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Welches Buch lest ihr gerade?

7.161 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Bücher, Lesen, Literatur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

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27.12.2020 um 18:36
Zitat von nairobinairobi schrieb:Da ich sehr krimiaffin bin, freue ich mich schon darauf
Ich bin das auch.
Welche Autoren liest du gerne?

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27.12.2020 um 18:54
Zitat von ummaumma schrieb:Welche Autoren liest du gerne?
Zuerst mal natürlich Agatha Christie. Außerdem Joy Fielding, Ruth Rendell, Patricia Highsmith, Dorothy Sayers, Minette Walters, Petra Hammesfahr (tolle deutsche Autorin, lebt bei Köln), Mary Higgins Clark (erst kürzlich verstorben), Elisabeth George, sind mir als Autorinnen eingefallen.
Einer meiner Lieblingsschriftsteller ist A.J. Cronin, auch mag ich Noah Gordon, Robin Cook, John Steinbeck. Dann Dashiell Hammett, Jeffrey Deaver, Rex Stout, Erle Stanley Gardner, Mario Puzo etc. pp.
Die sind mir jetzt mal auf die Schnelle eingefallen, da gibt es aber noch mehr.
Als Kind las ist viel von Enid Blyton.

Und Du ? Hast ja schon einige aufgezählt...


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27.12.2020 um 19:14
Zitat von nairobinairobi schrieb:Und Du ? Hast ja schon einige aufgezählt...
Oh wow!
Tolle Liste

Meine bevorzugten Krimiautorinnen sind:

Charlotte Link
Elisabeth Herrmann (z. T. tolle Verfilmungen ihrer Bücher)
Kate Morton (eigentlich keine Krimis)
Minette Walters!
Mary H. Clark
Elizabeth George

Ingrid Noll!

unbedingt auch Tess Gerritsen,
die recht drastisch aus dem Chirurgenmilieu schreibt

natürlich Joy Fielding!

Ich lese nicht gerne:

Sebastian Fitzek
Karin Slaughter


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27.12.2020 um 19:23
Ah, ich vergaß
Petra Hammesfahr

Sie schreibt ganz spezielle Bücher, sehr fesselnd.


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27.12.2020 um 20:19
Daniel Kehlmann - Tyll

Kehlmann-Tyll

Ein schwer zu fassendes Buch, bei dem sich immer wieder die Frage stellt: WHY? Nichts passt zusammen, es ist postmodern zusammengewürfelt, dennoch geschrieben, dass man es fast nicht weglegen kann. Doch wo ist er, der rote Faden? Eine mögliche Identifizierung mit Figuren ist es nicht. Sie kommen einem nahe, aber allen haftet etwas abstoßend Zynisches an.

Doch vielleicht ist genau das der rote Faden in diesem Buch, das seine stärksten Passagen in der Darstellung der Armut der Bauern und des Grauen des Dreißigjährigen Krieges hat.

Da ist der wissensdurstige Vater von Tyll, ein Müller, der wegen Hexerei hingerichtet wird.

