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Badewannenunfall von Rottach-Egern

7.712 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, 2008, Badewanne ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Badewannenunfall von Rottach-Egern

Badewannenunfall von Rottach-Egern

07.12.2020 um 11:53
Es ist schon bezeichnend, dass dort dauernd von „Infragestellung des Urteils“ die Rede ist. Damit soll wohl suggeriert werden, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, ein Wiederaufnahmegericht also erpicht darauf sein müsste, ein einmal von anderen Richtern gefälltes Urteil, das rechtskräftig in Berufung und Revision von noch anderen Richtern bestätigt wurde, unter allen Umständen zu halten.

Im Gesetz heißt es ganz bewusst „Wiederaufnahme des Verfahrens“, nicht „Infragestellung des Urteils“. Und im Gesetz ist festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich ist. Richtig ist, dass der Gesetzgebet im Interesse der Rechtssicherheit die Wiederaufnahme rechtskräftig angeschlossener Verfahren nur in Ausnahmefällen vorsieht, weil es ansonsten über Jahrzehnte immer wieder in derselben Sache zu neuen Verfahren mit neuen Ergebnissen kommen könnte und man nie an ein Ende käme.

Anscheinend hat das LG München I in seiner Begründung dies einleitend erklärt bzw. vorangestellt, was aber Textbaustein für jeden solcher Beschlüsse sein dürfte und mit dem konkreten Fall noch nichts zu tun hat. Gerichte arbeiten, wenn es um allgemeine Grundlagen geht, halt gerne mit einmal dafür entworfenen Textbausteinen.
Zitat von PalioPalio schrieb:Weiter argumentiert das Gericht, dass, wenn die Verurteilung allein auf Indizien beruht, das Gericht neue Beweismittel oder Tatsachen, die die Begründung des Urteils in Frage stellen, als gering erachten kann.
Diese von dir zitierte Textpassage zeigt, dass der Verfasser entweder den Beschluss des Gerichts nicht kennt (halte ich für wahrscheinlicher) oder ihn nicht verstanden hat. Mit Sicherheit hat das Gericht derlei nicht geschrieben. Es wäre auch widersinnig. Wieso soll dann, wenn eine Entscheidung auf Indizien, also nicht zusätzlich auf einem Geständnis des Angeklagten beruht, das Verfahren schwerer wieder aufgenommen werden können als ein Verfahren, das zusätzlich zu allen belastenden Indizien auch ein umfassendes Geständnis des Angeklagten enthält?

Maßstab dafür, unter welchen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens des Verfahrens möglich ist, ist allein § 359
StPO, wo es unter Nr. 5 heißt, dass die im Wiederaufnahmeantrag beigebrachten neuen Tatsachen oder Beweismittel „geeignet“ sein müssen, „allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten....zu begründen“.

Da steht also nichts davon, dass das Wiederaufnahmegericht irgendwas als gering erachten kann, wenn ein Urteil auf Indizien beruht, oder ähnlicher Unsinn.

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Badewannenunfall von Rottach-Egern

08.12.2020 um 03:13
Zitat von AndanteAndante schrieb:Palio schrieb:
Weiter argumentiert das Gericht, dass, wenn die Verurteilung allein auf Indizien beruht, das Gericht neue Beweismittel oder Tatsachen, die die Begründung des Urteils in Frage stellen, als gering erachten kann.
Diese von dir zitierte Textpassage zeigt, dass der Verfasser entweder den Beschluss des Gerichts nicht kennt (halte ich für wahrscheinlicher) oder ihn nicht verstanden hat. Mit Sicherheit hat das Gericht derlei nicht geschrieben. Es wäre auch widersinnig. Wieso soll dann, wenn eine Entscheidung auf Indizien, also nicht zusätzlich auf einem Geständnis des Angeklagten beruht, das Verfahren schwerer wieder aufgenommen werden können als ein Verfahren, das zusätzlich zu allen belastenden Indizien auch ein umfassendes Geständnis des Angeklagten enthält?
Hier steht nichts von Geständnissen.

