einem Zugunglück in Polen. Worum es wirklich gehen soll, bleibt im Dunkel.
Dann gibt es auch noch einen pensionierten österreichischen Wirtschaftsprofessor, Alois Erhart, der bei einer Arbeitsgruppe, einem "Think Tank" zur Förderung Europas mitarbeitet und in einer Rede wünscht, dass Europa eine Hauptstadt erhält, die bei Auschwitz neu gebaut werden solle.
Überhaupt ist Menasse von Auschwitz besessen, so legt er eine Rede zur Gründung der EG von Walter Hallstein, dem ersten EG-Kommissionspräsidenten, nach Auschwitz, wofür er ziemlich zeitnah nach Erscheinen des Romans von Historikern zerlegt worden ist.
Der Roman beginnt eigentlich witzig, mit einem frei herumlaufenden Schwein und einem Mord, und der Lobbyismus der Schweinezüchter ist durchaus amüsant dargestellt, aber nachdem letztlich nichts zusammenläuft und Themen einfach ins Leere laufen, bleibt im Kontext der historischen Fehler, die nicht unbedingt den Romanfiguren zuzuschreiben sind, das Gefühl, dass Menasse mit dem, was er sich vorgenommen hat, etwas überfordert war.
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21.07.2025 um 20:35Thomas Mann - Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

Bis 1913 geschrieben und vor seinem Tod nochmal bearbeitet, lässt sich erahnen, dass Mann in diesem Roman steckengeblieben ist. Der in Ich-Form geschriebene Roman bietet eine Rückschau aus der Sicht des etwa 40-jährigen, in den 1870er Jahren geborenen Krull. Schon in seiner Kindheit hat er sich in seiner Fantasie in andere Personen, so einen Kaiser, hineinversetzt und so behandeln lassen.
Felix Krull stammt aus einer rheinländischen Sektfabrikantenfamilie, sein Vater hat billigsten Fusel verkauft, jedoch in der gesellschaftlichen Oberliga mitspielen wollen. Der Bankrott ist vorhersehbar und der Vater nimmt sich das Leben. Krulls Pate, der Maler Schimmelpreester, zur Sektqualität:
Krull geht eine Beziehung mit einer ungarischen Prostituierten namens Rozsa ein, die er ein halbes Jahr pflegt, bis er den von seinem Paten in einem Pariser Hotel ausgehandelten Dienst antritt. Mann nutzt diese Episode, um den Menschenhandel im Rotlichtmilieu anzuprangern. Das Kurzportrait von Roza ist beklemmend.
Im Hotel selbst beginnt er als Liftboy und wird schließlich als Kellner angestellt, eine Tätigkeit, bei der er zu großer Beliebtheit gelangt, was wiederum ihm den Kontakt zu der "Schmuckdame", Madame Houpflé (Frau eines reichen elsässer Toilettensitzproduzenten), verschafft, mit der er eine Liebesbeziehung eingeht. Den Diebstahl gesteht er, und Madame Houpflé legt weiteren Schmuck als "Liebesgabe" drauf, sodass Krull ein Konto mit einer Einlage von etwa 12.000 Franc eröffnen kann. Das sind etwa 20 Jahresgehälter eines Hoteldieners.
Nach einigen ausführlichen Erzählungen über verschiedenste Hotelgäste, so auch einen schwulen Schotten, der ihn als Kammerdiener auf seinem Schloss haben will, kommt es zur prägenden Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Marquis de Venosta aus Luxemburg. Seine Eltern wollen ihn auf eine Bildungsweltreise schicken, doch er zieht es vor, bei seiner Geliebten Zaza in Paris zu bleiben. Sie vereinbaren einen Rollentausch. Der Marquis bleibt unter dem Namen von Krull in Paris und kann über dessen Ersparnisse verfügen (Krull kündigt im Hotel), Krull selbst unternimmt als Marquis de Venosta die Weltreise und kann über dessen Zuwendungen durch seine Eltern verfügen. Somit erhält Krull eine neue Identität.
Die Reise soll ihn von Lissabon zu Verwandten nach Argentinien führen. Im Zug lernt er den Generaldirektor des Lissaboners Naturgeschichtlichen Museums kennen, mit dem er lange Gespräche führt und über den Urknall, die Entstehung des Lebens sowie die Menschheitsgeschichte das Wesentliche der damaligen Erkenntnisse kennenlernt.
Auch in dieser Episode gibt es Bonmots, die wie Blitzschläge aus dem öfter dahinplätschernden Text hervortreten; hier einer von Kuckuck:
Ich denke, dass zwei Momente eine Rolle spielen können, dass Mann den Roman nicht fortgesetzt hat. Da ist einerseits der Weltkrieg, aber andererseits das einengende Setting des Rollentausches (Klamauk-Gefahr) und der Ich-Perspektive. Der Roman, den Mann im Anschluss schrieb, wurde schließlich ein Meisterwerk der Weltliteratur: Der Zauberberg.

Bis 1913 geschrieben und vor seinem Tod nochmal bearbeitet, lässt sich erahnen, dass Mann in diesem Roman steckengeblieben ist. Der in Ich-Form geschriebene Roman bietet eine Rückschau aus der Sicht des etwa 40-jährigen, in den 1870er Jahren geborenen Krull. Schon in seiner Kindheit hat er sich in seiner Fantasie in andere Personen, so einen Kaiser, hineinversetzt und so behandeln lassen.
Felix Krull stammt aus einer rheinländischen Sektfabrikantenfamilie, sein Vater hat billigsten Fusel verkauft, jedoch in der gesellschaftlichen Oberliga mitspielen wollen. Der Bankrott ist vorhersehbar und der Vater nimmt sich das Leben. Krulls Pate, der Maler Schimmelpreester, zur Sektqualität:
Ihre Person in Ehren, aber Ihren Champagner sollte die Polizei verbieten. Vor acht Tagen habe ich mich verleiten lassen, eine halbe Flasche davon zu trinken, und noch heute hat meine Natur sich nicht von diesem Angriff erholt. Was für Krätzer verstechen Sie eigentlich zu diesem Gebräu?Der Vater zur Sektqualität:
Ist es Petroleum oder Fusel, was Sie bei der Dosierung zusetzen? Kurzum, das ist Giftmischerei.
ich muß billig herstellen, weil das Vorurteil gegen die heimischen Fabrikate es so will - kurz, ich gebe dem Publikum, woran es glaubt.Der Tod des Vaters führt zum gesellschaftlichen Abstieg. Seine Mutter mietet in Frankfurt ein Haus, das sie als Pension führt. Felix bestaunt weiterhin die Oberschicht und deren Geschäfte, und sein Weg wird frei, als er vor der Stellungskommission einen epileptischen Anfall simuliert.
Krull geht eine Beziehung mit einer ungarischen Prostituierten namens Rozsa ein, die er ein halbes Jahr pflegt, bis er den von seinem Paten in einem Pariser Hotel ausgehandelten Dienst antritt. Mann nutzt diese Episode, um den Menschenhandel im Rotlichtmilieu anzuprangern. Das Kurzportrait von Roza ist beklemmend.
Rozsa, so hieß meine Gegenspielerin, war aus Ungarn gebürtig, doch ungewissester Herkunft; denn ihre Mutter war in einem Wandercirkus durch Reifen, mit Seidenpapier bespannt, gesprungen, und wer ihr Vater gewesen, lag völlig im Dunkel. Früh hatte sie stärksten Hang zu grenzenloser Galanterie gezeigt und war, noch jung, doch nicht ohne ihr Einverständnis, nach Budapest in ein Freudenhaus verschleppt worden, wo sie mehrere Jahre verbrachte, die Hauptanziehung der Anstalt. Aber ein Kaufmann aus Wien, der glaubte, nicht ohne sie leben zu können, hatte sie unter Aufbietung großer List und sogar mit Beihilfe eines Verbandes zur Bekämpfung des Mädchenhandels aus dem Zwinger entführt und bei sich angesiedelt. Älter schon und zum Schlagfluß geneigt, hatte er sich ihres Besitzes im Übermaße erfreut und in ihren Armen unvermutet den Geist aufgegeben, so daß Rozsa sich auf ledigem Fuße gefunden hatte. Von ihren Künsten hatte sie wechselnd in mancherlei Städten gelebt und sich kürzlich in Frankfurt niedergelassen, wo sie, von bloß erwerbender Hingabe keineswegs ausgefüllt und befriedigt, feste Beziehungen zu einem Menschen eingegangen war, welcher - Metzgergesell ursprünglich, aber ausgestattet mit kühnen Lebenskräften und von bösartiger Männlichkeit - Zuhälterei, Erpressung und allerlei Menschenfang zum Berufe erwählt und sich zu Rozsa's Gebieter aufgeworfen hatte, deren Glücksgeschäft seine vornehmste Einnahmequelle bildete. Wegen irgendwelcher Bluttat jedoch gefänglich eingezogen, hatte er sie auf längere Zeit sich selbst überlassen müssen, und da sie nicht gewillt war, auf ihr privates Glück zu verzichten, hatte sie ihre Augen auf mich geworfen und den stillen, noch unausgebildeten Jüngling sich zum Herzensgesellschafter ersehen.Auf dem Weg nach Paris stiehlt Krull eine Schmuckschatulle aus der offenen Tasche einer Dame in Pelzmantel, mit der er später in Paris ein Verhältnis eingehen wird, und den Schmuck wird er bei einem Pariser Juwelier, den ihm ein kroatischer Arbeitskollege empfiehlt, für gut 4.000 Franc verhökern. Privat kann er sich von der Diebesware teuerste Kleidung kaufen und sich in höheren Gesellschaftskreisen bewegen.
Im Hotel selbst beginnt er als Liftboy und wird schließlich als Kellner angestellt, eine Tätigkeit, bei der er zu großer Beliebtheit gelangt, was wiederum ihm den Kontakt zu der "Schmuckdame", Madame Houpflé (Frau eines reichen elsässer Toilettensitzproduzenten), verschafft, mit der er eine Liebesbeziehung eingeht. Den Diebstahl gesteht er, und Madame Houpflé legt weiteren Schmuck als "Liebesgabe" drauf, sodass Krull ein Konto mit einer Einlage von etwa 12.000 Franc eröffnen kann. Das sind etwa 20 Jahresgehälter eines Hoteldieners.
Nach einigen ausführlichen Erzählungen über verschiedenste Hotelgäste, so auch einen schwulen Schotten, der ihn als Kammerdiener auf seinem Schloss haben will, kommt es zur prägenden Begegnung mit dem etwa gleichaltrigen Marquis de Venosta aus Luxemburg. Seine Eltern wollen ihn auf eine Bildungsweltreise schicken, doch er zieht es vor, bei seiner Geliebten Zaza in Paris zu bleiben. Sie vereinbaren einen Rollentausch. Der Marquis bleibt unter dem Namen von Krull in Paris und kann über dessen Ersparnisse verfügen (Krull kündigt im Hotel), Krull selbst unternimmt als Marquis de Venosta die Weltreise und kann über dessen Zuwendungen durch seine Eltern verfügen. Somit erhält Krull eine neue Identität.
Die Reise soll ihn von Lissabon zu Verwandten nach Argentinien führen. Im Zug lernt er den Generaldirektor des Lissaboners Naturgeschichtlichen Museums kennen, mit dem er lange Gespräche führt und über den Urknall, die Entstehung des Lebens sowie die Menschheitsgeschichte das Wesentliche der damaligen Erkenntnisse kennenlernt.
Auch in dieser Episode gibt es Bonmots, die wie Blitzschläge aus dem öfter dahinplätschernden Text hervortreten; hier einer von Kuckuck:
..., daß neben dem Menschen das gerade schon formbeständige Urtier fortlebe, der Einzeller, das Infusor, die Mikrobe, mit einer Pforte zur Einfuhr und einer zur Ausfuhr an ihrem Zeil-Leib, - mehr brauche es nicht, um Tier zu sein, und um Mensch zu sein, brauche es meistens auch nicht viel mehr.In Lissabon verkehrt er in Diplomatenkreisen, hat eine Audienz mit dem König, schreibt ausführliche Briefe an seine "Eltern" und ist regelmäßiger Gast im Haus der Familie Kuckuck mit der dominanten iberischen Gattin und ihrer spröden Tochter Susanna bzw. Zouzou. Krull wirbt wie wild um ihre Gunst, doch Zouzous Ansicht ist:
Ihr jungen Männer seid alle garstige, lasterhafte Buben, die auf das Unanständige aus sind.Nach einer langen Beschreibung eines Stierkampfes und dessen blutiger Brutalität führt Mann den Roman zum Ende. Im Garten des Hauses der Kuckuck zeigt Krull ihr vom echten Venosta gemalte Akte von Zaza, die er mit Frisurelementen von Zouzou versehen hat. Diese zerreißt die Bilder, beginnt ihn jedoch zu umarmen und zu küssen. Ihre Mutter beobachtet dies, schickt sie ins Zimmer und der Roman endet, dass Signora Kuckuck beginnt, Krull zu verführen.
...
Der Mensch, wie schön er sei, wie schmuck und blank,
Ist innen doch Gekrös' nur und Gestank.
Ich denke, dass zwei Momente eine Rolle spielen können, dass Mann den Roman nicht fortgesetzt hat. Da ist einerseits der Weltkrieg, aber andererseits das einengende Setting des Rollentausches (Klamauk-Gefahr) und der Ich-Perspektive. Der Roman, den Mann im Anschluss schrieb, wurde schließlich ein Meisterwerk der Weltliteratur: Der Zauberberg.
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23.07.2025 um 10:20Florian Illies - Generation Golf

