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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

36 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Welt, Philosophie, Realität ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

30.04.2025 um 17:33
Ich denke wenn ich etwas aufkläre, dann gewähre ich Einsicht in die wahre Funktionsweise, in die wahren Ursachen und Prinzipien einer Sache...
Nun gilt Kant ja als der Aufklärer schlechthin, doch in seiner Philosophie stellt er ein unerkennbares Ding an sich an die Stelle unserer Realität...

Ich frage mich nun, wie passt das zusammen ?

Hat Kant hier wirklich aufgeklärt oder eher etwas verdunkelt was es doch aufzuklären gilt ?

Will Kant vielleicht aufklären in dem Sinne, dass wir die Realität nicht erkennen können und kein Dogma an ihre Stelle stellen sollen ?

Aber wer sagt eigentlich das wir die Realität nicht erkennen können ?

Ist es nicht Sache eines wahren Aufklärers die wahre Funktionsweise und die wahren Ursachen der Welt zu enthüllen ?


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

01.05.2025 um 00:15
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Ich frage mich nun, wie passt das zusammen ?
Kant klärt nicht über Dinge oder die Funktionsweise von Dingen auf. Das ist dein persönliches Anliegen, deine „wahre“ Aufklärung - die in Gestalt eines überzogenen Materialismus daher kommt.
Was schon irgendwie Respekt abverlangt, aus meiner Sicht ist der Materialismus ziemlich am Ende und auf breiter Front auf dem Rückzug. Also Hut ab. Aber mit Kant hat das nichts zu tun und auch nicht mit dem Zeitalter der Aufklärung.


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

02.05.2025 um 21:48
Zitat von paxitopaxito schrieb:Kant klärt nicht über Dinge oder die Funktionsweise von Dingen auf.
worüber denn dann ?
Zitat von paxitopaxito schrieb:Das ist dein persönliches Anliegen, deine „wahre“ Aufklärung - die in Gestalt eines überzogenen Materialismus daher kommt.
überzogener Materialismus ? Wie meinst du das ? Warum ?
Zitat von paxitopaxito schrieb:aus meiner Sicht ist der Materialismus ziemlich am Ende und auf breiter Front auf dem Rückzug.
was verstehst du denn unter Materialismus und welcher Sichtweise weicht er ?
Zitat von paxitopaxito schrieb:Aber mit Kant hat das nichts zu tun und auch nicht mit dem Zeitalter der Aufklärung.
aber Kant setzt doch das Ding an sich... und das im Zeitalter der Aufklärung...


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

02.05.2025 um 22:04
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:worüber denn dann ?
Was Kant unter Aufklärung versteht, hat er selbst beantwortet:
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstver-
schuldeten Unmündigkeit.
Quelle: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/159_kant.pdf
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:überzogener Materialismus ? Wie meinst du das ? Warum ?
Ich hab dich ja nun öfter gelesen und das scheint mir die Quintessenz. Reduktion der Welt auf das, was Ding ist. Biologie zum Beispiel.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:was verstehst du denn unter Materialismus
Wikipedia: Materialismus
Daraus:
Der Materialismus ist eine philosophische Position, die behauptet, dass alle Dinge aus Materie bestehen und dass grundsätzlich alle Phänomene aus materiellen Interaktionen resultieren, einschließlich Geist und Bewusstsein.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:welcher Sichtweise weicht er ?
Keiner einzelnen, er weicht der Postmoderne.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:aber Kant setzt doch das Ding an sich...
Da geht es aber gerade nicht ums Ding ;)
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:und das im Zeitalter der Aufklärung...
Ja, sicher. Kant hatte den Mut sich seines Verstandes zu bedienen und kam unter anderem aufs Ding an sich. Dem muss man nicht zustimmen, aber nochmal: in der Aufklärung geht es nicht um Dinge, auch nicht um Dinge an sich sondern um selbstständiges Denken.
Das verlangt am Ende auch, dass man andere Meinungen aushalten kann - Stichwort Toleranz.


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03.05.2025 um 19:36
Zitat von paxitopaxito schrieb:in der Aufklärung geht es nicht um Dinge, auch nicht um Dinge an sich sondern um selbstständiges Denken.
das mit dem selber denken stimmt schon, dennoch ist Aufklärung für mich auch mit offenen Karten zu spielen, Einsicht zu gewähren...
jemandem reinen Wein einschenken und aufzuhören mit irgendwelchen Storys und den wahren Ursachen auf den Grund zu gehen...
ich denke dazu soll das selber denken letztendlich auch führen...


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.05.2025 um 21:06
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:das mit dem selber denken stimmt schon, dennoch ist Aufklärung für mich auch mit offenen Karten zu spielen, Einsicht zu gewähren...
Kant hat nun wie kaum ein anderer begründet was er warum denkt. Nochmals, man kann bei dem „Ding an sich“ oder überhaupt bei Kants Metaphysik einiges kritisieren und eine andere Meinung haben. Aber du kannst Kant doch nicht Vorwurf machen er würde nicht mit offenen Karten spielen.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:jemandem reinen Wein einschenken und aufzuhören mit irgendwelchen Storys
Kant verbreitet nicht „irgendwelche Storys“. Ich sehe weiter überhaupt keinen Widerspruch zwischen der Aufklärung und dem kantischen Ding an sich. Ist jetzt auch nix völlig neues, entspricht in etwa Descartes res cogitans oder dem „per se“ älterer Philosophen. Du tust so als hätte Kant das aus dem Hut gezaubert und wolle damit irgendwas verschleiern. Das Gegenteil ist doch der Fall.
Du kannst dich ja gerne mal an einer Erkenntnistheorie auf dem Niveau von Kant mit dem Wissensstand des 18 Jhds. versuchen. Dann wird vielleicht klarer, was dich nun am Ding an sich so stört. Mir scheint, dass du nicht mal konkret benennen kannst, was Kant damit überhaupt meint und warum eben diesen Begriff wählte.


