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Gesellschaftskritik eines Fußballers

11 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Interview, Gesellschaftskritik, Fußballer ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Seite 1 von 1

Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 18:44
Mahlzeit.

Ich bin bei Spiegelonline auf einen TAZ Arktikel gestoßen der michsehr beeindruckt hat.

Die TAZ hatte eine Interviewanfrage an den ehemaligenFußballprofitorwart Jürgen Pahl geschickt, der mittlerweile nach Paraguay gezogen ist.Eigentlich mach ich es nicht gerne, aber hier jetzt doch mal volle Copy and PasteAttacke.



Vorbemerkung: Pahl lebt seit sieben Jahren in Paraquay. Wirschickten ihm eine Botschaft, um zu fragen, ob er bei der WM (9. Juni bis 9. Juli) fürDeutschland oder Paraguay sei. Und ob er glücklich geworden sei und in Südamerika denSinn des Lebens gefunden habe. Zwei Tage später quoll ein etwa fünf Meter langes Fax ausdem Gerät. In Handschrift hatte Pahl Folgendes geschrieben:

Liebe taz,

"Es ist Liebe" heißt Ihr Magazin - aber ist es wirklich Liebe? Wo ist die Liebe indieser Welt? Sie reduziert sich auf die sexuelle "Liebe" und die Liebe zum Geld, bessergesagt: die Gier. Und die Liebe zum Fußball? Es werden doch nur noch Millionen hin undher geschoben, bis einige Taschen voll sind. Für Spielergehälter von zwei bis sechsMillionen Euro oder mehr müsste selbst im "wohlhabenden" Westen ein durchschnittlicherAngestellter über 100 Jahre arbeiten. In Paraguay würde es sogar über 1000 Jahre dauern.Der erste Wikinger, der paraguayischen Boden betrat, hätte demnach bis heutedurchmalochen müssen. Wenn er überhaupt Arbeit hätte.

Und Sie? Wie lange müsstenSie arbeiten? Der Fußballprofi identifiziert sich längst nicht mehr mit seinem Verein,trotz dieser Gehälter. Läuft's, dann läuft's, und ich lasse mich feiern. Läuft's nicht,auch egal, dann wechsle ich halt den Verein. Das ist kein Klischee, das ist ein Problem.Warum, frage ich, sollte ich heute noch Liebe zum Fußball haben? Warum sollte ich mitdiesem Brief einen kostenlosen Beitrag leisten zu einem Ereignis, bei dem sich auch nurwieder einige wenige die Taschen voll machen?

Awacs-Flugzeuge und Terrorangstsind das Resultat weltweiter ungerechter Entwicklungen. Globaler verheerender Klimawandelist die Folge der Ausbeutung dieser Welt. Wir haben schreiende soziale Ungerechtigkeitweltweit, völkerrechtswidrige Kriege mit verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt, undder nächste Krieg wird psychologisch in den Köpfen der Massen schon vorbereitet. Das sinddie Rahmenbedingungen dieser WM, die als Ablenkung gelegen kommt.

Seit siebenJahren überwiegend in Paraguay und Brasilien lebend, sehe ich diese Entwicklungen mitDistanz und aus der Ferne. Mit Abstand betrachtet, sieht man bekanntlich alles klarer undrealistischer. Ich war bis zu meinem 33. Lebensjahr "nur" Berufsfußballer. OhneUni-Ausbildung, doch immer politisch denkend und zur Philosophie neigend. Was ich tat,tat ich stets mit Herz und Überzeugung. 1989 war ich Gründungsmitglied derProfifußballer-Gewerkschaft VdV. Meine Motivation war die Bauherren-Affäre Anfang derAchtziger, bei der Frankfurter Spieler um eine Menge Geld geprellt wurden (ich auch).