25 Jahre ist es her, dass Florian Illies diese Nabelschau über eine ganze Generation veröffentlicht hat. Viel kann ich damit nicht anfangen.
Einerseits finde ich eine Charakterzuschreibung für eine Generation grundsätzlich bedenklich, in diesem Fall ist es Egoismus, Narzissmus, Leben als "Selbstbefriedigung", Konsumorientierung, Markenwahn, Werbeweltglauben, Entpolitisierung, Konservativismus. Da könnte ich nun drauflegen, dass es eine Generation von Protofaschisten ist, da diese Altersgruppe gegenwärtig weltweit populistische Parteien oder Kandidaten überdurchschnittlich wählt. Nur sind solche Zuschreibungen sinnbefreit, da ohne Analyse.
Andererseits ist es der Schenkelklopferstil. Nichts wird aus einer radikalen ironisierenden Ich-Perspektive so richtig ernst genommen. Mehrfach kam mir in den Sinn: Das ist doch Gregs Tagebuch für Erwachsene. Die Generation davor wird pauschal als alternative Hippies mit Liegefahrrädern und "mit allen Hundertwassern gewaschene[n] Umhängetücher[n]", die auf Kiefermöbel steht, abgekanzelt, und Gerhard Schröder wie Joschka Fischer werden als Generation-Golf-Politiker belächelt, nur weil letzterer plötzlich nicht mehr lange Haare trägt, sondern Maßkleidung.
Manche Bonmonts sind für mich schon schwer unter der Gürtellinie, hier ist der blinde Sänger Stevie Wonder das Schenkelklopfer-Opfer:

25 Jahre ist es her, dass Florian Illies diese Nabelschau über eine ganze Generation veröffentlicht hat. Viel kann ich damit nicht anfangen.
Einerseits finde ich eine Charakterzuschreibung für eine Generation grundsätzlich bedenklich, in diesem Fall ist es Egoismus, Narzissmus, Leben als "Selbstbefriedigung", Konsumorientierung, Markenwahn, Werbeweltglauben, Entpolitisierung, Konservativismus. Da könnte ich nun drauflegen, dass es eine Generation von Protofaschisten ist, da diese Altersgruppe gegenwärtig weltweit populistische Parteien oder Kandidaten überdurchschnittlich wählt. Nur sind solche Zuschreibungen sinnbefreit, da ohne Analyse.
Andererseits ist es der Schenkelklopferstil. Nichts wird aus einer radikalen ironisierenden Ich-Perspektive so richtig ernst genommen. Mehrfach kam mir in den Sinn: Das ist doch Gregs Tagebuch für Erwachsene. Die Generation davor wird pauschal als alternative Hippies mit Liegefahrrädern und "mit allen Hundertwassern gewaschene[n] Umhängetücher[n]", die auf Kiefermöbel steht, abgekanzelt, und Gerhard Schröder wie Joschka Fischer werden als Generation-Golf-Politiker belächelt, nur weil letzterer plötzlich nicht mehr lange Haare trägt, sondern Maßkleidung.
Die richtige Kleidung kann alles wettmachen. Die schlechte Haut, die bäuerische Herkunft, die schlechte Examensnote. Hauptsache, man ist richtig gekleidet, wie es der Kaschmirkanzler und Joschka Fischer auch von Anfang an als zentrales Regierungsprogramm vertreten haben.Viel Raum nimmt die sich veränderte Medienwelt ein, als ob Entwicklungen wie Privatfernsehen, CD, MTV mit den Videoclips und Daily Soaps ausschließlich durch einen Generationencharakter erklärt werden könnten.
Manche Bonmonts sind für mich schon schwer unter der Gürtellinie, hier ist der blinde Sänger Stevie Wonder das Schenkelklopfer-Opfer:
Der Sprudel war damals aber immer in denselben schweren Glasflaschen, auf denen mit vielen kleinen Glaspunkten und Erhebungen wahrscheinlich geheime Botschaften an Stevie Wonder standen.Politische Einsichten oder Ansichten sind sporadisch in den Greg-Stil eingeflochten, wie zum Beispiel die Abkanzelung sozialdemokratischer Schulpolitik in Hessen.
Wahrscheinlich eine schöne Idee sozialdemokratischer Schulpolitik, um frühzeitig der kapitalistischen Ellbogengesellschaft entgegenzuwirken.Und bezüglich Steuerpolitik scheint Illies nicht zu ironisieren, sondern seine persönliche Meinung wiederzugeben, die er in einer Gesprächserinnerung mit seinem Bruder formuliert:
Wie alle schönen Ideen der sozialdemokratischen Schulpolitik, die wir an uns ausprobieren lassen mußten, bestand sie nicht den Wirklichkeitstest. Nachdem ich nach der zehnten Klasse von der Gesamtschule aufs Gymnasium wechselte und im Biologieunterricht ungefähr auf dem Stand der fünften, im Lateinunterricht auf dem der sechsten Klasse war, begann der Haß auf die Gesamtschulpädagogik, die wohl anders als jedes neue Spüli nie den Pepsitest gemacht hat, sondern gleich in die nordrheinwestfälischen und hessischen Lehrpläne einging.
Das letztemal stritten wir uns, als wir uns über die Aktiengewinne meiner Freunde am Neuen Markt unterhielten und ich ihm erzählte, wie unsinnig in diesem Punkt das deutsche Steuerrecht sei. Denn das Gesetz, mit dem die Generation Golf die meisten Probleme hat, ist nicht das zum Schutze der Jugend oder das deutsche Reinheitsgebot. Es ist der Umstand, daß man Spekulationsgewinne an der Börse versteuern muß, wenn man die Aktien nicht mindestens ein Jahr lang in seinem Depot beläßt.Oder ist doch alles nur Ironie? Hier der Schlusssatz:
... manche von uns schreiben schon mit 28 Jahren ein Buch über ihre eigene Kindheit, im eitlen Glauben, daran lasse sich die Geschichte einer ganzen Generation erzählen.Erfolgreich war Illies mit diesem Buch auf jeden Fall. Derzeit ist das Taschenbuch bei der 15. Auflage und der Titel hat es neben Generation X in die Realwelt geschafft.
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26.07.2025 um 15:11Marlene Streeruwitz - Jessica, 30

