Transpersonale Krisen Teil 3Die sogenannten spirituellen Krisen sind meistens "Öffnungskrisen", die oft erst
anschließend eine Suche im religiös-spirituellen Bereich zur Folge haben. Ein spiritueller
Notfall ist meist verursacht durch das Auftauchen des Spirituellen, "spiritual
emergence", wie es von Grof u. Grof (1991) bezeichnet wird.
3. Transpersonale Störungen
Die Entwicklung von der personalen zur transpersonalen Struktur, wie sie Wilber
(1996) beschreibt und von Galuska (in diesem Band) erläutert wird, bedeutet eine
Veränderung der Verankerung des Erlebens vom Ich hin zur Seele. Dies ist ein umfassender
Wandlungs- und Reifungsprozess, dessen Integration eine sichere Verankerung
im transpersonalen Bewusstsein bedeutet, eine Durchlässigkeit für das
Göttliche und Absolute, eine Verwirklichung der eigenen Seele und eine Öffnung
hin zum nondualen Bewusstsein, um nur einige Charakteristika zu nennen. Der
Entwicklungsweg dieser Wandlung ist häufig verbunden mit aktiver spiritueller Übung,
jahrelanger religiöser und meditativer Praxis und vielschichtiger Arbeit an
sich selbst und dem eigenen Wirken in der Welt. Störungen dieser Entwicklung
könnten als transpersonale Störungen oder spirituelle Störungen im engeren Sinne
bezeichnet werden.
Strukturelle Ungleichgewichte ergeben sich durch eine unbalancierte spirituelle
Praxis, wenn beispielsweise zu viel Gebet oder Meditation zu wenig Ausgleich
durch Irdisches oder Praktisches erfahren. Dann kann es zu einer Überempfindlichkeit
und Reizbarkeit und einer übermäßigen Offenheit kommen. Meist sind solche
Ungleichgewichte begründet in unbalancierten Charakterzügen oder unaufgearbeiteten
neurotischen oder narzisstischen Themenkreisen, die dann zu inneren Spannungszuständen
oder auch Konflikten führen können.
Nach einer intensiven Transzendenzerfahrung oder einer Gotteserfahrung kann es
gelegentlich schwierig sein, sich erneut dafür zu öffnen. Dies könnte man im weiteren
Sinne als
"die dunkle Nacht der Seele" bezeichnen, die Johannes vom Kreuz
auf dem Weg eines christlichen Mystikers beschrieben hat, deren Struktur jedoch
Allgemeingültigkeit besitzt. Die dunkle Nacht meint Gefühle der Leere, der Selbstzweifel,
der Verlorenheit und der "Verlassenheit von Gott". Das Leiden daran, vom
Absoluten, von Gott, vom Urgrund, von der Möglichkeit zur Nondualität getrennt zu
sein, kann zu tiefem Ringen und tiefer Verzweiflung führen, vor allem bei Menschen,
die zu Selbstzweifel und Depression neigen.
Der Sinn dieser Krise besteht einerseits in der Arbeit an den Hindernissen der eigenen Persönlichkeit, an der Klärung und "Läuterung" der eigenen Struktur. Andererseits geht es darum, innerlich leer zu werden, ein offenes Gefäß zu werden, damit es zu einer Gotteserfahrung,
einer Seinserfahrung, einer nondualen Erfahrung kommen kann.Vom eigenenWillen zum Willen Gottes, von der inneren Führung durch das Ich zur Führung
durch die göttlich erfüllte Seele zu kommen, könnte eine der Aufgaben der Lösung
der dunklen Nacht sein. Insgesamt scheint die Metapher der dunklen Nacht der
Seele nützlich für eine typische Problematik jedes Überganges zu einer weiteren
Entwicklungsstruktur zu sein, die zunächst einmal momenthaft erfasst wird, dann
aber möglicherweise nicht mehr erreicht werden kann und ein gewisses verzweifeltes
Ringen darum zur Folge hat. So lässt sich wohl die Tatsache erklären, dass in
der von Galuska und Belschner (1999) beschriebene Befragung von Menschen, die
angeben, selbst in einer spirituellen Krisen gewesen zu sein, die häufigste Bezeichnung
für ihre Krise die "dunkle Nacht der Seele" ist. Mit 69 % wird diese Formulierung
noch häufiger gewählt als die Bezeichnung "Sinnkrise" (62 %) und die
Bezeichnung "spirituelle Krise" (61 %) selbst.
