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Gedichte: Tragik

2.709 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Gedichte, Lyrik, Poesie ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 19:53

Die Falschheit menschlicher Tugenden

Geschminkte Tugenden, die ich zu lang erhob,
Scheint nur dem Pöbel schön und sucht der Thoren Lob!
Bedeckt schon euer nichts die Larve der Geberden,
Ich will ein Menschen-Feind, ein Swift, ein Hobbes werden
Und bis ins Heiligthum, wo diese Götzen stehn,
Die Wahn und Tand bewacht, mit frechen Schritten gehn!

Ihr füllt, o Sterbliche! den Himmel fast mit Helden;
Doch lasst die Wahrheit nur von ihren Thaten melden!
Vor ihrem reinen Licht erblasst der falsche Schein,
Und wo ein Held sonst stund, wird itzt ein Sklave sein.

Wann Völker einen Mann sich einst zum Abgott wählen,
Da wird kein Laster sein und keine Tugend fehlen;
Die Nachwelt bildet ihn der Gottheit Muster nach
Und gräbt in Marmorstein, was er im Scherze sprach.
Umsonst wird wider ihn sein eigen Leben sprechen,
Die Fehler werden schön und Tugend strahlt aus Schwächen.
Zwar viele haben auch den frechen Leib gezähmt,
Und mancher hat sich gar ein Mensch zu sein geschämt:
Ein frommer Simeon wurd alt auf einer Säule, 1
Sah auf die Welt herab und that was kaum die Eule;
Ein Caloyer verscherzt der Menschen Eigenthum, 2
Verbannt sein klügstes Glied und wird aus Andacht stumm;
Assisens Engel löscht im Schnee die wilde Hitze, 3
Sein heißer Eifer tilgt, bis in der Geilheit Sitze,
Des Uebels Werkzeug aus, und was auf jedem Blatt
Für Thaten Surius mit roth bezeichnet hat. 4
Allein was hilft es doch, sich aus der Welt verbannen?
Umsonst, o Stähelin! wird man sich zum Tyrannen,
Wann Laster, die man hasst, vor größern Lastern fliehn,
Und wo man Mohn getilgt, itzt Lölch und Drespe blühn.
Wir achten oft uns frei, wann wir nur Meister ändern,
Wir schelten auf den Geiz und werden zu Verschwendern.
Der Mensch entflieht sich nicht; umsonst erhebt er sich,
Des Körpers schwere Last zieht an ihm innerlich;
So, wann der rege Trieb in halb-bestrahlten Sternen
Von ihrem Mittel-Punkt sie zwingt sich zu entfernen,
Ruft sie von ihrer Flucht ein ewig starker Zug
Ins enge Gleis zurück und hemmt den frechen Flug.

Geht Menschen, schnitzt nur selbst an euren Götzen-Bildern,
Lasst Gunst und Vorurtheil sie nach belieben schildern,
Erzählt was sie vollbracht und was sie nicht gethan,
Und was nur Ruhm verdient, das rechnet ihnen an:
Das Laster kennet sich auch in der Tugend Farben,
Wo Wunden zugeheilt, erkennt man doch die Narben.
Wo ist er? zeiget ihn, der Held, der Menschheit Pracht,
Den die Natur nicht kennt und euer Hirn gemacht?
Wo sind die Heiligen von unbeflecktem Leben,
Die Gott den Sterblichen zum Muster dargegeben?
Viel Menschheit hänget noch den Kirchen-Engeln an,
Die Aberglaube deckt, Vernunft nicht dulden kann!
Traut nicht dem schlauen Blick, den demuthsvollen Minen!
Den Dienern aller Welt soll doch die Erde dienen.
War nicht ein Priester stäts des Eigensinnes Bild,
Der Götter-Sprüche redt und, wenn er fleht, befiehlt?
Trennt nicht die Kirche selbst sich über dem Kalender?
Des Abends Heiliger verbannt die Morgenländer,
Lässt Infuln im Gefecht des Gegners Infuln dräun 5
Und dringt auf Märterer mit Märtrern feindlich ein.
Den Bann vom Niedergang zerblitzt der Bann aus Norden, 6
Die Kirche, Gottes Sitz, ist oft ein Kampfplatz worden,
Wo Bosheit und Gewalt Vernunft und Gott vertrieb
Und mit der Schwächern Blut des Zweispalts Urtheil schrieb.
Grausamer Wüterich, verfluchter Ketzer-Eifer!
Dich zeugte nicht die Höll aus Cerbers gelbem Geifer,
Nein, Heilge zeugten dich, du gährst in Priester-Blut,
Sie lehren nichts als Lieb und zeigen nichts als Wuth.
Seitdem ein Pabst geherrscht und sich ein Mensch vergöttert,
Hat nicht der Priester Zorn, was ihm nicht wich, zerschmettert? 7
Wer hat Tolosens Schutt in seinem Blut ersäuft
Und Priestern einen Thron von Leichen aufgehäuft?
Den Blitz hat Dominic auf Albis Fürst erbeten 8
Und selbst mit Montforts Fuß der Ketzer Haupt ertreten.

Doch tadl ich nur vielleicht und bin aus Vorsatz hart,
Und die Vollkommenheit ist nicht der Menschen Art:
Genug, wann Fehler sich mit größrer Tugend decken;
Die Sonne zeugt das Licht und hat doch selber Flecken.

Allein, wie, wann auch das, was ihren Ruhm erhöht,
Der Helden schöner Theil durch falschen Schein besteht?
Wann der Verehrer Lob sich selbst auf Schwachheit gründet
Und, wo der Held soll sein, man noch den Menschen findet?
Stützt ihren Tempel schon der Beifall aller Welt,
Die Wahrheit stürzt den Bau, den eitler Wahn erhält.