Da ist die Reise des dicken Martin von Wolkenstein von Wien ins Kloster Andechs, um Tyll an den kaiserlichen Hof zu holen. Ab dem Innviertel sehen sie abgeholzte Wälder, und je weiter sie nach Westen ziehen, desto bedrückender wird die vom Krieg verwüstete Landschaft:
Um sie herum waren Baumstümpfe, Hunderte davon, hier war ein ganzer Wald abgeholzt worden. Sie kamen durch ein bis auf die Grundmauern niedergebranntes Dorf, und da sahen sie einen Leichenhaufen. Der dicke Graf wandte den Blick ab und sah dann doch hin. Er sah geschwärzte Gesichter, einen Rumpf mit nur einem Arm, eine zur Klaue gekrampfte Hand, zwei leere Augenhöhlen über einem offenen Mund und dort etwas, das wie ein Sack aussah, aber der Überrest eines Leibes war. Ein beißender Geruch hing in der Luft.
Da ist der Besuch Friedrichs von der Pfalz im Winterlager von Gustav Adolf. Die Beschreibung des Wegs durch das Lager:
Und dann hatte er sie durch die äußeren Kreise des Lagers in die inneren geführt. Während der Gestank, der doch schon derart pestilenzhaft gewesen war, dass man hätte glauben mögen, er könne nicht noch stärker werden, immer stärker wurde, kamen sie an den Planwagen des Trosses vorbei: Deichseln ragten in die Luft, kranke Pferde lagen auf dem Boden, Kinder spielten im Dreck, Frauen stillten Säuglinge oder wuschen Kleider in Zubern mit braunem Wasser. Das waren die käuflichen Soldatenbräute, aber es waren auch die Ehefrauen, mit denen so mancher Söldner reiste. Wer eine Familie hatte, brachte sie mit in den Krieg, wo sonst hätte sie bleiben sollen?

Da sah der König etwas Grausiges. Er blickte darauf, erkannte es erst nicht, es widersetzte sich gleichsam, aber wenn man länger darauf blickte, ordnete es sich, und man verstand. Schnell blickte er woandershin. Neben sich hörte er Graf Hudenitz stöhnen.

Es waren tote Kinder. Wohl keines älter als fünf, die meisten noch kein Jahr alt. Da lagen sie aufgehäuft und verfärbt, blonde, braune und rote Haare, und wenn man genau hinsah, stand manches Augenpaar offen, vierzig oder mehr, und die Luft dunkel von Fliegen.
Es ist das immer wieder aufblitzende Grauen, das die Frage stellen lässt: Was will Kehlmann?

Ein Charakterzug lässt sich an allen Hauptfiguren dieses nicht chronologisch geordneten Romans erkennen: Sie alle entscheiden spontan und Ich-süchtig.

Friedrich von der Pfalz: Er nimmt die böhmische Krone an, weil er König sein will.
Gustav Adolf: Er entscheidet, ohne nachzudenken, in den Krieg zu ziehen und handelt grausamst.

Und Tyll? Sein Leben als Gaukler ist eine Kette an Spontanentscheidungen. Die Flucht mit einem Bänkelsänger aus dem Heimatort, die Entscheidung diesen zu verlassen und mit dem Gaukler Pirmin zu ziehen, um zu lernen, und diesen zu ermorden, weil er hartherzig und grausam ist. Da sind die zynischen Spiele mit seinem Publikum (erstes Kapitel mit den Schuhen, die er ausziehen lässt, und um die beim Einsammeln die Dorfbewohner sich gegenseitig metzeln). Das ist keine positive Figur.

Es bleibt Liz, Elizabeth von Stuart, die Gattin Friedrichs von der Pfalz, die verzweifelt ihre Königswürde (obwohl sie als Winterkönigin ausgelacht wird) auch im Exil zu wahren versucht. Am Ende ist sie in Osnabrück, um für ihren Sohn die Kurfürstenwürde zu retten, und trifft auf einen alternden Tyll, ihren ehemaligen Hofnarren, der mit Dolchen jongliert. Sie bietet ihm einen Alterssitz in England an, Tyll lehnt ab, er will kein "Gnadenbrot". Liz geht auf die abendliche Straße und fängt mit ihrem Mund die fallenden Schneeflocken. Wie ein Kind.

Ist es ein Spiegel, den Kehlmann vorhalten will? Eine außer Rand und Band geratene zynische Ich-Zuerst-Gesellschaft, die nur eines zustandebringt: Verderben und Grauen?

Die Kritik hat den Roman überwiegend positiv aufgenommen:
ZEIT, FAZ, Der Standard, Deutschlandfunk, Literarischer Monat


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27.12.2020 um 22:57
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Darstellung der Armut der Bauern und des Grauen des Dreißigjährigen Krieges hat.
Ich habe das Buch vor längerer Zeit gelesen und konnte es in der Tat nicht unterbrechen.