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.05.2025 um 22:34
Zitat von paxitopaxito schrieb:Mir scheint, dass du nicht mal konkret benennen kannst, was Kant damit überhaupt meint und warum eben diesen Begriff wählte.
Naja letztendlich meint er damit dasjenige was außerhalb unserer Erfahrung und Erkenntnis liegt...
Denn die Erfahrung bei Kant ist immer schon durch die Bedingungen ihrer Möglichkeit (Verstand und Anschauungsformen) konstruiert...
Raum und Zeit sind nur Anschauungsformen unseres Gemüts und nicht Dinge an sich...
Zitat von paxitopaxito schrieb:Aber du kannst Kant doch nicht Vorwurf machen er würde nicht mit offenen Karten spielen.
Mir scheint diese Theorie, welche Raum und Zeit a priori in das Gemüt verlegt, ist haarsträubend...
So fern von jeglichem gesundem Menschenverstand, dass man Kant durchaus unterstellen könnte, er habe selbst nicht daran geglaubt,
sondern hier aus irgendeinem Grund einen Idealismus aufgebaut, der die Einsicht in die eigentliche Realität verwehrt...
Zitat von paxitopaxito schrieb:Ich sehe weiter überhaupt keinen Widerspruch zwischen der Aufklärung und dem kantischen Ding an sich.
Der transzendentale Idealismus, also die Trennung von Ding an sich und Erscheinung, deucht mir die Erkenntnis der Realität als unmöglich darzustellen... Kant gibt also keine Einsicht in die Dinge wie sich an sich sind, sondern verleugnet jede Möglichkeit der Einsicht in diese... Wobei die Trennung von Ding an sich und Erscheinung ja auch überhaupt erst durch seinen Idealismus aufgemacht wurde...

Wenn wir nun aber unter Aufklärung die Einsicht in die tatsächlichen Ursachen von etwas verstehen... dann fragt sich doch warum Kant mit einer Theorie daher kommt, welche grade diese Einsicht als unmöglich darstellt... egal wieviel wir selber denken... die Realität bleibt nach ihm fernab jeder Erkenntnismöglichkeit... gerade dieser Umstand schafft nun wieder Platz für den Glauben...


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

05.05.2025 um 14:31
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Naja letztendlich meint er damit dasjenige was außerhalb unserer Erfahrung und Erkenntnis liegt...
Denn die Erfahrung bei Kant ist immer schon durch die Bedingungen ihrer Möglichkeit (Verstand und Anschauungsformen) konstruiert...
Raum und Zeit sind nur Anschauungsformen unseres Gemüts und nicht Dinge an sich...
Begreif das D.a.s. doch als Seinsgrund, den wir nicht erfassen können, der jedoch feststeht (nach Kant).
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Mir scheint diese Theorie, welche Raum und Zeit a priori in das Gemüt verlegt, ist haarsträubend...
Da bist du nun wahrlich nicht der einzige. Auf der anderen Seite hat gerade die moderne Physik uns gezeigt, wie verzerrt unsere subjektive, menschliche Vorstellung von Raum und Zeit ist. Evolutionär maßgeschneidert für ein Leben auf der Erde. Von daher bin ich da durchaus bei Kant.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:So fern von jeglichem gesundem Menschenverstand, dass man Kant durchaus unterstellen könnte, er habe selbst nicht daran geglaubt
Naja, der gesunde Menschenverstand. Je mehr man sich mit der Wirklichkeit befasst, egal oh philosophisch oder physikalisch oder sonstwie, ich persönlich denke, dass uns überall die Grenzen des menschlichen Verstandes nur allzu deutlich vorgeführt werden. Für den Alltag ist das D.a.s. aber sicher nicht sonderlich nützlich.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Der transzendentale Idealismus, also die Trennung von Ding an sich und Erscheinung, deucht mir die Erkenntnis der Realität als unmöglich darzustellen.
Im Gegensatz zum von mir vertretenen Nihilismus nimmt es aber wenigstens eben diese Realität als gegeben an. Ich mache ja nicht mal das. Aber zurück zum Thema: du denkst also ob der idealistischen Einstellung Kants, sei sein kritisches Denken nicht wert als Teil der Aufklärung verstanden zu werden? Hab ich das nun richtig begriffen? Ist dir der Idealismus ein derartiger Graus?
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Wenn wir nun aber unter Aufklärung die Einsicht in die tatsächlichen Ursachen von etwas verstehen...
Und das liegt des Pudels Kern. Die Aufklärung (zumindest damals) dreht sich nicht primär um Einsichten in "tatsächliche" Ursachen. Es bliebe ohnehin höchst strittig, was denn nun "tatsächliche" Ursachen sind und was nicht. Ist das Phlogiston die tatsächliche Ursache von Wärme? Vermutlich nicht.
Woher nimmst du überhaupt die Sicherheit irgendwo etwas "tatsächlich wahres" festzustellen?
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:die Realität bleibt nach ihm fernab jeder Erkenntnismöglichkeit..
es gibt nun mal Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Auch das zu erkennen und zu benennen ist Teil der Aufklärung, ist elementares Werkzeug zum Gebrauch des eigenen kritischen Verstandes.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:dann fragt sich doch warum Kant mit einer Theorie daher kommt, welche grade diese Einsicht als unmöglich darstellt...
Weil du Realität als das was über den Menschen und ohne den Menschen stattfindet verstehen willst. Damit ist es doch umgekehrt, was uns Realität ist, ist erstmal das was wir ganz alltäglich erleben. Und das ist eben, ganz nach Kant, den Bedingungen unserer Wahrnehmung und unseres Denkens unterworfen.
Klar das wird dich nicht zufrieden stellen, da du - so ich dich richtig verstehe - nach "tatsächlich Wahrem" strebst. Hier bleibt es bei einem "tatsächlich wahr - nach menschlichen Maßstäben" im Besten Fall. Und damit immer revidierbar im Angesicht neuer Erfahrungen und Erkenntnisse, zumindest prinzipiell. Aber das scheint mir ein besseres Bild von unserem Wissensgewinn zu sein, der ja voller Irrtümer ist, denkst du nicht?
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:gerade dieser Umstand schafft nun wieder Platz für den Glauben
Oder für kritisches Denken. Kant ruft nicht dazu auf ihm unbedarft zu glauben, sondern selbst zu denken, kritisch zu denken. Das schließt seine eigenen Theorien natürlich ein.