Immer wenn es galt, für Gerechtigkeit zu kämpfen, war ich Feuer und Flamme. ZumBeispiel 1987, als ich mich als Mannschaftssprecher für meine Kameraden engagierte. Diefanden das super. Mir brachte es die Kündigung. Ich wurde für zwei Jahre in den Osten derTürkei verbannt. Mein damaliges Verhalten war eindeutig noch Auswirkung meiner Erziehungin der DDR, die vom Idealismus geprägt war. "Haben Sie Lust auf ein Abenteuer?" - "Ja,immer." Das war mein erster Kontakt mit Turjut Yilmaz, dem Präsidenten von Rizespor.

Yilmaz ist eine beeindruckende Persönlichkeit, die meine Eigenschaften sofortanerkannte und sich sehr korrekt verhielt. Er war der Erste im Fußballgeschäft -abgesehen von dem damaligen Eintracht-Präsidenten Achaz von Thümen -, mit dem mich einegeistige Freundschaft verband. Von ihm lernte ich, was die Welt zusammenhält. Damalsdachte ich, Yilmaz neige zu apokalyptischen Anschauungen, mittlerweile haben sie sichbewahrheitet. Durch ihn bin ich ein optimistischer Apokalyptiker geworden, einfreidenkender Dissident, der in Paraguay lebt. In einem dünn besiedelten Land, zutiefstkatholisch geprägt, mit zehn Prozent Reichen und 90 Prozent Rest.

Doch zum Glückist das Land dünn besiedelt, und so können viele von Selbstversorgung leben. Da ich immermehr Sympathie für die Armen hatte als für die Reichen, fühle ich mich hier recht wohl.Auch der Fußball ist noch ursprünglich. Aber in jeder großen Stadt gibt es gutorganisierte Fußballschulen. Ohne Sponsoren, unentgeltlich, mit großem Zulauf und vonerstaunlicher Qualität. Ein Land, das gerade mal so viele Einwohner hat, wie der DFBMitglieder (und dazu noch Frauenüberschuss), ist jetzt zum dritten Mal hintereinander beieiner WM dabei. Das ist schon sehr beachtlich. Und das ohne aufgeblähte Trainerstäbe,ohne Angestellte für jeden Pipifax, ohne Mentaltrainer, Pressesprecher und was weiß ich.

Die Spielergehälter in der ersten paraguayischen Liga liegen bei 200 bis 1000US-Dollar monatlich. Einige wenige Profis vom Spitzenclub Olimpia bekommen vielleicht5000 US-Dollar. Die aktuellen Nationalspieler spielen daher größtenteils im Ausland. InItalien, Spanien, Mexiko und mittlerweile auch in Deutschland. Nicht nur weil ich jetzthier wohne, sondern aus meiner Logik und meinem Herzen heraus hoffe ich, dass Paraguaydas Griechenland dieser WM wird. Sie mögen diesen satten Ländern mal zeigen, dass es dochanders geht.

Auch bei einem Aufeinandertreffen mit Deutschland bin ich fürParaguay. In Bezug auf Fußball und Gesellschaft haben Sie in Ihrer Anfrage das Wort"modern" benutzt. Alle sprechen das Wort mit der Betonung auf der zweiten Silbe aus. Aberes gibt im Deutschen dieses Wort auch mit Betonung auf der ersten Silbe. Das hört sichvöllig anders an. Vielleicht ist dieser Vorgang schon weiter fortgeschritten, als diemeisten Menschen glauben. Zum Glück gibt es die Ignoranz. Die bewusste Ignoranz beidenen, die viel zu verlieren haben (Wirtschaftsführer, Politiker, Fußballer u. a. andereWohlhabende), und die unbewusste, trägheitsbedingte, verursacht durch täglichenExistenzkampf und dauernde Berieselung, auch durch Fußball.