Die zitierte Stelle aus deinem Beitrag ist mMn die Hauptintention des Autors.

Das Elend und die Not dieser Zeit darzustellen...das absolute Grauen... ein Sittengemälde...

Geschichtskenntnisse sind unbedingt notwendig zum Verständnis.
Das Buch macht es dem Leser nicht leicht.


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03.01.2021 um 13:52
Grundthemen der Literaturwissenschaft: Lesen

LesenOriginal anzeigen (0,2 MB)

Dies ist ein grundlegendes Werk der aktuellen Literaturwissenschaften im deutschsprachigen Raum zum Thema Lesen, die Beiträge stammen größtenteils von der Creme der deutschen Literaturwissenschaft. Dennoch stellt sich bei vielen Beiträgen die Frage: Was zum Teufel lese ich da?

Wenn ich nun ein Postulat hernehme, dass ein Text „umso lustvoller wirkt“ „je weniger Worte gebraucht werden, um eine bestimmte Informationsmenge zu vermitteln“ (Thomas Anz), dann verhalten sich die meisten Beiträge umgekehrt proportional. Alle scheinen nach einem gleichen Bauschema gestaltet zu sein:

- Ich packe den Text mit möglichst vielen Abstrakta und Fachwörtern voll.
- Ich zitiere möglichst viele grundlegende wissenschaftliche Werke.
- Ich zeige meine umfassende Belesenheit.

Damit werden die Texte sprunghaft und oberflächlich, noch dazu schwer zu lesen. Und manchmal werden nicht nur Banalitäten, sondern auch Unsinnigkeiten kaschiert.

Wenn zum Beispiel postuliert wird, dass „in den Mittelschichtmilieus der Teilmodernisierten“ gerne Perry Rhodan gelesen und in den „Milieus der Modernisierungsverlierer und Deklassierten“ zu „Geisterjägerromanen“ gegriffen wird (Jost Schneider), ohne auf irgendwelche empirische Daten zurückzugreifen, dann ist das Schwurbelei und nicht Wissenschaft.

Auch möge mir niemand mehr sagen, dass hinter „Gender Studies“ nicht ultrareaktionäre Ansichten fröhliche Urständ feiern können. So wird „Backfisch-Literatur“ (also Mädchenliteratur) gefeiert und das Wenigerlesen von Buben in der Pubertät darauf zurückgeführt, dass „Lesevorbilder … in der Regel Frauen“ seien und sich Buben daher von Lektüre distanzieren müssten. (Andrea Bertschi-Kaufmann und Natalie Plangger) Die Daten sind korrekt, die Interpretation basiert jedoch auf keinerlei Informationen, die ist dahergeschwurbelt.

Nach einer britischen Studie sollen regelmäßige Leser*innen von fiktiver Literatur eine höhere Lebenserwartung haben als Nicht-Leser*innen. Mindestens 30 Minuten pro Tag sei der Schwellenwert. (Elke Kronshage) Nicht erörtert wird dabei, ob es sich um eine Korrelation oder eine Kausalität handelt.

Nicht zu verstehen ist, warum manche Beiträger*innen „E-Book“ mit „E-Reader“ verwechseln (also die Datei mit dem Gerät).

