In Gedenken an...
18.04.2013 um 23:41
Vorletztes Jahr um diese Zeit habe ich erfahren, dass mein Vater Lungenkrebs hat.
Er hat behauptet, die Chancen stünden gut ... bis fast zuletzt. Wir haben so viel Zeit wie möglich miteinander verbracht, zwischen seinen Chemotherapien.
Ich solle mich um Tickets für einen Urlaub kümmern, er wollte mit mir nach Trinidad reisen.
Irgendwann war klar, dass er nur noch Wochen zu leben hätte, und wir haben nur wenige Minuten darüber geredet - dass er zu mir kommen kann und ich mich um ihn kümmern möchte.
Zuletzt kamen seine besten Freunde zu ihm zu Besuch, ich kochte sein Lieblingsessen (nach seinem Rezept) und er sass in der Herbstsonne auf der Terasse. Am nächsten Tag sind wir zu mir gefahren, haben den Palliativdienst angerufen und alles organisiert.
Meine Schwester und Cousine hatten gerade Urlaub und waren mitgekommen.
Am vierten Abend sassen wir bei einem Wein zusammen bei meinem Vater, der nur noch schlief, und ich las e-mails vor, die er von Freunden bekommen hatte. Vielleicht bekommt er das noch mit, dachte ich.
Eine Freundin aus den USA, eine alte Dame, hatte ihm jeden Tag einen (oft ziemlich unanständigen) Witz geschickt. Darüber gerieten wir ins Schmunzeln, Kichern, Lachen, bis wir Tränen lachten ... die ganze Anspannung und emotionale Intensität entlud sich fömlich.
Bis meine Schwester sagte, sie könne ihn nicht mehr atmen hören.
Da war er neben uns, begleitet von Fröhlichkeit, geliebt und umsorgt, ohne Schmerzen eingeschlafen.
Wir haben erst zueinander gefunden, als ich achtzehn war, und von da an wurde unsere Beziehung immer enger, bis wir einander die letzten Jahre ganz nahe waren (während die Beziehung zu meiner Mutter zusehends distanzierter wurde).
Zuletzt waren wir ganz innig, und obwohl ich grosse Angst hatte, haben die Pflege und die Vorbereitung auf das Sterben mir doch grosse Kraft gegeben.
Als er gestorben war, war ich zuerst vor allem dankbar ... dass er nicht leiden musste, dass er nicht im Krankenhaus sterben musste, dass wir bei ihm sein konnten und alles so war, wie er es sich gewünscht hatte.
Der schrecklichste Moment war, als er zwei Tage später vom Beerdingungsunternehmen aus dem Zimmer getragen worden war ...
wochenlang hatte ich mich um kaum etwas anderes gekümmert, und für ihn und um ihn gekämpft, mich - und ihn - versucht auf den Tod vorzubereiten ...
mich von ihm verabschiedet, Schritt für Schritt ...
den Abschied der anderen (seiner Ziehsöhne, Ex-Frau, Freundin, Freunden) begleitet ...
und plötzlich eine absolute Leere ...
ich musste loslassen, abgeben.
Aber jetzt denke ich nur mit Dankbarkeit an diese Zeit zurück. Lungenkrebs scheint vielen eine Horrorvision zu sein, denn man denkt immernoch, dass man daran ersticken könnte.
Inzwischen ist es aber so, dass die medizinische Betreuung nicht auf Lebensverlängerung auf-Teufel-komm-raus ausgelegt ist, sondern auf so wenig Leiden wie möglich. Zuletzt war es für den Palliativdienst überhaupt keine Frage mehr, ob irgendwas überdosiert werden könnte ...
Die paar Tage, die man rauskitzeln könnte, helfen weder dem Sterbenden noch den Begleitenden.
Krankenhäuser sind da oft noch anders eingestellt, und in der fremden, durchorganisierten Umgebung ist es schwer für den Kranken und die Begleitenden, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen - und durchzusetzen, dass darauf eingegangen wird.
Obwohl ich meinen Vater dort so oft wie möglich besucht habe, war das Krankenhaus immer ein Ort der Fremdbestimmung, und leider auch der Vernachlässigung ... ("Ihr Vater will nicht, dass wir ihm beim Waschen helfen".... da konnte er kaum noch alleine aufstehen), und vor allem: des schrecklichen Essens! Was habe ich gekocht und in kleinen, leckeren Portionen angeboten und Leckereien besorgt ...
Dass mein Vater zu mir nach Hause kommen konnte und wir bei ihm sein konnten, das tröstet mich immernoch. Der Tod muss nicht schrecklich sein. Er kann Erlösung sein, Erleichterung, ein letztes Ausatmen ... wir hatten Glück.
Viele Abschiede sind unvorbereitet, unverarbeitet, in fremdbestimmter Umgebung, begeitet von unverdauten Gefühlen. Auch solche Abschiede habe ich erlebt, und sie schmerzen umso mehr.
Es gehört Mut dazu, den Tod zu begleiten, aber es gibt einem auch eine grosse Kraft. Ich wünschte, mehr Menschen könnten den Mut finden, und Sterbende hätten nicht so oft das Gefühl, niemandem den Tod zumuten zu können. Man müsste mehr über den Palliativdienst wissen, und sich auf beiden Seiten der Frage offener stellen.
So makaber es klingt: ich bin froh, dass mein Vater nicht z.B. an einem Herzinfarkt plötzlich gestorben ist, sondern sechst Monate Zeit hatte. Er, um sich von allen zu verabschieden, ich, um mich vorzubereiten und wir beide, um die Zeit miteinander zu nutzen.
Ich vermisse ihn.