Das Original auf der oben verlinkten webseite liest sich so:
Weiter argumentiert das Gericht, dass, wenn die Verurteilung allein auf Indizien beruht*, das Gericht neue Beweismittel oder Tatsachen, die die Begründung des Urteils in Frage stellen, als gering erachten kann.
*(wie im Rechtsfall Manfred Genditzki geschehen. Indizien sind weder Beweise noch Tatsachen, sondern mehr oder minder plausible Ableitungen einer Möglichkeit)

Mit anderen Worten:

1...

2. Indizien werden rechtlich in ihrer Bedeutsamkeit höher eingestuft als neue Beweise und Tatsachen. Und auch hier bedeutet das: die Meinung, die Ansicht des Gerichts ist höher zu bewerten, als neue Beweise und Tatsachen.
Das "Zitat" des Gerichtsbeschlusses ist für Juristen nichts als eine Binsenweisheit. Natürlich kann das Gericht die Beweiskraft eines Indizes beurteilen, eben als stark oder schwach. Es soll das sogar tun. Das ist das Problem bei dieser Art Verfahren: es hängt völlig von der subjektiven Einschätzung der vorgebrachten Dinge durch das Gericht ab. Was den einen Richter überzeugt, lässt den nächsten ganz kalt.

Unsinnig ist dann, was als Schlussfolgerung unter 2. geschrieben wurde. Gemeint hat der Verfasser vermutlich, dass alte, im alten Urteil verwertete Indizien 'überzeugender' aufgefasst werden als die neuen. Das kann so sein. Oder auch nicht. Das hängt eben von all den Indizien usw. ab.

Und auch das letzte, so frustrierend es sein kann, ist in der Praxis eher eine Binsenweisheit: die Hürde, das neue Gericht dazu zubringen, die Meinung des alten Gerichts zu verwerfen ist hoch. Offiziell wegen der "Rechtssicherheit", was freilich auch ein guter Grund ist, inoffiziell manchmal aus ganz anderen Motiven, ist es ganz normal, dass Richter zurückhaltend darin sind, ihre Kollegen offen zu kritisieren.


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08.12.2020 um 07:24
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Hier steht nichts von Geständnissen.

Da steht aber was von einer Folge, die sich auf die Bedingung Indizienurteile beziehe (wenn-dann). Im Umkehrschlusss hieße das, andere Urteil (zum Beispiel welche mit Geständnis) wären von dieser generellen Geringschätzung neuer Beweismittel nicht betroffen, was doppelt Quatsch ist.

Da das WA-Gericht die Ablehnung nicht nur mit Binsenweisheiten begründet haben wird, hätte an der Stelle doch mal die konkrete gerichtliche Meinung zur Computersimulation gebracht werden können.


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08.12.2020 um 07:25
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Offiziell wegen der "Rechtssicherheit", was freilich auch ein guter Grund ist, inoffiziell manchmal aus ganz anderen Motiven, ist es ganz normal, dass Richter zurückhaltend darin sind, ihre Kollegen offen zu kritisieren.
Zumal die "Rechtssicherheit" an und für sich kein Argument ist. Denn das ist Teil der ratio legis von § 359 Nr. 5 StPO.

Die Rechtssicherheit ist für das Funktionieren eines Rechtsstaates ein hohes Gut - wenn es um die Bestandskraft von Baugenehmigungen, die Verjährung von Ansprüchen oder die Rechtskraft von Urteilen geht. Es können nicht alle Entscheidungen permanent neu auf die Probe gestellt werden, das würde zum Zusammenbruch des Rechtsstaates führen. Aber genau diese Rechtssicherheit muss zurücktreten, wenn es rechtlich bedeutsame Zweifel gibt, ob ein Mensch zu Recht von der härtesten staatlichen Sanktion getroffen wurde, die dieser Staat zu verteilen hat. Es also "geeignete" Beweismittel gibt.

Und ich meine: Je stärker eine Sanktion in das Leben des Betroffenen eingreift, hier sie sogar über Jahrzehnte beherrscht, um so stärker muss der Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit gegenüber der Rechtssicherheit gewogen werden.


