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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

11.655 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Wald, Entführung, München ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre
2r2n ehemaliges Mitglied

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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 10:12
Zitat von AndanteAndante schrieb:Juristisch finde ich das auf den ersten Blick erst mal nicht zu beanstanden. Warum sollte bei einem potentiellen anderen Täter Mord erwogen werden, bei M hingegen nicht?
Die Kammer musste bei der Urteilsverkündung 2010 nicht über die Einstufung nachdenken, weil wir noch vor der Verjährung waren. Und natürlich gab es keinen Tötungsvorsatz, das hat die Kammer auch klargemacht. Allerdings gibt es in der Urteilsbegründung keine Bezugnahme zur Auffindesituation, aus der sich der bedingte Vorsatz aufdrängt.
Jetzt müsste sich die Staatsanwaltschaft mit der Auffindesituation beschäftigen, wenn sie über neue Ermittlungen nachdenkt. Wenn sie das nicht tut, wird es keine neuen Ermittlungen geben. Alles andere wäre eine Überraschung. Da mögen die neuen Indizien noch so deutlich sein. Und über die zwingend notwendigen Mittäter braucht man auch nicht nachdenken, so mein laienhaftes Verständnis. Offenbar genügt es juristisch, dass einer aus der Tätergruppe sitzt, um das Verbrechen zu den Akten legen zu können.

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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 11:48
Zitat von AndanteAndante schrieb:Da aber schrecklicherweise die Belüftung in der Kiste mangelhaft war, kam es dadurch zum Tod Ursulas.
Da wären wir wieder bei der alten Diskussion :(
Eine Holzkiste ist prinzipiell nicht hermetisch dicht. Auch dann nicht, wenn sie in lockerer (also nicht verdichteter) Erde vergraben ist. Die Dichtheit hatte der Gerichtsmediziner bei der Abschätzung einer Überlebenszeit aber angenommen. Wie groß der Gasaustausch der Kistenluft mit der Umgebungsluft (Luft in den Bodenporen) tatsächlich war, hat niemanden interessiert. Er war sicher nicht Null.

Hier geht es im Wesentlichen um die Abgabe von Kohlendioxid (CO2) aus der Kiste. Wie so etwas prinzipiell funktioniert, findet man in der Fachliteratur zur Bauphysik. Die Bauphysiker lassen sich nicht über CO2 aus sondern über die Diffusion von Wasserdampf durch Baumaterial (auch Holz). Es gibt sicher Unterschiede zwischen CO2 und H2O, aber die Physik ist für beide gleich. Aus meiner Sicht wäre Ursula auch bei funktionierender Lüftung gestorben. Wirkliche Todesursache war vermutlich eine falsch ausgeführte Narkose/Sedierung.
Aber das alles hat niemanden während des Strafprozesses interessiert, obwohl festgestellt wurde, dass Ursula in der Kiste nicht aufgewacht ist, der Sauerstoffvorrat aber wahrscheinlich für längere Zeit gereicht hätte. Also sogar gereicht hätte für die nach einer Narkose übliche Aufwachzeit.


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13.06.2019 um 12:03
Zitat von 2r2n2r2n schrieb:Offenbar genügt es juristisch, dass einer aus der Tätergruppe sitzt, um das Verbrechen zu den Akten legen zu können.
Der Punkt ist, dass nach § 152 Abs. 2 StPO die StA verpflichtet ist, bei allen „verfolgbaren“ Straftaten einzuschreiten. Im Umkehrschluss heißt das, dass sie bei nicht (mehr) verfolgbaren Straftaten grundsätzlich nicht einschreiten DARF. Nicht verfolgbar ist eine Tat unter anderem, wenn sie verjährt ist.

Auch wenn manche meinen, dass im Fall Herrmann eine Art übergesetzlicher Notstand herrscht, in welchem sich StA und Gerichte im Interesse der Wahrheitsfindung an keinerlei Gesetze mehr halten müssen, ist es so, dass StA und Gerichte sich selbst an die Gesetze gebunden fühlen, die StA eben an § 152 Abs. 2 StPO, und danach handeln.
Strafprozeßordnung (StPO)
§ 152 Anklagebehörde; Legalitätsgrundsatz

(1) Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist die Staatsanwaltschaft berufen.

