"Heidkrug-Mord" an Artur Linzmaier aus Braunschweig (1994)
gestern um 22:23
Ich habe mir die XY-Sendung gestern mal angeschaut, nachdem mich Querverweise im U. Herrmann-Thread doch etwas angefixt haben... ;-)
Herr Linzmaier wird als freundlicher Mensch beschrieben. Aber es mutet auch etwas merkwürdig an, mir scheint, als würden Grenzen überschritten, wenn auch in freundlicher, etwas plumper, vielleicht etwas distanzgeminderter und vielleicht auch naiver Art und Weise.
Kundinnen Kuchen mitzubringen ist zwar einerseits nett, aber m.E. unpassend für einen geschäftlichen Kontakt. Bezweckt er etwas damit, will er nur nett sein, könnte jemand anderes dahinter mehr sehen? Es wird zwar nicht geschildert, ob beim ersten Kontakt oder beim 10. Reparaturauftrag, aber die Art und Weise, wie XY das betont, soll vermutlich ein Hinweis sein. XY hat ja eine Tradition, manche Dinge nur verschlüsselt anzusprechen, wie z.B. die berühmten "homophilen Neigungen" und die Art und Weist, wie dies in den Filmen dargestellt wurde.
Er ist auf der Suche nach einer neuen Partnerin, obwohl seine Ehe noch nicht endgültig geschieden ist. In Polen sind viele, erst recht noch in den 90ern, wesentlich konservativer als in Deutschland gewesen.
Er hat keinen Überblick über seine Buchhaltung und ist völlig arglos bei den Anrufen, während der Buchhalter sofort Auffälligkeiten wittert. Der Buchhalter findet die Stimme merkwürdig und das Setting merkwürdig, Herr Linzmaier fällt das überhaupt nicht auf, der Gedanke an einen möglichen Geschäftsabschluss überdeckt jeden Argwohn. War es in seinem Metier üblich, dass mögliche Auftraggeber geheimnisvoll bei der Vorbesprechung eines Auftrags tun? Das kann man sich eigentlich nicht vorstellen. Warum sagt Fr. Lohmeier nicht gleich, ob sie eine neue Terrasse braucht, ein Schwimmbad oder nur Putz abgeklopft? Herr Linzmaier wundert sich darüber gar nicht. Fast so, als wären merkwürdige Aufträge nicht ungewohnt für ihn.
Er trifft sich um 22 Uhr vor einem Lokal, um ein Geschäft zu besprechen, obwohl ihm klar sein dürfte, dass man dort um diese Zeit nichts mehr essen wird, selbst wenn es an dem Tag geöffnet gewesen wäre. Er stutzt nicht, als er aufgefordert wird, seine Frau mitzubringen. Er fand nichts verdächtig, dass beim ersten Treffen Fr. Lohmeier nicht kam, aber ein merkwürdiger Typ in Kapuzenpulli. Die Reaktion der Dame, sehr ängstlich zu reagieren, wirkt angemessen, Herr Linzmaier redet das klein, lässt sich weder Angst anmerken noch scheint er hier irgendwie Misstrauen gegen den Treffpunkt der Frau Lohmeier entwickelt zu haben. Gegenüber der neuen Bekanntschaft keine Angst zeigen zu wollen, ist nachvollziehbar, aber das Rendezvous mit dem Kapuzenmann scheint auch nachfolgend keinen Argwohn auszulösen.
Es soll kein victim bashing sein, aber das wirkt nicht übermässig intelligent, sondern ein bißchen tollpatschig und unbeholfen. Möglicherweise ist er jemanden, ohne es überhaupt zu ahnen, sehr auf die Füße getreten. Jemand hat ihn als Feind auserkoren und ich vermute, Herr Linzmaier hatte keinen blassen Schimmer davon. Es scheint vorher keine Bedrohung gegeben zu haben oder Herrn Linzmaier ist das völlig entgangen.
Ich habe nicht das Gefühl, dass es sich um einen Auftragskiller handelt. Der Anruf auf dem AB mit der Störung ist unprofessionell vorbereitet, der Treffpunkt ist unprofessionell, es sind ja Anwohner sofort zur Stelle und sie hätten ihm direkt die Tour vermasseln können. Der Täter hat ausgekundschaftet, dass das Lokal an dem Tag zu war, sonst nichts. Er schießt viermal und trifft nur einmal und dann nicht einmal sofort tödlich. Assoziationen mit dem Vierfachmord bei Annecy kommen auf, aber der Täter geht hier viel nachlässiger vor. Er hätte Zeit gehabt, noch ein oder zwei Schüsse aus nächster Nähe abzugeben. Das Entdeckungsrisiko wäre damit auch nicht höher gewesen. Er hätte ihn direkt mit ein oder zwei Schüssen aus nächster Nähe töten können. An das Auto herantreten, klopfen, Herr Linzmaier macht die Scheibe runter, "Sind Sie Herr Linzmaier? Ich soll Ihnen von Frau Lohmeier ausrichten...", Waffe heben und Herr Linzmaier hätte keine Chance gehabt. Der Ablauf wirkt, als hätte dem Täter im letzten Moment doch etwas die Courage gefehlt, stattdessen viermal in den Wagen schießen und dann so schnell wie möglich weg, ohne sicher zu gehen - wenn Auftragskiller, dann nur ein sehr unerfahrener und preisgünstiger. Mit mehr Glück hätte Herr Lohmeier die Tat auch überleben können, der Täter hatte sich keine Sicherheitsmarge eingerichtet. Das alles soll den entsetzlichen Mord - ich vermute, aus einem völlig banalen Motiv heraus - nicht kleinreden.
Bei den beiden AB-Nachrichten finde ich sehr auffällig, dass im ersten Anruf flüssig, aber anscheinend wohl verstellt, gesprochen wird, dann kommt diese merkwürdige Störung, ich kann nicht raushören, was gesagt wird. Aber der Anrufer scheint hier sehr unprofessionell vorgegangen zu sein. Fast hätte jemand sagen können: "Erwin, bist du soweit?". Beim zweiten Anruf hat der Sprecher dann Blockaden bei einigen Wortanfängen. M.E. könnte es sich um jemanden handeln, der früher gestottert hat und dies in stressigen Situationen immer noch tut. Er scheint möglicherweise eine Stottertherapie hinter sich zu haben und nach der Störung vom ersten Telefonat ist er beim zweiten nervöser und wendet er hier das Erlernte von Anfang an an, um nicht merklich zu stottern. Ich nehme an, dass die Aufnahme LinguistInnen oder LogopädInnen vorgespielt worden ist, mich würde interessieren, ob das andere auch sehen? Ob Mann oder Frau, ich bin mir nicht sicher. Für meine Begriffe könnte der Täter auch eine Frau gewesen sein.
Diese Anrufbeantworterlaufwerke waren alles andere als präzise Hifi-Laufwerke. Ich kenne von der Arbeit noch Mikrokassettendiktiersyteme, wenn da die Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeiten nicht übereinstimmen, kann das eine Stimme merklich verändern. Es wird beim Abspielen auf eine anderen Gerät und möglicherweise fehlender Referenz auf der Aufnahme (Signalton o.ä.) evtl. schwierig gewesen sein, die exakt richtige Laufgeschwindigkeit zu treffen, so dass die Stimmfrequenz vermutlich eine gewisse Spannbreite haben kann.
Es würde mich wundern, wenn in dem Fall noch jemals ein Täter ermittelt wird. :-(