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08.12.2020 um 07:33
Zitat von monstramonstra schrieb:Und ich meine: Je stärker eine Sanktion in das Leben des Betroffenen eingreift, hier sie sogar über Jahrzehnte beherrscht, um so stärker muss der Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit gegenüber der Rechtssicherheit gewogen werden.
Dem stimme ich voll zu, deshalb würde ich mir ein neues Verfahren für Genditzki wünschen. Aber die Realität sieht anders aus.


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08.12.2020 um 07:54
Zitat von monstramonstra schrieb:Es also "geeignete" Beweismittel gibt.
Die gab's aber nach Auffassung des WA-Gerichts nicht. Warum nicht, wird leider nur zu zwei Beweismitteln erzählt: Die Zeugin weiß nur Anekdoten aus Frau Kortüms Vergangenheit zu berichten und das Gutachten zum Todeszeitpunkt beinhaltet nur eine Schwerpunktverlagerung des ohnehin nur geschätzten Zeitraums. Das ist der Makulaturanteil des Wiederaufnahmeantrags gewesen. Das Zugpferd sollte die Computersimulation sein.
Die zeigt nach Auffassung des Gerichts (vermutlich) einen theoretisch möglichen Sturz, der aber unrealistisch ist. Dazu wird es noch Genaueres im Beschluss geben.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Dem stimme ich voll zu, deshalb würde ich mir ein neues Verfahren für Genditzki wünschen. Aber die Realität sieht anders aus.
Ein neues Verfahren nur mit dem, was die Verteidigung vorgebracht hat, würde wahrscheinlich wieder in einer Verurteilung enden. Das könnte daran liegen, dass er das getan hat, wofür er verurteilt wurde und es nichts gibt, was dagegen spricht. Die beste Möglichkeit, dem Mann und seiner anzunehmenden Ungefährlichkeit für die Gesellschaft gerecht zu werden, wäre, die Haftzeit direkt - ohne Umweg über eine neue Hauptverhandlung - zu verkürzen.


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08.12.2020 um 08:11
Hier mal auf die Schnelle ein Beispiel eines Tötungsdelikts, das zeigt, das die Haftdauer in keinem Verhältnis zu anderen, brutaleren Fälle steht:

https://rp-online.de/panorama/neun-jahre-haft-fuer-totschlag-59-jaehriger-erschlug-ehefrau_aid-8236189

Manfred Genditzki sitzt nun bald 12 Jahre. Das ist das, was ich hier als nicht angemessene Beurteilung empfinde.


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08.12.2020 um 08:24
Bei diesem Fall konnte anscheinend kein Mordmerkmal nachgewiesen werden, ergo kann man nicht wegen Mordes, sondern lediglich wegen Totschlags verurteilen.

Selbstverständlich wäre eine längere Freiheitsstrafe möglich, aber aus irgendwelchen Gründen hat sich die Kammer für neun Jahre entschieden.


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08.12.2020 um 09:44
Zitat von PalioPalio schrieb:Hier mal auf die Schnelle ein Beispiel eines Tötungsdelikts, das zeigt, das die Haftdauer in keinem Verhältnis zu anderen, brutaleren Fälle steht:
Das Motiv ist hier für die Verwerflichkeit einer Tötung und damit auch für die Strafhöhe entscheidend. Wenn Habgier angenommen wird, dann ist es Mord.

Hier gab es außer Habgier kein Motiv für eine Tötung. In dem Moment, in dem die Kammer überzeugt war, dass Herr G. die alte Dame getötet hat, konnte nur Habgier in Frage kommen.