Wie gut und böses sich durch enge Schranken trennen,
Was wahre Tugend ist, wird nie der Pöbel kennen.
Kaum Weise sehn die March, die beide Reiche schließt,
Weil ihre Gränze schwimmt und in einander fließt.
Wie an dem bunten Taft, auf dem sich Licht und Schatten,
So oft er sich bewegt, in andre Farben gatten,
Das Auge sich misskennt, sich selber niemals traut
Und bald das rothe blau, bald roth, was blau war, schaut,
So irrt das Urtheil oft. Wo findet sich der Weise,
Der nie die Tugend haß und nie das Laster preise?
Der Sachen lange Reih, der Umstand, Zweck und Grund
Bestimmt der Thaten Werth und macht ihr Wesen kund.
Der grösten Siege Glanz kann Eitelkeit zernichten;
Der Zeiten Unbestand verändert unsre Pflichten,
Was heute rühmlich war, dient morgen uns zur Schmach,
Ein Thor sagt lächerlich, was Cato weislich sprach.
Dieß weiß der Pöbel nicht, er wird es nimmer lernen,
Die Schale hält ihn auf, er kömmt nicht zu den Kernen;
Er kennet von der Welt, was außen sich bewegt,
Und nicht die innre Kraft, die heimlich alles regt.
Sein Urtheil baut auf Wahn, es ändert jede Stunde,
Er sieht durch andrer Aug und spricht aus fremdem Munde.
Wie ein gefärbtes Glas, wodurch die Sonne strahlt,
Des Auges Urtheil täuscht und sich in allem malt,
So thut die Einbildung; sie zeigt uns, was geschiehet,
Nicht, wie es wirklich ist, nur so, wie sie es stehet,
Legt den Begriffen selbst ihr eigen Wesen bei,
Heißt gleissen Frömmigkeit und Andacht Heuchelei.
Ja selbst des Vaters Wahn kann nicht mit ihm versterben,
Er lässt mit seinem Gut sein Vorurtheil den Erben;
Verehrung, Haß und Gunst flößt mit der Milch sich ein,
Des Ahnen Aberwitz wird auch des Enkels sein.
So richtet alle Welt, so theilt man Schmach und Ehre,
Und dann, o Stähelin, nimm ihren Wahn zur Lehre!
Durch den erstaunten Ost geht Xaviers Wunder-Lauf,
Stürzt Nipons Götzen um, und seine stellt er auf;
Bis daß, dem Amida noch Opfer zu erhalten,
Die frechen Bonzier des Heilgen Haupt zerspalten:
Er stirbt, sein Glaube lebt und unterbaut den Staat,
Der ihn aus Gnade nährt, mit Aufruhr und Verrath.
Zuletzt erwacht der Fürst und lässt zu nassen Flammen 9
Die Feinde seines Reichs mit spätem Zorn verdammen;
Die meisten tauschen Gott um Leben, Gold und Ruh,
Ein Mann von tausenden schließt kühn die Augen zu;
Stürzt sich in die Gefahr, geht muthig in den Ketten,
Steift den gesetzten Sinn und stirbt zuletzt im beten.
Sein Name wird noch blühn, wann, lange schon verweht,
Des Märtrers Asche sich in Wirbel-Winden dreht;
Europa stellt sein Bild auf schimmernde Altäre
Und mehrt mit ihm getrost der Seraphinen Heere.
Wann aber ein Huron im tiefen Schnee verirrt,
Bei Erries langem See zum Raub der Feinde wird, 10
Wann dort sein Holz-Stoß glimmt und, satt mit ihm zu leben,
Des Weibes tödtlich Wort sein Unheil ihm gegeben,
Wie stellt sich der Barbar? wie grüßt er seinen Tod?
Er singt, wann man ihn quält, er lacht, wann man ihm droht;
Der unbewegte Sinn erliegt in keinen Schmerzen,
Die Flamme, die ihn sengt, dient ihm zum Ruhm und scherzen.
Wer stirbt hier würdiger? ein gleicher Helden-Muth
Bestrahlet beider Tod und wallt in beider Blut;
Doch Tempel und Altar bezahlt des Märtrers Wunde,
Canadas nackter Held stirbt von dem Tod der Hunde!
So viel liegt dann daran, daß, wer zum Tode geht,
Geweihte Worte spricht, wovon er nichts versteht.
Doch nein, der Outchipoue thut mehr als der Bekehrte, 11
Des Todes Ursach ist das Maaß von seinem Werthe.
Den Märtrer trifft der Lohn von seiner Uebelthat;
Wer seines Staats Gesetz mit frechen Füßen trat,
Des Landes Ruh gestört, den Gottesdienst entweihet,
Dem Kaiser frech geflucht, der Aufruhr Saat gestreuet,
Stirbt, weil er sterben soll; und ist dann der ein Held,
Der am verdienten Strick noch prahlt im Galgen-Feld?
Der aber, der am Pfahl der wilden Onontagen 12
Den unerschrocknen Geist bläst aus in tausend Plagen,
Stirbt, weil sein Feind ihn würgt, und nicht für seine Schuld,
Und in der Unschuld nur verehr ich die Geduld!

Wann dort ein Büßender, zerknirscht in heilgen Wehen,
Die Sünden, die er that, und die er wird begehen,
Mit scharfen Geiseln straft, mit Blut die Stricke malt
Und vor dem ganzen Volk mit seinen Streichen prahlt:
Da ruft man Wunder aus, die Nachwelt wird noch sagen,
Was Lust er sich versagt, was Schmerzen er vertragen.
Wie aber, wann im Ost der reinliche Brachmann
Mit Koth die Speisen würzt und Wochen fasten kann?
Wann Ströme seines Bluts aus breiten Wunden fließen,
Die seine Reu gemacht, und oft der Tod muß büßen,
Was Rom um Geld erlässt, wann nackt und unbewegt,
Er Jahre lang den Strahl der hohen Sonne trägt
Und den gestrupften Arm lässt ausgestreckt erstarren?
Wie heißen wir den Mann? Betrüger oder Narren!

Wann in Iberien ein ewiges Gelübd
Mit Ketten von Demant ein armes Kind umgibt,
Wann die geweihte Braut ihr Schwanen-Lied gesungen
Und die gerühmte Zell die Beute nun verschlungen,
Wie jauchzet nicht das Volk und ruft, was rufen kann: 13
Das Weib hört auf zu sein, der Engel fängt schon an!
Ja stoßt, es ist es werth, in prahlende Trompeten,
Verbergt der Tempel Wand mit persischen Tapeten,
Euch ist ein Glück geschehn, dergleichen nie geschah,
Die Welt verjüngt sich schon, die güldne Zeit ist nah!
Gesetzt, daß ungefühlt in ihr die Jugend blühet
Und nur der Andacht Brand in ihren Adern glühet;
Daß kein verstohlner Blick in die verlassne Welt
Mit sehnender Begier zu spät zurücke fällt;
Daß immer die Vernunft der Sinnen Feuer kühlet
Und nur ihr eigner Arm die reine Brust befühlet;
Gesetzt, was niemals war, daß Tugend wird aus Zwang:
Was jauchzt das eitle Volk? wen rühmt sein Lobgesang?
Doch wohl, daß List und Geiz des Schöpfers Zweck verdrungen,
Was er zum lieben schuf, zur Wittwenschaft gezwungen,
Den vielleicht edlen Stamm, den er ihr zugedacht,
Noch in der Blüth erstickt und Helden umgebracht;
Daß ein verführtes Kind in dem erwählten Orden
Sich selbst zur Ueberlast und andern unnütz worden!
O ihr, die die Natur auf bessre Wege weist,
Was heißt der Himmel dann, wann er nicht lieben heißt?
Ist ein Gesetz gerecht, das die Natur verdammet?
Und ist der Brand nicht rein, wann sie uns selbst entflammet?
Was soll der zarte Leib, der Glieder holde Pracht?
Ist alles nicht für uns und wir für sie gemacht?
Den Reiz, der Weise zwingt, dem nichts kann widerstreben,
Der Schönheit ewig Recht, wer hat es ihr gegeben?
Des Himmels erst Gebot hat keusche Huld geweiht,
Und seines Zornes Pfand war die Unfruchtbarkeit:
Sind dann die Tugenden den Tugenden entgegen?
Der alten Kirche Fluch wird bei der neuen Segen.

»Fort, die Trompete schallt! der Feind bedeckt das Feld,
Der Sieg ist, wo ich geh, folgt, Brüder!« ruft ein Held.
Nicht furchtsam, wann vom Blitz aus schmetternden Metallen
Ein breit Gefild erbebt und ganze Glieder fallen,
Er steht, wann wider ihn das strenge Schicksal ficht,
Fällt schon der Leib durchbohrt, so fällt der Held noch nicht.
Er schätzt ein tödtlich Blei als wie ein Freudenschießen,
Sein Auge sieht gleich frei sein Blut und fremdes fließen;
Der Tod lähmt schon sein Herz, eh daß sein Muth erliegt,
Er stirbet allzu gern, wann er im sterben siegt.
O Held, dein Muth ist groß, es soll, was du gewesen,
Auf ewigem Porphyr die letzte Nachwelt lesen!
Allein, wann auf dem Harz, nun lang genug gequält,
Ein aufgebrachtes Schwein zuletzt den Tod erwählt,
Die dicken Borsten sträubt, die starken Waffen wetzet
Und wüthend übern Schwarm entbauchter Hunde setzet,
Oft endlich noch am Spieß, der ihm sein Herz-Blut trinkt,
Den kühnen Feind zerfleischt und, satt von Rache, sinkt:
Ist hier kein Helden-Muth? wer baut dem Hauer Säulen? –
Die Jäger werden ihn mit ihren Hunden theilen.