(2) Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.



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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 12:25
PS: Man kann darüber streiten, welche Straftat wann verjähren sollte. Allerdings sind das, wie alle Gesetze, politische Entscheidungen der gewählten Parlamentarier, also der Legislative.

Gerichte und Staatsanwaltschaften machen keine Gesetz, sie wenden sie an. Das folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der hierzulande Verfassungsrang hat.

Beschwerden über falsche und unzulängliche Gesetze sind ausschließlich an den Gesetzgeber zu richten. Gerichte müssen die vom Parlament beschlossenen Gesetze nun mal anwenden, auch wenn der betreffende Richter persönlich das Gesetz, das er anwenden muss, für falsch und kontraproduktiv hält oder eine ganz andere politische Meinung in dieser Regelungsfrage vertritt.

Es gibt nur eine Ausnahme: Der Richter hält das betreffende Gesetz für verfassungswidrig. Aber auch dann darf er es nicht einfach nicht anwenden und sich sein eigenes Recht schaffen. Er muss das Verfahren aussetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit des von ihm anzuwendenden Gesetzes dem Bundes- oder dem jeweils zuständigen Landesverfassungsgericht vorlegen.

Vor diesem Hintergrund gehen die hier erhobenen pauschalen Vorwürfe an Gerichte und an die StA, sie hätten kein Interesse an der Wahrheitsfindung, in die falsche Richtung. Ich habe jedes Verständnis dafür, das @2r2n und andere, wenn sie vermuten, dass für die Tat an Ursula andere in Betracht kommen, eine Klärung dieser Frage erstreben. Aber es ist eben auch zu akzeptieren, wo dann für die Gerichte und StA die rechtlich bindenden Grenzen dieser Aufklärung sind. Gerichte und StA können auch nichts dafür, dass die gesetzlichen Hürden für ein Wiederaufnahmeverfahren so hoch sind.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 12:27
als juristischer Laie: kann ein mordmerkmal überhaupt nur ausgeschlossen werden, wenn der tatblauf nicht rekonstruiert ist? wer sagt uns denn, dass zwar initial „nur“ menschenraub vorgesehen war, dann aber aufgrund des fahndungsdrucks der festhalteort von den Tätern nicht mehr aufgesucht wurde, wodurch der Tod als wahrscheinliche Folge dessen billigend in Kauf genommen wurde? Wäre das nicht auch mord? Bis heute sind die genauen Abläufe nicht geklärt, ergo kann m.e. Die Frage nach mord auch gar nicht abschließend geklärt sein.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 12:36
Zitat von EdgarHEdgarH schrieb:Bis heute sind die genauen Abläufe nicht geklärt, ergo kann m.e. Die Frage nach mord auch gar nicht abschließend geklärt sein.
Wenn die Ermittlungen zum möglichen Tatablauf keine Anhaltspunkte für die Erfüllung auch nur eines der in § 211 StGB abschließend aufgezählten Mordmerkmale hergeben, kann und wird die StA keine Anklage wegen Mordes erwägen und schon gar nicht erheben. Denn wie soll sie eines der Mordmerkmal je vor Gericht beweisen, insbesondere bei Anwendung des Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“?

In solchen Fällen wird dann max. wegen Totschlags angeklagt, wenn ausreichende Anhaltspunkte für einen entsprechenden Tötungsvorsatz des Beschuldigten vorhanden sind, oder eben wegen des Delikts, welches nach Auffassung der StA vorliegt und was sie glaubt, vor Gericht beweisen zu können.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 14:05
Zitat von AndanteAndante schrieb:. Denn wie soll sie eines der Mordmerkmal je vor Gericht beweisen, insbesondere bei Anwendung des Grundsatzes „Im Zweifel für den Angeklagten“
Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass das Kind sich wohl nicht mehr bewegt hat, nachdem es in der Kiste war. Daraus wurde seinerzeit geschlossen, dass es wohl betäubt wurde. Da bei der Obduktion keine Narkotika nachgewiesen werden konnten vermutete man, dass dies mit Lachgas geschah, das sich nicht nachweisen laesst.
Der Ansatz, der im Thread diskutiert wurde ist der, dass das Kind an einer Lachgasvergiftung gestorben sein koennte, da es nicht mehr aufgewacht und an Sauerstoffmangel gestorben ist und dass der sorglose Umgang mit dem Lachgas ein bedingter Vorsatz fuer Mord wäre.

