...habe gerade mal bei Amnesty International geschaut und dieses, nur ein Biespiel, gefunden...
Quelle:
http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/51a43250d61caccfc1256aa1003d7d38/97b03dffe710962dc1256b260047f117?OpenDocument (Archiv-Version vom 28.12.2005)ai-Journal März 1997
AFGHANISTAN
Gewalt im Namen der Religion
Die Taleban sind im afghanischen Bürgerkrieg eine relativ junge Partei. Aber sie haben inzwischen zwei Drittel des Landes und die Hauptstadt Kabul unter ihrer Kontrolle. Seit sie 1994 zu militärischer und politischer Macht gelangten, erhält amnesty international ständig Berichte über Menschenrechts-verstöße in den von ihnen kontrollierten Gebieten.
"Die Frau war mit ihrem kleinen Kind auf dem Weg zum Arzt. Es war dringend, denn das Kind hatte starken Durchfall. Sie trug eine Burka. Als sie mit dem Kind am Marktplatz ankam, rief ein junger Taleb sie an, ein Teenager. Sie wußte, daß sie geschlagen werden würde, wenn er sie anhielte, denn sie trat unerlaubt in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Weil sie Angst um ihr Kind hatte, begann sie zu rennen. Der Taleb richtete seine Kalaschnikow auf sie, feuerte mehrmals und verletzte sie. Dann griffen Passanten ein und brachten Mutter und Kind zum Arzt. Anschließend beklagte sich die Familie der Frau bei den Taleban-Führern. Man erklärte ihnen, es sei alles die Schuld der Frau gewesen. Sie hätte ohnehin nicht in der Öffentlichkeit auftreten dürfen und hätte schließlich auf den Ruf des Taleb hin anhalten müssen, anstatt wegzulaufen."
So schildern Augenzeugen einen Vorfall, der sich im Juli vergangenen Jahres in der Stadt Farah ereignet hat. Ähnliches passiert auch in anderen Städten und Regionen, die von Taleban-Milizen beherrscht werden. Frauen, die ohne die Begleitung eines männlichen Verwandten auf die Straße gehen oder gar arbeiten, müssen ebenso wie Mädchen, die zur Schule gehen, damit rechnen, von Taleban-Kämpfern angegriffen und geschlagen zu werden. Tragen sie keine Burka - den islamischen Schleier mit nur einem kleinen Sichtgitter - oder sind ihre Knöchel zu sehen, drohen ihnen Mißhandlungen. Auch Kinder sind schon angegriffen worden. Der Grund: Sie hatten auf der Straße gespielt.
Frauen werden seit Jahren von den kriegführenden Parteien mißhandelt und in ihren Menschenrechten verletzt. Sie wurden und werden immer wieder Opfer von Vergewaltigung und Folter. Unter der Herrschaft der Taleban, die im vergangenen Herbst die Hauptstadt Kabul eroberten, hat sich ihre Lage noch einmal verschlimmert. Einige internationale Hilfsorganisationen wie UNICEF, "Save the Children" oder Oxfam haben aus diesem Grund ihre Programme in den von Taleban kontrollierten Gebieten eingestellt oder stark reduziert, da sie sich ohne ihr weibliches Personal nicht in der Lage sehen, ihre Arbeit fortzuführen.
Auch Frauen, an deren Aussehen die Sittenwächter einen Makel finden, laufen Gefahr, mißhandelt zu werden. Ständig erhält ai Berichte wie den folgenden: "Seitdem die Taleban nach Kabul gekommen sind, traut sich Farida, eine junge Afghanin, nicht mehr aus ihrer Wohnung. Erst vor drei Tagen sind zwei ihrer Nachbarinnen einkaufen gegangen. Sie trugen beide ihre Burkas. Eine Gruppe von Taleban griff sie dennoch an und schlug sie zusammen, weil angeblich ihre Knöchel zu sehen waren."