Wer ist der weise Mann, der dort so einsam denkt
Und den verscheuten Blick zur Erde furchtsam senkt?
Ein längst verschlissen Tuch umhüllt die rauhen Lenden,
Ein Stück gebettelt Brod und Wasser aus den Händen
Ist alles, was er wünscht, und Armuth sein Gewinn;
Er ist nicht für die Welt, die Welt ist nichts für ihn.
Nie hat ein glänzend Erzt ihm einen Blick entzogen,
Nie hat den gleichen Sinn ein Unfall überwogen,
Ihm wischt kein schönes Bild die Runzeln vom Gesicht,
An seinen Thaten beißt der Zahn der Missgunst nicht;
Sein Sinn, versenkt in Gott, kann nicht nach Erde trachten,
Er kennt sein eigen nichts, was soll er andrer achten?
Der Tugend ernste Pflicht ist ihm ein Zeitvertreib,
Der Himmel hat den Sinn, die Erde nur den Leib.
O Heiliger, geht schon dein Ruhm bis an die Sterne,
Flieh den Diogenes und fürchte die Laterne! –
Ach, kennte doch die Welt das Herz so wie den Mund!
Wie wenig gleichen oft die Thaten ihrem Grund!
Du beugst den Hals umsonst, die Ehre, die du meidest,
Die Ehr ist doch der Gott, für den du alles leidest: 14
Wie Surena den Sieg, suchst du den Ruhm im fliehn,
Ein stärker Laster heißt dich, schwächern dich entziehn,
Und wer sich vorgesetzt, ein Halbgott einst zu werden,
Der baut ins künftige, der hat nichts mehr auf Erden,
Ihm streicht der eitle Ruhm der Tugend Farben an,
Was heischt der Himmel selbst, das nicht ein Heuchler kann?

Versenkt im tiefen Traum nachforschender Gedanken,
Schwingt ein erhabner Geist sich aus der Menschheit Schranken.
Seht den verwirrten Blick, der stets abwesend ist
Und vielleicht itzt den Raum von andern Welten misst;
Sein stäts gespannter Sinn verzehrt der Jahre Blüthe,
Schlaf, Ruh und Wollust fliehn sein himmlisches Gemüthe. 15
Wie durch unendlicher verborgner Zahlen Reih
Ein krumm geflochtner Zug gerecht zu messen sei;
Warum die Sterne sich an eigne Gleise halten;
Wie bunte Farben sich aus lichten Strahlen spalten;
Was für ein innrer Trieb der Welten Wirbel dreht;
Was für ein Zug das Meer zu gleichen Stunden bläht;
Das alles weiß er schon: er füllt die Welt mit Klarheit,
Er ist ein stäter Quell von unerkannter Wahrheit.
Doch, ach, es lischt in ihm des Lebens kurzer Tacht,
Den Müh und scharfer Witz zu heftig angefacht!
Er stirbt, von wissen satt, und einst wird in den Sternen
Ein Kenner der Natur des Weisen Namen lernen.
Erscheine, großer Geist, wann in dem tiefen nichts
Der Welt Begriff dir bleibt und die Begier des Lichts,
Und laß von deinem Witz, den hundert Völker ehren,
Mein lehr-begierig Ohr die letzten Proben hören!
Wie unterscheidest du die Wahrheit und den Traum?
Wie trennt im Wesen sich das feste von dem Raum?
Der Körper rauhen Stoff, wer schränkt ihn in Gestalten,
Die stäts verändert sind und doch sich stäts erhalten?
Den Zug, der alles senkt, den Trieb, der alles dehnt,
Den Reiz in dem Magnet, wonach sich Eisen sehnt,
Des Lichtes schnelle Fahrt, die Erbschaft der Bewegung,
Der Theilchen ewig Band, die Quelle neuer Regung,
Dieß lehre, großer Geist, die schwache Sterblichkeit,
Worin dir niemand gleicht und alles dich bereut!
Doch suche nur im Riß von künstlichen Figuren,
Beim Licht der Ziffer-Kunst, der Wahrheit dunkle Spuren;
Ins innre der Natur dringt kein erschaffner Geist,
Zu glücklich, wann sie noch die äußre Schale weist?
Du hast nach reifer Müh und nach durchwachten Jahren
Erst selbst, wie viel uns fehlt, wie nichts du weist, erfahren!
»Die Welt, die Cäsarn dient, ist meiner nicht mehr werth,«
Ruft seines Romes Geist und stürzt sich in sein Schwert.
Nie hat den festen Sinn das Ansehn großer Bürger,
Der Glanz von theurem Erzt, der Dolch erkaufter Würger,
Von seines Landes Wohl, vom bessern Theil getrannt:
In ihm hat Rom gelebt, er war das Vaterland.
Sein Sinn war ohne Lust, sein Herz war sonder Schrecken,
Sein Leben ohne Schuld, sein Nachruhm ohne Flecken,
In ihm verneute sich der alte Helden-Muth,
Der alles für sein Land, nichts für sich selber thut;
Ihn daurte nie die Wahl, wann Recht und Glücke kriegten,
Den Cäsar schützt das Glück und Cato die Besiegten.
Doch fällt vielleicht auch hier die Tugend-Larve hin,
Und seine Großmuth ist ein stolzer Eigensinn,
Der nie in fremdem Joch den steifen Nacken schmieget,
Dem Schicksal selber trotzt und eher bricht als bieget;
Ein Sinn, dem nichts gefällt, den keine Sanftmuth kühlt,
Der sich selbst alles ist und niemals noch gefühlt.

Wie? hat dann aus dem Sinn der Menschen ganz verdrungen,
Die scheue Tugend sich den Sternen zugeschwungen?
Verlässt des Himmels Aug ein schuldiges Geschlecht?
Von so viel tausenden ist dann nicht einer ächt?
Nein, nein, der Himmel kann, was er erschuf, nicht hassen;
Er wird der Güte Werk dem Zorn nicht überlassen:
So vieler Weisen Wunsch, der Zweck so vieler Müh,
Die Tugend, wohnt in uns und niemand kennet sie.
Des Himmels schönstes Kind, die immer gleiche Tugend,
Blüht in der holden Pracht der angenehmsten Jugend;
Kein finstrer Blick umwölkt der Augen heiter Licht,
Und wer die Tugend hasst, der kennt die Tugend nicht.
Sie ist kein Wahl-Gesetz, das uns die Weisen lehren,
Sie ist des Himmels Ruf, den reine Herzen hören;
Ihr innerlich Gefühl beurtheilt jede That,
Warnt, billigt, mahnet, wehrt und ist der Seele Rath.
Wer ihrem Winke folgt, wird niemals unrecht wählen,
Er wird der Tugend nie, noch ihm Vergnügen fehlen;
Nie stört sein Gleichgewicht der Sinne gäher Sturm,
Nie untergräbt sein Herz bereuter Laster Wurm;
Er wird kein scheinbar Glück um würklichs Elend kaufen
Und nie durch kurze Lust in langes Unglück laufen;
Ihm ist Gold, Ruhm und Lust wie bei des Obsts Genuß,
Gesund bei kluger Maaß, ein Gift beim Ueberfluß.
Der Menschen letzte Furcht wird niemals ihn entfärben,
Er hätte gern gelebt und wird nicht ungern sterben.

Von dir, selbst-ständigs Gut, unendlichs Gnaden-Meer,
Kommt dieser innre Zug, wie alles gute, her!
Das Herz folgt unbewusst der Würkung deiner Liebe,
Es meinet frei zu sein und folget deinem Triebe;
Unfruchtbar von Natur, bringt es auf den Altar
Die Frucht, die von dir selbst in uns gepflanzet war.
Was von dir stammt ist ächt und wird vor dir bestehen
Wann falsche Tugend wird, wie Blei im Test, vergehen
Und dort für manche That, die itzt auf äußern Schein
Die Welt mit Opfern zahlt, der Lohn wird Strafe sein!

Albrecht von Haller




Fußnoten
1 Simeon Stylites, dessen wunderlichen vieljährigen Aufenthalt auf einer Säule der Aberglaube als etwas großes angesehen hat. Die Absicht des Mannes mag gut gewesen sein, aber sie streitet sowohl wider das Exempel der Apostel als wider ihr Gebot.

2 Griechische Priester, die oft aus einem Gelübde das Reden verschwören.

3 Franciscus von Assisio, der Bilder aus Schnee ballte und umarmte.

4 Einer von den Beschreibern der fabelhaften Leben römischer Heiligen.

5 Adversas aquilas et pila minantia pilis.

6 Pabst Victor hatte mit den asiatischen Kirchen einen Streit wegen des Oster-Fests. Wegen seines ärgerlichen Verbannens aber ließ Irenäus von Lion einen scharfen Brief an den römischen Bischof abgehen, worin er ihm mehrere Mäßigung anbefahl. Es geht übrigens die ganze Absicht dieses jugendlichen Eifers bloß auf die hitzigen Heiligen der verfolgenden Kirche und zielt auf die protestantische Geistlichkeit um so weniger, je gewisser es ist, daß sie ihr Ansehen und ihre Vorzüge bei der Glaubens-Verbesserung nicht nur willig, sondern aus eigenem Trieb und ohne der Laien Zumuthen nur allzu freigiebig von sich gegeben hat.