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

05.05.2025 um 17:50
Zitat von paxitopaxito schrieb:es gibt nun mal Grenzen der menschlichen Erkenntnis. Auch das zu erkennen und zu benennen ist Teil der Aufklärung, ist elementares Werkzeug zum Gebrauch des eigenen kritischen Verstandes.
So könnte man Kant wohlwollend auslegen... wie ich es bereits im Eingangspost sagte, wollte er womöglich jeden Dogmatismus verbannen, der an die Stelle von etwas nicht erkennbarem eine absolute Wahrheit setzt...
Zitat von paxitopaxito schrieb:Hier bleibt es bei einem "tatsächlich wahr - nach menschlichen Maßstäben" im Besten Fall.
Und hier wären wir bei der uralten Frage nach dem Maß aller Dinge...
Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, der nichtseienden, dass sie nicht sind.
Protagoras
Platon, bei dem der Satz überliefert ist, interpretiert: „Nicht wahr, er meint dies so: Wie ein jedes Ding mir erscheint, ein solches ist es auch mir, und wie es dir erscheint, ein solches ist es wiederum dir.“[9] Es wäre dann aber schwer, auch nur die Behauptung aufzustellen, dass es sich bei einem Wind um einen kalten handle, da er dem einen möglicherweise kalt erscheine, der andere ihn als warm wahrnehme. Und auch eine allgemein gültige Definition, was Gerechtigkeit sei, wäre schwer zu geben: „Wie einer jeden Stadt Gerechtes und Gutes scheint, so ist es für sie, solange sie davon überzeugt ist.“[10] Eine ganz andere Interpretation geht beispielsweise davon aus, dass der Mensch gemeint sei. Nicht die einzelne Person, sondern „der Mensch allgemein“ wäre dann das Maß aller Dinge. Die Dinge wären so, wie sie „dem Menschen“ erscheinen; eine Position, die an die Erkenntnistheorie Kants erinnert.
Wikipedia


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28.09.2025 um 04:38
Kant ist so ein bisschen der Spielverderber unter den Philosophen. Gerade wenn man denkt, man hat die Wahrheit gepackt hält er einem den Spiegel vor und sagt: Sorry, du siehst nur dein eigenes Spiegelbild. Vielleicht wollte er einfach vermeiden, dass wir uns zu sicher fühlen und uns dazu bringen, immer weiter zu fragen, statt vorschnell Antworten zu akzeptieren.


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01.10.2025 um 16:40
@kaktuss
Du stellst auf jeden Fall schon mal richtige Fragen. Mein Beitrag wird hier etwas länger sein, also hoffe ich, du nimmst dir die Zeit dir alles sorgfältig durchzulesen und zu verstehen. Bevor wir hier zur Antwort kommen können, müssen wir erst ein paar Dinge klarstellen, die gerne (was Kant auch selbst mitzuverantworten hatte) falsch verstanden werden:

1.) Kant kommt nicht einfach willkürlich zu dem "Ding an sich". Das "Ding an sich" ist eine absolut logische Folge seiner Grundvoraussetzungen seines Systems. Ob die Grundvoraussetzungen sinnvoll sind, darüber kann man tatsächlich streiten (dazu später mehr). Das Ding an sich ist aber so notwendig wie das Kausalgesetz innerhalb des Systems. Ansonsten entstehen die bekannten Kant'schen Antinomien, der Widerstreit transzendentaler Ideen, mit den Philosophen schon Jahrhunderte mit zu kämpfen haben. Jede Erkenntnistheorie, die auf sich was hält und kritisch-reflexiv funktionieren will, muss diesen Widerstreit in Einklang bringen. D.h. sie muss mit den Naturtatsachen im Einklang stehen.