Über den rechtspolitischen Sinn des Mordtatbestandes und seiner zwingenden Strafandrohung existieren Dutzende von Büchern. Die Rechtswissenschaft ist alles andere als glücklich mit §§ 211, 212 StGB. Tatsache ist, dass die Politik gescheitert ist, das Verhältnis von Mord und Totschlag neu auszutarieren. CDU/CSU und SPD wurden in der Frage nicht einig, in welchen Fällen die lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt werden muss. Es gibt nur das Ergebnis einer Arbeitsgruppe.

https://www.bmjv.de/DE/Ministerium/ForschungUndWissenschaft/ReformToetungsdelikte/ReformToetungsdelikte_node.html (Archiv-Version vom 11.11.2020)


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08.12.2020 um 10:12
Zitat von PalioPalio schrieb:Da das WA-Gericht die Ablehnung nicht nur mit Binsenweisheiten begründet haben wird, hätte an der Stelle doch mal die konkrete gerichtliche Meinung zur Computersimulation gebracht werden können.
Eben, man ist bei der Diskussion mal wieder auf Interpretationen des Beschlusses von interessierter Seite angewiesen und weiß überhaupt nicht, was das Gericht konkret gesagt hat. Es ist unbefriedigend, wenn man auf eine Diskussionsbahn nach dem Motto gelenkt werden soll „Das Urteil war natürlich schreiend falsch, und die vom Wiederaufnahmegericht haben es nicht gemerkt bzw. sie haben es gemerkt, wollten die Entscheidung aber auf Teufel komm raus halten, weil es sowieso meistens so ist, dass ein Richter dem anderen ungern unrecht gibt, kennt man ja“.

Das ist ist als Basis ja nun etwas schlicht....


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08.12.2020 um 10:30
Zitat von monstramonstra schrieb:Und ich meine: Je stärker eine Sanktion in das Leben des Betroffenen eingreift, hier sie sogar über Jahrzehnte beherrscht, um so stärker muss der Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit gegenüber der Rechtssicherheit gewogen werden.
Das ist eine Frage an den Gesetzgeber. Dieser kann für bestimmte Fälle des Kreis der Wiederaufnahmegründe erweitern, was bei der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zuungunsten eines Verurteilten, also bei einem rechtskräftigen ungerechtfertigten Freispruch, nach Bekanntwerden des Falles Frederike von Möhlmann, ja im Bundestag auch diskutiert wurde.

Umgekehrt kann der Gesetzgeber sich eben auch entschließen, bei Verurteilungen zu höheren Freiheitsstrafen erleichterte Wiederaufnahmen vorzusehen, wobei aber die bloße Existenz relativ leicht zu beschaffender bloßer Gegengutachten ohne Pflicht zur inhaltlichen Prüfung durch das Wiederaufnahmegericht wegen der damit verbundenen inflationären Gefahr von Wiederaufnahmen nicht ausreichen sollte.

Ob erleichterte Wiederaufnahmen nur für bestimmte Fälle dann noch „gerecht“ in Bezug auf Verurteilungen nur zu Geldstrafen oder kürzeren Freiheitsstrafen sind, ist eine andere Frage.


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08.12.2020 um 11:58
Zitat von AndanteAndante schrieb:Das ist eine Frage an den Gesetzgeber.
In der Tat. Das Wiederaufnahmegericht hat da laut Gesetz keinen Spielraum. Egal ob Bewährungsstrafe oder Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld - die Kriterien sind immer gleich.

Der einzige Spielraum ist - und ich gehe auch davon aus, dass der von den Gerichten genutzt wird - wie intensiv das Wiederaufnahmebegehren geprüft wird.


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08.12.2020 um 12:34
Zitat von monstramonstra schrieb:Hier gab es außer Habgier kein Motiv für eine Tötung. In dem Moment, in dem die Kammer überzeugt war, dass Herr G. die alte Dame getötet hat, konnte nur Habgier in Frage kommen.

Habgier war nicht Thema in den Urteilen.
Es handelte sich nach beiden Urteil um einen Streit (lt. Anklage um Geld, lt. Urteil um die Besuchsdauer) aus einer affektiven Situation heraus, der zur Körperverletzung führte, welche der Verurteilte mit dem Tötungsakt durch Ertränken verdecken wollte. Es handelte sich also um einen Mord zur Verdeckung einer anderen Straftat.
Heimtücke konnte nicht nachgewiesen werden. Habgier entfiel, da nicht nachweisbar.