7 Hier mangeln etliche Zeilen, worin die allzu große Heftigkeit Justinians und anderer orientalischen Kaiser wider die Heiden, Arianer und andre Irrgläubige getadelt wird, und die eben nicht poetisch sind.

8 Die Geschichte der unterdrückten Albigenser und des unrechtmäßig seiner Lande entsetzten Raimunds von Toulouse wird jedermann bekannt sein.

9 Die gröste Pein, die man den Christen anthat, war eine überaus heiße Quelle, in welche man die Märtyrer so oft hinunter ließ, bis sie starben oder den Glauben verleugneten. Man muß im übrigen diese unwissenden Märtyrer einer nur halb dem Christenthume ähnlichen Lehre nicht mit den Blutzeugen Christi verwechseln.

10 Ein See, an dem die Irocker wohnen, der Huronen Erbfeinde.

11 Das tapferste der Nord-Amerikanischen Völker (La Hontan). Man giebt dem Gefangenen ein Weib von irgend einem Erschlagenen. Will sie ihn behalten, so ist öfters sein Leben gerettet, und er wird sogar unter das sieghafte Volk aufgenommen. Verurtheilt sie ihn zum Tode, so ists um ihn geschehen, und sie ist die erste, an seinen zerfleischten Glidern sich zu sättigen.

12 Eines der fünf Völker der Mohocks oder Iroquois. Ich rede nur von den Märtyrern einer mächtigen Kirche, die allerdings öfters mit einem unerschrockenen Muth die angenommene Lehre mit ihrem Tode versiegelt haben. Die gleichen Märtyrer aber, und zwar hauptsächlich in einem bekannten Orden, haben gegen die Protestanten solche unverantwortliche Maßregeln gerathen, gebraucht und gelehrt, daß es unmöglich ist, zu glauben, der Gott der Liebe brauche Menschen von solchen Grundsätzen zu Zeugen der Wahrheit. Das erste, was er befiehlt, ist Liebe. Das erste, was diese Leute lehren, ist Haß, Strafe, Mord, Inquisition, Bartholomäustage, Dragoner, Clements, Castelle und Ravaillake.

13 Worte des heiligen Hieronymi.

14 Feld-Herr der Parthen, wie sie das römische Heer unter dem unglücklichen Crassus schlugen.

15 Newton hat keine Weibsperson berührt.



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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 19:55

Hölle

Mittelalter
Inquisition
Schauermärchen
zu schocken
zu erziehen

nein
der Ort für die
die
hier
ohne Ihn leben wollen

Sie werden es
auch dort
tun

© Arne Baier




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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 19:55
RABENBALLADE

Auf einen Baum drei Raben stolz
die waren so schwarz wie Ebenholz
so schwarz wie eben deine Seel
und davon ich euch jetzt erzähl
so schwarz wie eben deine Seel
und davon ich euch jetzt erzähl

der eine sprach Gefährten mein
was soll die nächste Mahlzeit sein
in jenem Grund auf grünem Feld
da liegt in seinem Blut ein Held
in jedem Grund auf grünem Feld
da liegt in seinem Blut ein Held

Die Hunde liegen auch nicht fern
sie halten Wacht bei ihrem Herrn
drei Falken kreisen auf dem Plan
kein Vogel wagt es ihm zu nah´n
drei Falken kreisen auf dem Plan
kein Vogel wagt es ihm zu nah´n

Da kommt zu ihm ein zartes Reh
ach dass ich meinen liebsten seh
sie hebt sein Haupt von blut so rot
der liebste den sie küsst war tot
sie hebt sein Haupt von Blut so rot
der liebste den sie küsst war tot

Ein Rabe spricht doch gebet acht
es folgt ein Morgen auf die Nacht
die Falken sind nicht mehr zu sehen
nun lasst uns fürstlich Speisen gehen
die Falken sind nicht mehr zu sehen
nun lasst uns fürstlich speisen gehen

und auch die Hunde im Verein
die nagen Fleisch ihm vom Gebein
und auch sein treues Mägdlein
schläft schon am Abend nicht allein
und auch sein treues Mägdlein
schläft schon am Abend nicht allein

Die Streuner


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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 19:58

Die zwei Raben

Der Rabe fliegt zum Raben dort,
Der Rabe krächzt zum Raben das Wort:
»Rabe, mein Rabe, wo finden wir
Heut unser Mahl? Wer sorgte dafür?«

Der Rabe dem Raben die Antwort schreit:
»Ich weiß ein Mahl für uns bereit;
Unterm Unglücksbaum auf dem freien Feld
Liegt erschlagen ein guter Held.« –

»Durch wen? weshalb?« – »Das weiß allein,
Der's sah mit an, der Falke fein
Und seine schwarze Stute zumal,
Auch seine Hausfrau, sein junges Gemahl.«

Der Falke floh hinaus in den Wald;
Auf die Stute schwang der Feind sich bald;
Die Hausfrau harrt, die in Lust erbebt,
Deß nicht, der starb, nein deß, der lebt.

Adelbert von Chamisso




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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 19:59

Die drei Raben

Drei Raben saßen auf einem Baum,
Drei schwärzere Raben gab es kaum.

Der eine sprach zu den andern zwei'n:
»Wo nehmen wir unser Frühmahl ein?«

Die andern sprachen: »Dort unten im Feld
Unterm Schilde liegt ein erschlagener Held.

Zu seinen Füßen liegt sein Hund
Und hält die Wache seit mancher Stund'.

Und seine Falken umkreisen ihn scharf,
Kein Vogel, der sich ihm nahen darf.«

Sie sprachen's. Da kam eine Hinde daher,
Unterm Herzen trug sie ein Junges schwer.

Sie hob des Toten Haupt in die Höh
Und küßte die Wunden, ihr war so weh.

Sie lud auf ihren Rücken ihn bald
Und trug ihn hinab zwischen See und Wald.

Sie begrub ihn da vor Morgenrot,
Vor Abend war sie selber tot.

Gott sende jedem Ritter zumal
Solche Falken und Hunde und solches Gemahl.

Theodor Fontane



Wohl die Inspiration für die Mittelaltergruppe "Die Streuner" wie Mir scheint! ^^




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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 20:04

Die junge Magd


1

Oft am Brunnen, wenn es dämmert,
Sieht man sie verzaubert stehen
Wasser schöpfen, wenn es dämmert.
Eimer auf und nieder gehen.

In den Buchen Dohlen flattern
Und sie gleichet einem Schatten.
Ihre gelben Haare flattern
Und im Hofe schrein die Ratten.

Und umschmeichelt von Verfalle
Senkt sie die entzundenen Lider.
Dürres Gras neigt im Verfalle
Sich zu ihren Füßen nieder.

2

Stille schafft sie in der Kammer
Und der Hof liegt längst verödet.
Im Hollunder vor der Kammer
Kläglich eine Amsel flötet.

Silbern schaut ihr Bild im Spiegel
Fremd sie an im Zwielichtscheine
Und verdämmert fahl im Spiegel
Und ihr graut vor seiner Reine.

Traumhaft singt ein Knecht im Dunkel
Und sie starrt von Schmerz geschüttelt.
Röte träufelt durch das Dunkel
Jäh am Tor der Südwind rüttelt.

3

Nächtens übern kahlen Anger
Gaukelt sie in Fieberträumen.
Mürrisch greint der Wind im Anger
Und der Mond lauscht aus den Bäumen.

Balde rings die Sterne bleichen
Und ermattet von Beschwerde
Wächsern ihre Wangen bleichen.
Fäulnis wittert aus der Erde.

Traurig rauscht das Rohr im Tümpel
Und sie friert in sich gekauert.
Fern ein Hahn kräht. Übern Tümpel
Hart und grau der Morgen schauert.