Die interessanteren Aussagen muss man sich zusammenfischen, so die Geschichte des Lesens und der Texturen (Trägermaterialien) seit den Sumerern oder die Frage, warum das Lesen fiktiver Texte so attraktiv ist (Rezeptionsästhetik). Letzteres wegen der Möglichkeit, „Leerstellen“ aufzufüllen, wegen der „Flüchtigkeit und Ungenauigkeit der Vorstellungsbilder“. (Renate Brosch) Darum seien Literaturverfilmungen unbefriedigend, weil die Vorstellungsbilder vorgekaut sind. Literatur könne daher „als Trainingsfeld für interpersonale Kompetenz dienen“. (Renate Brosch)

Relativ stark empirisch gestützt ist auch der Teil über Leseerziehung. So gäbe es einen Leseknick bei 8-12-Jährigen, der auch darauf zurückzuführen sei, weil an Schulen zu wenig auf das Lesebedürfnis dieser Altersgruppe Rücksicht genommen wird. Studien hätten gezeigt, dass in diesem Alter Raum für „Tagträume und Phantasiereisen“ (Ulrike Preußer) geboten werden muss, der durch „phantastische Literatur oder Abenteuergeschichten“ ausgefüllt wird.

Auch müsse darauf geachtet werden, dass lautes und stilles Lesen nicht verflochten wird, da unterschiedliche Hirnregionen angesprochen werden. Ich kenne das noch aus meinem Schulunterricht: Was habe ich es gehasst, wenn ich was vorgelesen habe und im Anschluss gefragt wurde, was ich gelesen habe. Jetzt weiß ich, dass ich nicht blöd war, sondern völlig normal. Hingegen unterstütze das Vorgelesen-Werden von Texten das Erlernen von Textmustern und somit das Lesen-Lernen.

Was also ist Lesen? Jost Schneider definiert vier Niveaustufen:

Kompetenzniveau 1: Erkennen von Buchstaben und Wörtern (keine Schulbildung)
Kompetenzniveau 2: Gelernte Lesekompetenz vergessen (Entziffern von Wörtern)
Kompetenzniveau 3: Flüssiges Lesen von Alltagstexten (mittlere Schulbildung)
Kompetenzniveau 4: Teilnahme an gehobener Schriftkommunikation (höhere Schulbildung)

Niveau 2 geistert auch als „funktionaler Analphabetismus“ durch die Medien.

Die historische Verteilung der Lesekompetenzstufen in Deutschland wird in einer Grafik wiedergegeben:

Kompetenzen

Auf Kapitel über das digitale Lesen bzw. das Lesen von Nicht-Schrift gehe ich nicht ein. Erstere sind zum Teil sehr subjektiv geprägt, letztere (wie zum Beispiel über das „Lesen von Städten“ bei Barthes) zu spekulativ.


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03.01.2021 um 14:46
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Ich packe den Text mit möglichst vielen Abstrakta und Fachwörtern voll.
Das kann ich ja gar nicht leiden.
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:dann ist das Schwurbelei und nicht Wissenschaft.
Eben !
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Nach einer britischen Studie sollen regelmäßige Leser*innen von fiktiver Literatur eine höhere Lebenserwartung haben als Nicht-Leser*innen
Haha, made my day. Diese Erkenntnisse sind wahrscheinlich in einem Pub entstanden...
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Hingegen unterstütze das Vorgelesen-Werden von Texten das Erlernen von Textmustern und somit das Lesen-Lernen.
Durch das Zuhören, wenn jemand etwas vorliest, wird das unterstützt oder durch das eigene laute Vorlesen ?


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03.01.2021 um 14:51
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Alle scheinen nach einem gleichen Bauschema gestaltet zu sein:

- Ich packe den Text mit möglichst vielen Abstrakta und Fachwörtern voll.
- Ich zitiere möglichst viele grundlegende wissenschaftliche Werke.
- Ich zeige meine umfassende Belesenheit.

Damit werden die Texte sprunghaft und oberflächlich,
Da frage ich doch:
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:ob es sich um eine Korrelation oder eine Kausalität handelt.
Da ich literaturwissenschaftliche Texte kenne, die obige Kriterien erfüllen, aber dennoch nicht sprunghaft und oberflächlich sind, würde ich auf Korrelation setzen...