2004 erschien dieses nicht leicht verdauliche Werk der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Literaturtechnisch sehr ambitioniert präsentiert sie einen aktualisierten Perspektivenwechsel von Arthur Schnitzlers Theaterstück Anatol (mein Blogeintrag Arthur Schnitzler - Anatol), in dem ein junger Adeliger seine sexuellen Bedürfnisse bei einem Unterschichtmädchen, dem "süßen Mädel", aus der Wiener Vorstadt Hernals befriedigt, bis er sie wegen einer standesgemäßen Heirat verlässt. Zeitlich spielt die Handlung im Jahr 2003 während der scheiternden Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen.
Jessica Somner ist 30 Jahre alt, promovierte Kulturwissenschafterin, stammt aus der "Provinz" (der Steiermark), hat eine Zeitlang mit ihrem Ex-Freund in New York gelebt (ihre Traum- und Projektionsstadt), arbeitet als Praktikantin bei einer Modezeitschrift für Frauen, lebt von Zuwendungen ihres Vaters bzw. den Einkünften aus der Vermietung einer Kleinwohnung in Wien, in der zweiten ihr gehörigen Wohnung lebt sie. Sie joggt, ist modebewusst, ihre Laster sind nächtliche Eisfressereien und Sex.
Ihr "Anatol" heißt Gerhard Hollitzer, er ist fiktiver Staatssekretär für Zukunfts- und Entwicklungsfragen in der nicht fiktiven ÖVP/FPÖ-Regierung, er gehört der ÖVP an, ist ein Macht- und Karrieremensch, ist konservativ und betrügt seine getrennt von ihm lebende Frau mit anderen Frauen wie mit Prostituierten, sein "Schwanz ... ist auch ganz schön", wie Jessica meint. Funktion bei Jessica: "Pausenfüller".
Stilistisch ist der Text fast durchgehend ein innerer Monolog Jessicas (auch hier knüpft Streeruwitz an Texten von Schnitzler an) und in drei Teile geteilt.
Der Besuch Gerhards ist von Jessica initiiert, sie will/soll herausfinden, ob die Geschichte ihrer Freundin Mia, einer Fotografin, stimmt, dass Gerhard sie ein Wochenende lang gegen ihren Willen an ihr Bett gefesselt, ihr nur Wasser eingeflößt und sie nicht mal aufs WC lassen habe. Mia will darüber ein Buch schreiben. Nach einer Fellatio, bei der Gerhard Jessicas Kopf gegen ihren Willen geführt hat, stellt sie ihn zur Rede, nur seine Geschichte ist ganz anders. Gleichzeitig droht er aber, ihren Vater mit einer Steuerprüfung fertigzumachen und ihre Mutter (Lehrerin) versetzen zu lassen, falls sie die Publikation fördere. Gleichzeitig bietet er ihr aber auch einen Job bei einem parteinahen Kulturinstitut an. Jessica lehnt ab, wirft ihn aus der Wohnung und beschließt Rache.
Der Flug nach Hamburg hat die Zeitschrift Stern zum Ziel, sie will Machenschaften der Gruppe um Gerhard Hollitzer an die Öffentlichkeit bringen. Nicht das Fesseln von Mia, dafür gibt es keine Beweise, aber wegen einer Orgie im Semmering-Hotel Panhans nach einem Zukunftsseminar, als auf Parteikosten slowakische Sexarbeiterinnen bestellt wurden. Den Originalbeleg hat sie erschleichen können (dass sie sich als eine Parteiangestellte hat ausgeben können, ist doch etwas unrealistisch - "es hat ja nichts gekostet, sich als Assistentin von der Frau Golz-Glaser zu verkleiden"; die Info hatte sie von einem ehemaligen Sicherheitsbeamten). Nun hofft sie, dass der Stern dies veröffentlicht. Vorwurf: Mitwirkung beim Frauenhandel. Ob ihr dies geliingt - das erfahren wir nicht. Der Roman endet bei der Landung in Hamburg.
Die Monologe Jessicas sind ohne jeglichen Punkt gestaltet, es soll ein Bewusstseinsstrom kreiert werden, nur Kommas werden gesetzt. Dies erschwert den Zugang zum Text schon erheblich. Schnitzlers Monologe sind dahingehend lesefreundlicher.
Problematisch ist der Roman in mehrfacher Hinsicht:
Aus der Idee hätte ein großartiger Roman werden können, aber die absurden Übersteigerungen und die vulgäre Sprache vernichten sie.

2004 erschien dieses nicht leicht verdauliche Werk der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Literaturtechnisch sehr ambitioniert präsentiert sie einen aktualisierten Perspektivenwechsel von Arthur Schnitzlers Theaterstück Anatol (mein Blogeintrag Arthur Schnitzler - Anatol), in dem ein junger Adeliger seine sexuellen Bedürfnisse bei einem Unterschichtmädchen, dem "süßen Mädel", aus der Wiener Vorstadt Hernals befriedigt, bis er sie wegen einer standesgemäßen Heirat verlässt. Zeitlich spielt die Handlung im Jahr 2003 während der scheiternden Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und Grünen.
Jessica Somner ist 30 Jahre alt, promovierte Kulturwissenschafterin, stammt aus der "Provinz" (der Steiermark), hat eine Zeitlang mit ihrem Ex-Freund in New York gelebt (ihre Traum- und Projektionsstadt), arbeitet als Praktikantin bei einer Modezeitschrift für Frauen, lebt von Zuwendungen ihres Vaters bzw. den Einkünften aus der Vermietung einer Kleinwohnung in Wien, in der zweiten ihr gehörigen Wohnung lebt sie. Sie joggt, ist modebewusst, ihre Laster sind nächtliche Eisfressereien und Sex.
Ihr "Anatol" heißt Gerhard Hollitzer, er ist fiktiver Staatssekretär für Zukunfts- und Entwicklungsfragen in der nicht fiktiven ÖVP/FPÖ-Regierung, er gehört der ÖVP an, ist ein Macht- und Karrieremensch, ist konservativ und betrügt seine getrennt von ihm lebende Frau mit anderen Frauen wie mit Prostituierten, sein "Schwanz ... ist auch ganz schön", wie Jessica meint. Funktion bei Jessica: "Pausenfüller".
Stilistisch ist der Text fast durchgehend ein innerer Monolog Jessicas (auch hier knüpft Streeruwitz an Texten von Schnitzler an) und in drei Teile geteilt.
- Gedanken während einer abendlichen Joggingrunde
- Gedanken während eines desaströsen Besuchs von Gerhard (nur hier gibt es auch Dialoge)
- Gedanken während eines Flugs nach Hamburg
Der Besuch Gerhards ist von Jessica initiiert, sie will/soll herausfinden, ob die Geschichte ihrer Freundin Mia, einer Fotografin, stimmt, dass Gerhard sie ein Wochenende lang gegen ihren Willen an ihr Bett gefesselt, ihr nur Wasser eingeflößt und sie nicht mal aufs WC lassen habe. Mia will darüber ein Buch schreiben. Nach einer Fellatio, bei der Gerhard Jessicas Kopf gegen ihren Willen geführt hat, stellt sie ihn zur Rede, nur seine Geschichte ist ganz anders. Gleichzeitig droht er aber, ihren Vater mit einer Steuerprüfung fertigzumachen und ihre Mutter (Lehrerin) versetzen zu lassen, falls sie die Publikation fördere. Gleichzeitig bietet er ihr aber auch einen Job bei einem parteinahen Kulturinstitut an. Jessica lehnt ab, wirft ihn aus der Wohnung und beschließt Rache.
Der Flug nach Hamburg hat die Zeitschrift Stern zum Ziel, sie will Machenschaften der Gruppe um Gerhard Hollitzer an die Öffentlichkeit bringen. Nicht das Fesseln von Mia, dafür gibt es keine Beweise, aber wegen einer Orgie im Semmering-Hotel Panhans nach einem Zukunftsseminar, als auf Parteikosten slowakische Sexarbeiterinnen bestellt wurden. Den Originalbeleg hat sie erschleichen können (dass sie sich als eine Parteiangestellte hat ausgeben können, ist doch etwas unrealistisch - "es hat ja nichts gekostet, sich als Assistentin von der Frau Golz-Glaser zu verkleiden"; die Info hatte sie von einem ehemaligen Sicherheitsbeamten). Nun hofft sie, dass der Stern dies veröffentlicht. Vorwurf: Mitwirkung beim Frauenhandel. Ob ihr dies geliingt - das erfahren wir nicht. Der Roman endet bei der Landung in Hamburg.
Die Monologe Jessicas sind ohne jeglichen Punkt gestaltet, es soll ein Bewusstseinsstrom kreiert werden, nur Kommas werden gesetzt. Dies erschwert den Zugang zum Text schon erheblich. Schnitzlers Monologe sind dahingehend lesefreundlicher.
Problematisch ist der Roman in mehrfacher Hinsicht:
- Die Sexszenen können in jedem Romanporno erscheinen, und die Sprache Jessicas ist bezüglich Sexualität sehr eingeschränkt und auf unterstem Niveau (so wird das männliche Sexualorgan durchgehend als "Schwanz" bezeichnet, ein anderes Wort ist mir nicht aufgefallen). Dies verwundert bei einer hochbelesenen Kulturwissenschafterin (es finden sich viele Literaturreferenzen im Werk) und passt mit dem Rest des Textes nicht zusammen.
- Die Sprache Gerhard Hollitzers ist hölzern. Seine Dialogbeiträge hinterlassen einen unwirklichen Eindruck.
- Die Geschichte von Mia ergibt keinen Sinn. Ihre Darstellung bleibt zweifelhaft, auch ist sie für den weiteren Verlauf nicht relevant. Sie ist nur der Aufhänger, um Gerhard zu provozieren. Selber sagt Jessica: "dass sich die Mia halt nicht so auf Sadomaso einlassen hätte sollen, wenn sie es dann nicht verträgt"
- Der unfassbare Neid auf die Herausgeberin der Frauenzeitschrift, bei der sie tätig ist, zieht den Charakter Jessicas in zweifelhaftes Licht. So habe sie ihr "1.000 Ideen geklaut" und am liebsten würde sie ihr deshalb das Büro zertrümmern.
- Die unflätige Beschimpfung der damaligen österreichischen Bildungsministerin im Realnamen ist außerhalb jeglichen Kontextes und wirkt geschmacklos.
- Da der konservativen ÖVP zugetraut wird, den (real existiert habenden) Bombenbauer Fuchs beauftragt zu haben, Briefbomben zu verschicken (reales, schwerverletztes Opfer war der Wiener SPÖ-Bürgermeister Zilk), und somit impliziert wird, sie könne eine Terrororganisation sein, wird gleichzeitig jegliche berechtigte Kritik an dieser Partei ad absurdum geführt.
Aus der Idee hätte ein großartiger Roman werden können, aber die absurden Übersteigerungen und die vulgäre Sprache vernichten sie.
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27.07.2025 um 18:18Zum vierten Mal jetzt schon:
„Erscheinungen“ - Erich von Däniken
Für mich mit das beste Werk zu Heiligenerscheinungen. Sehr kritisch, teilweise beißend ironisch. Aber, meiner Meinung nach, stellt er die richtigen Fragen (EvD ist ja Theologe).
Gerade was die Ansprüche dieser Erscheinungen betrifft; bspw. Gottesmutter Maria ‚wünscht‘, als sie drei Mädchen erscheint, von einem, dass dieses sich, als Liebesbeweis, für sie opfern würde (in dem Fall: auf das weltliche Leben zu verzichten und ins Kloster einzutreten). Oder sie gibt Befehle, wo eine Kapelle/Kirche gebaut werden muss, natürlich auf Kosten der Gläubigen.
Er greift aber auch die kirchlichen Machenschaften dahinter auf, die oft ziemlich offensichtlich von Geld getrieben sind. Viele Stätten früherer Erscheinungen leben ja davon…Devotionalien, (erzwungene) „Spenden“ etc.
Ich mag das Buch.
„Erscheinungen“ - Erich von Däniken
Für mich mit das beste Werk zu Heiligenerscheinungen. Sehr kritisch, teilweise beißend ironisch. Aber, meiner Meinung nach, stellt er die richtigen Fragen (EvD ist ja Theologe).
Gerade was die Ansprüche dieser Erscheinungen betrifft; bspw. Gottesmutter Maria ‚wünscht‘, als sie drei Mädchen erscheint, von einem, dass dieses sich, als Liebesbeweis, für sie opfern würde (in dem Fall: auf das weltliche Leben zu verzichten und ins Kloster einzutreten). Oder sie gibt Befehle, wo eine Kapelle/Kirche gebaut werden muss, natürlich auf Kosten der Gläubigen.
Er greift aber auch die kirchlichen Machenschaften dahinter auf, die oft ziemlich offensichtlich von Geld getrieben sind. Viele Stätten früherer Erscheinungen leben ja davon…Devotionalien, (erzwungene) „Spenden“ etc.
Ich mag das Buch.
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27.07.2025 um 18:42Er ist gelernter Koch und hat eine Hotelfachschule besucht. Als Schüler war er im Kollegium St. Michael in Freiburg (Schweiz).CaiaLia schrieb:EvD ist ja Theologe
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27.07.2025 um 18:45Ach was…wem bin ich da aufgesessen? Ich wusste nur, dass er Theologie studiert hat. Aber Lebensläufe sind schnell geschönt oder abgewertet, je nachdem auf welcher Seite man steht.Narrenschiffer schrieb:Er ist gelernter Koch und hat eine Hotelfachschule besucht. Als Schüler war er im Kollegium St. Michael in Freiburg (Schweiz
Letztlich ist’s mir egal, er hat das Thema für mich gut aufgearbeitet.
Kochen ist auch tief spirituell oder gar religiös. Und ab einem gewissen Quantum an Wein (zum Kochen natürlich) sieht man sicher auch Heiligenerscheinungen.
Aber ich hab‘ ja auch beides: Studium und Ausbildungen.
Und arbeite momentan in keinem der Bereiche, sondern beschäftigte mich „fachfremd“ mit Kunst.
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29.07.2025 um 12:10Benjamin von Stuckrad-Barre - Soloalbum