Das Gegenstück zu dieser Problematik könnte man mit Wilber (1988) als Pseudo-
Nirvana bezeichnen. Damit ist die Problematik gemeint, transpersonale Erfahrungen
oder veränderte Bewusstseinszustände für die Erleuchtung selbst zu halten.
Die Erleuchtungserfahrung ist eine Erfahrung nondualen Bewusstseins als
Leerheit, Nicht-Dualität (von Form und Leere) oder Soheit. Erfahrungen von Weite und Unendlichkeit oder von Verbundenheit und Stimmigkeit können aufgrund von narzisstischen
Bedürfnissen als Erleuchtung fehlinterpretiert werden. Einer solchen Selbsttäuschung
kann man am günstigsten entgehen, indem man eine Erleuchtungserfahrung
von einem spirituellen Lehrer bestätigen lässt. Selbst nach einer tatsächlichen
nondualen Erfahrung, also der Auflösung des Ich-Bewusstseins und der damit
verbundenen Trennung, taucht das Ich-Empfinden wieder auf und die narzisstische
Seite der Persönlichkeit könnte sich damit zu schmücken versuchen.
Die Überschätzungder Erleuchtungserfahrung, ihrer Bedeutung und die innere Fixierung an
sie wird auch gelegentlich als "Erleuchtungskrankheit" (Schilling, 2001) bezeichnet.Auch hier kann es zu Dissoziationen kommen, die zu einer Spaltung in Spiritualität
und Alltag führen. Häufig werden dann die inneren Erfahrungen und Werte des religiösen
und spirituellen Lebens hochgeschätzt, während die Äußerlichkeit der Alltagswelt
von Beruf und Familie abgewertet wird.
Es besteht die Gefahr, dass Meditationund Spiritualität als eine Flucht vor den Herausforderungen des Lebens benutzt
werden, und man sich den Schwierigkeiten in der Arbeit oder in den Beziehungen
nicht mehr stellen möchte, da es ja auf der Ebene der Welt keine Erfüllung
und Befreiung gebe. Wenn sich dies vertieft und die Distanz zum Alltäglichen und
Lebenspraktischen größer wird, kann die Lebenswelt immer abstoßender wirken,
und das Gefühl entstehen, wie auf einem fremden Planeten zu sein. Dies kann sich
bis zu Depersonalisationen und Derealisationen auswirken. Vielleicht entwickelt
sich sogar eine Bitterkeit dem Leben und der Welt gegenüber, eine düstere pessimistische
Haltung. Alles, was mit dem Körper, mit Beziehungen, Arbeit, Geld oder
Sinneserfahrungen zu tun hat, wird dann abgelehnt und nur noch das Geistige,
Meditative, Lichtvolle, Höhere angestrebt und als wertvoll betrachtet. Ken Wilber(1988) bezeichnet dies als "Pseudo-Dukkha". Dukkha ist der buddhistische Ausdruck
für die universelle Leidhaftigkeit der Existenz, die es zu erkennen gilt, die der
Erleuchtete jedoch als Merkmal des Lebens und des Seins annimmt.
Pseudo-Dukkha ist aber ein Ausdruck von innerer Ablehnung und Unversöhntheit gegen
über dem Leben, denn das natürliche Gefühl dem Leid der Welt gegenüber, das
aus tieferem spirituellem Verständnis entsteht, ist Mitgefühl, Erbarmen und Liebe,
und nicht düster und pessimistisch der Welt gegenüberzutreten.