Die Frage für mich ist nun, ob die vorliegenden Indizien für eine Mordanklage eines neuen Verdächtigen ausreichen würden, oder ob man das o.g. Geschehen zunächst mit neuen Beweisen oder Indizien besser belegen müsste.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 14:35
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass das Kind sich wohl nicht mehr bewegt hat, nachdem es in der Kiste war. Daraus wurde seinerzeit geschlossen, dass es wohl betäubt wurde. Da bei der Obduktion keine Narkotika nachgewiesen werden konnten vermutete man, dass dies mit Lachgas geschah, das sich nicht nachweisen laesst.
Der fehlende Nachweis ist hier der Dreh- und Angelpunkt. Bloße Vermutungen, für die es keine Indizien gibt, hier die nicht belegbare Vermutung, dass Lachgas verwendet wurde, begründen keine Erfolgsaussicht für eine Anklage.
Jeder Verteidiger zerpflückt eine solche nicht auf belastbare Indizien gestützte Anklage hohnlachend auf der Stelle, das ist vorauszusehen. Ohne weiteres belastendes Material wäre hier wohl eine Mordanklage zum Scheitern verurteilt.

Ich habe aber noch ein anderes Problem mit der Betäubung. Letztlich war diese ja offenbar nicht todesursächlich, sondern die fehlende Belüftung. Auch wenn das Kind nicht betäubt worden wäre, wäre es an der fehlenden Belüftung gestorben. Ich frage mich, wo hier welches Mordmerkmal herkommen soll. Mord setzt halt voraus, dass der Mörder Vorsatz auch und gerade in Bezug auf das entsprechende Mordmerkmal hat, wobei bedingter Vorsatz reicht.

Unter welches konkrete Mordmerkmal soll hier die unzureichende Belüftung mit dem daraus resultierenden Ersticken des Kindes fallen? Grausamkeit?
Hat also der Täter die mangelhafte Belüftung deshalb gewählt, weil er das Kind töten wollte wollte, und auch grausam töten wollte, bzw. dies billigend in Kauf genommen hat?

Oder war es vielmehr so, dass er das Kind nicht töten wollte, schon gar nicht grausam bzw. unter Verwirklichung eines anderen (welchen?) Mordmerkmals (wofür die Tatsache spricht, dass er überhaupt eine Belüftung vorgesehen hatte), dass ihm aber eine funktionierende Belüftung nicht gelungen ist, weil er dabei jeden erdenklichen Fehler gemacht, also leichtfertig im Sinne des § 239 a Abs. 3 StGB gehandelt hat, wie es die Strafkammer angenommen hat?


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 14:52
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ich habe aber noch ein anderes Problem mit der Betäubung. Letztlich war diese ja offenbar nicht todesursächlich, sondern die fehlende Belüftung. Auch wenn das Kind nicht betäubt worden wäre, wäre es an der fehlenden Belüftung gestorben. Ich frage mich, wo hier welches Mordmerkmal herkommen soll. Mord setzt halt voraus, dass der Mörder Vorsatz auch und gerade in Bezug auf das entsprechende Mordmerkmal hat, wobei bedingter Vorsatz reicht.
Hier war im Thread die Theorie, dass das Kind schon an einer Überdosis Lachgas gestorben ist, obwohl noch genug Sauerstoff da gewesen wäre und dies durch das Obdukiondergebnis nicht zu unterscheiden gewesen sein soll. Das bedingte Mordmotiv wäre dann das Verabreichen von viel zu viel Lachgas ohne Ruecksicht darauf, das man daran sterben kann. So habe ich die Argumentation verstanden. Aber vielleicht kann mich @ErwinKöster noch ergänzen


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 15:15
Ich verstehe das so, dass hier im Thread alle möglichen Thesen erörtert wurden. Die StA braucht für eine Anklage aber weit mehr als bloße Thesen und Vermutungen aus dem luftleeren Raum.