Dieser 1998 erschienene Roman zählt ja irgendwie zu den Ikonen der 90er Jahre. Noch definieren sich junge Leute über Musik, die sie auf CD oder Vinyl besitzen, und die schnellste schriftliche Kommunikationsmöglichkeit ist das Fax. Auf diesem Weg trennt sich die etwa 19-jährige Katharina von ihrem Freund, dem Ich-Erzähler, der dann seine Befindlichkeiten in Kapiteln mit Titeln oder Zitaten seiner Lieblingsband Oasis in inneren Monologen zum Besten gibt.
Der Ich-Erzähler arbeitet bei einem Musik-Label in Hamburg und nach Übersiedlung nach München bei einer nicht näher beschriebenen Agentur. Er ist immer knapp bei Kasse, verwahrlost seine Wohnungen, aber in der Öffentlichkeit trägt er Anzüge. Neben seiner Weinerlichkeit nach dem Laufpass sind vor allem Musiktitel Hauptthema der Reflexionen wie Beschreibungen seiner Wohnsituation, seiner Saufereien und seinem Sexleben inklusive Onanie - und sein überhebliches Ego bezüglich Kunst- und Kleidungsgeschmack - Thema. Und: Stalkingversuche bei Katharina, die aber eh ganz nett sind. Der Roman endet mit einem Oasis-Konzertbesuch in Berlin, der in Suff ausartet.
Hier so ein Überheblichkeitsbeispiel:

Dieser 1998 erschienene Roman zählt ja irgendwie zu den Ikonen der 90er Jahre. Noch definieren sich junge Leute über Musik, die sie auf CD oder Vinyl besitzen, und die schnellste schriftliche Kommunikationsmöglichkeit ist das Fax. Auf diesem Weg trennt sich die etwa 19-jährige Katharina von ihrem Freund, dem Ich-Erzähler, der dann seine Befindlichkeiten in Kapiteln mit Titeln oder Zitaten seiner Lieblingsband Oasis in inneren Monologen zum Besten gibt.
Der Ich-Erzähler arbeitet bei einem Musik-Label in Hamburg und nach Übersiedlung nach München bei einer nicht näher beschriebenen Agentur. Er ist immer knapp bei Kasse, verwahrlost seine Wohnungen, aber in der Öffentlichkeit trägt er Anzüge. Neben seiner Weinerlichkeit nach dem Laufpass sind vor allem Musiktitel Hauptthema der Reflexionen wie Beschreibungen seiner Wohnsituation, seiner Saufereien und seinem Sexleben inklusive Onanie - und sein überhebliches Ego bezüglich Kunst- und Kleidungsgeschmack - Thema. Und: Stalkingversuche bei Katharina, die aber eh ganz nett sind. Der Roman endet mit einem Oasis-Konzertbesuch in Berlin, der in Suff ausartet.
Hier so ein Überheblichkeitsbeispiel:
Ums Abitur herum fuhren meine triebgeplagten Freunde immer mit dem just ergaunerten Auto in den Osten, da sollte alles anders sein, es sollte, es mußte doch! Die Autos waren Erbschaften zu Lebzeiten, um die Steuer zu umwandern, die Omas wollten ja noch sehen, was sie sich da vom faltigen Munde abgeknapst hatten, von ihrer Trümmerfrauengage, jahrzehntelang gelebt wie Mittellose, Arbeitslose, Landlose, Rubbellose - und dann fährt der schnöselige Enkel die Tausender in den Osten, um dort - und genauso war es - "Prollweiber zu ficken". Nächtelang standen sie in ehemaligen Scheunen und versuchten die Mauerauf-Tanten in ihren unsäglichen Jeans, mit den widerlichen eingeflochtenen Zöpfen und den Daunenjacken "flachzulegen".Hier Überheblichkeit gepaart mit Misogynie (er selbst beklagt übrigens permanent sein Übergewicht):
Sie ist sehr uninteressant. In, je nach Sichtweise, sehr starken oder sehr schwachen Momenten möchte ich sie sofort loswerden. Dann denke ich ans Ficken. Das Ficken mit ihr macht nicht sonderlich viel Spaß, aber der wenige Spaß ist angesichts der monatelangen Totalflaute natürlich immer noch kosmisch. Sie hat kleine Titten, ist dann aber mittig sehr fett, das ist also schon mal genau verkehrt herum. Sie wird vor allem immer fetter, mittig. Redet beim Einkaufen von Diätschokolade und Margarine und ißt dann lauter Dreck. Jetzt ist sie zu Besuch, keine Ahnung, wie lange sie bleiben will, der Größe der Tasche nach schätze ich mal: ziemlich lange. Sie liegt ganze lage bei mir auf dem Bett rum - ich gehe arbeiten, sie liegt auf dem Bett und tut nichts, guckt bloß immer Fernsehen, und nur die dümmsten Programme: zwischen VIVA, RTL2 und Pro 7 hin und her. Dabei ißt sie Chips, und abends, wenn ich wiederkomme, lacht sie und sagt, ihr wäre fast gar nicht langweilig gewesen, nur einmal kurz, aber da sei sie dann schnell zu H&M gegangen. Dann cremt sie sich ein und zieht sich unglaublich abtörnende Schlaf-Sweatshirts an. Ich denke wirklich oft und gerne an Sex, und da liegt nun diese Tante in meinem Bett, und da sie da schon mal liegt und einfach auch völlig überfordert ist von der vielen Zeit, die ihr zur freien Verfügung steht, was läge da näher? Beziehungsweise: Ficken wäre kein Problem, so gesehen. Aber es treibt mich überhaupt nichts ...Hier ein Beispiel, wie Schein (Anzüge, Überheblichkeit) und Sein (Prollhaftigkeit) auseinanderklaffen. Ort ist eine archäologische Ausgrabungsstelle in München:
Ich habe gestern nacht gegen den Ausstellungscontainer gepißt. Das machen die Hunde auch. Heute nacht pisse ich in die Grube. Da kommen die Hunde nicht hin wegen all der Gitter. Ich kann weiter pissen als die Hunde. Vielleicht ist meine Pisse ja morgen als gelbes, gefrorenes Naturspektakel auf den weißen Plastikplanen zu bestaunen.Ein gelungenes Bonmot möchte ich aber doch präsentieren (Replik auf eine Dankesrede für einen Preis bei einer Fernsehgala):
"Ich danke den Juroren, vor allem aber meinem Publikum, das mir den Luxus erlaubt hat, mein Hobby zum Beruf ge macht zu haben."
Den letzten Satz würde ich ja gerne mal von einer Prostituierten hören.
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30.07.2025 um 04:35Martin Suters Wut und Liebe Verzweiflung und Intrigen ohne Tiefe. Leider ist Wut und Liebe zu inkonsistent. Wie weit würde man gehen, um die klaffende Wunde einer verlorenen Liebe zu heilen?
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31.07.2025 um 10:21Wolf Haas - Junger Mann

