Political correctness, ein gescheitertes Experiment

@abberline

Nicht mehr sagen dürfen, dazu mal eine kurze Anekdote aus dieser Woche:

Am Montag war bei "Wer wird Millionär" eine Frau, Martina Brandl, die wohl zu den guten Angela Merkel Stimm-Imitatoren gehört.
Und sie erzählte, dass die Radio-Comedy, die sie 10 Jahre lang gemacht hatte, eingestellt wurde, als die Flüchtlingsthematik aufkam.
Die Radiosender hätten damals gesagt, sie könnten nicht Comedy machen, ohne dieses Thema anzusprechen, und das sei ihnen zu heikel.
Haben also alle den Schwanz eingezogen. (O-Ton Günther Jauch)

@muscaria
Ein gutes Beispiel. Es wird der Schwanz eingezogen, obwohl noch gar nichts war. Und satirisch kann man auch sein, ohne zu verletzen. Aber das wurde gar nicht ausprobiert. Vor einem "Heinz Becker" , Karl Dall (RIP) oder Hans Söllner... von mir aus auch Christoph Schlingensief (RIP) hätten viele Sender heute doch Angst, wenn die loslegen würden wie früher. Korrekt war da gar nix, aber es sind bzw waren alles gute Beobachter der Gesellschaft und denen wurde der Spiegel vorgehalten. Klar war das mitunter mit dem dicken Hammer statt dem Florett, aber manchmal ist das auch mal nötig, find ich. Immer nur Feingeist vertrag ich auch nicht...

Meine Güte wird hier viel Blödsinn verbreitet......

Ich greife einfach mal exemplarisch den letzten post auf:

abberline schrieb:Es wird der Schwanz eingezogen, obwohl noch gar nichts war.

Weil man, während Menschen vor Krieg, Elend und Tod fliehen und dabei massenhaft im Mittelmeer ertrinken, keine Witze über die Flüchtlingsthematik macht?

Dafür kann man sicher verschiedene Begriffe benutzen: erwachsenes Verhalten, Pietät usw. - aber ganz sicher nicht (den Schwanz einziehen)

abberline schrieb:Aber das wurde gar nicht ausprobiert. Vor einem "Heinz Becker" , Karl Dall (RIP) oder Hans Söllner... von mir aus auch Christoph Schlingensief (RIP) hätten viele Sender heute doch Angst, wenn die loslegen würden wie früher.

Was für ein bullshit. Lisa Eckhardt ist weiter im TV und Dieter Nuhr ebenso.
Und Heinz Becker wurde bis vor Kurzem (möglicherweise immer noch ) in den dritten ständig wiederholt. usw.

Du hast das weiter vorn ganz gut auf den Punkt gebracht:

abberline schrieb:Mit "dürfen" mein ich, ohne gleich Diskussionen zu haben und verschlimmbessert zu werden. Dürfen im Sinn von "der moralisch erhobene Zeigefinger kann mamchmal auch unten bleiben"

:D Das ist so dermaßen grotesk, dass man aus dem Lachen kaum raus kommt.

Da will man bissige Satire, die sich was traut usw. und dann macht man sich sinnbildlich in die Hose, weil manchen sowas nicht gefällt und es Gegenwind gibt.

@Groucho
Wir drehen uns im Kreis. Natürlich darf man auch über die Flüchtlingskrise Satire machen, kommt auf das wie an.
Der moralisch erhobene Zeigefinger kommt ja von den Aposteln der übertriebenen Pc

abberline schrieb:Der moralisch erhobene Zeigefinger kommt ja von den Aposteln der übertriebenen Pc

In diesem Zusammenhang frage ich mich immer wo die ganzen Je suis Charlie Bekunder abgeblieben sind.

Ein paar Jahre später scheint es nur noch um je n'ose rien dire zu gehen.

Traurig

abberline schrieb:Wir drehen uns im Kreis. Natürlich darf man auch über die Flüchtlingskrise Satire machen, kommt auf das wie an.

Wo habe ich geschrieben "man darf nicht"?

Dieser Mythos vom "darf nicht" ist zu weiten Teilen genau das: Ein Mythos

abberline schrieb:Der moralisch erhobene Zeigefinger kommt ja von den Aposteln der übertriebenen Pc

Die relevanten Teile meines posts hast du gekonnt ignoriert.

