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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

6.090 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Psiram, Deutsches Reich, Reichsbürger ▪ Abonnieren: Feed E-Mail

Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 08:34
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:Viele dieser Menschen sehen schlicht keine Selbstwirksamkeit mehr.
Sie erleben den Staat nicht als etwas, das mit ihrem Leben zu tun hat, sondern als etwas, das über sie hinweg entscheidet.
Klar. Aber sie nutzen nicht die Möglichkeiten, die man in dem Fall hat. Weil diese mit Arbeit verbunden sind.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:oft ist es einfach die Folge von jahrelanger Enttäuschung und Erfahrung mit einem System, das als abgehoben und bürokratisch wahrgenommen wird
Und das entscheidenden Wort ist "wahrgenommen". Ich fühle etwas und darauf baue ich meine Entscheidung auf. Das ist angenehm und bequem. Aber es macht mich sofort zum Opfer der Populisten.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:Dieses Gefühl kommt meiner Meinung nach nicht primär von Populisten – die nutzen es nur aus.
Na ja, sie schaffen diese Gefühle. Und dann nutzen sie sie aus.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:aber nicht gut gemacht, kommunikativ katastrophal.
Kommunikation hat aber immer zwei Seiten. Eigentlich war es leicht verständlich - wenn man nicht die Bild als Informationsquelle nutzte.
Die Frage ist, wie viel kann man von einem mündigen Bürger an Informationsinitiative erwarten.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:Wenn man Politik so gestaltet, dass man die Leute unterwegs verliert, braucht es oft gar keine Populisten mehr. Die Politik erledigt sich in den Köpfen vieler von selbst.
Man verliert die Menschen aber erst, wenn diese die angenehmen Antworten wollen. Die bekommt man bei schwierigen Problemen halt nicht.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:Sie erklärt sich selbst – durch Wirkung, durch Nachvollziehbarkeit, durch eine Sprache, die nicht nur für Akademiker funktioniert.
Ich empfinde die Sprache - gemessen an der Komplexität der Umstände - als doch sehr einfach. Man kann halt auch nicht ein komplexes Problem beliebig vereinfachen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb am 06.06.2025:Verlässlichkeit statt Wankelmut,
Orientierung statt PR-Kampagnen,
Verantwortung statt Schuldzuweisungen.
Auch unangenehme Wahrheiten aussprechen
Genau das wird bestraft. Wer will schon unangenehme Wahrheiten hören. Und die Schuldzuweisungen werden belohnt.

Das mit der "Verlässlichkeit" ist so eine Sache. Wenn die Umstände sich ändern, ist es dann besser, an einer Sichtweise festzuhängen? Oder sie den Umständen anzupassen?


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 08:36
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:sind ja gerade keine exklusiven Merkmale eines autoritären Systems. Im Gegenteil: Sie sind das, was eine gesunde Demokratie eigentlich leisten muss, wenn sie ernst genommen werden will.
Das ist absolut richtig. Das ist der Idealzustand einer aufgeklärten Gesellschaft.