Auch schon wieder sieben Jahre her, dass Wolfgang Haas diesen Coming-of-Age-Roman, der in seiner Heimat in Hinterthal bei Maria Alm am Hochkönig (Pinzgau, Land Salzburg) angesetzt ist. Er spielt im Jahr 1974, die Hauptfigur ist 13, dick (180 cm und 93 Kilo), lernt in einem Internat, arbeitet in den Ferien immer als Tankwart, sein Vater ist Wirt, der trinkt und spielsüchtig ist, aktuell befindet er sich auf Entziehungskur in einer Nervenklinik. Das Ziel in den Sommerferien ist: abzunehmen. Seine Mutter unterstützt ihn mit einer Diät aus einer österreichischen Vorabendsendung. Haas drückt enorm auf die Tränendrüse und so manches erscheint heutzutage irreal, obwohl es vielleicht bezüglich Aufsichtspflicht vor 50 Jahren vielleicht etwas lockerer war.
Kern der Story ist, dass sich der "junge Mann" unsterblich in eine Elsa, der Frau des Fernfahrers Tscho, verliebt. Beide arbeiten als Hausbesorger in einer Millionärsvilla in Hinterthal (ist übrigens interessant, wer dort aller seine Zweitwohnsitze hatte und hat - Info im Raushier-Reisemagazin). Als vor dieser Villa dem "jungen Mann" ein Fahrradreifen platzt, kommen Elsa und er ins Gespräch, er wird ihr Englischlehrer und besucht sie des öfteren.
Als Tscho ihn auf der Tankstelle anspricht, fürchtet er schon ein Eifersuchtsdrama und bangt um sein Leben (natürlich ist er für Tscho keine Konkurrenz). Dieser lädt ihn auf eine Fahrt nach Saloniki ein (offiziell, um ihn dort am Zoll wegen englischsprachiger Papiere zu dolmetschen), die er mitmacht. Es beginnt eine fast klischeehafte Balkantour: kalorienreiches Essen, Puff bei Nis, Schmuggel (Tscho tauscht im Puff Strumpfhosen gegen eine Pistole mit Munition), einsame Bucht in Griechenland, Fischmarkt in Saloniki; Fracht: Kühlschränke von Bauknecht. Auch hat Tscho in Saloniki eine wunderschöne griechische Freundin (Antonia), sie haben eine gemeinsame Tochter und Tscho unterstützt sie.
Danach wird es rührselig: Auf der Rückfahrt gesteht Tscho, dass er Krebs hat und er sich nicht operieren lassen will, da er danach kein Mann mehr sei (klingt nach Hodenkrebs). Der "junge Mann" überzeugt ihn in einfühlsamen Gesprächen, weiterleben zu wollen und den bereits angesetzten Operationstermin wahrzunehmen, was Tscho dann auch tut (direkt vom Sattelschlepper rein ins Krankenhaus).
Und: Nach Rückkehr zeigt die Waage 78 Kilo - trotz Balkanessen.
Ausblick: Vier Jahre später sieht der nun 18-Jährige ein Foto von Tscho, Elsa, Antonia und deren Tochter in der Zeitung. Sie haben Hilfslieferungen in das von einem Erdbeben verwüstete Saloniki gebracht. Dieses Erdbeben gab es am 20. Juni 1978 wirklich - vulkane.net
Der Text ist flott und witzig geschrieben, aber ob es 1974 wirklich möglich war, als 13-Jähriger mit einem nicht verwandten Fernfahrer von Österreich über Jugoslawien und Bulgarien nach Griechenland zu fahren? Keine Ahnung.

Auch schon wieder sieben Jahre her, dass Wolfgang Haas diesen Coming-of-Age-Roman, der in seiner Heimat in Hinterthal bei Maria Alm am Hochkönig (Pinzgau, Land Salzburg) angesetzt ist. Er spielt im Jahr 1974, die Hauptfigur ist 13, dick (180 cm und 93 Kilo), lernt in einem Internat, arbeitet in den Ferien immer als Tankwart, sein Vater ist Wirt, der trinkt und spielsüchtig ist, aktuell befindet er sich auf Entziehungskur in einer Nervenklinik. Das Ziel in den Sommerferien ist: abzunehmen. Seine Mutter unterstützt ihn mit einer Diät aus einer österreichischen Vorabendsendung. Haas drückt enorm auf die Tränendrüse und so manches erscheint heutzutage irreal, obwohl es vielleicht bezüglich Aufsichtspflicht vor 50 Jahren vielleicht etwas lockerer war.
Kern der Story ist, dass sich der "junge Mann" unsterblich in eine Elsa, der Frau des Fernfahrers Tscho, verliebt. Beide arbeiten als Hausbesorger in einer Millionärsvilla in Hinterthal (ist übrigens interessant, wer dort aller seine Zweitwohnsitze hatte und hat - Info im Raushier-Reisemagazin). Als vor dieser Villa dem "jungen Mann" ein Fahrradreifen platzt, kommen Elsa und er ins Gespräch, er wird ihr Englischlehrer und besucht sie des öfteren.
Als Tscho ihn auf der Tankstelle anspricht, fürchtet er schon ein Eifersuchtsdrama und bangt um sein Leben (natürlich ist er für Tscho keine Konkurrenz). Dieser lädt ihn auf eine Fahrt nach Saloniki ein (offiziell, um ihn dort am Zoll wegen englischsprachiger Papiere zu dolmetschen), die er mitmacht. Es beginnt eine fast klischeehafte Balkantour: kalorienreiches Essen, Puff bei Nis, Schmuggel (Tscho tauscht im Puff Strumpfhosen gegen eine Pistole mit Munition), einsame Bucht in Griechenland, Fischmarkt in Saloniki; Fracht: Kühlschränke von Bauknecht. Auch hat Tscho in Saloniki eine wunderschöne griechische Freundin (Antonia), sie haben eine gemeinsame Tochter und Tscho unterstützt sie.
Danach wird es rührselig: Auf der Rückfahrt gesteht Tscho, dass er Krebs hat und er sich nicht operieren lassen will, da er danach kein Mann mehr sei (klingt nach Hodenkrebs). Der "junge Mann" überzeugt ihn in einfühlsamen Gesprächen, weiterleben zu wollen und den bereits angesetzten Operationstermin wahrzunehmen, was Tscho dann auch tut (direkt vom Sattelschlepper rein ins Krankenhaus).
Und: Nach Rückkehr zeigt die Waage 78 Kilo - trotz Balkanessen.
Ausblick: Vier Jahre später sieht der nun 18-Jährige ein Foto von Tscho, Elsa, Antonia und deren Tochter in der Zeitung. Sie haben Hilfslieferungen in das von einem Erdbeben verwüstete Saloniki gebracht. Dieses Erdbeben gab es am 20. Juni 1978 wirklich - vulkane.net
Der Text ist flott und witzig geschrieben, aber ob es 1974 wirklich möglich war, als 13-Jähriger mit einem nicht verwandten Fernfahrer von Österreich über Jugoslawien und Bulgarien nach Griechenland zu fahren? Keine Ahnung.
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31.07.2025 um 12:54Wolfgang Herrndorf - Bilder deiner großen Liebe

In dem posthum 2014 erschienen Roman greift Herrndorf mit Isa Schmidt eine 14-Jährige auf, die in Tschick vorkommt.
Isa haut von einer Nervenheilanstalt (sie sieht sich als "Verrückte") ab und beginnt einen Fußmarsch durch Deutschland, den sie in Episoden erzählt, wobei weder auf Kontinuität noch auf Realität geachtet werden muss, da es ja ihre Reflexionen sind. Sie fährt auf einem Binnenfrachtschiff wie bei einem LKW mit (der Schiffer ist nett, der LKW-Fahrer eigentlich auch, auch wenn er Schweine fährt und sich am Straßenrand einen runterholt, als er Isa beim Schweinetränken beobachtet). Es gibt eine Begegnung mit einem Schriftsteller, bei dem sie im Garten für ein paar Euro den Rasen mäht, mit einem aggressiven Alkoholiker in einem Park und - wohl unvermeidlich - mit den beiden Lada-Typen aus Tschick. Die meisten, denen sie begegnet, denken zwar daran, dieses entlaufene Kind der Polizei zu melden, unterlassen es jedoch.
Beeindruckend ist die Schilderung, wie sie in einer Gesellschaft, deren physische Erhaltung über den Markt organisiert ist, überleben muss. Sie hungert, stiehlt, bettelt, übernimmt Arbeiten, sucht auf einer Müllhalde nach Essbarem. Auch die Wege sind schwierig. In einer längeren Episode schildert sie den Versuch, einen Fluss zu überqueren, bei dem es keine Brücke gibt. In einem Wald stößt sie auf einen toten Jäger, der auf einem erschossenen Reh verwest. Sie vermutet, ihn habe der Schlag getroffen, und nimmt seine Pistole.
Reales und Nicht-Reales mischt sich beispielsweise in einer Episode, als sie mit einem taubstummen Jungen spricht, der bei ihr bleiben will und ihr Treue gelobt: "Meine Ehre heißt Treue." Auf diesen SS-Leitspruch antwortet Isa mit der Bibel: "noch ehe der Hahn zum dritten Mal kräht, wirst du mich verlassen".
Isa ist überhaupt sehr belesen, ihr Lieblingsautor sei Karl Philipp Moritz, dessen Roman Anton Reiser für Herrndorf durchaus eine Inspiration zu diesem Werk gewesen sein könnte.
Literarisch ist dieser kurze Roman definitiv höherwertig als Herrndorfs erfolgreicher Roman Tschick, der für mich letztlich doch nur Klamauk ist.