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03.01.2021 um 15:18
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Die historische Verteilung der Lesekompetenzstufen in Deutschland wird in einer Grafik wiedergegeben:
Grafiken wirken immer sehr wissenschaftlich. Darf man fragen, auf welcher empirischen Grundlage die prozentuale Verteilung der Lesekompetenz in der Bevölkerung im 17. 18. und frühen 19. Jahrhundert festgestellt wurde?


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03.01.2021 um 15:41
Zitat von nairobinairobi schrieb:Durch das Zuhören, wenn jemand etwas vorliest, wird das unterstützt oder durch das eigene laute Vorlesen
Durch das Zuhören. Da gab es Studien mit Kindern.
Zitat von KimByongsuKimByongsu schrieb:Darf man fragen, auf welcher empirischen Grundlage die prozentuale Verteilung der Lesekompetenz in der Bevölkerung im 17. 18. und frühen 19. Jahrhundert festgestellt wurde
Jost Schneider nennt Reinhard Wittmanns Geschichte des deutschen Buchhandels aus dem Beck-Verlag. Mehr nicht. Aber Schneiders Beitrag ist, was Quellenangaben betrifft, erschreckend schlecht ausgestattet (das ist der mit den "Geisterjägerromanen").


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03.01.2021 um 16:27
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Durch das Zuhören. Da gab es Studien mit Kindern.
Unsere Eltern/Mutter lasen uns früher viel vor. Wir merkten es sofort, wenn sie abkürzen wollten und etwas anders vorlasen als sonst ...


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03.01.2021 um 23:02
Thomas Glavinic - Der Corona-Roman

Glavinic-Coronaroman
Bild: Infografik WELT

Von 19. März bis 20. April 2020 veröffentlichte der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic einen Corona-Text in 26 Teilen in der WELT. Da sich außer dem ersten Teil alle weiteren hinter einer Paywall befanden, habe ich mir sogar ein E-Abo zugelegt. Da der Text eher stärkerer Tobak ist, habe ich ihn mir zusammenkopiert und zu einem E-Book mit 26 Kapiteln zusammengestellt, dem ich mich heute Abend gewidmet habe.

Das Ich dieses Tagebuchromans ist ein Alter Ego von Glavinic: schwer depressiv, auf Antidepressiva angewiesen, hypochondrisch, zurückgezogen in einer kleinen Wohnung lebend, vom Gerichtsvollzieher bedroht, pleite.

Alter Ego? Glavinic ist ein Bestseller-Autor! Nur leider wirklich schwer depressiv, und nach einer selbst eingeleiteten Scheidung hat er die Kontoführung seiner Ex-Frau überlassen, und die hat zwei Jahre lang vergessen, das Geld für Steuer, Sozialversicherung, fixe Ausgaben (50 % des Einkommens) auf ein zweites Konto zu legen, und Glavinic hat alles Geld vom ersten verbraucht, ohne je zu kontrollieren, ob alles stimmt. Am Ende stand er mit riesigen Schulden da, auch bei Finanz und der Sozialversicherung für Künstler. 2019 hat er sich diesbezüglich sehr offen geoutet (WELT - hinter Paywall).

Also zum Corona-Roman. Er ist ein Mix aus Reflexionen über die Befindlichkeiten des Ich-Erzählers, der Beobachtung des Infektionsszenarios und der wirtschaftlichen Entwicklung (vor allem in Bezug auf Arbeitslosigkeit) und einer Einschätzung der gesellschaftlichen Auswirkung der Gesamtsituation. Auffällig dabei ist, dass Gewaltfantasien eine immer größere Rolle spielen, je länger der Lockdown und damit die Isolation dauert. Zu Beginn wird noch beschrieben, wie Geld für den Lieferanten in ein Kuvert gegeben wird und beim Apotheker Einweghandschuhe verwendet werden. Am Ende wird über Idioten, Nicht-Idioten, Amokläufe, Massen- und Serienmord sinniert.