Die StA braucht belastbare Hinweise bzw. Indizien, sprich Fakten. Für eine Mordanklage im Zusammenhang mit einer Lachgasvergiftung benötigt sie also indizien, die darauf hindeuten, dass

- Lachgas verwendet wurde,
- Ursula an einer Lachgasvergiftung starb,
- der Täter auch wollte bzw. billigend in Kauf nahm (= bedingter Vorsatz), dass sie zuviel Lachgas abbekommt und daran stirbt,
- der Täter mit seinem Handeln ein Mordmerkmal (welches hier konkret?) verwirklicht hat und dieses auch verwirklichen wollte.

Ohne derartige Indizien braucht die StA bei Gericht gar nicht erst nicht anzukommen.


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2r2n ehemaliges Mitglied

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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 17:03
@Andante
@JosephConrad
Es geht um die Unterscheidung zwischen Hypoxie und Hyperkapnie, die von der Gerichtsmedizin nicht getroffen wurde, die aus der Auffindesituation aber klar differenziert hätte werden müssen. Aber ich für meinen Teil werde auf diesen Sachverhalt in diesem Forum nicht mehr zu sprechen kommen. Er wurde schon ausreichend diskutiert. Nur so viel: Ohne Sedierung hätte eine Hyperkapnie stattfinden müssen, es wurde aber klar Hypoxie diagnostiziert. Weil die einzige nicht nachweisbare Sedierung auf Lachgas zurückzuführen ist, ist die Lachgas Überdosierung die einzige Erklärung für die Auffindesituation. Und das wäre juristisch der bedingte Vorsatz.
Aber insgesamt stimmt alles, was ihr sagt: Es gibt ganz klare Grenzen, die juristisch gegeben sind. In diesem Rahmen finden Entscheidungen statt, die letztendlich auch akzeptiert werden müssen. Nur so funktioniert der Rechtsstaat.
Der einzige Grund, warum ich zur Staatsanwaltschaft gegangen bin, liegt in den Puzzleteilen, die sich mir darboten. Sie liegen aus meiner Sicht ein gutes Stück enger zusammen als bei Mazurek. Ich konnte es nicht verantworten, sie nicht weiterzugeben. Und weil die Aufnahme von Ermittlungen unmittelbar mit der Verjährung zusammenhängt, war das Mordmerkmal des bedingten Vorsatzes hier ein Thema.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 20:26
Zitat von AndanteAndante schrieb:Der Punkt ist, dass nach § 152 Abs. 2 StPO die StA verpflichtet ist, bei allen „verfolgbaren“ Straftaten einzuschreiten. Im Umkehrschluss heißt das, dass sie bei nicht (mehr) verfolgbaren Straftaten grundsätzlich nicht einschreiten DARF.
Das ist genau die Art von Logik, die mir immer wieder Kopfzerbrechen macht. Gibt es in der Rechtsprechung eine eigene Logik, die von der mathematischen weit entfernt ist? Wenn eine Verpflichtung zu einer Aktion entfällt, bedeutet es nach meinem Weltverständnis nicht, dass die Aktion verboten ist. Es ist wohl nur gängige Praxis, dass die StA nicht einschreitet, wenn sie nicht dazu verpflichtet ist und sie es außerdem nicht will.

Mein Vertrauen in die Rechtsprechung ist auf dem absoluten Nullpunkt angekommen, weil mir immer wieder so eine verdrehte Logik über den Weg läuft. Im Urteilstext gibt es mehrere Beispiele dafür. So hat mir ein Rechtsanwalt erklärt, dass ein Urteil nicht zu beanstanden sei, wenn darin falsche Fakten auftauchen. Also Fakten, die sich nicht erst nachträglich als falsch erwiesen haben, sondern die bereits während des Urteilsspruchs als falsch bekannt waren. Nur die Richter haben das nicht geschnallt. Und die, die es geschnallt haben müssten, waren an einer Verurteilung interessiert und haben den Mund gehalten.
Gut, das ist offenbar in Deutschland Gesetz, und ich muss mich damit arrangieren.

