Cranarc schrieb:Wir können auch festhalten, dass die EZB vor einer Rezession Zinsen senken müsste. Da im Moment aber Inflation droht kann sie das nicht.
Hätte sie ihren Job gemacht wäre sie in diesem Dilemma nicht. Das passiert wenn man Zinsen bei 0% aufruft.
Die Realität ist leider deutlich komplexer. Die EZB hat Ende 2021 den Fehler gemacht, die bereits steigende Inflation nicht ernst zu nehmen. Sie hätte die Zinsen schon zuvor anheben müssen. Sie tat es erst Mitte diesen Jahres und Lagarde behauptete dann, dass Prognosen in diesem Mix aus externen Faktoren (pandemiebedingte Angebotsengpässe, Ukraine-Krieg) schwierig bis unmöglich sind. Das kann man als Ausrede werten, aber ist irgendwo auch nachvollziehbar.
Das größere Dilemma ist eher, dass im Euroraum sehr unterschiedliche Volkswirtschaften dieselbe Währung haben. Die EZB kann allerdings nur einen Leitzins für alle Euroländer setzen. Wenn sie den Zins zu stark anhebt, verringert das zwar die Inflation, aber gleichermaßen steigt für stark verschuldete Staaten die Zinsbelastung. Man riskiert dann eine neue Eurokrise. Hoch verschuldete Staaten wie Italien müssen dann mehr für die Refinanzierung ihrer Schulden zahlen und drohen pleite zu gehen. Das kann man z.B. schön an der Rendite der 10-jährigen italienischen Staatsanleihe sehen. Die ist seit einem Jahr von ca. 1% auf jetzt über 4% gestiegen.
Kritisieren kann man an der Stelle gerne die Nähe zwischen Politik und Zentralbank - z.B. wurde Draghi ja als ehemaliger EZB-Chef danach Premierminister Italiens... war sicherlich zur Zufall
;) aber letztlich ist allein das Senken der Zinsen auf 0% nicht Grund dafür zu sagen, die EZB hätte ihren Job nicht gemacht. Geht der Euroraum krachen, weil in sudeuropäischen Staaten alle pleite gehen mit horrend hohen Arbeitslosenzahlen, hat die EZB ebenso versagt. Es ist also ein Drahtseilakt. Weil der deutsche Kleinsparer Zinsen aufs Festgeldkonto will, wird die EZB die Stabilität des Euro nicht gefährden.