Zu Beginn bereits werden die Statistiken und die extrem hohen Todesraten beobachtet und es wird konstatiert, dass die Pandemie für viele sehr ungemütlich werden könnte, nicht nur für die Alten. Einige Wochen später, Mitte April, verstören ihn immer noch die enormen Todeszahlen in Italien, Spanien, Frankreich, den Niederlanden und er äußert die Befürchtung, dass eine zu frühe Lockerung auch in Deutschland und Österreich zu einem "Gerontozid" führen könne. Wenn ich mir die Übersterblichkeitszahlen für Österreich für November und Dezember ansehe: so unrecht hat er nicht mit seiner Befürchtung.

Bei manchen Beobachtungen bleibt einem fast der Atem weg:
In Madrid musste vor zwei Tagen eine Eishalle zum Leichenhaus umfunktioniert werden, weil die Zahl der Toten dramatisch gestiegen war. In mehreren Altenheimen stießen Soldaten auf verwirrte Bewohner, die schon vor einigen Tagen sich selbst überlassen worden waren, und in vielen Betten lagen bereits Leichen.

Man muss sich vor Augen führen, was das heißt. Menschen, die zu uns gehören, die bloß ein wenig früher zu leben begonnen haben als wir, werden von den Jungen schon in diesen ersten Tagen einer Weltkrise aussortiert bzw. zum Verhungern und Verdursten zurückgelassen. Die Tatsache, dass manche von uns schon nach einer Woche Ausnahmezustand begonnen haben, die Humanität zu begraben, könnte ein Zeichen dafür sein, dass neben unserer Gesundheit auch unsere Würde auf dem Spiel steht.
Eine der Ursachen, oder die Ursache für Glavinic, dessen Alter Ego eigentlich total zurückgezogen lebt, ist das Ende aller sozialen Bindungen, durch die Pandemie aber auch durch die Maßnahmen:
Der Mensch reduziert sich gerade auf die Einzelheit.
Sehr angewidert stellt er sich auch gegen das Konzept der Herdenimmunität, die zwar erreicht werden könne, aber möglicherweise nicht lebend.
Boris Johnson [...] setzt auf Herdenimmunität, die erreicht wird, wenn etwa zwei Drittel der Bevölkerung die Krankheit hatte, aber nicht mehr hat, was die Möglichkeit einschließt, dass sie gelebt hat, aber nicht mehr lebt.
Sehr präzise vorausblickend sieht er einen aufkommenden Widerstand gegen die Maßnahmen, vor allem die Argumentation, wie sie augenblicklich aktuell ist:
Ich fürchte, irgendwann könnten die ersten Menschen nicht ganz zu Unrecht auf die Idee kommen, die soziale Distanzierung als Hausarrest zu empfinden und, unterstützt von Verfassungsrechtlern und manchen Medien, damit beginnen, sich den Beschränkungen zu widersetzen. Je mehr Menschen die Straßen in Besitz nehmen, je mehr Restaurants und Geschäfte unerlaubt öffnen würden, desto schwieriger würde die Lage der Sicherheitsorgane.
Solche Passagen machen eine "verspätete" Lektüre noch interessanter. Selbst die Verschwörungstheorie bezüglich "Microsoft", wie er noch schreibt, wird im April von ihm dokumentiert. In dem interessanten Zusammenhang, dass das Alter Ego offen gesteht, so manchen Verschwörungstheorien selbst nachgehangen zu sein, selbst ein "Idiot" gewesen zu sein.

Ich hoffe, Glavinic erfängt sich wieder, denn ich halte ihn durchaus für einen Autor mit nicht versiegtem Potenzial an Fantasie, mit ausgeprägter Beobachtungsgabe und weitsichtiger Reflexion.


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04.01.2021 um 09:26
Danke
für diesen hoch interessanten Beitrag. Er lässt mich erneut über eine
Situation nachdenken, in der die ganze Welt steckt und die ich niemals für möglich gehalten hätte.