2.) Das Ding an sich ist nicht unbedingt kontraproduktiv zur Aufklärung. Im Gegenteil kann man das Ding an sich auch als Grenzbegriff betrachten, der eben aufzeigt: Nicht alle unsere Intuitionen sind notwendig wahr. Wie oft erleben wir Menschen, die idealistische Systeme gebrauchen und in der Realität zwanghaft anzuwenden versuchen, obwohl die Realität dem offenbar einen Strich durch die Rechnung macht? Sog. "intellektuelle Luftschlösser". Auf den ersten Blick einleuchtende Apercus, alles schön in der Theorie, aber in der Praxis fatal und mit schlimmen Konsequenzen verbunden, weil man seine eigenen Begriffskünsteleien (sog. "leere Begriffe") für Wahrheiten hält, denen aber nichts sinnliches, greifbares korrespondiert. Und dann wollen leider sich die wenigsten genau das eingestehen, und dann aus diesem Grund diese Fehler gerne schön unter den Teppich kehren und die vermeintlichen minimalsten positiven Resultate in den allerhöchsten Tönen loben. Ich enthalte mich hier praktischer Beispiele, denn ich bin mir sicher, jeder wird zu genüge solche finden und benennen können im Alltag. "Begriffe ohne Anschauungen sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind"
Zitat von kaktusskaktuss schrieb am 30.04.2025:Will Kant vielleicht aufklären in dem Sinne, dass wir die Realität nicht erkennen können und kein Dogma an ihre Stelle stellen sollen ?
Jein. Zunächst: Kant lehnt eine Dialektik, d.h. eine Scheinlogik, vollkommen ab und damit auch Systeme, die nur aus leeren Begriffen bestehen, in Relation zur Erfahrung gebraucht werden. Die Logik ist zudem kein Organon, sondern ein Kanon. D.h. sogenannte "intellektuelle Anschauung" (im Vergleich zu sinnlicher Anschauung) existiert (nach Kant) nicht, mit Ausnahme einer nicht-empirischen Anschauung (dies aber selbst keine intellektuelle Anschauung ist) in der Mathematik, da hier uns Formen zu einer einer solchen Anschauung gegeben sind (nämlich die reinen Anschauungsformen a priori: Raum und Zeit, innerhalb dieser wir die Begriffe in der Mathematik konstruieren). Wir können unser Wissen mittels Logik allein nicht "erweitern", es braucht immer noch ein synthetisches Element (d.h. Erfahrung bzw. Sinnlichkeit) oder es muss vor aller Erfahrung gegeben sein, d.h. muss für diese bedingend sein (sog. Urteile a priori) und kann notwendigerweise auch nur gleichzeitig mit der Erfahrung auftreten ("reine" Kategorien benötigen die apriorischen Anschauungsformen von Raum und Zeit um von ihnen Gebrauch machen zu dürfen).

Trotzdem gibt es viele Menschen, die es nicht davon abhält es trotzdem zu versuchen. Aber wurde denn tatsächlich Wissen erweitert mittels Logik allein? Mitnichten. Es ist uns gerade eben nicht gelungen alleine nur aus allgemeiner Logik unser Wissen über die Realität zu erweitern, denn die Logik ist ein Regelwerk zur Überprüfung der formalen Richtigkeit des Denkens innerhalb eines gegebenen Kalküls. Es bestätigt also Kants Beobachtung und es ist nach wie vor alles gleich geblieben, wenn man die Sache ehrlich betrachtet und nicht mit Dialektik verschmutzt (so wie man das gerne mit der Verwischung von allgemeiner Logik und transzendentaler Logik gerne tut).

Diejenigen, die gerne z.B. die M-Theorie oder andere rein mathematisch theoretische (mit fehlender empirischer Grundlage) Modelle verteidigen, vergessen dann hierbei zumindest, dass diese nicht unser "Wissen" durch Logik allein erweitern, sondern nach wie vor auf den empirischen Erkenntnissen bereits bestehender Modelle aufbauen, erläutern und daraus gewisse Vorhersagen für zukünftige empirische Untersuchungen machen. Sie haben also prognostischen Charakter, aber der, im Gegensatz zu apriorischen Erkenntnissen, nicht apodiktisch gewiss ist. Erweitern tut sich da also ebenfalls nichts solange das synthetisch aposteriorische Element fehlt. Und sobald dieses dazu kommt, können dabei einzelne Elemente falsifiziert sein, selbst wenn gewisse Grundannahmen sich bestätigt haben. Der Falsifikationismus Poppers löst also das bekannte Induktionsproblem teilweise (teilweise deshalb, weil man mit ad-hoc Hypothesen gerne mal diesem Falsifikationismus entkommen kann bzw. will).