Der Preis einer Burka entspricht ungefähr drei Monatsgehältern eines höheren Beamten. Deshalb können sich bei weitem nicht alle Frauen den Schleier leisten. Ein Augenzeuge schildert: "Ein Taleb hielt eine Frau an, die ohne Burka die Straße betreten hatte, und peitschte mit einem Kabel auf sie ein. Sie schrie, daß sie es sich nicht leisten könne, eine Burka zu kaufen, doch der Taleb hörte nicht auf. Erst nachdem sich eine Menschenmenge bildete, ließ er die Frau gehen." Andere Frauen wurden geschlagen, weil sie Kosmetikartikel kauften. Sogar ein verheiratetes Paar ist auf dem Markt von Kabul von Taleban angehalten und mißhandelt worden. Der Vorwurf: Die beiden hätten vorgehabt, Kosmetika zu kaufen.
Amputationen und Steinigungen
Die islamischen Gerichte, die von den Taleban eingesetzt werden, haben in den vergangenen zwei Jahren immer wieder Hinrichtungen, Amputationen und Steinigungen verhängt. So sind in der Stadt Kandahar im Juli 1996 ein Mann und eine Frau gesteinigt worden, denen vorgeworfen wurde, eine Beziehung miteinander zu haben. Als "Beweis" diente die Aussage eines Nachbarn. Ein Zeuge beschreibt: "Die Steinigung sollte an einem Berg außerhalb der Stadt stattfinden. Dorthin wollten die Taleban die Bewohner kostenlos per Bus transportieren. Als sich aber keine Schaulustigen fanden, verlegte man die Steinigung ins Stadtzentrum und befahl den Menschen, zuzusehen. Die ersten Steine warfen die Taleban, dann machten einige Zuschauer mit. Der Mann war nach sieben Steinwürfen tot, die Frau blieb noch länger am Leben. Sie zwangen ihren Sohn, nachzuprüfen, ob sie noch lebte. Sie schrien ihn an, er solle die Wahrheit sagen. Er weinte und sagte, daß sie noch lebe. Schließlich ließ ein Taleb einen Felsbrocken auf ihren Kopf fallen und
sie starb."
Den von den Taleban eingesetzten islamischen Richtern fehlt meist jede juristische Ausbildung. Sie urteilen nach ihrem persönlichen Verständnis des Islam und aufgrund ihres kulturellen Hintergrunds. Außerdem entscheiden die islamischen Gerichte häufig über ein Dutzend Fälle pro Tag, so daß die Sitzungen nur wenige Minuten dauern. Die Angeklagten haben keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand und können auch nicht in Berufung gehen. Geständnisse werden häufig unter Folter erpreßt, die Unschuldsvermutung gilt nicht.
Zivilbevölkerung zwischen den Fronten
amnesty international hat bereits in mehreren Berichten Menschenrechts-verstöße der verschiedenen Konfliktparteien in Afghanistan dokumentiert. So sind in den vergangenen fünf Jahren Zehntausende Zivilisten den Bombenangriffen auf Wohngebiete in und um Kabul zum Opfer gefallen. Tausende wurden bei Überfällen bewaffneter Gruppen getötet, andere entführt, gefoltert oder vergewaltigt. Bei ihrem Vordringen in die verschiedenen Provinzen Afghanistans haben auch die Taleban-Kämpfer immer wieder willkürlich Zivilisten getötet, insbesondere wenn sie jemanden verdächtigten, mit gegnerischen Gruppen zu sympathisieren. Auch Soldaten, die bereits kapituliert hatten, waren vor den Taleban nicht sicher. Ein Augenzeuge beschreibt gegenüber amnesty international die Einnahme Herats: "Als die Taleban kamen, versuchten viele aus der Truppe von Ismael Khan - einem Verbündeten des inzwischen aus Kabul vertriebenen Präsidenten Rabbani mit Basis im westlichen Landesteil - zu fliehen. Die Taleban nahmen sie gefangen, sammelten sie
in Gruppen von zehn bis 20 Männern und töteten sie. Mullah Yar Mohammed, der spätere Gouverneur von Herat, bestand darauf, alle flüchtenden Soldaten zu töten." Nach Berichten von Einwohnern haben viele Kämpfer Ismael Khans nach der Einnahme der Stadt durch die Taleban ihre Waffen weggeworfen. Dennoch wurden sie festgenommen und einige Tage später umgebracht. Auch Zivilisten, die in Verdacht standen, der früheren Regierung unter Ismael Khan angehört zu haben, wurden verhaftet und ermordet. amnesty international recherchiert im Augenblick Hinweise, denen zufolge es in Herat mehrere Massenhinrichtungen gegeben haben soll.