4

In der Schmiede dröhnt der Hammer
Und sie huscht am Tor vorüber.
Glührot schwingt der Knecht den Hammer
Und sie schaut wie tot hinüber.

Wie im Traum trifft sie ein Lachen;
Und sie taumelt in die Schmiede,
Scheu geduckt vor seinem Lachen,
Wie der Hammer hart und rüde.

Hell versprühn im Raum die Funken
Und mit hilfloser Geberde
Hascht sie nach den wilden Funken
Uns sie stürzt betäubt zur Erde.

5

Schmächtig hingestreckt im Bette
Wacht sie auf voll süßem Bangen
Und sie sieht ihr schmutzig Bette
Ganz von goldnem Licht verhangen,

Die Reseden dort am Fenster
Und den bläulich hellen Himmel.
Manchmal trägt der Wind ans Fenster
Einer Glocke zag Gebimmel.

Schatten gleiten übers Kissen,
Langsam schlägt die Mittagsstunde
Und sie atmet schwer im Kissen
Und ihr Mund gleicht einer Wunde.

6

Abends schweben blutige Linnen,
Wolken über stummen Wäldern,
Die gehüllt in schwarze Linnen.
Spatzen lärmen auf den Feldern.

Und sie liegt ganz weiß im Dunkel.
Unterm Dach verhaucht ein Girren.
Wie ein Aas in Busch und Dunkel
Fliegen ihren Mund umschwirren.

Traumhaft klingt im braunen Weiler
Nach ein Klang von Tanz und Geigen,
Schwebt ihr Antlitz durch den Weiler,
Weht ihr Haar in kahlen Zweigen.

Georg Trakl




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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 20:05

Jerusalem

Matth. 23, 37.

Jerusalem, Jerusalem! die du tötest die Propheten
und steinigest, die zu mir gesandt sind! wie oft
habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie
eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre
Flügel, - und ihr habt nicht gewollt!


Jerusalem, du tötest die Propheten
Und steinigst, die der Herr zu dir gesandt;
Soll auch sein Blut noch deine Gassen röten,
Des Herz für dich wie keines noch gebrannt?
Die Knechte stießest du hinaus mit Hohne,
Schellst du vielleicht dich vor des Königs Sohne?
Wie? oder bleibst du taub wie ehedem?
Jerusalem!

Jerusalem, an deines Tempels Stufen,
Der Henne gleich, die ihre Küchlein lockt,
Wie oft hat deine Kinder er gerufen!
Du wolltest nicht, dein Herze blieb verstockt;
Noch einmal wirbt er mit getreuem Munde,
Zum letztenmal, es ist die elfte Stunde;
Ist dir zu kommen endlich noch genehm?
Jerusalem?

Jerusalem, verstehst du nicht sein Lieben,
Nicht seinen Eifer um des Vaters Haus?
Mit Donnerworten und mit Geißelhieben
Treibt er die Krämer ans dem Tempel aus.
O höre durch die hohen Säulenhallen
So schaurig seine Abschiedspredigt schallen,
Sein heilig "Weh!" sein schmerzlich Anathem;
Jerusalem!

Jerusalem, von deines Oelbergs Zinnen
Blickt er herab mit liebevollem Schmerz,
Naß Thränen ihm vom heil'gen Auge rinnen
Und Mitleid bricht sein menschenfreundlich‘ Herz.
Wie? wenn dein Helfer, dein verschmähter Netter
Als Rächer dir dereinst in Sturm und Wetter,
In Wolken des Gerichtes wiederkäm'?
Jerusalem!

Jerusalem, auf deinen Prachtpalästen
Liegt friedlich noch der goldne Sonnenschein,
Dein Tempel dampft von reichen Opferfesten,
Und doch — von diesen Mauern bleibt kein Stein.
Die Adler werden um das Aas sich sammeln,
Die Thore wirst verzweifelnd du verrammeln;
O daß ein Gott dein Schreien dann vernähm',
Jerusalem!

Jerusalem, begnadigt einst vor allen,
Berühmt bei Menschen und von Gott geehrt,
Du Morgenstern, wie bist du tief gefallen,
Du Friedensburg, wie bist du schwer verstört! —
Einst Gottes Braut, — nun die verworf'ne Dirne,
Begrab' im Staube deine stolze Stirne;
Zerbrochen ist dein Königsdiadem,
Jerusalem!

Jerusalem, liegst du auf immer nieder?
Erhebt sich einst zum drittenmal dein Stern?
Im Geiste, ja, erstehst du herrlich wieder,
Stadt Gottes, mit den Wohnungen des Herrn;
Ans Steinen nicht, von Menschenhand behauen,
Aus Seelen will er deine Mauern bauen;
O daß auch ich in dir zu wohnen käm',
Jerusalem!

Karl Gerok




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Gedichte: Tragik

07.01.2013 um 20:08
Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh lag Babylon.

Nur oben in des Königs Schloss,
Da flackert's, da lärmt des Königs Tross.

Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte sassen in schimmernden Reihn
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reisst der Mut ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech und lästert wild;
Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovahs geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
Und ruft laut mit schäumendem Mund:

"Jehovah! dir künd ich auf ewig Hohn -
Ich bin der König von Babylon!"

Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward's heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weisser Wand
Das kam's hervor, wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weisser Wand
Buchstaben von Feuer und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da sass,
Mit schlotternden Knien und totenblass.

Die Knechtschar sass kalt durchgraut,
Und sass gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.

Heinrich Heine


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08.01.2013 um 15:20

Tal der bangen Träume

Träume, in die wir sinken,
Stätte aus Dunkel und Glut.
Wo Verhüllte uns winken,
Verhüllend Wunden und Blut.

Bäume wie Fackeln strahlen.
Fahnen aus Flammen im Wind.
Tauche schluchzend in Qualen,
die wild und wunderbar sind.

Francisca Stoecklin




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08.01.2013 um 15:21

Und immer noch der alte Schmerz

Und immer noch der alte Schmerz
Und diese wilde Ungeduld.
Wirf ab die bergehohe Schuld,
O, deine eignen Qualen, Herz.

So schlief ich und so träumt ich dumm.
So hielten mich die Gier und Hast,
Was zuckte ich die Achseln stumm,
Daß ich noch mehrte meine Last.

Georg Heym




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08.01.2013 um 15:22

Betrübt

Betrübt bis in den Tod! du hast's erfahren,
Wenn einsam du ins öde Dunkel starrst,
Dich schlaflos wälzest auf dem heißen Lager
Und ach! vergebens auf den Morgen harrst!
Das Licht wird deine Qualen nur erneuen,
Ein jeder Stundenschlag trifft schwer dein Herz,
Du siehst sie nicht mehr wandeln unter Blumen
Und trocken bleibt dein Auge wie von Erz.

Adolf Pichler




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Gedichte: Tragik

08.01.2013 um 15:23

Das Hungerlied

Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mußten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not;
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum laß am Samstag backen
Das Brot, fein säuberlich -
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!

Georg Weerth




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Gedichte: Tragik

08.01.2013 um 15:24

Warnung

Scheint dir der Pfad, auf dem du gehst, so sicher,
Und willst du noch einmal, o Jugendlicher,
Uneingedenk verschuldeter Gefahren,
Die Züge sehn, die dir so tödlich waren?

Darfst du so fest auf deine Seele bauen,
Und wähnst du mit Besonnenheit zu schauen
Der schwarzen Augen, die dir Sterne deuchten,
Bedeutungsvolles, dunkeltiefes Leuchten?

Nein! Laß die Wunde lieber sich vernarben,
Entschließe dich, zu meiden und zu darben,
Und vor dir selbst sogar, o Herz, verhülle
Den ganzen Reichtum deiner Liebesfülle!