Wir bleiben also notwendig in unseren Kategorien, Schemata des Verstandes und den reinen Anschauungsformen a priori eingeschlossen. Um vielleicht eine gewisse Intuition darüber zu gewinnen, kann ich ein kleines Beispiel vorbringen:

Stell dir ein höheres Wesen vor, das in der Lage wäre, sowohl die Dinge an sich als auch die Wirkungen, die sie in unserem Erkenntnisorganismus (also Erscheinungen) hervorrufen, zu erkennen. Dieses Wesen wäre aufgrund seiner höheren und völlig anderen Erkenntniskraft vielleicht in der Lage, die Erscheinungen aus dem inneren Wesen der Dinge an sich zu erklären, d. h. aus ihrer Beziehung zu diesem (das uns völlig unbekannt bleibt). Daher wären die Beziehung der Erscheinungen zueinander, ihre Verbindung, ihre gesetzmäßige Abfolge, d. h. ihre Kausalität, für dieses Wesen völlig bedeutungslos. Dass sich diese Erscheinungen an die eigentümliche Form unseres Intellekts, nämlich die kausale Form, anpassen, würde für dieses Wesen also überhaupt keine Rolle spielen.

Wir hingegen sind, sofern wir überhaupt etwas erkennen wollen, aufgrund unserer logischen Organisation darauf angewiesen, die Erscheinungen in einem bestimmten logischen Zusammenhang zu verstehen. Die Tatsache, dass sie (die Erscheinungen) uns den Gefallen tun, auf diese Weise verstanden zu werden, während für anders organisierte Wesen vielleicht ein völlig anderes Verständnis möglich ist, ist eine Tatsache, die uns eventuell nur eine zufällige, vielleicht recht armselige Seite der Wirkungen der Dinge an sich offenbart, vielleicht auch nur eine von unendlich vielen Seiten. Diese Anpassung erzeugt nun aber die Illusion, dass die Kausalität selbst und nicht nur die Anpassung an die kausale Form ursprünglich den Erscheinungen innewohnte (ein "transzendentaler Schein" wie Kant zu sagen pflegt). Wie es aber kommt, dass die Phänomene diese (für unseren Verstand günstige) Eigenschaft der Anpassung an die kausale Form mit sich bringen und haben, lässt sich nicht mehr erklären. Wir stehen hier also sozusagen vor einer elementaren Tatsache, die nicht erklärt werden kann und hinter der sich ein Grund zu verbergen scheint, der nur als tiefes und ewig dunkles Geheimnis erahnt werden kann. Unsere Urteilskraft schließt daher den Kausalzusammenhang in den Erscheinungen, nachdem sie festgestellt hat, dass sie der kausalen Kategorie des Verstandes entsprechen. Der Begriff dieses Kausalzusammenhangs (Synthese) läuft also a priori voraus. Zumindest ist es das, was Kant hier festgestellt hat.

Kurzum, nach Kant:
Das "Ding an sich" bleibt letztendlich unergründlich, ganz gleich wie sehr wir es auch versuchen es durchdringen zu wollen. Es ist der gänzlich unbestimmte Gedanke von Etwas überhaupt.





Damit habe ich kurz im Umriss die Erkenntnistheorie Kants benannt. Nun zu deinen letzten beiden Fragen:
Zitat von kaktusskaktuss schrieb am 30.04.2025:Aber wer sagt eigentlich das wir die Realität nicht erkennen können ?
Das hängt ganz davon ab, was man unter Realität versteht und welchen Ausgangspunkt man in der Erkenntnistheorie annimmt.
Zitat von kaktusskaktuss schrieb am 30.04.2025:Ist es nicht Sache eines wahren Aufklärers die wahre Funktionsweise und die wahren Ursachen der Welt zu enthüllen ?
Absolut. Aber mir scheint, dass du hier stillheimlich ein moralisches Urteil versteckst, so als wolle man hier Kant unterstellen, dass er kein wahrer Aufklärer gewesen sei. Zunächst einmal, würde ich dem Kant durchaus zusprechen, dass er absolut genau unter diesem Ideal (Aufklärer) seine Arbeit verrichtet hat: Die wahre Funktionsweise und wahren Ursachen der Welt enthüllen zu wollen, und vielleicht zu schauen, ob es Grenzen gibt oder nicht. Das Ergebnis war nicht das, worauf viele wohl gehofft haben. Und wahrscheinlich auch nicht, worauf Kant selbst gehofft hatte.

Es gab kaum einen Philosophen vor ihm, der den Erkenntnisorganismus so präzise wie mit einem Skalpellmesser in seine Einzelteile zerlegt und untersucht hat, wie Kant es getan hat. Alleine das zeigt doch schon, dass ihm das Thema wohl sehr wichtig war, mehr als nur Wissen, vielleicht auch emotional und aus religiöser, spiritueller Sicht. Kants Ideal, so würde ich behaupten, war es durchaus die wahren Ursachen der Welt zu enthüllen. Und er stellte fest, dass dies selbst mit all seiner intellektuellen Kraft, die er aufwendete, nicht gelingen kann. Er konnte lediglich zu einer praktischen Philosophie kommen, in der das "Ich" sich selbst als praktisch frei handelnd konstituieren darf, aber nicht erkennen kann (und folglich auch nicht darf). Das mag widersprüchlich klingen, aber ist ganz einfach erklärbar: Während die Welt der Erscheinungen für uns immanent kausal ist, d.h. Erscheinungen stets von einer Kette von Ursache-Wirkungsketten begleitet werden (und es keinen Ur-Anfang gibt), so denken wir uns die Idee der Freiheit z.B. oder die transzendentale Kausalität allgemein als spontan, produktiv, schöpferisch bzw. als "Fähigkeit eine Kette von Ursache-Wirkungen zu beginnen" (causa origines).

