CharlyPewPew schrieb:In einem geschlossenen System gibt es keine Pufferzonen, keine Außenbeziehungen, keine Ausweichmöglichkeiten.
Wandel ist in offenen Systemen gesund, durch neue Ideen, externe Impulse, Korrekturmöglichkeiten.
Völlig richtig.
Übrigens muss ein negativer Wandel noch nicht mal Generationen dauern.
Schaut euch mal an, was in den 70igern im Iran passiert ist.
Da ging das von gefühlt von gleich auf jetzt und aus die Maus. Zurück ins Mittelalter.
Noch dazu kommt - gesamt geschichtlich betrachtet- der menschliche Trieb zur Migration oder von mir aus Expansion.
Der Mensch hat sich im Laufe seiner Geschichte, fast über den gesamten Erdball verbreitet über tausende und abertausende Kilometer.
Warum eigentlich?
Da spielten sicherlich viele Faktoren mit rein: Klima, Nahrungsangebot, Wanderbewegungen von Tieren, Wetterphänomene ABER ganz bestimmt auch territoriale Konflikte mit anderen Gruppen.
Man weicht einander aus und sucht neue Gebiete.
Die ganze Geschichte ist voll mit immer wieder solchen Bewegungen.
Hier wurde im Thread ein Generationenschiff mit einer Insel vergleichen.
Ein schlechter Vergleich.
Selbst auf einer Insel, auf der eine große Population langfristig bestehen kann, stehen elementare Ressourcen (Luft, Sonnenlicht, Nahrung, Wasser, Schwerkraft..) mehr oder weniger in einem Übermaß zur Verfügung.
Und eine Insel ist keineswegs ein in sich geschlossenes System.
Vögel, Winde, Insekten etc. bringen stetig neue Samen (Erbgut) auf die Insel.
Im Ozean, gibt es alles mögliche Essbares, das als (aus Sicht eines Inselbewohners) unerschöpflicher Vorrat zur Verfügung steht.
Und selbst ein gewisser genetischer Austausch dürfte über Jahrhunderte immer mal wieder durch Besucher anderer Inseln usw. zumindest theoretisch möglich sein.
Bei einem Raumschiff fehlt es an all diesen Basics.
Alles, was du nicht bereits beim Start dabei hast, fehlt dir.
Der kleinste Fehler (und wo Menschen sind, passieren Fehler) könnte fatalste Folgen für das Überleben aller haben.
CharlyPewPew schrieb:Kannst du mit dem gesammelten Wissen der Menschheit wirklich etwas anfangen? Ich gebe dir eine 2.000 Jahre alte römische Bauanleitung auf Latein. Könntest du daraus ein funktionierendes Aquädukt bauen – ohne weitere Hilfe, nur mit dem Text?
Sehr guter Punkt.
Und ich frage mich weiter.
Welches gesammelte Wissen überhaupt.
Jeder von uns rennt mit einem Gerät in der Hosentasche rum, dass ihm unendlich viele Informationen zu fast jedem beliebigen Thema liefern kann und wir schauen Katzenvideos auf YouTube oder lassen uns ins Social Media verblöden.
Reines Wissen ist überhaupt nicht die entscheidende Sache.
Gerade auf einem Raumschiff wird es weniger um theoretisches abstraktes Wissen gehen, sondern um handfeste praktische Kenntnisse.
Und vergessen wir darüber hinaus auch nicht, dass Körper und Geist eine Einheit bilden.
Ohne Sonnenlicht, in einer Welt ohne Gravitation aufzuwachsen, mit vielleicht rationierten Nahrungsmitteln und und und das kann Auswirkungen auf den Körper haben, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können.
Dazu kommt Dreck und Gestank.
Habt ihr mal Videos gesehen, wie sich die Astronauten auf der ISS oder sowas waschen? Mhhh lecker, Katzenwäsche.
Das mag alles mal eine Zeit lang gehen, aber über Jahrtausende?
Ohne die Möglichkeit mal zu lüften oder sich unter ne Dusche mit fließendem Wasser zu stellen.
Der Mief in einer Männerumkleidekabine in der Kreisklasse dürfte nichts dagegen sein.
Und wo Dreck ist und Menschen auf engsten Raum zusammen hocken, da sind auch Krankheiten nicht weit weg.
Und was macht man eigentlich mit all den zig tausenden Verstorbenen, die im Laufe einer solchen Reise völlig natürlich sterben?
Die Märchenvorstellung wäre, man übergibt sie - analog zu den Schifffahrern, der Geschichte, der See bzw. dem All.
Schöne Vorstellung.
Ich wüsste nicht, ob ich mich trauen würde, eine Jahrhunderte alte Luke zu öffnen, um da nen toten zu "entsorgen". Was ist, wenn sie nicht mehr richtig zugeht?
Aber verfaulende Leichen kann man natürlich auch nicht an Bord lassen.
Die müssen auf jeden Fall von Bord, richtig?
Nein! Nicht richtig.
Jeder Mensch, der stirbt, der nimmt auch die Ressourcen, aus denen sein Körper besteht, mit.
Wasser, Calcium, Kohlenstoff und und und.
Nur sind Ressourcen auf diesem Schiff nicht nur wichtig, sondern überlebenswichtig.
Man müsste also einen Weg finden, tote Körper bzw. die Ressourcen in ihnen, so gut wie möglich, zu erhalten.
Keine Ahnung, wie.
Zur Not müsste man die Toten vielleicht sogar als Nahrung heranziehen und dabei alles verwerten, was man verwerten kann...
Also Kannibalismus kommt noch zum Dreck, Gestank, fehlender Sonne usw. hinzu.
Und Inzucht natürlich auch, quasi noch als Sahnhäubchen obendrauf.
Natürlich wird man mit den besten Vorsätzen losfliegen, vielleicht auch viele eingefrorene Eizellen und Spermien dabei haben um sicherzustellen, dass der Genpool "gut" bleibt.
Aber Menschen wollen nun mal Sex haben.
Und wo viele Männlein und viele Weiblein über längere Zeit auf engem Raum sind, werden sich irgendwann auch diese Gelüste ihren Weg brechen.
Anfangs ist das ja noch nicht mal so tragisch.
Von dem Wenigen, dass die armen Seelen auf so einem Schiff überhaupt haben, nimmt man ihnen dann auch noch ihre freie Sexualität weg. Ob die das so friedlich über sich ergehen lassen und falls ja, dann nicht trotzdem, im Verborgenen "lieben" wen sie wollen?
Ich sage dir, dass nach 500 Jahren, auf diesem Schiff jeder mit jedem verwandt sein wird.
Ich bin beruflich als Führungskraft tätig, und wenn ich eines gelernt habe, dann, dass man nicht unendlich Druck auf Menschen ausüben kann. Man muss gewisse Eingeständnisse machen, gerade auf einem solchen Schiff, weil die Leute sonst irgendwann allesamt durchdrehen und sobald das der Fall ist, ist die Mission ohnehin verloren.