August von Platen




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09.01.2013 um 19:52

rebel song

give me a pen
so I may sing
that life is not in vain

give me a season
an autumn a spring
to see sky with open eyes
when the peach tree vomits its white plenitude
a tyranny will be brought to earth

let mothers lament;
may breasts become dry
and wombs shrivel
when the scaffold finally weans its own

give me that love
which won't rot between fingers,
give me a love like this love I must give you,
my dove

grant me a heart
that will pulsate its throb
more strongly than the white thrashing
heart of a terrified dove in the dark
knock louder than bitter bullets

give me a heart
small fountain of blood
to spout blossoms of bliss
for blood is never for naught

I need to die before I'm dead
when my heart is still fertile and red
before I eat the darkened soil of doubt

give me two lips
and bright ink for tongue
to write the earth
one vast love letter
swollen with the milk of mercy

sweeter day by day
spilling all bitterness
burning as summer
burns sweeter

then let it be summer
without blindfolds or ravens
allow the gallows to give the peach tree
its red fruit of satisfaction

and grant me a love song
of doves of atonement
so I may sing my life was not in vain

for as I die
to wide eyes
under sky
my red song will not lie
my red song will never die

Breyten Breytenbach
(Südafrika)



Rebellenlied

gib mir einen Stift
denn ich will singen
dass das Leben nicht vergeblich ist

gib mir eine Jahreszeit
einen Frühling oder Herbst
ich will mit offenen Augen Himmel sehen
wenn der Pfirsichbaum sein weißes Treiben speit
wird auf die Erde eine Tyrannei gebracht

lass die Mütter klagen;
mögen Brüste versiegen
und Schöße schrumpfen
wenn endlich das Schafott die Seinen stillt

gib mir diese Liebe
die zwischen Fingern nicht verfault
gib mir eine Liebe dieser gleich, die ich dir geben muss
meine Taube

gewähre mir ein Herz
dessen Schläge stärker pulsen
als das weiße, panisch rasende
Herz einer Taube im Dunkeln
das lauter klopft als dumpfe Kugeln

gib mir ein Herz
einen kleinen Brunnen aus Blut
ich will Glücksblüten ausspucken
denn Blut ist nie vergeblich

ich muss sterben, noch bin ich nicht tot
solang mein Herz noch fruchtbar ist und rot
bevor ich diese dunkle Zweifelerde schlucke

gib mir zwei Lippen
für die Zunge leuchtende Tinte
ich will der Erde
einen riesigen Liebesbrief schreiben
angeschwollen von der Milch der Gnade

täglich süßer
alle Bitterkeit vergießend
brennend wie der Sommer
süßer brennt

dann lass es Sommer werden
ohne Augenbinden ohne Raben
lass den Galgen jetzt dem Pfirsichbaum
die roten Früchte der Genugtuung zurückgeben

und gewähre mir ein Liebeslied
von Tauben der Versöhnung
denn ich will singen dass mein Leben
nicht vergeblich war

wenn ich dann sterbe
offenen Auges
unterm Himmel
wird mein rotes Lied nicht lügen
wird mein rotes Lied nicht in der Erde liegen

Breyten Breytenbach
(Südafrika)




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Gedichte: Tragik

09.01.2013 um 19:54

in a burning sea


how often were we wrapped in coolness on the floor
the smell of turpentine and fire
the canvases white to our empty eyes
night's indifference
and the moon a smile somewhere outside
out of sight
days decompose like seasons beyond the panes
leaves of rain, a face, a cloud, this poem
I wanted to leave my imprint on you
to brand you with the flaming hour
of being alone
no fire sings as clear
as the silver ashes of your movements
and your melancholy body
I wanted to draw that sadness from you
so that you might be revealed
the way a city opens
on a bright landscape
filled with pigeons and the fire of trees
and silver crows also out of sight in the night
and the moon a mouth that one can ignite
and then I wished that you could laugh
and your body bitter
my hands of porcelain on your hips
your breath such a dark-dark pain
a sword at my ear
how often were we here
where only silver shadows stir
only through you I had to deny myself
through you alone I knew I had no harbor
in a burning sea

Breyten Breytenbach
(Südafrika)



In einem brennenden Meer

wie oft waren wir in Kühle eingehüllt, am Boden
der Geruch von Terpentin und Feuer
die Leinwand war in unseren leeren Augen weiß
die Nacht gleichgültig
der Mond ein Lachen irgendwo da draußen
das man nicht mehr sehen konnte
Tage zersetzen sich wie Jahreszeiten, hinter Scheiben
Regenblätter, Antlitz, eine Wolke, dies Gedicht
ich wollte meinen Abdruck auf dir hinterlassen
dich brandzeichnen mit der glühenden Stunde
des Alleinseins
kein Feuer singt so rein
wie die Silberasche deiner Glieder
dein melancholischer Körper
ich wollte diese Trauer von dir nehmen
um dich zu enthüllen
wie eine Stadt, die sich
in leuchtender Landschaft öffnet
voller Tauben und den Flammen der Bäume
und Silberkrähen, die man auch nicht sehen kann
und der Mond ein Mund, den man entzünden kann
dann wünschte ich, du könntest lachen
und dein bitterer Körper
meine Hände aus Glas an deinen Hüften
dein Atem ein so dumpf-dunkler Schmerz
eine Klinge in meinen Ohren
wie oft waren wir hier schon verloren
wo sich nur die Silberschatten regen
durch dich allein musste ich mich verleugnen
durch dich allein wusste ich, dass ich ohne Hafen war
in einem brennenden Meer

Breyten Breytenbach
(Südafrika)




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09.01.2013 um 21:14
Die schlesischen Weber

Im düsteren Auge keine Träne
sie sitzen nur da und fletschen die Zähne
Deutschland,wir weben Dein Leichentuch
wir weben hinein den dreifachen Fluch
wir weben , wir weben .

Ein Fluch dem Gotte,den wir gebeten
bei Winterskälte und Hungersnöten
wir haben vergebens gehofft und geharrt
er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt
wir weben, wir weben .

Ein Fluch dem König , dem König der Reichen
den unser Elend nicht konnte erweichen
der den letzten Groschen von uns erpresst
und uns wie Hunde erschießen lässt
wir weben wir weben .

Ein Fluch dem falschen Vaterlande
wo nur gedeihen Schmach und Schande
wo jede Blume früh geknickt
wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt
wir weben , wir weben .

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht
wir weben emsig Tag und Nacht
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch
wir weben hinein den dreifachen Fluch
wir weben wir weben .

Heinrich Heine


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09.01.2013 um 21:21

Weltenbrand

Wieder ist aus ihrer Bahn gestoßen
Eine Welt von einem Namenlosen.

Vor dem Anprall voll in Donnerchören
Wird der ganze Luftkreis sich empören,

Werden ringsum, weithin, allerwegen
Die Orkane berge niederfegen,

Werden Funken, werden Meteore,
Sengend wie ein Feuerwerk im Rohre,

Auf die Wälder, auf die Marmorhallen,
Auf des Feldes Früchte niederfallen,

Wird das Wasser in des Meeres Gründen
Sich zu einem Flammensee entzünden.

Wird das Erz in der Gebirge Stollen
Als geschmolzen flüssig niederrollen.

Aus den Dämpfen, weiß und purpurfarben,
Blau und goldgrün, werden Feuergarben;

Flammenzungen werden Feuersäulen
Aberhundert, abertausend Meilen

Hochausschlagend in des Himmels Gründen
Weithin diesen Weltenbrand verkünden.

Christian Wagner




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09.01.2013 um 21:22

Laurentiusthränen

Mein Auge trank die stille Pracht
Der heiligen Laurentiusnacht.
Da schießt und rennt's, da blitzt und brennt's
Im Ruheglanz des Firmaments
Als spalt' ein Stern zu Spänen.
Die lichte Kielspur ihrer Trift
Verschlingt sich mir zu Runenschrift
Und Urgeheimes offenbart
Die schaarenweise Niederfahrt
Der Himmelsfeuerthränen.

Weil uns mit treuem Mutterarm,
Das Haupt gekehrt zum Sternenschwarm,
Die Erde an den Füßen hält,
So sagen wir, das Himmelszelt
Umwölb' uns hoch dort oben.
Besinnet euch und glaubet mir:
Wir stehn auf höchstem Gipfel hier
Und schaun hinab den Raumesschlund
Wo bis zum tiefst erreichten Grund
Millionen Höllen toben.