Das setzt aber voraus, dass die Bürger das rational bewerten. Was aber nicht geschieht, wenn man den bauch sprechen lässt. Genau hier setzen die Populisten an. Sie verdrängen die unangenehmen Wahrheiten mit den angenehmen Lügen. Und gewinnen damit.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 12:11
Danke für deine ausführliche Replik – da ist vieles drin, dem ich zustimme.
Trotzdem möchte ich auf ein paar Punkte eingehen, die aus meiner Sicht zu kurz greifen oder an der Oberfläche bleiben.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Klar. Aber sie nutzen nicht die Möglichkeiten, die man in dem Fall hat. Weil diese mit Arbeit verbunden sind.
Das stimmt in vielen Fällen. Aber die Frage ist doch: Warum erscheint der Aufwand für demokratische Teilhabe manchen Menschen so hoch, dass sie sich lieber einem Fantasiekonstrukt wie dem »Königreich Deutschland« anschließen?
An dem Punkt reicht es nicht, ihnen Bequemlichkeit zu unterstellen.
Da geht es um verlorenes Vertrauen, soziale Isolation, und nicht zuletzt um eine politische Sprache, die viele schlicht nicht mehr verstehen oder ernst nehmen.
Demokratie funktioniert nur, wenn man sich in ihr wiederfindet. Wenn das dauerhaft ausbleibt, wird der Rückzug zur »Arbeitserleichterung«.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Und das entscheidenden Wort ist »wahrgenommen«. Ich fühle etwas und darauf baue ich meine Entscheidung auf. Das ist angenehm und bequem. Aber es macht mich sofort zum Opfer der Populisten.
Ja – das ist der Mechanismus.
Aber genau deshalb müssen wir die Wahrnehmung ernst nehmen, nicht nur den kognitiven Irrtum.
Populismus wirkt, weil er emotional andockt. Wer nur rational dagegenhält, verfehlt das Spielfeld, auf dem gerade gespielt wird.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Na ja, sie schaffen diese Gefühle. Und dann nutzen sie sie aus.
Ich würde sagen: Sie verstärken bestehende Gefühle, sie kanalisieren sie – aber sie erschaffen sie nicht aus dem Nichts.
Ohne ein fruchtbares Klima der Entfremdung hätten Reichsbürger oder das KRD keine Chance.
Der Boden ist da – der Populist ist der Gärtner, nicht der Regen.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Kommunikation hat aber immer zwei Seiten. Eigentlich war es leicht verständlich - wenn man nicht die Bild als Informationsquelle nutzte.
Die Frage ist, wie viel kann man von einem mündigen Bürger an Informationsinitiative erwarten.
Auch das ist richtig – aber wir sollten nicht unterschätzen, wie viel »Unmündigkeit« systemisch erzeugt wird.
Ein überforderter Sozialstaat, Formulare in Amtsdeutsch, ewige Warteschleifen, gestreamlinete Politikerstatements – das sind keine Einzelfälle, sondern Alltag.
Was hilft es, wenn ein Gesetz gut gemeint ist, aber der Kommunikationsweg daran scheitert, dass sich Menschen weder angesprochen noch gemeint fühlen?
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Das mit der »Verlässlichkeit« ist so eine Sache. Wenn die Umstände sich ändern, ist es dann besser, an einer Sichtweise festzuhängen? Oder sie den Umständen anzupassen?
Natürlich nicht.
Aber Verlässlichkeit heißt nicht Starrsinn, sondern: Ich weiß, woran ich mit einer Person oder Institution bin.
Wenn sich Standpunkte ändern, dann bitte nachvollziehbar, begründet und ohne PR-Spin.
Politik darf sich wandeln – sie muss es sogar. Aber sie sollte dabei nicht beliebig wirken.

Fazit:
Populismus ersetzt anstrengende Wahrheiten durch einfache Erzählungen.
Aber die Frage ist nicht nur, warum das funktioniert – sondern:
Was macht unsere politische Kultur so anfällig dafür?
Wenn Demokratie nicht verständlich, erfahrbar und zugänglich bleibt, wird sie nicht durch einen Sturm von außen gefährdet – sondern durch schleichende Entleerung von innen.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 14:54
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber die Frage ist doch: Warum erscheint der Aufwand für demokratische Teilhabe manchen Menschen so hoch, dass sie sich lieber einem Fantasiekonstrukt wie dem »Königreich Deutschland« anschließen?
An dem Punkt reicht es nicht, ihnen Bequemlichkeit zu unterstellen.
Es ist halt eine psychologische Frage. Und eine evolutionäre. Menschen sind faul. Weil Engagement mehr Energie verbraucht und Energieverbrauch einen Nutzen haben muss.
Wenn ich (subjektiv) das selbe Ergebnis mit einfacheren Mitteln erreiche, dann wähle ich die einfacheren Mittel. Die Frage ist hier, warum die Menschen denken, dass es das selbe Ergebnis sei. Hier kommt dann eine weiteres psychologisches Merkmal zum Tragen: Verdrängung.
Und zusätzlich die Überschätzung der eigenen Kenntnisse. Das in Kombination führt zu diesem Zustand.