Manchmal denke ich: „Warum musste ich noch so etwas erleben?“
Diese Frage allerdings ist ungerecht. ALLE Menschen erleben das.

Zum Autor:
Ich kann mir vorstellen, welch schlimme Auswirkungen die Pandemie auf Depressive hat.
Einige Passagen:

„Rückzug auf die Einzelheit“
Das stimmt im Grunde, das sehe ich persönlich positiv.
In meinen Worten:
„Rückzug auf das Wesentliche“

Wir sollten mal überlegen, was man im Leben wirklich braucht. Sind Urlaubsreisen, Parties, ungehemmter Konsum etc. lebensnotwendig? Müssen die Skipisten gestürmt werden? Werden wir nicht automatisch zurück geworfen auf eine Nachkriegssituation?
Geht es nicht auch MINIMALER?

KONTAKTE kann ich haben dank der modernen Medien zuhauf, wünschte ich dies. Ich bin virtuell in vielen Wohnzimmern.

Die Situation in z. B. spanischen Heimen und italienischen Krankenhäusern war allgemein bekannt. Als ich im März die Bilder im TV sah, weinte ich.

Aber „Genozid“..... falscher Ausdruck.

Für mich unerträglich die Passage, wo er den Widerstand mancher z. T. erklären möchte, sinngemäß: „...nicht ganz zu Unrecht auf die Straße gehend....“

Er sollte seinen Einfluss als Bestseller!autor mMn nutzen, um den Staat mit seiner für uns Bürger hilfreichen Vorgehensweise zu unterstützen!
Ich spreche primär für D, in Ö bin ich nicht gut informiert.

Eine Hilfe für den vom Gerichtsvollzieher bedrohten Mann:

Ganz sicher mangelt es auch in Ö an Helfern in den Altenheimen, auch beim Impfen!
Er könnte sich freiwillig melden.
Diese Jobs werden hier in D durchaus auch vergütet.

Sein allergrößter Fehler:

Wie konnte er nur auf die Idee kommen, die Kontoführung seiner (Ex-)frau zu überlassen - ohne Kontrolle?!

Das ist für mich ganz unverständlich und unentschuldbar.
Ich weiß, ich maße mir ein Urteil an, das mir nicht zusteht.

Ich wünsche allen Mitlesern vor allem Gesundheit!
Ein reger Geist hilft uns GsD auch in der Pandemie.


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04.01.2021 um 10:30
Zitat von ummaumma schrieb:Aber „Genozid“..... falscher Ausdruck.
Er schreibt von "Gerontozid" (Tötung der Alten).
Zitat von ummaumma schrieb:Ich spreche primär für D, in Ö bin ich nicht gut informiert.
Die Covid-Verordnungen des österreichischen Gesundheitsministeriums vom Frühjahr sind in Österreich vom Verfassungsgerichtshof kassiert worden. Alle Strafen waren unrechtmäßig. Das konnte Glavinic noch nicht wissen.


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04.01.2021 um 10:42
Zitat von NarrenschifferNarrenschiffer schrieb:Er schreibt von "Gerontozid" (Tötung der Alten).
Oh ja, Entschuldigung, ich wollte das auch zitieren, habe nicht genau hingesehen.


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04.01.2021 um 18:31
In SWR 2 wurde heute Morgen im Autoradio ein Buch vorgestellt unter dem Motto "Corona-Bibliothek". Es ging um Johanna die Wahnsinnige, die mit Philipp dem Schönen verheiratet war. Sie war die Tochter von Isabella der Katholischen. Eigentlich war sie gar nicht wahnsinnig. Sie wurde aber von ihrer strengen Mutter so kontrolliert und gegängelt und mit der Religion genervt, dass sie immer mal wieder einen Ausraster bekam.
Leider konnte ich zu dem Buch auf der Seite nix finden. Komisch...