Die Erde schuf, zu sehn gewillt,
Das Menschenauge, dies das Bild
Der blauen Kuppel sternbesät;
Doch ihre Friedensmajestät
Ist Lüge nur der Ferne.
Viel tausend Jahre Lichtgang weit
Ist Alles rings nur Wuth und Neid.
Ein steter Sturz von Erden nährt
Den ungeheuern Gluthenheerd
In jedem Eigensterne.

Der Unterschied von groß und klein
Ist enger Wahn und Sinnenschein.
Verspott' es nicht als Unverstand
Daß Du schon manchen Weltenbrand
Gesehn beim Schnuppenfalle.
Was flammig schmelzend niedersaust,
Wovon die Schlacke deine Faust
Umspannt – im eignen Sonnenflug
War's auch ein Stern der Leben trug
Gleich unserm Erdenballe.

Ja, solcher Welten Todesqual
Verkündet jeder Sonnenstrahl.
Sie sinds was unsre Sonne speist;
Hinab in's Feuerchaos reißt
Sie stündlich Millionen,
Und stürzt ein Schwarm aus seiner Bahn
In ihren Flammenocean,
Dann schießen aus dem Gluthgewog
Zehntausend Himalayas hoch
Des Lichtrauchs Palmenkronen.

Ein Meer von Schmelz das Wogen schlägt
Wie keinen Berg die Erde trägt,
Ein fürchterlicher Feuerpfuhl,
Nicht eines Gottes Strahlenstuhl,
Das ist die schöne Sonne.
Was wir vom Himmel wissend schaun
Erweckt nur namenloses Graun.
Drum banne, was den Hochmuth schwellt,
Dein karges Erdenglück vergällt:
Den Traum von Himmelswonne.

Ein Auswurf aus dem Gluthkoloß
Ward unser Stern. Den Schmelz umschloß
Ein Schlackenrahm; der wurde hart,
Und diese Erde schien, erstarrt,
Nicht mehr mit eignem Lichte.
Ihr Dunst ward Fluth, Metall ward Rost,
Nun kühlt sie hin zum Todesfrost.
Ein Weilchen zwischen Brand und Eis
Ist unsrer Gattung Daseinskreis
Und heißt uns – Weltgeschichte!

Die Blindheit wich. Als grimmen Hohn
Verwirf nun endlich, Erdensohn,
Den Dünkel, der dich wahnberauscht
Zum Zweck der Schöpfung aufgebauscht;
Dein Reich ist nur hienieden.
Nicht langer träume weltengroß
Und ewig lang das Menschenloos.
Dein Stern verglüht als Meteor
Nachdem Aeonen ehevor
Der letzte Mensch verschieden.

So nutzet wohl die Spanne Zeit
Stets mehr zu werden als ihr seid.
Schon wissensreich und wunderstark
Beginnt euch selbst Gestalt und Mark
Zu steigern und verklären.
Den blind und stumm im Sternenreich
Gefangnen Gott erlöst in Euch
Und macht ihn frei aus Neid und Noth –
So laute nun das Heilsgebot
Anstatt der Kindheitsmären.

Vielleicht, daß jener Gott die Frist
Der Erdenwallfahrt nicht vergißt
Wann alle Stäubchen Menschenhirns
Längst wieder in des Taggestirns
Qualvoller Hölle sieden.
Daß uns in dieser Neidnatur
Doch unser Herz die Gottesspur
Und Pfade zur Erlösung zeigt,
Es ist Erinnerung vielleicht
An frühern Gottesfrieden.

Doch blieb' auch nicht ein Traum zurück
Von Menschenkunst und Menschenglück
Wann unsern Stern die Gluth begräbt,
Der Mensch hat nicht umsonst gelebt,
Kein Trugbild war sein Sehnen.
Der Augenblick der Gott befreit
Ist größer als die Ewigkeit.
Krönt Er äonenlange Müh'n,
Dann mag die Erde froh zersprühn
Zu Sanctlaurentiusthränen.

Wilhelm Jordan




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Gedichte: Tragik

09.01.2013 um 21:24

Bismarck

1
Dem Einiger
Aus dem Jugendgedicht »Deutschland«. Eine Vision.. .

Gewölk flog hin. Doch wieder nah und fern
Ging auf am Himmel blinkend Stern an Stern.
Und wie ich folgte der Planeten Schar,
Ein seltsam Wunderzeichen nahm ich wahr.
Geschrieben stand ein Wort aus Sternenglut,
Das durch die Adern schwellend trieb mein Blut.
»Alleinig« hieß die Flammenschrift da droben,
Und mancher sah's, den gläubigen Blick erhoben.

In eines Kiefernwaldes Lichtung – wer
Im Jagdrock lehnte sinnend am Gewehr?
Welch wuchtige Stirn, welch zielgerader Blick!
»Zur Größe muß des Vaterlands Geschick
Gehämmert sein«, zuckt's durch die Erzgestalt,
»Und schweigt der Wille, donn're ich Gewalt.
Daß Deutschlands schwanker Gliederbau erstarke,
Sein faules Fleisch ausschneid' ich bis zum Marke.«

Und schon erschien dem Schauenden ein Bild
Des Völkerschicksals – Sedans Schlachtgefild.
Die Nebel wallten über Tal und Fluß,
Kanonendonner folgend Schuß auf Schuß.
Kolonne an Kolonne schloß den Ring,
Drin sich das schuldige Opfer ganz verfing.
»Was treibst du noch zum Kampf, verfallner Kaiser?
Dein Thron zerspliß wie morsche Fichtenreiser.«

Gebrochen stand mit hohlem Aug' er da,
Deß Fieberglut dem letzten Flackern nah.
Weil du der ränkevollen Ruhmgier Sohn,
Versank dein Stern in Nacht, Napoleon.
Doch zischte durch die Reihn kein geiler Spott,
Ernst klang's empor. »Nun danket alle Gott!«
Und klar und feierlich von Mund zu Munde
Stieg der Choral aus aller Herzensgrunde.

Wie der Gesang mir noch im Ohre rauscht!
Voll Kindesandacht hab' ich still gelauscht.
Ein neuer Hauch zog in die Seele ein:
Sei wert, des eignen Volkes Sohn zu sein!
Der giftige Wurm der Zwietracht ist gefällt,
Fest stehn wir da in Sturm und Streit der Welt,
Der Besten Sehnsucht ist erfüllet worden:
Eins vom Gebirg bis zu des Meeres Borden . . .


2
Dem allmächtigen Gegner
Während des Sozialistengesetzes 1888

Dich tadeln? Nein! So lumpig sind wir nicht.
Du bist ein ganzer Reck und Torentstammer.
Nun senkst du mit zermalmendem Gewicht
Aufs eigne Volk den harten Eisenhammer.

Du bist ein urgewaltiger Stilist,
Und deine Reden gleichen Steinholzknorren.
So Dämon bist du, wie du Schöpfer bist,
Und läßt die Hand, die sich empört, verdorren.

Ja, großer Mann, dir zittert deine Zeit.
Des Zornes Glut raucht um Berserkerbrauen.
Du brandmarkst Deutsche, deren Sehnsucht schreit,
Ein Reich des neuen Menschenrechts zu bauen.

Gespenster huschen um dein dräuend Haupt,
Strafbüttel schmeicheln knechtisch deinen Spuren –
Du fluchst zu Gott und treibst, von Haß umschnaubt,
In Satans Krallen deine Kreaturen.


3
Dem Toten
1914

Der Deutschland in den Sattel hob,
Ruht jenseits Tadel, jenseits Lob
In Sachsenwaldes grünem Haus
Vom Heldenkampf des Lebens aus.

Da zuckt mit Donnerkrach der Blitz!
Wer klopft ans Grab? Der Alte Fritz.
Auf! Beide machen sturmumgellt
Mobil die Tod- und Teufelswelt.

Hoch in gespenstergrauer Wehr
Ziehn sie voran dem wilden Heer,
Auf Wolkenrossen durch die Nacht
Hinwogend ob der Völkerschlacht.

»Und wer ist drunten mit dabei?
›Frei-Deutschland!‹ tönt ihr Feldgeschrei.
Kein Reichsfeind?! Nur ein Vaterland!
So steh, mein Volk, im Weltenbrand!« –

Wenn stark gesichert Deutschlands Glück,
Kehrt Bismarck in die Gruft zurück
Und ruht vom wilden Höllenstrauß
Im Sachsenwald für ewig aus.