Wie war es denn früher? Nun früher (z.B. Mitte letztes Jahrhundert) waren die Leute weniger gebildet und hatten weniger Zugang zu Informationen. Die "politische Sprache" war ihnen noch fremder. Es gab einen noch größeren Abstand zwischen "denen da oben" und "denen hier".
Warum funktionierte Demokratie besser? Weil die Leute (über die Gründe kann man trefflich spekulieren) ihr eigenes Unvermögen besser eingeschätzt haben. Sie hatten gar nicht so sehr das Bedürfnis, das besser verstehen zu wollen und haben Dinge eher akzeptiert.
Das hat auch so seine Nachteile, das geht mit einer gewissen Obrigkeitshörigkeit einher.

Aber es ist eben auch nicht besser, nur scheinbar etwas zu verstehen und darauf dann eine Meinung zu bilden. Und nun muss ein Springer-Medium (Beispiel) nur diesen Fehlschluss aufgreifen und verstärken. Das Ergebnis ist:
Experten, die nicht verstehen, warum plötzlich die Leute eine korrekte Sichtweise ablehnen. Und Wähler, die nicht verstehen, warum die Politiker an einer in ihrer Wahrnehmung falschen Sichtweise fest halten. Sie wenden sich dann enttäuscht von den "Lügnern" ab.

Diese Diskrepanz und deren Folgen sieht man - in verstärkter Form - bei den Reichsbürgern und anderen VT-Gläubigen. und etwas weniger dramatisch bei uns allen. Wir neigen alle dazu, unsere Kompetenz zu überschätzen und neigen dazu, uns über abweichende Sichtweisen zu amüsieren - auch wenn diese eigentlich richtig wären.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber genau deshalb müssen wir die Wahrnehmung ernst nehmen
Aber wie willst Du denn eine so falsche Sichtweise ernst nehmen? Was kannst Du machen, außer - so klar und einfach wie möglich - die Sache richtig zu erklären? Du kannst doch niemandem Erkenntnis aufzwingen.
Wenn das schon nicht bei den Reichsbürgern funktioniert, wo es quasi offensichtlich dummes Zeug ist - wie dann in den "normalen Bereichen" der Demokratie, die durchaus weniger offensichtlich sind?
Du hast ja inhaltlich recht - aber wie ich finde, nur auf einer theoretischen Ebene. Auf einer Ebene, in der man die psychologischen Gegebenheiten nicht mit einbezieht.
Ich wünsche mir auch, dass Menschen auf einer grundlegenden Ebene vernünftig wären. Dass man Menschen mit guten Argumenten besser erreicht, als mit Wohlfühllügen. Aber so ist nicht die Realität. Schau Dir die ganzen Trump-Wähler an.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:aber sie erschaffen sie nicht aus dem Nichts
Sie erschaffen Ängste. Und dann liefern sie auch gleich die Lösung für die Ängste. Und wenn beides gelogen ist, spielt das leider keine Rolle.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:das sind keine Einzelfälle, sondern Alltag.
Aber was willst Du machen? Komplexe Systeme kann man nicht beliebig vereinfachen. Je gerechter ein System sein soll, desto komplexer muss es sein und desto schwerer ist es zu verstehen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Was hilft es, wenn ein Gesetz gut gemeint ist, aber der Kommunikationsweg daran scheitert, dass sich Menschen weder angesprochen noch gemeint fühlen?
Das ist auch unbestreitbar. Aber wenn die Menschen statt "ich verstehe das Gesetz ich, ich informiere mich oder lasse es mir erklären" sagen, sagen sie: "ich verstehe es nicht, es ist scheiße".
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Populismus ersetzt anstrengende Wahrheiten durch einfache Erzählungen.
Genau.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber die Frage ist nicht nur, warum das funktioniert – sondern:
Was macht unsere politische Kultur so anfällig dafür?
Diese Frage ist ja leicht zu beantworten. Es ist eine Frage der menschlichen Natur.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Wenn Demokratie nicht verständlich, erfahrbar und zugänglich bleibt
Wann war sie denn zugänglicher als gerade heute? Nie war es leichter, Politik zu verstehen.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 15:15
Verlieren wir bei dem Hype um Fitzek aber nicht Strömungen wie die Reichsdeppentruppe um Prinz Reuß aus dem Blick.
Die funktionieren etwas anders.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 16:28
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Was kannst Du machen, außer - so klar und einfach wie möglich - die Sache richtig zu erklären? Du kannst doch niemandem Erkenntnis aufzwingen.
Um das Populistische System zu schützen werden gleich die entsprechenden Werkzeuge mitgeliefert, d.h. unerwünschte Tatsachen - Fakenews, (Lügenpresse, bezahlte NGO's, feindliche Agenten)