In dem posthum 2014 erschienen Roman greift Herrndorf mit Isa Schmidt eine 14-Jährige auf, die in Tschick vorkommt.
Isa haut von einer Nervenheilanstalt (sie sieht sich als "Verrückte") ab und beginnt einen Fußmarsch durch Deutschland, den sie in Episoden erzählt, wobei weder auf Kontinuität noch auf Realität geachtet werden muss, da es ja ihre Reflexionen sind. Sie fährt auf einem Binnenfrachtschiff wie bei einem LKW mit (der Schiffer ist nett, der LKW-Fahrer eigentlich auch, auch wenn er Schweine fährt und sich am Straßenrand einen runterholt, als er Isa beim Schweinetränken beobachtet). Es gibt eine Begegnung mit einem Schriftsteller, bei dem sie im Garten für ein paar Euro den Rasen mäht, mit einem aggressiven Alkoholiker in einem Park und - wohl unvermeidlich - mit den beiden Lada-Typen aus Tschick. Die meisten, denen sie begegnet, denken zwar daran, dieses entlaufene Kind der Polizei zu melden, unterlassen es jedoch.
Beeindruckend ist die Schilderung, wie sie in einer Gesellschaft, deren physische Erhaltung über den Markt organisiert ist, überleben muss. Sie hungert, stiehlt, bettelt, übernimmt Arbeiten, sucht auf einer Müllhalde nach Essbarem. Auch die Wege sind schwierig. In einer längeren Episode schildert sie den Versuch, einen Fluss zu überqueren, bei dem es keine Brücke gibt. In einem Wald stößt sie auf einen toten Jäger, der auf einem erschossenen Reh verwest. Sie vermutet, ihn habe der Schlag getroffen, und nimmt seine Pistole.
Reales und Nicht-Reales mischt sich beispielsweise in einer Episode, als sie mit einem taubstummen Jungen spricht, der bei ihr bleiben will und ihr Treue gelobt: "Meine Ehre heißt Treue." Auf diesen SS-Leitspruch antwortet Isa mit der Bibel: "noch ehe der Hahn zum dritten Mal kräht, wirst du mich verlassen".
Isa ist überhaupt sehr belesen, ihr Lieblingsautor sei Karl Philipp Moritz, dessen Roman Anton Reiser für Herrndorf durchaus eine Inspiration zu diesem Werk gewesen sein könnte.
Literarisch ist dieser kurze Roman definitiv höherwertig als Herrndorfs erfolgreicher Roman Tschick, der für mich letztlich doch nur Klamauk ist.
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31.07.2025 um 20:44
DIE WAHRHEIT: Thriller
Melanie Raabe
Vor sieben Jahren ist der reiche und zurückgezogen lebende Geschäftsmann Philipp Petersen während einer Südamerikareise spurlos verschwunden. Seither zieht seine Frau Sarah (37) den gemeinsamen Sohn alleine groß. Doch dann erhält Sarah wie aus heiterem Himmel die Nachricht, dass Philipp am Leben ist. Die Rückkehr des vermeintlichen Entführungsopfers löst ein gewaltiges Medieninteresse aus. Sarah hat zwiespältige Gefühle, nach all der Zeit verständlich. Sie hat eine harte Zeit hinter sich. Gerade war sie dabei, sich von der Vergangenheit zu lösen. Ihr Ehemann taucht, wenn man so will, zur Unzeit auf. Was wird werden? Gibt es eine gemeinsame Zukunft? Sie ist auf alles vorbereitet, nur auf das eine nicht: Der Mann, der aus dem Flugzeug steigt, ist nicht der, als der er sich ausgibt. Es ist nicht ihr Ehemann. Es ist ein Fremder – und er droht Sarah: Wenn sie ihn jetzt bloßstelle, werde sie alles verlieren: ihren Mann, ihr Kind, ihr ganzes scheinbar so perfektes Leben ...
Habe jetzt die ersten 9 Kapitel durch und finde es sehr spannend.
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07.08.2025 um 10:25Elfriede Jelinek - Die Klavierspielerin

42 Jahre ist dieser 1983 veröffentlichte Roman von Elfriede Jelinek nun bereits alt und immer noch ein sehr herausforderndes Werk über eine 36-jährige Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium, heute Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, eine renommierte Ausbildungsstätte für Musiker:innen, welche den professionellen Weg einschlagen wollen (bis hin zu den Wiener Philharmonikern).
Jelinek präsentiert eine desolate Psyche einer Frau mit einer Art Eiskunstlaufmutter. Diese wollte, dass ihre Tochter eine Karriere als Klaviersolistin antritt, doch Erika scheitert bei einem Wettbewerb, so wurde sie Klavierlehrerin. Erika ist sozial sehr gehemmt und zurückgezogen, lebt immer noch bei ihrer dominanten Mutter in einer Wiener Altbauwohnung, hat zwar ein eigenes Zimmer, schläft aber bei ihrer Mutter im Ehebett (der Vater war dement, wurde in die Nervenheilanstalt Steinhof abgeschoben und ist dort verstorben). Die Mutter, eine "Mutterfregatte", dominiert weiterhin ihre Tochter, duldet kein Zuspätkommen, verachtet Erikas Einkaufslust für teure Kleidung, da sie ja auf eine Eigentumswohnung spart. Mit dem Geld, das Erika verdient.
Hier, als Erika sieht, dass ihre Mutter ein Kleidungsstück entwendet hat.
Den zweiten langen Teil des Romans nimmt eine "Beziehung" mit dem etwa 20-jährigen Klavierschüler, Technikstudenten und Wildwasserpaddler Walter Klemmer ein. Es sei ein Band der Verachtung, das die beiden verbinde. Klemmer fühlt sich sexuell von der 36-Jährigen nicht nur aufgrund ähnlicher Kunstauffassungen extrem angezogen und hat den knallharten Willen, sie zu "Liebe" zu zwingen. Die Eskalation beginnt, als Klemmer versucht, Erika im WC einer Schule, in der das Orchester probt, zu "nehmen". Erika spielt mit ihm, hält ihn auf Distanz, masturbiert ihn bis knapp vor dem Orgasmus und lässt ihn dann mit Schmerzen in den Lenden stehen.
Doch schreibt sie ihm einen Brief, was sie von ihm sexuell will. Es sind masochistische Fantasien, von denen sie nicht sicher ist, dass er sie wirklich umsetzen soll. Klemmer soll sie in der Wohnung ihrer Mutter fesseln, knebeln und Vergewaltigung andeuten. Im Beisein ihrer Mutter. Er liest den Brief bei Erika und kann nicht glauben, dass sie das ernst meine. Andererseits dämmert ihm, dass Erika nur ihre eigene masochistische Befriedigung verfolge und null Interesse an seinen eigenen Bedürfnissen habe.
Die Eskalation beginnt, als Erika ihm in der Putzpersonalkammer des Konservatoriums einen bläst, wieder nur an sich denkt und ihn nur noch ekelt. Nun sinnt er nach Rache.
Verfilmt wurde der Roman 2001 von Michael Haneke, den ich aber (noch) nicht gesehen habe.