Auch ich sehe keine Mordabsicht, wenn der Täter lediglich zu dumm ist, sein Opfer am Leben zu halten. Wie sieht es aber aus, wenn der Täter gar nicht so dumm war? Wenn er genau wusste, dass das Mädchen sterben wird, falls er das nicht sofort verhindert. Darf die StA sich stillschweigend auf die Dummheit des Täters verlassen? Oder wäre sie verpflichte das erst einmal zu prüfen.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 21:17
Zitat von roberndrobernd schrieb:Das ist genau die Art von Logik, die mir immer wieder Kopfzerbrechen macht. Gibt es in der Rechtsprechung eine eigene Logik, die von der mathematischen weit entfernt ist? Wenn eine Verpflichtung zu einer Aktion entfällt, bedeutet es nach meinem Weltverständnis nicht, dass die Aktion verboten ist.
Doch, hier schon. Der StA ist es verboten, mehr zu tun als das Gesetz ihr vorschreibt. Jeder Bürger kann sich damit sicher sein, nur wegen derjenigen Straftaten verfolgt und verurteilt zu werden, die im Gesetz mit Strafe bedroht sind. Eine Allmacht hat die StA damit nicht. Das gilt natürlich genau so für Gerichte. Deren Macht ist auf das beschränkt, was der Gesetzgeber ihnen zuweist. Gerichte dürfen zB nicht mehr an Strafe aussprechen als im Gesetz steht. Wenn da steht, dass die Höchststrafe 10 Jahre ist, dürfen sie nicht zu 20 Jahren verurteilen. Wenn nicht per Gesetz mit Strafe bedroht ist, dass man öffentliche Rasenflächen nicht betreten darf, darf niemand wegen Betretens öffentlicher Rasenflächen verurteilt werden.

In nicht verfolgbaren Straftaten, also solchen, die zB laut Gesetz verjährt sind, darf halt die StA nicht ermitteln. Das macht auch Sinn, denn was soll aller Ermittlungsaufwand, wenn das Gericht der StA hinterher bescheinigt, dass sie mit der Anklage baden geht, weil die Tat verjährt ist. Also braucht die StA in verjährten Sachen erst gar nicht zu ermitteln. Der Gesetzgeber hat sich mit der Formulierung des § 152 Abs. 2 StPO also schon etwas gedacht.
Zitat von roberndrobernd schrieb:So hat mir ein Rechtsanwalt erklärt, dass ein Urteil nicht zu beanstanden sei, wenn darin falsche Fakten auftauchen. Also Fakten, die sich nicht erst nachträglich als falsch erwiesen haben, sondern die bereits während des Urteilsspruchs als falsch bekannt waren.
Da hat der Rechtsanwalt die im Gesetz bewusst festgelegte fehlende Amtsermittlungspflicht der Zivilgerichte gemeint. Wir haben darüber schon mal diskutiert. Gemäß § 138 ZPO (ich hatte den Wortlaut eingestellt) gilt als prozessuale Wahrheit, was an Fakten zwischen den Parteien unstreitig ist. Unstreitig wiederum ist das, was die eine Partei als Fakten erzählt und die andere Partei kommentarlos hinnimmt und sich nicht dazu weiter äußert. Dann gilt als zugestanden und damit als Wahrheit, was die andere Seite gesagt hat, auch wenn es nicht stimmt und das Gericht nicht merken kann, dass es nicht stimmt.

Weshalb es im Zivilprozess so furchtbar wichtig ist, auf das Vorbringen des Gegners einzugehen, dessen Schriftsätze genau zu studieren und dem Gericht zu sagen, was daran an Fakten nicht stimmt und warum es nicht stimmt. Das ist völlig anders als in den Verfahren, in denen das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln muss.