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

10.06.2025 um 16:48
Zitat von hiddenhidden schrieb:Um das Populistische System zu schützen werden gleich die entsprechenden Werkzeuge mitgeliefert, d.h. unerwünschte Tatsachen - Fakenews, (Lügenpresse, bezahlte NGO's, feindliche Agenten)
Das ist eben der "Trick" auch der dümmsten VT. Egal wie gut oder vernünftig eine Erklärung ist, sie kann gar nicht funktionieren. Sie könnte erst funktionieren, wenn der "Verlorene" ganz grundsätzlich bereit wäre, seine Wahrheit einer Prüfung zu unterziehen. Aber das muss er ja nicht, weil es doch wahr ist.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

11.06.2025 um 12:49
Das Ganze liegt schon mehr als einen Monat zurück, aber ich denke, von der Reichsdeppen-Gruppierung "Vereinte Nation wenea" werden wir sicher bald mehr hören. Mir war sie bislang noch nicht untergekommen.

Nach einem Tipp fand die Polizei unter einer Gewerbehalle einen Bunker mit Waffen. Näheres zu dem Inhaber ist noch nicht durchgesickert.

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Lohne-Mutmasslicher-Reichsbuerger-Ermittler-bekamen-Hinweis,reichsbuerger636.html
Durch den Hinweis sei der 57-Jährige in das Visier der Ermittler geraten, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Osnabrück dem NDR Niedersachsen am Donnerstag. Nach Angaben der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim durchsuchten Fahnder Anfang Mai das Wohnhaus und ein Gewerbegrundstück des Mannes. Dabei entdeckten sie laut Polizei eine Bunkeranlage, Munition und Kriegswaffen. Dem Sprecher der Staatsanwaltschaft zufolge handelt es sich um einen unterirdischen, selbst gebauten und sehr großen Bunker. Eine Quadratmeterzahl konnte der Sprecher auf Nachfrage nicht nennen. Wer den Bunker gebaut hat, ist laut Staatsanwaltschaft und Polizei unklar.

Die Polizei ermittelt nun wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz gegen den 57-Jährigen. Ein Richter hat Haftbefehl gegen den Mann erlassen. Eine Untersuchungshaft wurde gegen eine Meldeauflage außer Vollzug gesetzt, wie die Polizei mitteilte. Bei der Durchsuchung habe der Mann keinen Widerstand geleistet, so die Staatsanwaltschaft.



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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

11.06.2025 um 17:05
@azazeel
Du bringst eine Reihe wichtiger psychologischer Aspekte auf den Tisch – insbesondere Verdrängung, kognitive Verzerrung, energetische Sparsamkeit im Denken.
Da stimme ich zu: Ja, der Mensch neigt zur Vereinfachung. Ja, viele wollen einfache Antworten auf komplexe Verhältnisse.
Aber genau deshalb halte ich es für gefährlich, das Problem auf die Formel »menschliche Natur« zu verkürzen.

Denn wenn man sagt: »Menschen sind halt so«, dann entpolitisiert man das Problem.
Dann ist es plötzlich nicht mehr eine Frage von Bildung, sozialer Teilhabe oder politischer Kommunikation – sondern eine anthropologische Konstante.
Und das führt letztlich zu Resignation.

Ich will nicht idealistisch verklären, aber ich glaube:
Es gibt Spielräume. Und es gibt Verantwortung – auch für das System selbst.

Du fragst:
Aber wie willst Du denn eine so falsche Sichtweise ernst nehmen?
Ganz einfach: Indem ich sie nicht in der Aussage, sondern in ihrer Entstehung ernst nehme.
Ich kann anerkennen, dass jemand auf Basis seiner Erfahrungen und Informationen zu einer kruden Weltsicht gelangt ist –
ohne deshalb die Weltsicht zu übernehmen.
Wer nur die Meinung bekämpft, aber nicht die Erfahrungsgrundlage hinterfragt, wird niemanden erreichen.