https://www.swr.de/swr2/literatur/corona-bibliothek-102.html


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04.01.2021 um 19:05
Zitat von GrouchoGroucho schrieb am 23.12.2020:Ach ja, eines noch: In den meisten unserer Bücherregale stehen sie mittlerweile zweireihig.
In dem einen frei stehenden Regal ist das unproblematisch, da man von beiden Seiten die Buchrücken sehen kann, aber in anderen sieht man die zweite Reihe gar nicht mehr und da wird es dann manchmal schwierig ein Buch wieder zu finden.
Das Problem habe ich aktuell auch schon - wobei ich mir selbst immer schmackhaft mache, das mein Bücherregal eben einfach zu klein ist *online shop* :D
Die Idee mit dem beidseitig begehbaren Bücherregal ist genial Oo das ich da selbst nicht drauf gekommen bin.

So heute angefangen:

CYMERA 20210104 190409Original anzeigen (1,4 MB)

Muss ich glaub ich nicht viel zu sagen, Titel erklärt sich selbst.
Bis jetzt interessant


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05.01.2021 um 00:43
Das Schloß der Dämonen (Professor Zamorra 1)

Zamorra-1

Zurück ins Jahr 1974 und zum ersten "Geisterjäger"-Roman der Zamorra-Serie. Trash der "Modernisierungsverlierer", wie ich unlängst gelernt habe. Autorin war übrigens eine Frau: Susanne Wiemer (Wikipedia).

Diese Heftromanserie hat bis heute überlebt und das Strickmuster ist: Professor Zamorra ist im Besitz eines sarazenischen Amuletts aus dem Jahr 1099, mit dem er alle Mächte der Finsternis besiegen kann. Wie bei Jerry Cotton ist jede Geschichte in sich abgeschlossen, und man weiß von Haus aus, wer gewinnen wird. Der Grusel muss also über die Story vermittelt werden. Scheint zu funktionieren, ansonsten wäre die Serie irgendwann abgebrochen worden.

Dieser Initialroman erzählt die Geschichte, wie der New Yorker Professor für Parapsychologie und Telepathie zum Amulett kommt. Er erbt ein Schloss im Tal der Loire, das Chateau Montagne. In dessen Kellergewölben gibt es eine Kammer mit mörderischen Feuerdämonen, die nur durch das Kreuzzeichen bzw. das Amulett gebannt werden können.

Ein Bösewicht mit brutalem Diener (Dr. Arcaro Ramondo mit dem taubstummen Hünen Acharat) wohnt in einer Villa gegenüber dem Schloss, möchte als eine Art Frankenstein Tote zum Leben erwecken und erfährt vom Amulett. Er dringt ins Schloss ein, foltert dessen Besitzer Louis de Montagne, dringt in die Kammer ein, entkommt gerade noch, aber Louis wird von den Dämonen getötet. Und Zamorra erbt.

Damit ist Raum frei für den Showdown zwischen Zamorra und Ramondo. Selbes Spiel: Folterkammer, Geisterkammer. Doch Zamorra hat bereits das Amulett in der Bibliothek gefunden, Ramondo und Acharat kommen elendiglich ums Leben, Zamorra lässt alle Feuerdämonen zu Staub zerfallen (keine Gnade, ein Unterwerfungsangebot der Dämonen wird abgelehnt).

Eine Frau darf übrigens auch nicht fehlen, die Assistentin Zamorras, Nicole Duval (jung, klug, sexy). Sie wird von Ramondo kurzfristig per Hypnose in seine Gewalt gebracht. Aber man weiß eh: ihr passiert nichts. So ist es auch.

Die Story ist nicht sonderlich aufregend, sondern eher überkandidelt und eigentlich sehr unmotiviert, eher wie ein Comic (alles und jeder ist einfach da). Aber mit Zamorra, dem Amulett und Nicole ist die Basis für weitere Geschichten gelegt.


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05.01.2021 um 04:45
Tanz mit dem Schafsmann von Haruki Murakami


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