Beispiel Schadensersatzprozess: Der Kläger behauptet, der Beklagte sei mit dem Fahrrad rücksichtslos auf dem Gehweg gefahren und habe ihn umgefahren. Dadurch sei er - der Kläger - hingefallen und habe sich die nagelneue Hose ruiniert, weshalb er den Kaufpreis für die Hose vom Beklagten erstattet haben möchte. In Wahrheit war es anders: Der Beklagte fuhr auf dem Fahrradweg, und der angetrunkene Kläger torkelte plötzlich vom Gehweg auf den Radweg und lief dem Beklagten ins Rad. Wenn nun der Beklagte zur Klage nichts sagt und seine Version nicht erzählt, gilt die Geschichte des Klägers als zugestanden und damit als prozessuale Wahrheit, also die Version, dass der Beklagte den Kläger auf dem Gehweg rücksichtslos umgefahren hat. Der Beklagte wird vom Gericht zum Ersatz der Hose verurteilt. Nur wenn der Beklagte SEINE Version erzählt hätte, müsste das Gericht Beweis über den Unfallhergang erheben, sonst nicht.

Die prozessuale Wahrheit eines Zivilprozesses kann, das ist vom Gesetzgeber aus bestimmten Gründen so gewollt, von der materiellen, also der wirklich wahren Wahrheit, abweichen und tut es oft auch, wenn die Parteien (und ihre Anwälte) sich keine Mühe geben.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

13.06.2019 um 22:37
Zitat von roberndrobernd schrieb:Wie sieht es aber aus, wenn der Täter gar nicht so dumm war? Wenn er genau wusste, dass das Mädchen sterben wird, falls er das nicht sofort verhindert. Darf
Irgendwie fallen mir immer wieder die 2400 gebohrten Löcher in den Röhren ein. Die stehen für mich als Synonym für die Vorstellung eines lebendigen Kindes in der Kiste. Die Staatsanwaltschaft soll jetzt noch alles prüfen was
rechtlich möglich ist. An eine neue Anklage vermag ich aber pers. nicht zu glauben.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

14.06.2019 um 00:47
Zitat von 2r2n2r2n schrieb:Der einzige Grund, warum ich zur Staatsanwaltschaft gegangen bin, liegt in den Puzzleteilen, die sich mir darboten. Sie liegen aus meiner Sicht ein gutes Stück enger zusammen als bei Mazurek. Ich konnte es nicht verantworten, sie nicht weiterzugeben.
Diese Handlungsweise kann ich verstehen. Und sie hat meinen Respekt.

Ich kann mir, da das (anonymisierte) Urteil in Sachen Mazurek bis heute nicht veröffentlicht ist, keine dezidierte Meinung zu diesem Urteil erlauben. Bei allen bloßen Sekundärquellen dazu bin ich vorsichtig und finde, dass durchaus richtig ist, was der Richter am Amtsgericht München Dr. Leitmeier zum Thema schreibt: Jeder Laie weiß sicher, wenn ein Urteil falsch ist. Aber gelesen hat er es nicht, geschweige denn die kompletten Akten dazu.

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/laien-prozess-empoerung-einmischung-meinung-laufende-verfahren-ohne-aktenkenntnis-sachverstand/2/


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

14.06.2019 um 06:53
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Irgendwie fallen mir immer wieder die 2400 gebohrten Löcher in den Röhren ein
Sie dienten im Zusammenspiel mit der Stoffumwicklung als Schalldämpfer. Es ging also darum, dass Schreie nicht nach außen dringen sollten.


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14.06.2019 um 07:35
Zitat von AndanteAndante schrieb:robernd schrieb: So hat mir ein Rechtsanwalt erklärt, dass ein Urteil nicht zu beanstanden sei, wenn darin falsche Fakten auftauchen. Also Fakten, die sich nicht erst nachträglich als falsch erwiesen haben, sondern die bereits während des Urteilsspruchs als falsch bekannt waren.

Da hat der Rechtsanwalt die im Gesetz bewusst festgelegte fehlende Amtsermittlungspflicht der Zivilgerichte gemeint.
Hier ging es definitiv um falsche Fakten im Strafurteil. Das Zivilurteil gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Dazu hatte ich mir hier schon früher ausgelassen.


