Link: www.abendblatt.de (extern) (Archiv-Version vom 16.07.2006)SOLI INVICTO
Mordserie: Spektakuläre Entwicklung im Fall der getötetenTürken. Beamter aus Hessen wurde kurz vor dem letzten Mord am Tatort gesehen. Aber: keinehandfesten Beweise. Prüfung, ob er in Hamburger Fall verwickelt ist.
DerVerdacht klingt unglaublich: Ist ein Verfassungsschützer verantwortlich für einen derspektakulärsten Kriminalfälle Deutschlands? Fakt ist: Im Fall der bundesweiten Mordseriean zumeist türkischen Kleinunternehmern (wir berichteten) gibt es nach Jahren jetzterstmals einen Verdächtigen - und damit eine spektakuläre Wendung: Festgenommen wurde einMitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz.
Der Beamte ausNordhessen, der mittlerweile vom Dienst suspendiert worden ist, wird von den Ermittlernbeschuldigt, das letzte der bislang neun Opfer Anfang April in Kassel erschossen zuhaben. Alle Taten der seit fünfeinhalb Jahren laufenden Serie, bei der mit demBahrenfelder Gemüsehändler Süleyman T. (21) auch ein Hamburger ums Leben kam, wurden mitderselben Pistole getötet - einer tschechischen Ceska, Modell 83, Kaliber 7,65.
Am 6. April war der 21 Jahre alte Halit Y. in seinem Internet-Café in Kassel getötetworden. Unmittelbar danach suchte die Polizei nach Zeugen am Tatort, darunter auch einenvon vier Gästen, der etwa eine Minute vor den zwei tödlichen Kopfschüssen in dem Ladengesehen wurde - jenen Verfassungsschützer, den Beamte durch andere Zeugen identifizierenkonnten. "Er war zur tatkritischen Zeit am Tatort", sagt der Kasseler OberstaatsanwaltHans-Manfred Jung.
Am 21. April, zwei Wochen nach der Tat in Kassel, wurde derVerdächtige festgenommen und intensiv verhört. Zudem wurde seine Wohnung durchsucht unddabei angeblich Fachliteratur über Serienmorde aus einem Polizeiverlag entdeckt. DerVerdächtige soll, so "Bild", in dem Internet-Café eine Plastiktüte bei sich gehabt haben,wie sie bei mehreren Taten benutzt wurde - angeblich, um Patronenhülsen nach dentödlichen Schüssen aufzufangen, damit sie keine Spuren am Tatort hinterlassen. Dashessische Innenministerium suspendierte seinen Mitarbeiter, der in der Abteilung fürAusländer-Extremismus des Verfassungschutzes arbeiten soll, vom Dienst - "unmittelbarnach Bekanntwerden des Verfahrens", so ein Ministeriumssprecher. Außerdem wurdendisziplinarische Maßnahmen eingeleitet.
In Polizei-Kreisen gilt derVerfassungsschützer allerdings nicht mehr als Schlüssel zu dem bislang vollkommenmysteriösen Hintergrund des Serienmords. "Die Spur ist lauwarm", sagt einer derbundesweit mehr als 100 Ermittler zum Abendblatt. So wurde der Verdächtige nur einen Tagnach seiner Festnahme wieder entlassen, Antrag auf Haftbefehl nicht gestellt: "DieStaatsanwaltschaft hat nicht genügend Anhaltspunkte, die ihn dringend tatverdächtigmachen", erklärt der Kasseler Staatsanwalt offiziell. Formell gilt der bislang angeblicheinzige in der Mordserie jemals Festgenommene jedoch noch als Beschuldigter: "Es gibtnoch eine Vielzahl von Spuren, die bundesweit ausgewertet werden müssen", so ErmittlerJung. Mit den umfangreichen Ermittlungen an allen Tatorten soll geklärt werden, ob derVerfassungsschützer dort zur Tatzeit gewesen sein könnte - ein Verfahren, das derzeitetwa in Hamburg noch läuft. Für mehrere andere Taten kann ein Verdacht jedoch bereitsausgeschlossen werden.
Bis heute verstehen die Ermittler jedoch nicht, warum derZeuge sich trotz diverser Aufrufe in den Medien nicht an die Polizei wandte: "Wenn einMitarbeiter des Verfassungsschutzes sich nach so einem Fall nicht meldet, ist das schonverdächtig", formuliert Hans-Manfred Jung. Eine Erklärung aus Polizeikreisen: Der Zeugeoffenbarte sich nicht aus Sorge vor peinlichen Nachfragen für den Grund seines"zufälligen" und "privaten" Besuchs in dem Café - dem Surfen auf einschlägigenInternet-Seiten.
Quelle:
http://www.abendblatt.de/daten/2006/07/15/586630.html (Archiv-Version vom 16.07.2006)SOLI INVICTO