Groucho schrieb:Dieser Mythos vom "darf nicht" ist zu weiten Teilen genau das: Ein Mythos

das ist richtig.
Aber stattdessen "zensiert" man sich selbst. Sh noch mal das - das hatte ich auch gesehen:

muscaria schrieb:Am Montag war bei "Wer wird Millionär" eine Frau, Martina Brandl, die wohl zu den guten Angela Merkel Stimm-Imitatoren gehört.
Und sie erzählte, dass die Radio-Comedy, die sie 10 Jahre lang gemacht hatte, eingestellt wurde, als die Flüchtlingsthematik aufkam.Die Radiosender hätten damals gesagt, sie könnten nicht Comedy machen, ohne dieses Thema anzusprechen, und das sei ihnen zu heikel.

Groucho schrieb:Die relevanten Teile meines posts hast du gekonnt ignoriert.

Dass Du nicht findest, dass heute vieles vermuffter, biederer und "katholischer" wirkt, als noch in den 80er und 90er Jahren, was Humor und Satire angeht? Nuhr und Eckhardt kenn ich nur wenig, find das jetzt aber nicht sooo wild. Und vom Becker werden nur die braven Sachen wiederholt, scheint mir

Optimist schrieb:Aber stattdessen "zensiert" man sich selbst.

Und?

Das mache ich tagtäglich und die meisten anderen Menschen auch.

Groucho schrieb:Das mache ich tagtäglich und die meisten anderen Menschen auch.

okay, aber kommt ja darauf an, ob eine Selbstzensur auch angebracht ist oder man einfach nur nicht vorhandene "Flöhe husten hört".
In diesem Sinne:

abberline schrieb:Natürlich darf man auch über die Flüchtlingskrise Satire machen, kommt auf das wie an.

natürlich nicht das Leid oder die Flüchtlinge selbst auf die Schippe nehmend, sondern den politischen Umgang mit der Thematik darf man mMn schon satirisch bearbeiten.

abberline schrieb:Vor einem "Heinz Becker" , Karl Dall (RIP) oder Hans Söllner... von mir aus auch Christoph Schlingensief (RIP)

Malcolm Ohanwe wird zb ja auch weiter im ÖR gezeigt und gefördert.
Ich glaube schon dass die genannten weiter im TV zu sehen wären, nicht um 20:15 in der ARD, waren sie vorher aber auch nie.

Optimist schrieb:natürlich nicht das Leid oder die Flüchtlinge selbst auf die Schippe nehmend, sondern den politischen Umgang mit der Thematik darf man mMn schon satirisch bearbeiten.

Sonst fiele es sogar schwer, die Stammtische oder die AfD satirisch zu behandeln. Ein Dieter Hallervorden hat das ja auch schon sehr rustikal gemacht. Aber stark.

capspauldin schrieb:Malcolm Ohanwe wird zb ja auch weiter im ÖR gezeigt und gefördert.
Ich glaube schon dass die genannten weiter im TV zu sehen wären, nicht um 20:15 in der ARD, waren sie vorher aber auch nie.

Ok, das stimmt. Zumindest kamen die "härteren" Kaliber von deren Programm spät am Abend.

Optimist schrieb:natürlich nicht das Leid oder die Flüchtlinge selbst auf die Schippe nehmend, sondern den politischen Umgang mit der Thematik darf man mMn schon satirisch bearbeiten.

Klar, keine Frage.
Nun bleibt aber die Frage, was weißt du genau über das Programm, das da nicht ausgestrahlt wurde?
Natürlich nichts, es ist ja nicht ausgestrahlt worden.

Komischerweise gehst du davon aus, dass es eben nicht die Flüchtlinge auf die Schippe nimmt, sondern ganz harmlos war und jemand da "die Flöhe husten hört".
Vielleicht war es aber auch ganz übel und du selbst hättest ebenso entschieden, es nicht zu bringen.

Optimist schrieb:okay, aber kommt ja darauf an, ob eine Selbstzensur auch angebracht ist oder man einfach nur nicht vorhandene "Flöhe husten hört".

Klar, kommt es darauf an (siehe oben).

Aber was meinst du, wie oft sich Zeitungen selbst zensieren?
Was meinst du, was manche Redaktion für Angst haben, große Werbekunden zu verlieren.
Kein Unterscheid, ob du wg eines Werbekunden, oder wg negativer Publikumsreaktionen selbst zensierst.
In beiden Fällen geht es darum kein Geld zu verlieren. Das ist nichts Neues durch pc, das gab es so schon immer.