Das dies sich nicht zeigen lässt durch die reine, theoretische Vernunft, hält uns aber davon nicht ab, dass wir uns praktisch selbst so begreifen als wären wir frei (Kants "als ob"), denn wir haben das Vermögen, unabhängiger von sinnlichen Motiven (Naturmotiven), handeln zu können. Das uns dies nicht immer gelingt, ist natürlich auch Kant klar gewsen (weshalb er vom Menschen auch als "halbvernünftiges Wesen" spricht), aber es geht hier um das primäre praktische Vermögen, das wir unter solchen Vernunftmotiven handeln können (und demnächst: sollen), die nicht anschaulich (in uns) von Naturmotiven bestimmt sind: Wir können uns also selbst Gesetze geben (=> kategorischer Imperativ). Kant lässt also eine praktische Freiheit zu, und stellt die Idee eines sittlich-höchsten Ideals (das kann Gott, Singularität, oder was auch immer sein) als praktisches Postulat, was aber ebenfalls nicht als Wissen misszuverstehen ist. Es ist sozusagen eine Art "Vorbildsfunktion". All das folgt 1:1 präzise aus seinem Lehrgebäude.




Jetzt zu einer anderen Frage: Hat Kant denn tatsächlich mit seiner Transzendentalphilosophie die Fragen bzgl. der Erkennbarkeit der Realität endgültig geklärt?

Nun, jetzt könnte ja ein schlauer Fuchs gegen Kant folgendes einwenden:

"Naja, Moment! In meiner unmittelbaren Anschauung nehme ich doch überhaupt nichts von einem Ding an sich wahr! Ich gewahre es nicht, wenn ich in meiner unmittelbaren Anschauung stehe! Was also wenn ich mir das Ding an sich nur hinzudenke, abstrakt, und in Wirklichkeit habe ich schon die volle an-sich Realität vor mir?".

Ab hier wird es jetzt interessant: Kant nimmt hier eine Dritte-Person-Perspektive ein, d.h. er reflektiert kritisch über diesen Zustand mittels des Intellekts bzgl. der Bedingungen der Erfahrung. Hier führt dann Kant ein Denkexperiment durch: Wenn die Naturdinge unserer Anschauung so gegeben seien, wie sie wirklich sind ( = Dinge an sich), dann gerät man in einen unlösbaren Widerstreit, die Antinomien. Für Kant kann das also nicht richtig sein, und vermutlich für viele Menschen auch nicht. Die logisch notwendige Konsequenz zur Lösung in Kants System ist also, dass das "Ding an sich" eine für uns unerkennbare Ursache dieser Erscheinungen sein muss bzw. zumindest es gedacht werden muss, ohne je darüber etwas genaueres zu wissen oder behaupten zu dürfen, davon zu wissen, während wir selber durch bestimmte subjektive Charakteristika filtern und damit erst die Erscheinung gewinnen. So lösen sich diese Antinomien auf.

Jetzt kommt aber eine durchaus vielleicht nicht ganz unberechtigte Kritik: Welche der beiden Perspektiven ist denn überhaupt als Ausgangspunkt für eine Erkenntnistheorie zu nehmen? Die unmittelbare Anschauung (d.h. eine Erste-Person-Perspektive) oder die kritisch-reflexive (d.h. eine Dritte-Person-Perspektive) ? In letzterem Fall ist die Konsequenz der Annahme eines Ding an sichs nur logisch-notwendig, weil erst durch die kritische Reflexion der Widerstreit (Antinomien) entsteht. In der unmittelbaren, erlebten, nicht-reflexiven, Anschauung geschieht dies ja durchaus nicht. Es ist ja nur ein Gewahrsein. Praktisch nur "ins Leere schauen" sozusagen, und die Wahrnehmung vor sich zu haben.

Kant setzt also vielleicht stillschweigend eine Annahme voraus. Aber kann dies als Ausgangspunkt einer Erkenntnistheorie dienen? Wenn nicht, wäre aber dann vielleicht auch ein solcher kognitiver Modus denkbar (z.B. "unmittelbare Anschauung"), der nicht kritisch-reflexiv ist und trotzdem erkenntnistheoretisch brauchbar sein kann, d.h. eine Erkenntnistheorie, in der das Subjekt sich in den Erscheinungen einlebt, und eine Art Monismus annimmt? Dies ist insofern interessant als das Kants praktische Philosophie nämlich durchaus hier eine Erste-Person-Perspektive einnimmt, aber sie stets einschränkt durch sein "Als ob"-Prinzip.

Ich lasse dich mal selbst darüber nachdenken.

MfG,
XKetanX.


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01.10.2025 um 20:17
Zitat von XKetanXXKetanX schrieb:Kant kommt nicht einfach willkürlich zu dem "Ding an sich". Das "Ding an sich" ist eine absolut logische Folge seiner Grundvoraussetzungen seines Systems.
von welchen Grundvoraussetzungen sprichst du ?


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02.10.2025 um 02:52
Wer behauptet, wir könnten die Realität direkt erkennen, müsste auch zeigen, wie das möglich sein soll. Kant lädt uns ein, diese Frage kritisch zu prüfen und nicht einfach vorauszusetzen, dass unsere Erkenntnis mit der Wirklichkeit übereinstimmt.