Das Spannende ist in meinen Augen nicht die müßige Diskussion um den Streitgrund, sondern eher die Frage, ob das Mordmerkmal so zu Lasten des Verurteilten unterstellt werden durfte und ob das im Vergleich zu einer stringenten Tötungsabsicht nicht ein ungerechtfertigt hohes Strafmaß bedeutet.

Dem Täter in dem nachfolgenden Totschlagsfall konnte das Gericht keine Verdeckungsabsicht unterstellen, weil er allem Anschein nach konsequent eine Tötungsabsicht verfolgte, in dem Fall "Glück" für den Täter:

https://www.otv.de/amberg-prozess-um-getoeteten-lastwagenfahrer-urteil-ist-gefallen-451253/
"Der Gesetzgeber hat es noch nicht geschafft, die Vorschriften zu reformieren“, so die Richterin mit Blick auf die Paragraphen, die die Behandlung von Mord und Totschlag regeln.

Hätte der Lastwagenfahrer nicht von Anfang an vorgehabt, seinen Kollegen bei dem Streit zu töten, hätte der Mann wegen Mordes verurteilt werden können. Doch Zeugen gab es keine, der Angeklagte selbst äußerte sich kaum. Man könne „Beweise nicht durch Spekulationen ersetzen“, betonte die Landgerichtsvizepräsidentin. Es könnten immer nur Fakten die Grundlage eines Urteils sein.
Übertragen auf Manfred Genditzki hieße das, wenn dieser beispielsweise ausgesagt hätte, dass Frau K. ihn so beschimpft habe, dass er ausrastete und sie töten wollte, zuerst mit Schlägen und dann, als das nicht so recht klappte, mit Ertränken, hätte er nur um die 10 Jahre bekommen und wäre jetzt evtl. schon frei.

Ich hätte hier "nur" Totschlag angenommen, obwohl es vom Ablauf her natürlich Hinweise auf eine Verdeckungstat gibt.

Analog zu diesem Fall:

https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-rostock-12-5-jahre-haft-fuer-toetung-einer-rentnerin-in-guestrow-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200709-99-735491

Die Höhe der Strafe kommt mir hier im Vergleich zu einigen anderen Tötungsdelikten ungerecht vor, alles andere passt schon.


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08.12.2020 um 13:08
Zitat von PalioPalio schrieb:Habgier war nicht Thema in den Urteilen.
Stimmt, das war ja die Sache mit dem Geld, die dann nach nicht nachgewiesen werden konnte.
Zitat von PalioPalio schrieb:Übertragen auf Manfred Genditzki hieße das, wenn dieser beispielsweise ausgesagt hätte, dass Frau K. ihn so beschimpft habe, dass er ausrastete und sie töten wollte, zuerst mit Schlägen und dann, als das nicht so recht klappte, mit Ertränken, hätte er nur um die 10 Jahre bekommen und wäre jetzt evtl. schon frei.
In der Tat. Eine solche Überzeugung konnte sich aber bei Gericht mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht bilden. So war man dann von der Verdeckungsabsicht ausgegangen. Das ist immer ein bisschen ein "Notnagel", wenn die Motive unklar sind und sich Heimtücke nicht nachweisen lässt, objektiv aber ein zweistufiges Tatgeschehen (Körperverletzung ohne Tötungsabsicht + Tötung) gegeben sein soll.

Dazu hat man auch in diesem Fall gegriffen, weil sich sexuelle Motive nicht nachweisen ließen (aber anhand weiterer Beweise sehr stark vermutet werden konnten):

https://www.zeit.de/news/2019-09/18/urteil-im-mordprozess-um-tramperin-sophia-erwartet

Ob es sich um einen "Notnagel" oder "Kniff" handelt, weiß natürlich nur das erkennende Gericht, das ja versucht, die Schwere einer Tat einzuordnen. Ich glaube aber schon, dass die Strafandrohung die Wahl des Tatbestandes ein Stück weit mit beeinflusst, gerade wenn der objektive Fall das her gibt.
Zitat von PalioPalio schrieb:Die Höhe der Strafe kommt mir hier im Vergleich zu einigen anderen Tötungsdelikten ungerecht vor, alles andere passt schon.
Das hängt eben vom Nachweis der Mordmotive ab. Im Grunde ist Mord der Grundtatbestand. Und Totsachlag die Privilegierung, wenn keine Mordmerkmale nachgewiesen werden können.