42 Jahre ist dieser 1983 veröffentlichte Roman von Elfriede Jelinek nun bereits alt und immer noch ein sehr herausforderndes Werk über eine 36-jährige Klavierlehrerin am Wiener Konservatorium, heute Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien, eine renommierte Ausbildungsstätte für Musiker:innen, welche den professionellen Weg einschlagen wollen (bis hin zu den Wiener Philharmonikern).
Jelinek präsentiert eine desolate Psyche einer Frau mit einer Art Eiskunstlaufmutter. Diese wollte, dass ihre Tochter eine Karriere als Klaviersolistin antritt, doch Erika scheitert bei einem Wettbewerb, so wurde sie Klavierlehrerin. Erika ist sozial sehr gehemmt und zurückgezogen, lebt immer noch bei ihrer dominanten Mutter in einer Wiener Altbauwohnung, hat zwar ein eigenes Zimmer, schläft aber bei ihrer Mutter im Ehebett (der Vater war dement, wurde in die Nervenheilanstalt Steinhof abgeschoben und ist dort verstorben). Die Mutter, eine "Mutterfregatte", dominiert weiterhin ihre Tochter, duldet kein Zuspätkommen, verachtet Erikas Einkaufslust für teure Kleidung, da sie ja auf eine Eigentumswohnung spart. Mit dem Geld, das Erika verdient.
Wer zahlt, bestimmt. Die Mutter, die nur eine winzige Rente hat, bestimmt, was Erika bezahlt.In dieser bedrückenden Atmosphäre gibt es einen extremen Wechsel zwischen abgöttischer Mutter-Tochter-Liebe und feindseligen Gewaltausbrüchen.
Hier, als Erika sieht, dass ihre Mutter ein Kleidungsstück entwendet hat.
Erika stürzt plötzlich zu ihrem Kleiderschrank. Sie wird von einem finstren Argwohn ergriffen, der sich schon einige Male bestätigt hat. Heute zum Beispiel fehlt wieder etwas, das dunkelgraue Herbst-Complet nämlich. Was ist geschehen? In der Sekunde, da Erika merkt, es fehlt etwas, weiß sie auch schon die dafür Verantwortliche zu benennen. Es ist die einzige Person, die dafür in Frage kommt. Du Luder, du Luder, brüllt Erika wütend die ihr übergeordnete Instanz an und verkrallt sich in ihrer Mutter dunkelblond gefärbten Haaren, die an den Wurzeln grau nachstoßen. Auch ein Friseur ist teuer und wird am besten nicht aufgesucht. Erika färbt der Mutter jeden Monat die Haare mit Pinsel und Polycolor. Erika rupft jetzt an den von ihr selbst verschönten Haaren. Sie reißt wütend daran. Die Mutter heult. Als Erika zu reißen aufhört, hat sie die Hände voller HaarbüschelHier, als Erika von einem abendlichen Streifzug sehr spät nach Hause kommt:
Erika tritt herein. Blinzelt wie ein Nachtfalter, der zuviel getrunken hat, in das helle Vorzimmerlicht. Überall sind die Lichter eingeschaltet, wie zu einer Festbeleuchtung. Doch die Zeit des hl. Abendmahls ist seit Stunden ungenützt vorübergegangen.Erikas Gedankenwelt ist immer wieder von Gewalt geprägt, die sie jedoch in ihrer Unterrichtswelt nicht ausleben kann.
Leise aber dunkelrot sprintet die Mutter von dem Ort ihres letzten Aufenthalts hervor, reißt etwas irrtümlich um und die Tochter beinahe zuboden, eine Phase des Kampfs, die erst später dran sein wird. Sie schlägt lautlos auf ihr Kind ein, und das Kind schlägt nach einer kurzen Reaktionszeit zurück. Von Erikas Schuhsohlen erhebt sich ein animalischer Geruch, er deutet zumindest Verwesung an. Die beiden sind, der Nachbarn wegen, die morgen früh aufstehen müssen, in einen lautlosen Ringkampf verwickelt. Mit ungewissem Ausgang. Das Kind läßt vielleicht aus Respekt in letzter Sekunde die Mutter gewinnen. Die Mutter läßt vielleicht aus Sorge um die zehn Handwerkshämmerchen des Kindes das Kind gewinnen. Eigentlich ist das Kind prinzipiell stärker, weil es jünger ist; außerdem hat sich die Mutter bereits in Kämpfen mit ihrem Mann verbraucht. Doch das Kind hat nicht gelernt, seine Stärke der Mutter gegenüber voll auszuspielen. Die Mutter klatscht saftige Dachteln gegen die gelöste Haartracht ihrer Leibesfrucht-Spätlese. Das Seidenkopftuch mit den Pferdeköpfen darauf flattert hoch und legt sich wie bestellt über eine Vorzimmerleuchte, das Licht, wie es sich für stimmungsvollere Vorstellungen gehört, sänftigend und dämpfend. Die Tochter ist außerdem im Nachteil, weil ihre Schuhe, von Scheiße, Lehm, Grashalmen glitschig geworden, auf dem Vorlegeteppich unter ihr wegrutschen. So klatscht der Körper der Lehrerin auf den Fußboden, nur wenig vom Läufer aus rotem Sisal abgemildert. Beträchtliche Lärmentwicklung. Die Mutter zischt Erika hinsichtlich der Nachbarn erneut Ruhe! zu. Die Tochter ersucht zur Revanche die Mutter bezüglich der Nachbarn ebenfalls um: Ruhe! Beide kratzen einander ins Gesicht. Die Tochter läßt einen Ruf erschallen wie ein Jagdfalke oberhalb seiner Beute und sagt jetzt, daß die Nachbarn sich hinsichtlich Ruhe von ihr aus morgen ruhig beschweren können, denn die Mutter wird das auszubaden haben. Die Mutter erhebt einen Geheulstoß, den sie sogleich wieder unterdrückt. Dann wieder halb stimmloses, halb stimmiges Keuchen und Wimmern, Ächzen und Zimpern. Die Mutter beginnt, auf die Mitleidstube zu drücken und, da der Kampf bislang unentschieden steht, mit den unlauteren Mitteln ihres Alters und nahen Todes zu arbeiten. Sie bringt diese Argumente halblaut vor, in einer geschluchzten Kette von faulen Ausreden, warum sie heute nicht gewinnen könne. Erika ist von der Klage der Mutter betroffen, sie will nicht, daß dämpfend. Die Tochter ist außerdem im Nachteil, weil ihre Schuhe, von Scheiße, Lehm, Grashalmen glitschig geworden, auf dem Vorlegeteppich unter ihr wegrutschen. So klatscht der Körper der Lehrerin auf den Fußboden, nur wenig vom Läufer aus rotem Sisal abgemildert. Beträchtliche Lärmentwicklung. Die Mutter zischt Erika hinsichtlich der Nachbarn erneut Ruhe! zu. Die Tochter ersucht zur Revanche die Mutter bezüglich der Nachbarn ebenfalls um: Ruhe! Beide kratzen einander ins Gesicht. Die Tochter läßt einen Ruf erschallen wie ein Jagdfalke oberhalb seiner Beute und sagt jetzt, daß die Nachbarn sich hinsichtlich Ruhe von ihr aus morgen ruhig beschweren können, denn die Mutter wird das auszubaden haben. Die Mutter erhebt einen Geheulstoß, den sie sogleich wieder unterdrückt. Dann wieder halb stimmloses, halb stimmiges Keuchen und Wimmern, Ächzen und Zimpern. Die Mutter beginnt, auf die Mitleidstube zu drücken und, da der Kampf bislang unentschieden steht, mit den unlauteren Mitteln ihres Alters und nahen Todes zu arbeiten. Sie bringt diese Argumente halblaut vor, in einer geschluchzten Kette von faulen Ausreden, warum sie heute nicht gewinnen könne. Erika ist von der Klage der Mutter betroffen, sie will nicht, daß die Mutter sich in diesem Kampf so stark abnützt. Sie sagt, die Mutter habe angefangen. Die Mutter sagt, Erika habe zuerst angefangen. Das hat der Mutter ihr Leben um mindestens einen Monat verkürzt. Sie kratzt und beißt nur mehr mit halber Kraft voraus, diese Erika. Die Mutter nimmt den Vorteil prompt wahr und reißt Erika ein Büschel Stirnhaar aus der Kopfhaut, etwas von dem Haar, auf das Erika stolz ist, weil es in einem hübschen Wirbel lockig hereinkommt. Erika macht sofort einen einzelnen Fistelschrei, der die Mutter derart erschreckt, daß sie aufhört. Morgen muß Erika ein Pflaster über der abgeschabten Kopfhautstelle tragen ...
Im Unterricht bricht sie einen freien Willen nach dem anderen. Doch in sich fühlt sie den heftigen Wunsch zu gehorchen. Dafür hat sie dann ihre Mutter zuhause.
Einen flüchtigen Moment lang hat sie das Bedürfnis, den Kopf des Schülers bei den Haaren zu packen und ins Leibesinnere des Flügels zu schmettern, bis das blutige Gedärm der Saiten kreischend unter dem Deckel hervorspritzt.Was sie jedoch auslebt, ist Autoaggression, sie ist eine Ritzerin.
SIE sitzt allein in ihrem Zimmer, abgesondert von der Menge, die sie vergessen hat, weil sie so ein leichtes Gewicht ist. Sie drückt auf niemand. Aus einem vielschichtigen Paket wickelt sie sorgfältig eine Rasierklinge heraus. Die trägt sie immer bei sich, wohin sie sich auch wendet. Die Klinge lacht wie der Bräutigam der Braut entgegen. SIE prüft vorsichtig die Schneide, sie ist rasierklingenscharf. Dann drückt sie die Klinge mehrere Male tief in den Handrücken hinein, aber wieder nicht so tief, daß Sehnen verletzt würden. Es tut überhaupt nicht weh. Das Metall fräst sich hinein wie in Butter. Einen Augenblick klafft ein Sparkassen-Schlitz im vorher geschlossenen Gewebe, dann rast das mühsam gebändigte Blut hinter der Sperre hervor. Vier Schnitte sind es insgesamt. Dann ist es genug, sonst verblutet sie.Ihre verdrängte Sexualität lebt Erika als Voyeurin aus. Sie besucht Peepshows, sie geht in Pornokinos und sie stalkt Liebespaare in den Wiener Praterwiesen.
Den zweiten langen Teil des Romans nimmt eine "Beziehung" mit dem etwa 20-jährigen Klavierschüler, Technikstudenten und Wildwasserpaddler Walter Klemmer ein. Es sei ein Band der Verachtung, das die beiden verbinde. Klemmer fühlt sich sexuell von der 36-Jährigen nicht nur aufgrund ähnlicher Kunstauffassungen extrem angezogen und hat den knallharten Willen, sie zu "Liebe" zu zwingen. Die Eskalation beginnt, als Klemmer versucht, Erika im WC einer Schule, in der das Orchester probt, zu "nehmen". Erika spielt mit ihm, hält ihn auf Distanz, masturbiert ihn bis knapp vor dem Orgasmus und lässt ihn dann mit Schmerzen in den Lenden stehen.
Doch schreibt sie ihm einen Brief, was sie von ihm sexuell will. Es sind masochistische Fantasien, von denen sie nicht sicher ist, dass er sie wirklich umsetzen soll. Klemmer soll sie in der Wohnung ihrer Mutter fesseln, knebeln und Vergewaltigung andeuten. Im Beisein ihrer Mutter. Er liest den Brief bei Erika und kann nicht glauben, dass sie das ernst meine. Andererseits dämmert ihm, dass Erika nur ihre eigene masochistische Befriedigung verfolge und null Interesse an seinen eigenen Bedürfnissen habe.
Die Eskalation beginnt, als Erika ihm in der Putzpersonalkammer des Konservatoriums einen bläst, wieder nur an sich denkt und ihn nur noch ekelt. Nun sinnt er nach Rache.
Er erfährt an seinem Leibe, und sie soll es am eigenen Leib erfahren, was es heißt, Spiele ohne Ziele mit ihm zu treiben. Packungen ohne Inhalt ihm anzudrehen.Am Abend besucht er Erika in ihrer Wohnung, sperrt die Mutter in das Wohnzimmer und vergewaltigt Erika am Flur. Am nächsten Morgen packt Erika ein Fleischmesser in ihre Tasche und geht zur Technischen Universität. Sie ist nicht sicher, ob sie Klemmer wirklich abstechen will. Klemmer steht vor der Uni in einer Gruppe mit Studentinnen, Erika geht ins Gebäude, sticht sich selbst in die Schulter und geht.
Erika weiß die Richtung, in die sie gehen muß. Sie geht nach Hause. Sie geht und beschleunigt langsam ihren Schritt.Dies sind die Schlusssätze dieses von der zeitgenössischen Kritik begeistert aufgenommenen Romans, der nicht nur wegen seiner offen dargelegten Psyche der Hauptfiguren für Aufruhr sorgte, sondern vor allem wegen des sachlich-distanzierten Stils (siehe Beispiele) als literarisches Meisterwerk gesehen wurde. Der Weg zum Nobelpreis 20 Jahre nach diesem Roman ist gelegt.
Verfilmt wurde der Roman 2001 von Michael Haneke, den ich aber (noch) nicht gesehen habe.
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07.08.2025 um 10:56Love arranged - Lauren Asher
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Ist noch nicht erschienen, aber in ein paar Wochen und dann werde ich ihn lesen. Warte schon die ganze Zeit sehnsüchtig auf den 3. Band.