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

02.10.2025 um 09:49
Zitat von duvalduval schrieb:Wer behauptet, wir könnten die Realität direkt erkennen, müsste auch zeigen, wie das möglich sein soll. Kant lädt uns ein, diese Frage kritisch zu prüfen und nicht einfach vorauszusetzen, dass unsere Erkenntnis mit der Wirklichkeit übereinstimmt.
Mich würde ja mal interessieren wie bei Kant überhaupt das Ding an sich zustande kommt... deshalb hatte ich auch @XKetanX gefragt,
was die logischen Grundvoraussetzungen dafür sind.

Denn meines Erachtens zieht Kant das Ding an sich bereits in der transzendentalen Ästhetik aus dem Hut weil Raum und Zeit a priori
in unserem Gemüt liegen und lediglich Anschauungsformen sind, die mit der eigentlichen Realität (Ding an sich) nichts zu tun haben.


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03.10.2025 um 00:00
Zitat von kaktusskaktuss schrieb:Mich würde ja mal interessieren wie bei Kant überhaupt das Ding an sich zustande kommt.
Bei Kant ist das Ding an sich quasi das, was wirklich abgeht aber wir bekommen davon nie das volle Bild, weil unser Kopf immer alles durch seine eigene Brille sieht. Kant sagt: Wir checken nur das, was uns erscheint, das Ding an sich bleibt immer ein Geheimnis. Also, wir sehen die Welt immer gefiltert wie Insta, nur ohne Filter Auswahl!


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.10.2025 um 10:33
Zitat von duvalduval schrieb:Bei Kant ist das Ding an sich quasi das, was wirklich abgeht aber wir bekommen davon nie das volle Bild, weil unser Kopf immer alles durch seine eigene Brille sieht. Kant sagt: Wir checken nur das, was uns erscheint, das Ding an sich bleibt immer ein Geheimnis.
wir bekommen nicht nur nicht das volle Bild, wir bekommen restlos gar kein Bild vom Ding an sich...
und ja, man könnte sagen wir haben sozusagen eine Brille auf durch die wir die Dinge sehen...
wobei eine Brille ja für gewöhnlich auch nicht so stark verfremdet, das man dadurch das Ding an sich dann gar nicht mehr sehen würde...

Das Ding an sich scheint ja nirgendwo durch, so wie die Ideen von Platon z.B. ...

Wie kommt man dazu so eine Entität wie das Ding an sich anzunehmen ?


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03.10.2025 um 21:59
Zitat von kaktusskaktuss schrieb am 30.04.2025:Ich frage mich nun, wie passt das zusammen ?
Das wurde hier bereits ziemlich gut von den anderen erklärt, denke ich. Danke auch an @XKetanX für seine Lesart bzw. Interpretation!

Aber ich möchte versuchen, das Ganze für dich noch mit meinen eigenen Worten zu erklären. Ich habe Die Kritik der reinen Vernunft zudem selber gelesen und mir haufenweise Notizen zwecks Nachschlagen gemacht, auch wenn das schon lange her ist. Und obwohl ich das Stanford Encyclopedia of Philosophy verwende, ist das Thema komplex und Fehler leicht zu machen, insofern bitte ich hier um Nachsicht. ;)

Wie definiert Kant überhaupt "Das Ding an sich"? Dazu bemühen wir den SEP-Eintrag (siehe [1]):
* Space and time are merely the forms of our sensible intuition of objects. They are not beings that exist independently of our intuition (things in themselves), nor are they properties of, nor relations among, such beings. (A26, A33)
* The objects we intuit in space and time are appearances, not objects that exist independently of our intuition (things in themselves). This is also true of the mental states we intuit in introspection; in “inner sense” (introspective awareness of my inner states) I intuit only how I appear to myself, not how I am “in myself”. (A37–8, A42)
*We can only cognize objects that we can, in principle, intuit. Consequently, we can only cognize objects in space and time, appearances. We cannot cognize things in themselves. (A239)
*Nonetheless, we can think about things in themselves using the categories (A254).
*Things in themselves affect us, activating our sensible faculty (A190, A387).
Vereinfacht gesagt: Das Ding-an-sich bildet die Basis hinter dem, was eigentlich existiert, während wir lediglich die Erscheinungen von jenem wahrnehmen. Es sind die Objekte (bzw. existierende Entitäten), die frei von jeglicher Anschaung sind und unabhängig von jener existieren. Kant sagt dazu auch: Hinter einem Phenomenon (wie die Dinge uns sinnlich erscheinen) steckt ein Noumenon, das dieses sozusagen für uns in unserer Anschauung instanziiert.