Groucho schrieb:Aber was meinst du, wie oft sich Zeitungen selbst zensieren? Was meinst du, was manche Redaktion für Angst haben, große Werbekunden zu verlieren.

ganz genau - unangebrachte Selbstzensur... nur wegen des Geldes/Einnahmen.

Groucho schrieb:Kein Unterscheid, ob du wg eines Werbekunden, oder wg negativer Publikumsreaktionen selbst zensierst.

mag ja egal sein, ändert aber nichts daran, dass es mMn durchaus auch mal "vorauseilenden Gehorsam" geben kann - Zumindest mein Eindruck, dass dies schon da und dort passiert ist (und wenn es eben "nur" wegen des Geldes wäre) ... und das finde ich einfach nicht richtig - da geht mir PC zu weit.

abberline schrieb:als noch in den 80er und 90er Jahren, was Humor und Satire angeht? Nuhr und Eckhardt kenn ich nur wenig, find das jetzt aber nicht sooo wild.

Da werfe ich mal Kreisler in den Ring:

Georg Kreisler Schlagt sie tot

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EinElch schrieb:Da werfe ich mal Kreisler in den Ring:

Dieses Video gehört konfisziert, der Mann nutzt das N-Wort.

Zudem ein seltsamer "Totschlag-" Humor im Bezug auf Juden, könnte als Relativierung wenn nicht Verharmlosung des Holocausts durchgehen, egal wie es vom Autor gemeint war.

@EinElch
Der Kreisler war Österreicher, die haben es meist sowieso drauf...Drahdiwaberl, EAV, Hermes Phettberg, Manfred Tauchen, Pungent Stench, die Wiener Aktionisten...
Vom Kreisler sind doch auch die "Nichtarischen Arien"?
@Cpt.Germanica
Kreisler war Jude

abberline schrieb:Der Kreisler war Österreicher, die haben es meist sowieso drauf...Drahdiwaberl, EAV, Hermes Phettberg, Manfred Tauchen, Pungent Stench, die Wiener Aktionisten...

Helmut Qualtinger.

abberline schrieb:Kreisler war Jude

Na und?

@Cpt.Germanica
Hier ein (wie ich finde) guter Kommentar zum Stück
https://kultur-online.net/inhalt/schlag-sie-tot

Wenn man nicht mehr fragt, wer macht was womit wozu, sondern allein der Besitz, ja die bloße Rezeption schon strafbar ist, dann gibt es keine freie Kommunikation mehr. Wenn jemand als Neonazi verurteilt werden kann, weil in seiner Bibliothek "Mein Kampf" steht, wenn ein anderer in einem anderen Land wegen des Besitzes einer Bibel verurteilt wird, wiederum in einem anderen Land wegen Pornografika, dann wirkt immer ein und derselbe Mechanismus: Die Anmaßung des Regimes, das vorschreibt, was erlaubt ist und was nicht. Haben ist nicht Sein. Sein und Haben ist nicht Verhalten. Einstellung liegt vor Verhalten. Einen Detailaspekt stellvertretend fürs Ganze zu nehmen, um die Verfolgung zu legitimieren, ist einer freien Gesellschaft unwürdig, ist diktatorisch und kurzsichtig. Es generiert nur double think, group think und newspeak.

...

Was unterscheidet Kreislers böse Lieder von schlimmen Karikaturen, die auch viele Westler, wenn sie z. B. gegen Mohammed gerichtet sind, verurteilen? Eine Karikatur, die zahm ist, ist eine beschädigte, schwache oder gar keine. Es scheint, als ob Neutralität und Unverbindlichkeit gefordert werden um ja nicht anzuecken. Aber Karikatur so gut wie Satire muss anecken, will böse sein, das macht ihr Wesen aus. Sollen nur noch "verbürgte Satiren" verbürgter Satiriker geduldet werden? Und wie soll ihre unerwünschte Rezeption oder Interpretation unterbunden werden? Es ist ein Kreuz mit der Freiheit. Auch in der Satire.

Quelle: so

Ich finde, der Text ist ziemlich treffend. Man muss das auch nicht lustig finden, aber in einer freien Gesellschaft muss Satire auch böse sein dürfen