emz schrieb:Vielleicht wäre in diesem Zusammenhang eine gute Gelegenheit, uns einmal zu aufzuklären, welchen Zweck so eine Nebenklage verfolgt.
Die Nebenklage ist ein merkwürdiges Produkt des neueren deutschen Strafrechts und in anderen Ländern völlig unbekannt. Sie gibt dem Opfer einer Straftat weitreichende Rechte am Verfahren mitzuwirken, die es sonst nicht haben würde. Der Zweck der Nebenklage ist daher passend beschrieben als "Aufwertung des Opfers."
Im halbwegs modernen Strafrecht in Deutschland, seit dem 19. Jahrhundert, hat der Staat das Monopol der Strafverfolgung betont, allerdings gab es das in Deutschland schon zum Teil seit dem 16. Jahrhundert und im römischen Recht noch länger. Davor war die Strafverfolgung, also die Klage und die Vertretung des Klägers Sache des Opfers.
Das wurde als unbefriedigend wahrgenommen, vor allem wenn sich das Opfer in einer gesellschaftlich schwächeren Situation als der Angeklagte befand.
Im Zivilverfahren, das ganz früher das einzig existierende Verfahren war, war immer schon und ist bis heute das Opfer in der Situation, zur Genugtuung selbst Klage erheben zu müssen. Dann aber empfand man mehr und mehr, dass eine Straftat auch einen Angriff auf die Gesellschaft an sich darstellt, Opfer also nicht nur der Einzelne ist sondern alle Mitglieder der Gesellschaft, so z.B. im biblischen Recht, oder der König, als Souverän. Und so verlagerte sich das Strafverfolgungsrecht immer mehr zum Staat.
In England ist noch heute der "Staatsanwalt" der "Anwalt der Königin," Queen's Counsel, und erhebt in ihrem Namen Anklage. In den USA in den meisten Bundesstaaten ist es "das Volk," zum Beispiel "The People of the State of California," und die Anklagevertretung wird immer mit "das Volk" bezeichnet ("The people" move to... "Das Volk" beantragt...")
Diese Sicht der Dinge ist bis heute in den allermeisten Ländern der Welt ausschlaggebend. Eine Straftat ist ein Vergehen gegen die Gemeinschaft und wird von dieser verfolgt.
Nur: wo bleibt das Opfer dabei? Bisher blieb es in der Rolle eines Zeugen. Es hat keine Rechte und keine Bedeutung die über Bedeutung und Rechte eines reinen Beobachters einer Straftat hinausgehen. So ist das heute noch in den meisten Ländern der Welt.
Vor allem: das Opfer hat kein Mitspracherecht bei der Anklagerehebung, der Ausgestaltung der Anklage und des Verfahrens, bei der Zusammensetzung des Gerichts und so weiter. Im Gegenteil: der Angeklagte hat fast immer diese Rechte, das Opfer an sich aber nicht - es ist darauf angewiesen, dass der "Staatsanwalt" seine Interessen vertritt. In den meisten Fällen wird es aber nicht gefragt.
In Deutschland empfand man das als unbefriedigend. Zwar ist es auch hier noch so, dass das Opfer kaum ein Mitspracherecht hat, ob Anklage erhoben wird, wegen was Anklage erhoben wird, und so weiter. Aber wenn es erst einmal dazu kommt, dass der Staat Anklage erhebt, dann hat ein Opfer in bestimmten Fällen das Recht als "Nebenkläger" aufzutreten.
Nicht in allen Fällen, wohlgemerkt, sondern nur bei schweren Straftaten. Bei Tötungsdelikten geht das Recht auf die nächsten Angehörigen über.
Welche Rechte hat der Nebenkläger? Dies wird besonders deutlich, wenn man sie mit den Rechten eines Zeugen vergleicht:
Der Nebenkläger kann sich durch einen Rechtsanwalt vor Gericht vertreten lassen. Das Opfer braucht also nicht selbst zu reden (wohl aber in seiner Rolle als Zeuge, die es nebenbei noch behält!). Das Opfer und sein Anwalt sind während der gesamten Verhandlung anwesend (Zeugen nicht). Sie erhalten Akteneinsicht in die Ermittlungsakten (Zeugen nicht). Sie dürfen selbst Fragen an die anderen Zeugen stellen (Zeugen nicht). Sie können eigene Beweisanträge stellen (Zeugen nicht) und sie können Befangenheitsanträge gegen das Gericht stellen (Zeugen nicht). Sie können eigene Strafmassanträge im Plädoyer stellen und sie können gegen ein Urteil sogar Rechtsmittel einlegen. Zeugen können auch das nicht.
Die Rolle des Opfers wird also von passiv (Zeuge) zu aktiv (Nebenkläger) aufgewertet, ohne dass das Opfer nun allein gelassen wird. Das ist auch die wichtigste Einschränkung: ein Nebenkläger kann sich nur der Klage der Staatsanwaltschaft anschliessen, nicht allein Klage im Strafverfahren erheben (wobei es in Deutschland sogar die Möglichkeit gibt, die Staatsanwaltschaft in bestimmten Fällen zu zwingen, Klage zu erheben, auch das ist im Ausland fast überall unbekannt).
Die Kosten der Nebenklage, die erheblich sein können, z.B. für den Rechtsanwalt, können vom Staat übernommen werden bzw. dem Angeklagten als Verurteilten auferlegt werden. Allerdings muss das nicht in allen Fällen passieren.
Soweit die Theorie. Praktisch muss man vermutlich zugeben, dass in 99% der Fälle das Vorhandensein eines Nebenklägers für den Ausgang des Verfahrens völlig unerheblich ist, aber das Opfer hat tatsächlich eine erhebliche Aufwertung erfahren. Und das ist, denke ich, gut so.