Was den transzendentalen Idealismus betrifft - den Kernaspekt Kant'scher Philosophie - so gibt es innerhalb der akademischen Philosophie Interpretationen bzw. Lesarten davon (wie bei vielen Denkern im Übrigen) und dies hat nochmals Einfluss auf das Konzept des Dings-an-sich. Die vermutlich zwei bekanntesten sind die "Two-Objects" sowie "Two-Aspects"-Interpretationen (siehe [2] für die Quelle):
The two-objects reading is the traditional interpretation of Kant’s transcendental idealism. [...]
According to the two-objects interpretation, transcendental idealism is essentially a metaphysical thesis that distinguishes between two classes of objects: appearances and things in themselves. [...]
Things in themselves, on this interpretation, are absolutely real in the sense that they would exist and have whatever properties they have even if no human beings were around to perceive them. Appearances, on the other hand, are not absolutely real in that sense, because their existence and properties depend on human perceivers. Moreover, whenever appearances do exist, in some sense they exist in the mind of human perceivers. So appearances are mental entities or mental representations.
versus
The two-aspects reading attempts to interpret Kant’s transcendental idealism in a way that enables it to be defended against at least some of these objections. On this view, transcendental idealism does not distinguish between two classes of objects but rather between two different aspects of one and the same class of objects. For this reason it is also called the one-world interpretation, since it holds that there is only one world in Kant’s ontology, and that at least some objects in that world have two different aspects: one aspect that appears to us, and another aspect that does not appear to us. That is, appearances are aspects of the same objects that also exist in themselves. So, on this reading, appearances are not mental representations, and transcendental idealism is not a form of phenomenalism [...]
Fun fact: Kant hatte einen enormen Einfluss auf Arthur Schopenhauer und dieser entwickelte wohl auf Basis jener Interpretation seine eigene "Double aspect"-Theorie, welche als Grundlage für seine Metaphysik dient ("Die Welt als Wille und Vorstellung").

Je nachdem, wie man Kant nun interpretiert, ändert sich so auch die Interpretation des Dings-an-sich etwas. Vereinfacht gesagt: Entweder man betrachtet Anschauung und das dazugehörige Ding-an-sich als strikter getrennte Entitäten ("Two objects"), oder aber man sieht sie "enger" beieinander als zwei Seiten einer Medaille ("Two-aspects").
Zitat von kaktusskaktuss schrieb am 30.04.2025:Ist es nicht Sache eines wahren Aufklärers die wahre Funktionsweise und die wahren Ursachen der Welt zu enthüllen ?
Ich sehe dies in keinster Weise widersprüchlich zum Projekt der Aufklärung, zu welchem sich Kant verpflichtet hatte. Ein Aufklärer hinterfragt zudem und stellt anderen Werkzeuge zur Verfügung, mithilfe derer man sich solchen "wahren Ursachen" wie Du sie beschreibst zumindest annähern kann. Kants Philosophie tut ja genau das - wir haben dabei noch nicht mal über die transzendentale Deduktion gesprochen, oder über die verschiedenen Kategorien, über synthetische und analytische Urteile usw. Es kann als Systematisierung von Erkenntnisgewinn gedacht werden.

In meinen Notizen habe ich beispielhaft in Bezug auf mathematische Erkenntisse u.a. folgendes geschrieben : "Durch reine Anschauung (Raum und Zeit) können wir Erkenntnisse a priori von Gegenständen in der Mathematik bekommen, jedoch nur als Anschauungen (ob sie so sind oder existieren bleibt unausgemacht). Diese mathem. Fakten schaffen insofern Erkenntnisse, wie sie vermittelt werden, und auf empirische Anschauungen (z. B. Wissenschaften) angewandt werden."

In diesem Sinne ist das Konzept des Dings-an-sich mindestens ein interessantes Mittel, kritisch über unseren Wissenserwerb zu reflektieren; wir sollten niemals sicher sein, uns dogmatisch im Besitz der einen Wahrheit zu befinden. Denn was sich durch unsere Sinne gefiltert ergibt, muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Dabei ist es gar unerheblich, ob ich ontologisch annehme, dass es solche Dinge-an-sich gibt oder ob Kants System "wahr" ist - als kognitives Werkzeug eignet es sich nach wie vor.

Auch wenn es danach noch in der Erkenntnis-und Wissenschaftstheorie sehr, sehr interessante Entwicklungen gab. ;)

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Quellenverzeichnis:
[2]: https://plato.stanford.edu/entries/kant/
[1]: https://plato.stanford.edu/entries/kant-transcendental-idealism/#ProbThinThem


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.10.2025 um 22:46
@Mr.Dextar Das Thema Ding an sich von Kant kam bei mir schon im ersten Semester im Philosophiestudium dran. Besonders spannend fand ich die Frage, ob das 'Ding an sich' wirklich so eine unerkennbare Realität hinter allem ist, was wir wahrnehmen, und warum das für Kants Sicht auf Wissen so wichtig ist. Das Ganze haben wir in den Einführungsveranstaltungen zur Erkenntnistheorie besprochen da gab's echt viele Denkanstöße!


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.10.2025 um 22:54
@duval

Ja, überrascht nicht, wo Kants Philosophie doch als Ganzes sehr prägend war (und viele wichtige Leute wie Schopenhauer, Hegel, etc. weiter prägte). Da gehört eine solche Einordnung auch philosophiehistorisch in jedes Curriculum.

Je nachdem, wodrin Du dich später im Studium spezialisiert hast, kannst Du ja entsprechendes Wissen in diese Diskussion einbringen.


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Ist das Kantische Ding an sich kontraproduktiv zur Aufklärung?

03.10.2025 um 22:56
@Mr.Dextar
Kant ist quasi der OG unter den Philosophen! Ohne ihn wär’s wie Mathe ohne Zahlen da fehlt einfach was. Logisch, dass der überall Thema sein muss.


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