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13.08.2025 um 10:39Kim de L'Horizon - Blutbuch

Kim de L'Horizon hat mit diesem Buch 2022 eine Autofiktion (die Erzählfigur ist mehr oder weniger L'Horizon selbst) vorgelegt, in der er die Demenz und den Tod seiner Großmutter mütterlicherseits zum Anlass nimmt, über seine Kindheit und auch die Herkunft zu ... reflektieren (?). Aber es ist auch ein Buch der Selbstreflexion. Über den eigenen Körper und dessen Grenzen zur Außenwelt, über den mit Blut gefüllten Körper, über Sexualität.
Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht, der Text ist ein Assoziationsstrom. Er schreibe ohne Plan, vermerkt L'Horizon an einer Stelle, an einer anderen, dass er gerade im Vollrausch schreibe. Was dabei herauskommt, ist aber keine Nudelei im Sinne von nie enden wollenden Gitarrensoli der 1970er und 1980er Jahre, sondern ein Text, der alle Register der Sprachkunst zieht und in der fragmentarischen Strukturiertheit an Novalis erinnert. Jedem Aspekt ist sein eigener Stil zugeschrieben, und das in einer überzeugenden Art und Weise. L'Horizon ist ein Sprachriese. So gibt es ein Kapitel über das Kind Kim, das in Sätzen mit maximal sieben Wörtern geschrieben ist, weil es von der Eishexe verflucht worden sei und keine Sätze über sieben Wörter sprechen darf. Und dann gibt es das Märchen, das von einer altertümlichen Eleganz ist, die einen - mich zumindest - mit offenem Mund dastehen lässt:
Immer wieder sind Sprach- und Literaturreflexionen eingeflochten. So ist der Berner Dialekt zentrales Thema, und die französischen Wörter in diesem Dialekt seien ein Relikt des napoleonischen Kulturimperialismus, sie sollten nicht verwendet werden, wobei ironisch gespiegelt wird, dass die Erzählfigur selbst viele, sehr viele Wörter aus einer kulturimperialistischen Sprache nutzt, nämlich dem Englischen. Das letzte Kapitel (nie abgesendete Briefe an die Großmutter) ist komplett auf Englisch verfasst, da sich die Erzählfigur außer Stande sieht, dass Allerpersönlichste auf Deutsch niederzuschreiben. Fun fact: Eine deutsche Übersetzung dieses Kapitels ist angefügt, mit dem Hinweis: "Diese Briefe wurden übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)".
Viel Raum nimmt auch die eigene Sexualität ein. Die Erzählfigur sieht sich binär, ist aber schwul (weiblicher Part). Sie reflektiert über die Hardcore-Schwulenszene, in der sie sich mit ca. 20 herumtrieb - trainierte Muskeln, Waschbrettbauch, kein Fett - und distanziert sich in Rückblick von dieser Szene, die er "protofaschistoid" nennt:
Es muss sich beim Lesen darauf eingestellt werden, dass L'Horizon auch die Pornosprache beherrscht. Sexualität und Sexszenen sind in einer Offenheit präsentiert, die durchaus irritierend sein kann.

Kim de L'Horizon hat mit diesem Buch 2022 eine Autofiktion (die Erzählfigur ist mehr oder weniger L'Horizon selbst) vorgelegt, in der er die Demenz und den Tod seiner Großmutter mütterlicherseits zum Anlass nimmt, über seine Kindheit und auch die Herkunft zu ... reflektieren (?). Aber es ist auch ein Buch der Selbstreflexion. Über den eigenen Körper und dessen Grenzen zur Außenwelt, über den mit Blut gefüllten Körper, über Sexualität.
Handlung im eigentlichen Sinne gibt es nicht, der Text ist ein Assoziationsstrom. Er schreibe ohne Plan, vermerkt L'Horizon an einer Stelle, an einer anderen, dass er gerade im Vollrausch schreibe. Was dabei herauskommt, ist aber keine Nudelei im Sinne von nie enden wollenden Gitarrensoli der 1970er und 1980er Jahre, sondern ein Text, der alle Register der Sprachkunst zieht und in der fragmentarischen Strukturiertheit an Novalis erinnert. Jedem Aspekt ist sein eigener Stil zugeschrieben, und das in einer überzeugenden Art und Weise. L'Horizon ist ein Sprachriese. So gibt es ein Kapitel über das Kind Kim, das in Sätzen mit maximal sieben Wörtern geschrieben ist, weil es von der Eishexe verflucht worden sei und keine Sätze über sieben Wörter sprechen darf. Und dann gibt es das Märchen, das von einer altertümlichen Eleganz ist, die einen - mich zumindest - mit offenem Mund dastehen lässt:
Ein MärchenÜberzeugend ist auch das Kapitel, in dem die Ich-Figur aus einem Archiv der Mutter die Lebensgeschichten der weiblichen Vorfahren seit dem 14. Jahrhundert findet und Stellen daraus präsentiert. Es finden sich "Kräuterweiber", Prostituierte und schließlich Bäuerinnen.
Ich war einmal ein kleines Kind, dem sind der Peer und die Meer fortgestorben, und das war so bitterarm, das hatte kein Kämmerchen zum Wohnen und kein Bettchen zum Schlafen und gar nichts mehr ausser den Kleidern am Körper und ein Stück hartes Brot in der Hand, es war aber gut und fromm, und so ging es im Vertrauen auf den lieben Gott, der alles sieht, der wirklich alles, alles sieht, und da begegnete ihm ein armer Mann, und der sagte: »Ach, gib mir was zu essen, ich bin so hungerig«, und da reichte das Kind ihm das Stückelchen Brot und sagte: »Gott segne dir’s«, und es kam in einen dunkelen Wald, und es war schon düster geworden, da kam ein Kindelein und bat um ein Hemdelein, und das fromme Kind dachte: Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben, und dann zog es das Hemd ab und gab es auch noch hin, und wie es so mutterseelenallein im Wald stand und nichts als Bäume da waren und es gar nichts mehr am Leib hatte, da kam ein bleicher Schemen, ein kleiner Geist, der sagte voll Bitterkeit, ein böser Ritter habe ihn erschlagen, nun habe er keinen Körper mehr und zu Hause aber warte sein kleines Brüderchen, das sonst niemanden habe, und das Gespenstchen bat sehr lieb um das Körperchen des kleinen Kindes, nicht um seinetwillen, sondern um des Brüderchens willen, und da gab das kleine Kind auch sein Körperchen hin, denn es hatte niemanden, nicht einmal ein Brüderchen, zum Umsorgen. Und wie es da unter den hohen Bäumen war und nichts mehr war und nichts mehr hatte ausser seiner Seele, da fing es an zu regnen, bis der ganze Himmel auf die Erde geregnet war. Und als die Erde ein einziges Meer geworden war, da löste sich das Kind auf und war ein Teil des Meeres. Und wenn es nicht gestorben ist, so ist es noch heute Teil davon, ein unsichtbarer Tropf im Meer.
Immer wieder sind Sprach- und Literaturreflexionen eingeflochten. So ist der Berner Dialekt zentrales Thema, und die französischen Wörter in diesem Dialekt seien ein Relikt des napoleonischen Kulturimperialismus, sie sollten nicht verwendet werden, wobei ironisch gespiegelt wird, dass die Erzählfigur selbst viele, sehr viele Wörter aus einer kulturimperialistischen Sprache nutzt, nämlich dem Englischen. Das letzte Kapitel (nie abgesendete Briefe an die Großmutter) ist komplett auf Englisch verfasst, da sich die Erzählfigur außer Stande sieht, dass Allerpersönlichste auf Deutsch niederzuschreiben. Fun fact: Eine deutsche Übersetzung dieses Kapitels ist angefügt, mit dem Hinweis: "Diese Briefe wurden übersetzt mit www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)".
Viel Raum nimmt auch die eigene Sexualität ein. Die Erzählfigur sieht sich binär, ist aber schwul (weiblicher Part). Sie reflektiert über die Hardcore-Schwulenszene, in der sie sich mit ca. 20 herumtrieb - trainierte Muskeln, Waschbrettbauch, kein Fett - und distanziert sich in Rückblick von dieser Szene, die er "protofaschistoid" nennt:
wenn ich »protofaschistoide Sexualität« schreibe, so erinnere ich mich an die Römer (bzw. an den guten alten Lateinunterricht), die ja die Grundfesten der faschistischen Ästhetik gelegt haben.Aber es ist nicht nur die Ästhetik, sondern es sind auch Schwulenpartys mit rassistischen Zugangsbeschränkungen: "NO FATS NO FEMMES NO ASIANS". Der österreichische Standard hat dazu übrigens einen Artikel.
Es muss sich beim Lesen darauf eingestellt werden, dass L'Horizon auch die Pornosprache beherrscht. Sexualität und Sexszenen sind in einer Offenheit präsentiert, die durchaus irritierend sein kann.
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