Häuser werden zerstört
Bei der Einnahme von Kabul vor einigen Monaten durchsuchten die Taleban-Milizen zahlreiche Häuser und nahmen über tausend Zivilisten fest, denen sie vorwarfen, Sympathisanten der vorherigen Regierung von Burhanuddin Rabbani zu sein. Viele von ihnen sind bis heute "verschwunden". Häftlinge, die über längere Zeit festgehalten wurden, sind Berichten zufolge gefoltert worden oder mußten unter lebensgefährlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichten - so mußten einige beispielsweise auf vermintem Gelände Schützengräben ausheben.
Nach der Einnahme Kabuls haben die Taleban in der Region zahlreiche Häuser von Zivilisten zerstört. Im Oktober 1996 brannten sie als Vergeltung für einen vorherigen Angriff auf ihre Stellungen das Dorf Sarcheshma im Norden Kabuls nieder. 20 bis 30 Kämpfer zogen durch die Gassen und setzten mit Fackeln mindestens 116 Häuser in Brand. Das internationale Völkerrecht verbietet die Zerstörung von Häusern im Rahmen von Vergeltungsaktionen.
Ebenfalls als Vergeltung für "mangelnde Unterordnung" werden Dorfbewohner häufig zusammengetrieben und mißhandelt. In Herat wurden beispielsweise Anfang vergangenen Jahres über ein dutzend Anwohner, auf deren Hauswänden Parolen gegen die Taleban geschrieben standen, öffentlich zusammengeschlagen. Ein Augenzeugenbericht: "In einer Seitenstraße hatten Kinder Slogans an eine Häuserwand geschrieben, in denen die Taleban als Diener Pakistans bezeichnet wurden. Am darauffolgenden Tag kamen die Taleban-Milizen, durchsuchten die Häuser, nahmen alle Männer fest und verprügelten sie."
Im Metallcontainer gefangen
Wie die anderen Bürgerkriegsparteien, so verhaften auch die Taleban Menschen aus politischen Gründen nicht nur gegnerische Soldaten, sondern auch Hunderte Zivilisten. Anlaß kann die mangelhafte Einhaltung der neuen religiösen Dekrete sein, aber auch die mögliche Sympathie mit der alten Regierung. Die Gefangenen sollen auf diese Art bestraft und eingeschüchtert werden, manchmal werden sie auch als Geiseln benutzt. Während ihrer Haft sind sie meist völlig isoliert, auch zu ihren Familien dürfen sie keinen Kontakt aufnehmen - ihre Angehörigen wissen deshalb nicht, wo sie sind und ob sie überhaupt noch leben. Die meisten Häftlinge werden in den Gefängnissen des früheren Regimes festgehalten, einige aber auch in Metallcontainern, die das sowjetische Militär zurückgelassen hat. Diese Container sind im Sommer unerträglich heiß und im Winter eiskalt. In einigen Fällen sind Gefangene auch freigelassen worden, nachdem sie ein Bestechungsgeld gezahlt hatten.
Da die Taleban dabei sind, ihre Macht in Afghanistan zu konsolidieren und internationale Anerkennung als Regierung zu erlangen, fordert amnesty international sie auf, die Menschenrechte zu respektieren. Dazu gehört der Schutz vor Folter, Mißhandlung und politischer Verfolgung genauso wie die Unterscheidung zwischen Zivilisten und militärischen Truppen im Bürgerkrieg.
Barbara Erbe
Die Liebe ist die einzige Wahrheit! Baba nam kevalam