Und angenommen, Herr G. hätte die alte Dame tatsächlich niedergeschlagen und perfide in der Wanne ertränkt, weil sie ihm auf die Schliche gekommen war, dass er Geld unterschlagen hat. Dann sähe das schon anders aus.

Ich persönlich glaube aber, dass das Gericht falsch liegt. Nicht, weil es G. keinesfalls gewesen sein könnte. Sondern weil ich die Beweise für zu schwach halte. Weder für die Körperverletzung noch für das Ertränken gibt es hinreichende Indizien. Stattdessen versucht das Gericht Annahmen aufzustellen, die in sich plausibel und schlüssig sind. Aber nicht zwingend. Und darauf gründet wieder neue Annahmen. Diese Kaskade von Annahmen, die sich genauso auch anders treffen ließen, hinterlassen bei mir ein ziemlich ungutes Gefühl.


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08.12.2020 um 15:00
Zitat von monstramonstra schrieb:Und angenommen, Herr G. hätte die alte Dame tatsächlich niedergeschlagen und perfide in der Wanne ertränkt, weil sie ihm auf die Schliche gekommen war, dass er Geld unterschlagen hat. Dann sähe das schon anders aus.

Auch da ist die Frage, warum die durchgehende Tötungsabsicht den Täter glimpflicher davonkommen lässt als den, der nochmal kurz nachdenkt, ob da noch was zu retten ist und beim Hausarzt anruft.

Speziell in diesem Fall erscheint es mir nicht gerecht, wenn die Zweistufigkeit MG zum Verhängnis wird, während der Gartenscherentäter eine weniger hohe Strafe bekommt.
Der hat ja auch perfide gehandelt.

Hätte MG statt der Badewanne einfach kurz entschlossen ein weiteres Mal den Kerzenständer genommen, hätte man keine Zweistufigkeit erkannt, Frau K. wäre ebenfalls tot, aber er hätte sich ca. drei Jahre ersparen können...


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08.12.2020 um 15:25
Zitat von PalioPalio schrieb:Speziell in diesem Fall erscheint es mir nicht gerecht, wenn die Zweistufigkeit MG zum Verhängnis wird, während der Gartenscherentäter eine weniger hohe Strafe bekommt.
Systematisch kommt es beim Verdeckungsmord ja nicht auf eine „Stufigkeit“ an.

Es ist egal, ob ich, wenn ich zwecks Diebstahls in Haus einbreche, von Anfang an vorhabe, den Hausbesitzer zu töten, falls der mich erwischt, und das dann auch so tue, oder ob ich eigentlich nur klauen will, der Hausbesitzer mich dann aber überraschenderweise erwischt und ich mich (erst) in diesem Moment entschließe, ihn zu töten, damit er mich nicht anzeigt. In beiden Fällen handelt es sich um die Tötung des Hausbesitzers zur Verdeckung des Diebstahls, also um Mord. Warum die zweite Variante vom Unrechtsgehalt her geringer sein soll, nur weil der Tötungsentschluss erst NACH Begehen der Verdeckungstat gefasst wurde, erschließt sich nicht so recht.

Man kann das Beispiel auch auf Vergewaltigungsfälle ausdehnen, dann wird es vielleicht noch plastischer. Der Täter hat von Anfang an vor, das Opfer nach der Vergewaltigung umzubringen, damit es ihn nicht anzeigen kann. Oder der Täter will „nur“ vergewaltigen, danach droht das Opfer ihn anzuzeigen, erst jetzt entschließt sich der Täter, das Opfer zum Schweigen zu bringen. Beide Male liegt Verdeckungsmord vor.