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14.06.2019 um 07:38
Zitat von JosephConradJosephConrad schrieb:Irgendwie fallen mir immer wieder die 2400 gebohrten Löcher in den Röhren ein. Die stehen für mich als Synonym für die Vorstellung eines lebendigen Kindes in der Kiste.
Als die Löcher gebohrt wurden, konnte auch der schlaueste Täter nicht wissen, dass Ursula unter seinen Händen sterben wird.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

14.06.2019 um 10:05
Zitat von AndanteAndante schrieb:Der fehlende Nachweis ist hier der Dreh- und Angelpunkt. Bloße Vermutungen, für die es keine Indizien gibt, hier die nicht belegbare Vermutung, dass Lachgas verwendet wurde, begründen keine Erfolgsaussicht für eine Anklage.
Nein, der Dreh- und Angelpunkt ist, dass einerseits vor Gericht die Lachgas-Sedierung angenommen wurde, die Wirkungsweise derselben aber andererseits zur ebenfalls gerichtsmedizinisch dokumentierten Auffindesituation im Widerspruch steht.
Für die Verwendung von Lachgas gibt nicht nur Indizien, sondern sie wurde vor Gericht von mehreren medizinischen Sachverständigen als sehr naheliegend betrachtet und dargestellt. Der Einsatz eines Betäubungsmittels, mutmaßlich Lachgas (da es das einzige nicht nachweisbare Btm ist), stand gar nicht zur Debatte. Nun ist für Lachgas die sehr kurze Wirkdauer ein (oft ja erwünschtes) Charakteristikum. Nach wenigen Minuten verebbt die Sedierung. Nach dem Verbringen in die Kiste muss Ursula also sehr schnell erwacht sein. Vor Gericht wurde jedoch ausgesagt, dass sie sich nicht mehr bewegt hat in der Kiste, sie bewusstlos langsam in den Tod durch Hypoxie glitt.
Dass diese beiden Faktoren (Lachgaseinsatz und lange Bewusstlosigkeit, die in hypoxischem Ersticken mündet) sich widersprechen, wurde einfach übergangen.
An einer Stelle des angenommenen Szenarios muss ein Fehlschluss vorliegen, denn so macht es keinen Sinn. Da aber der Einsatz von Lachgas als Btm sehr naheliegt (keinerlei Anzeichen von Gegenwehr, Fesselung oder Gewaltanwendung, dabei langer Fußmarsch durch dichtes Gestrüpp, halb sitzend mit überstrecktem Kopf in der Kiste platziert etc.), bleibt die Annahme, dass das Mädchen eben nicht am dysfunktionalen Belüftungssystem starb, sondern an einer massiven Überdosierung, die ebenfalls zum Tod durch Hypoxie führt.
Das könnte zwar unerheblich sein, denn die Todesursache bleibt ja gleich. Aber es ist ein immenser Unterschied, ob die Täter ihr Opfer in eine vermeintlich belüftete Kiste verbringen, in der Annahme, das Überleben sei gesichert, oder ob sie ein Kind, das sich in tiefer, komatöser Bewusstlosigkeit befindet, in die Kiste sperren, ohne sich zu vergewissern, ob es atmet oder erwacht. Die dringende Notwendigkeit, rettende Maßnahmen zu ergreifen, kann den Tätern nicht entgangen sein.


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Der Fall Ursula Herrmann, Anfang 80er Jahre

14.06.2019 um 10:37
Zitat von panta_rheipanta_rhei schrieb:Aber es ist ein immenser Unterschied, ob die Täter ihr Opfer in eine vermeintlich belüftete Kiste verbringen, in der Annahme, das Überleben sei gesichert, oder ob sie ein Kind, das sich in tiefer, komatöser Bewusstlosigkeit befindet, in die Kiste sperren, ohne sich zu vergewissern, ob es atmet oder erwacht. Die dringende Notwendigkeit, rettende Maßnahmen zu ergreifen, kann den Tätern nicht entgangen sein.
Deine Schlussfolgerung würden so dann ja auch für den verurteilten Werner M. gelten müssen. Dennoch hat die Strafkammer in seinem Fall diesen Schluss nicht gezogen und ihn eben NICHT wegen Mordes verurteilt. Dafür muss es Gründe geben, die im Urteil stehen. Dort wird auch zu finden sein, wie Strafkammer die gerichtsmedizinischen Gutachten bewertet hat etc. Da ich aber, wie gesagt, das Urteil nicht kenne, halte ich mich in Fragen zum Urteilsinhalt und seiner Interpretation raus.


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