Karl Henckell




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Gedichte: Tragik

09.01.2013 um 21:26

Faust.
Der Sturm.


Faust und Mephistopheles spazieren auf dem Verdecke

Faust
Wir wandeln auf dem Schifflein hin und her,
Das Schifflein jagt dahin im weiten Meer,
Das Meer ist mit den Winden auf der Flucht,
Die Erde samt dem Schifflein, Meer und Winden,
Schießt durch den weiten Himmelsraum und sucht
In ew'ger Leidenschaft, und kann's nicht finden.
Mir ist das Meer vertrauter als das Land;
Hier rauscht es unbestreitbar in die Seele,
Was dort ich leise, dunkel nur empfand,
Daß die Natur auch ew'ge Sehnsucht quäle
Nach einem Glücke, das sie nie gewinnt;
Und was da lebt im regen Labyrinth
Kann sich in Ruhe nirgendwo verschanzen,
Stets in den Sturm der Sehnsucht fortgerissen;
Und flücht ich nach den Grabesfinsternissen,
Muß meine Asche um die Sonne tanzen.

Mephistopheles
Nur scheinbar lacht die Ruhe selbst den Rindern,
Die auf der Weide gehn in Maientagen,
Und Blumen morden, fressen mit Behagen,
Herodes jeder Ochs den Frühlingskindern;
Indessen kocht in seiner kleinsten Ader
Das Leben mit dem Tod den heißen Hader.
Die Weide mahnt mich an den Rossehirten;
Wir trafen ihn, als wir auf Abenteuer
Zu Pferde das Magyarenland durchirrten,
Im Wald, bei Nacht, an seinem Wachefeuer.
Die schwarzen Hengste grasten in der Runde,
Seltsam bestrahlt, der wilde Mähnenhang
Im Nachtwind flog, und deinem Lauschen sang
Der Hirt ein traurig Lied aus fremdem Munde;
Dann schwieg er still und starrte in die Glut,
Und türmte drüber manche Blättersäule,
Und starrte wieder mit verschloßnem Mut;
Da kam aus Schattendickicht eine Eule,
Und schwirrt' unheimlich krächzend um sein Ohr,
Und der geneckte Hirte sprang empor,
Griff in die Flamme mit gewalt'ger Hand
Und raffte einen ungeheuren Brand
Und schwang ihn um sein Haupt in wilder Hast,
Die Eule scheuchend fort, den schlimmen Gast.
Wie jener Hirt in Waldeseinsamkeit
Ums Haupt im Kreise schwang das Flammenscheit,
So schwingt der ew'ge Hirt mit starker Hand
Im Kreis ums feste Haupt den Weltenbrand,
Zu scheuchen fort aus seiner Nacht die Eule,
Die sonst ihm krächzend naht: die Langeweile.

Faust
Und wenn der Sterne große Wanderscharen
Nur Funken wären, jenem Brand entfahren,
Den um sein Haupt der starke Hirte schlägt,
Wo sind die Rosse, die der Hirte hegt?

Mephistopheles
Die werden auch noch wo zu finden sein.
Du treibst mir die Metapher in die Enge,
Sie aber wäre nicht mein Töchterlein,
Wenn sie sich nicht aus deiner Frage schlänge.
Die Rosse, die dem Hirten weiden gehen,
Und die allein dem alten Hirten teuer,
Um derentwillen brennt das Weltenfeuer,
Die Rosse nennt der Philosoph Ideen;
Mir aber ist's ein inniges Ergetzen,
Heranzuschleichen mich mit feinem Tritt,
Und plötzlich mich auf so ein Roß zu setzen
Und durch die Welt zu machen einen Ritt,
Bis mich das Roß abwirft, und scheu zurück
Zu seinem Hirten flieht und Weideglück;
Denn was Natur gebiert, die reiche Mutter,
Verzehrt die Herd' als frisches Weidefutter.
Du, Röslein, bist für dieses Los zu gut,
Drum steck ich lieber dich an meinen Hut.
Sieh dort am Himmel kommen andre Rosse,
Dort kommt die schwarze Donnerwolkenherde;
Kennst du den Flug, die wilde Kraftgebärde?
Hallo! schon kracht das Schiff vom ersten Stoße!

Faust
Wie wenn die Rosse durch die Heide fliegen,
Hinsausend an den schlanken Graseshalmen,
Und sie mit ihrem Sturmgeschnaube biegen,
Und sie mit ihrem starken Huf zermalmen:
Durchfliegen diese Himmelsrosse rasend
Die grüne Meeresheide als Verwüster
Und wiehern Sturm aus aufgerißner Nüster,
Der Masten schlanke Halme niederblasend.

Mephistopheles
Hallo! es krachen, brechen unsre Masten:
Siehst du den Kapitän, den schreckerblaßten?
Das ist der Käfer, der am Halm gebaumelt,
Und mit dem abgeknickten niedertaumelt.

Faust
Hört, bleicher Kapitän! erhebt Euch doch!
Das ist kein Mann, wes Blut im Sturmgehudel
Geduckt zurückschleicht, ein gepeitschter Pudel,
Zur Herzenskammer, seinem Hundeloch.
Zeigst du nicht augenblicklich Mannesmut,
So werf ich dich beim Teufel! in die Flut!
Schämst du dich, Memme! vor dem Sturme nicht?
Ich dulde nicht die Schmach im Angesicht,
Den Menschen da in seiner Bettlerblöße
Genüber der Natur in ihrer Größe.

Kapitän
Seit zwanzig Jahren fahr ich dieses Meer,
So schrecklich denk ich keinen Sturm, wie der.
Wie jeder Nagel, jede Fuge kracht!
Weh uns! Wie alles wankt und bricht und reißt!
Wie uns der Abgrund jetzt zu Himmel schmeißt!
Der nächste Augenblick ein Ende macht!
Ich zittre nicht für mich, und ich erblasse
Nur, weil ich Weib und Kind nicht gern verlasse;
Sie sollen beten einst an meinem Grab.

Faust
Verfluchter Mahner! feiger Wicht! hinab!

(Wirft ihn ins Meer)

Ein Priester (auf den Knien)
Erbarme dich, du großer Gott!
Barmherziger, hilf in unsrer Not!
Herr! deines Sohnes Christi Blut
Helf in der Not uns Armen,
Besänftige mit Erbarmen,
Ein heilig Öl, die Sturmesflut!

Matrosen (auf den Knien)
Erbarme dich, du großer Gott!
Barmherziger, hilf in unsrer Not!

Faust (ruft in die Wolken)
Mach was du willst mit deiner Sturmesnacht!
Du Weltenherr, ich trotze deiner Macht!
Hier klebt mein Leib am Rand des Unterganges,
Doch weckt der Sturm in meinem Geist die Urkraft,
Die ewig ist, wie du, und gleichen Ranges,
Und ich verfluche meine Kreaturschaft!

Mephistopheles
Bravissimo! zuschanden geht der Nachen;
Den kleinen Bissen hat der Ozean
Lang hin- und hergespielt in seinem Rachen,
Nun beißt er drein mit seinem Klippenzahn.

(Wehgeschrei der Mannschaft)

Nun schluckt er ihn! Faust! spring auf diese Zacken,
Hier kann die tolle Flut dich nimmer packen.

Faust
Schon steh ich fest; doch sterben die Matrosen,
Wohl gerne lebten noch die Rettungslosen.

Mephistopheles
Sie haben meist das Eiland schon betreten,
Die Kerle schwimmen kräft'ger, als sie beten;
Doch ist der bleiche Kapitän ersoffen,
Vergebens war auf trocknes Grab sein Hoffen.
Auch dort der Pfaff' ein nasses Ende nimmt,
Der mag doch kräft'ger beten, als er schwimmt.
Wie wirbelt ihn die Flut! im Untersinken
Läßt er noch einmal sein Tonsürchen blinken;
Dasselbe ist's, das einst bei jenen Bauern
Zum Vorschein kam.

(Lachend)

Wo wird sein Liebchen trauern?

Nikolaus Lenau




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