Im Gartenscherenfall bestand nach nicht widerlegter Angabe des Täters der Tötungsvorsatz zwar schon länger, es war kein spontanet Tötungsentschluss. Wann der Vorsatz gefasst wurde, ist nach den obigen Beispielen aber unerheblich, wenn kein Mordmerkmal nach § 211 StGB vorliegt. Es bleibt dann bei Totschlag, egal wie lange man als Täter den entsprechenden Vorsatz mit sich herumgetragen hat.


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08.12.2020 um 17:06
Zitat von PalioPalio schrieb:Auch da ist die Frage, warum die durchgehende Tötungsabsicht den Täter glimpflicher davonkommen lässt als den, der nochmal kurz nachdenkt, ob da noch was zu retten ist und beim Hausarzt anruft.
Es ist eben das Motiv:

1. Wer sein Opfer aus Wut schlägt, 10 Minuten liegen lässt, und es dann aus Angst vor Bestrafung erwürgt, der begeht einen Mord.
2. Und wer sein Opfer aus Wut erwürgt, der kann ggf. nur einen Totschlag begangen haben.

Es ist eine besonders verwerfliche Gesinnung, die hier den Totschlag zum Mord werden lässt. Und der Mord ist eine besonders verwerfliche Tötung.

Das muss man nicht für richtig halten. Die angewandten Normen sind von 1941. Mord ist die einzige Norm im StGB, in der die lebenslängliche Freiheitsstrafe zwingend angeordnet ist, es also keinen Spielraum für die Strafzumessung gibt. Das BVerfG hat deshalb 1977 verlangt, die Mordmerkmale restriktiv auszulegen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung ist dem nicht wirklich gefolgt (siehe Raserfälle).


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08.12.2020 um 18:54
Zitat von monstramonstra schrieb:Das BVerfG hat deshalb 1977 verlangt, die Mordmerkmale restriktiv auszulegen.
In dieser Entscheidung hat sich das Bundesverfassungsgericht allerdings nur mit den Mordmerkmalen „Heimtücke“ und „zur Verdeckung einer anderen Straftat“ befasst. Instanzgerichte stützen Verurteilungen wegen Mordes in Raserfällen daher ja bewusst (auch) auf das nicht täterbezogene, sondern tatbezogene Mordmerkmal „mit gemeingefährlichen Mitteln“.

Was das Mordmerkmal Verdeckungsabsicht betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht keine einzelfallbezogenen Feststellungen getroffen, sondern einen Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich die Instanzgerichte meist auch bewegen:
bb) Bei dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht geht der Gesetz- geber davon aus, daß der vom Täter verfolgte Zweck besonders mißbilli- genswert sei. Als typische Beispiele seien genannt: Tötung des Tatzeugen, um unentdeckt zu bleiben; Tötung des verfolgenden Polizeibeamten, um unerkannt zu entkommen (BGHSt 11, 268; 15, 291); Tötung des Tatop- fers, damit nicht durch dessen Schreie Dritte aufmerksam werden.

Als Taten, die verdeckt werden sollen, kommen nach der Aufhebung der Übertretungstatbestände nur Verbrechen und Vergehen in Betracht. Bei der verdeckten Tat braucht es sich jedoch nicht um eine eigene Tat des Mörders zu handeln, es genügt die Verdeckung einer fremden Tat (BGHSt 9, 180). [265]

Der Täter muß ferner gehandelt haben, um eine andere Tat zu ver- decken. Die Tötung muß dem Täter dabei als Mittel dienen, die andere Straftat zu verdecken, und darf nicht nur die Folgen eines anderen Mittels sein. Die Verdeckungsabsicht fehlt daher, wenn sich der Täter lediglich vor seinen Verfolgern in Sicherheit bringen will. So ist Unfallflucht für sich allein keine Verdeckungshandlung; wenn der Tod des Unfallopfers dabei lediglich als Folge vorausgesehen und gebilligt wird, erfüllt sie den Tatbestand des § 211 StGB nicht (BGHSt 7, 287).