Der Idealist zähltin unserer Gesellschaft nichts mehr, wie der Mensch als Mensch nichts mehr gilt. Ihrkommt ja auch bald in das Wegwerfalter. Entschuldigung. Der Macher und Materialist istgefragt, schlau, skrupellos ohne Visionen, außer sein Konto betreffend. Mir fällt esschwer, in einer solchen Gesellschaft zu leben. Speziell nachdem ich 1993 noch Einblickin meine Stasi-Akte nehmen durfte und danach die Entwicklung sah. Vor allem sah ich, wiedie früheren Berichterstatter der Staatssicherheit aalglatt längst wieder Positionen inPolitik und Sport einnahmen. Das ödete mich an. So sagte ich mir: Was sollst du dichärgern in dieser miefigen, verlogenen Gesellschaft? Lebe, lebe für dein Leben.

Ich war 1976 gemeinsam mit dem späteren Bayern-Profi Norbert Nachtweih aus der DDRgeflohen, bei einem Turnier in der Türkei. Aber wir, die eigentlich prädestiniert waren,etwas im Ost-Fußball zu bewegen, wurden nach dem Fall der Mauer konsequent gemieden. Soging ich 1998 in das Land, das nirgends liegt (aber trotzdem viel größer als Deutschlandist) und das für nichts bekannt ist, außer für ein relativ unbeschwertes Leben, in demman seine Persönlichkeit noch ungestört entwickeln kann.

Sie haben mich gefragt,ob ich in Paraquay den Sinn des Lebens gefunden haben. Nein: Der Sinn des Lebens liegtnicht in Paraguay. Genausowenig wie er in Deutschland liegt. Er liegt in jedem selbst.Innere Entwicklung zur höheren Reife unseres Geistes und unserer Seele sind der einzigeSinn. Alles Materielle sollte uns nur die Basis sein, um dieses Ziel zu erreichen. Wennich einst aus dieser Welt gehe, lächle und sage, jetzt freue ich mich auf das Neue, dannhabe ich mein Ziel erreicht.

Herzlich, Ihr Jürgen Pahl


ZUR PERSON
Jürgen Pahl, 50, war Fußballprofi bei Eintracht Frankfurt (1978 bis 1987). DerTorwart, der insgesamt 152 Erstligaspiele für den hessischen Club bestritt, wurde 1980Uefa- Cup- Sieger und holte ein Jahr später den DFB- Pokal. Pahl kam vom Halleschen FC.Er floh im Oktober 1976 zusammen mit Norbert Nachtweih bei einem U21- Länderspiel der DDRin der Türkei in die Bundesrepublik.



Wie gesagt, das IV hat mich sehrbeeindruckt und nachdenklich gemacht. Das Klischee das Fußballer dumm sind, hat sich beidem Mann zumindest erledigt.



http://www.spiegel.de/sport/fussball/0,1518,413801,00.html

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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 19:19
moin

ein kandidat für allmystery

buddel


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 19:29
Seit Paul Breitner (als er noch jung und aktiv war), Ewald Lienen und Pohl sowie einigeandere ist eh klar das "Fussballer" und "dumm" NICHT in eins zu setzen sind.

Undja - der Beitrag IST lesenswert. Wenn gleich ich allerdings - Indianerfreund, der ich bin- dem Land eine unglaublich indianerfeindliche Haltung anrechne und deshalb nicht dortleben möchte. Aber das muss man wohl nicht wissen, wenn man dort ansässig ist. Vielleichtist es in den letzten 10 Jahren auch besser geworden. Aber in den 80-ern ging man dortnoch "Indianer-schiessen" wie anderswo auf die Sau-jagd!


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 19:46
Jürgen, Jürgen nicht schlecht ;)

ein kandidat für allmystery

jop

---

aber säue schießt man heut noch ... ;)


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 20:08
Beeindruckend.


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 20:10
Schwache Worte.


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 20:11
fein.


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 23:27
All diesen Worten kann ich nur zustimmen.


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 23:36
Aber hallo!


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

02.05.2006 um 23:37
Schwache Worte.

mach dich nicht zum Affen.


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Gesellschaftskritik eines Fußballers

07.07.2016 um 04:38
Ist ganz gut geschrieben, gefällt mir.


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