Die Tötung, die eine andere Straftat verdecken soll, beruht auf einer Konfliktsituation des Täters. Eine mildere Beurteilung unter dem Ge- sichtspunkt der straffreien Selbstbegünstigung könnte hier naheliegen. Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, daß aus dem Verhalten des Täters nicht nur eine besonders niedrige Gesinnung erkennbar wird, son- dern auch eine hohe Gefährlichkeit. Die Tat wird dadurch charakterisiert, daß die Tötung eines Menschen als Mittel eingesetzt wird, die Aufklä- rung einer Straftat zu verhindern oder die Beute der Straftat zu erhalten, dh also zur Erreichung eines Zieles, das die Rechtsordnung an sich schon mißbilligt. Der Täter zeigt in einem solchen Verhalten eine besonders verwerfliche Gesinnung. Er schreckt nicht davor zurück, auch Menschen- leben zu opfern, sofern sie ihm bei der Durchsetzung seiner kriminellen Ziele im Wege stehen. Der mit der Tat verfolgte Zweck ist der Umstand, der die Tat von den üblichen Fällen des Totschlags abhebt und eine härtere Bestrafung nach der Mordvorschrift rechtfertigt.

An der Einstellung dieset Täter zeigt sich ein besonderes Übermaß egoistischer Bestrebungen. Zudem sind derartige Täter wegen ihrer kriminellen Energie überdurch- schnittlich gefährlich. Das gilt um so mehr, wenn es sich bei der zu ver- deckenden Tat um ein verhältnismäßig geringfügiges Delikt handelt (vgl. BGHSt 15, 291). Denn in diesen Fällen wird die Mißachtung des mensch- lichen Lebens bei der Verfolgung eigener Interessen besonders deutlich.

c) Die Anwendung der so interpretierten Norm des § 211 [266] StGB mag zwar in einzelnen Grenzfällen immer noch zu unverhältnismäßigen Härten führen. Der Senat ist allerdings der Meinung, daß dies für die im Vorlagebeschluß festgestellte Tötungshandlung nicht zutrifft. Es mögen aber immerhin noch Fälle erfaßt werden, denen nicht das Merkmal der besonderen Verwerflichkeit der Tat anhaftet, das einen lebenslangen Frei- heitsentzug als verhältnismäßig erscheinen läßt.



Quelle: https://www.jura.uni-bonn.de/fileadmin/Fachbereich_Rechtswissenschaft/Einrichtungen/Lehrstuehle/Stuckenberg/Materialien/UEbersicht____211_Verfgem.pdf



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Badewannenunfall von Rottach-Egern

08.12.2020 um 19:08
Nachtrag: Bei der kürzlichen Amokfahrt von Trier wird man mit täterbezogenen Mordmerkmalen wie niedrigen Beweggründen möglicherweise nicht weiterkommen, wenn der Beschuldigte sich zu seinen Motiven nicht äußert. Zu prüfen bleiben aber Heimtücke und gemeingefährliche Mittel.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

08.12.2020 um 19:29
Mir kommt hier im Fall von G. neben der verwerflichen Motivlage bei Verdeckung die demgegenüber stehende mutmaßliche heftige Gemütsbewegung bei akuter subjektiver Existenzbedrohung und die Gleichbehandlung mit anderen Tötungsdelikten ohne Verdeckungsabsicht zu kurz.
Der Amokfahrer ist in Bezug auf verwerfliche Motivation, kriminelle Energie und Gefährlichkeit noch eine andere Nummer.

@Andante @monstra

Stellt auch vor, die Mordmerkmale im Strafrecht wären abgeschafft.

Nun habt ihr über diese Fälle zu entscheiden: Genditzki, der Gartenscherentäter, der Todeskampf-Filmer und der Amokfahrer - Welches Strafmaß würdet ihr jeweils festsetzen, (vorausgesetzt ihr seid überzeugt, dass die Angeklagten das, was ihnen vorgeworfen wird, auch getan haben)?


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