Das bedeutet nicht, dass man jede Meinung gleichwertig behandeln muss. Aber es bedeutet, nicht vorschnell abzuwerten.
Denn genau aus dieser Abwertung entsteht das Gefühl: „Ich werde nicht ernst genommen“ – und dieses Gefühl treibt die Leute genau in die Arme der Populisten.

Was du als »Bequemlichkeit« und »Selbstüberschätzung« beschreibst, ist real.
Aber auch das ist nicht angeboren, sondern erlerntes Verhalten in einem politischen Klima, das oft über Bürger hinweg spricht statt mit ihnen.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Wann war sie denn zugänglicher als gerade heute? Nie war es leichter, Politik zu verstehen.
Formal: Ja, nie war Information so leicht verfügbar.
Aber das bedeutet nicht, dass sie auch verarbeitet oder verstanden wird.
Zugang allein ist kein Garant für Teilhabe.
Verständlichkeit ist nicht nur ein Bildungsproblem, sondern auch eine Frage der Adressierung.

Ein Beispiel:
Ein Gesetzestext, den man sich selbst »erarbeiten« muss, ist kein Ausdruck von Mündigkeit – sondern oft das Ergebnis von Kommunikationsverweigerung.
Wenn Bürger sagen: »ich verstehe das nicht – also ist es Mist«, dann liegt das Problem nicht nur im Bürger, sondern auch in der fehlenden Anschlussfähigkeit politischer Kommunikation.

Und noch ein Gedanke zur Veränderlichkeit politischer Positionen:
Du sagst, »Verlässlichkeit« sei trügerisch, wenn sich die Umstände ändern.
Stimmt. Aber wie Konrad Adenauer (angeblich) sagte:

»Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern – es kann mich doch niemand daran hindern, klüger zu werden.«

Politische Kurskorrektur ist kein Widerspruch zur Verlässlichkeit – sie wird nur dann zum Problem, wenn sie nicht nachvollziehbar oder als opportunistisch wahrgenommen wird.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

11.06.2025 um 18:16
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber genau deshalb halte ich es für gefährlich, das Problem auf die Formel »menschliche Natur« zu verkürzen.
So was wäre auch gefährlich. Aber man kann die menschliche Natur auch nicht ausblenden, weil sonst das Ergebnis eine Utopie ist. Gut gemeint aber noch schlimmer als zuvor. Der Sozialismus ist so ein Konstrukt. Theoretisch gerechter scheitert er an der Natur des Menschen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Dann ist es plötzlich nicht mehr eine Frage von Bildung, sozialer Teilhabe oder politischer Kommunikation – sondern eine anthropologische Konstante.
Diese Punkte muss man unter Berücksichtigung der menschlichen Natur fördern.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Ich kann anerkennen, dass jemand auf Basis seiner Erfahrungen und Informationen zu einer kruden Weltsicht gelangt ist
Und dann? Was passiert dann?
Du setzt Dich mit jemandem hin, erforschst den Ursprung seiner kruden Thesen, verstehst den Ursprung - und dann holst Du ihn wie ab? Für diese Person ist die Herleitung ja gerade folgerichtig. Sie sieht darin keinen Fehler.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber auch das ist nicht angeboren
Ich denke schon. Zu einem Großteil ist das unsere Denkweise, die sich im Rahmen der Evolution als gut erwiesen hat, wenn wir es mit Säbelzahltigern zu tun haben. Bekommen wir es mit Menschen zu tun, die wissen, welche Knöpfe man drücken muss, erweist sich das als Problem.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber das bedeutet nicht, dass sie auch verarbeitet oder verstanden wird.
Zugang allein ist kein Garant für Teilhabe.
Zugang ist aber eine Voraussetzung. Und den gab es damals weit weniger. Oder nicht?
Dazu kommt dann das Verstehen - und da kann eine Informationsflut in der Tat auch gegenteilige Wirkung haben. Und dann kommt noch hinzu, dass man heute viel mehr bewerten muss, wie verlässlich eine Information ist. Heute kann ja jeder alles veröffentlichen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:sondern auch in der fehlenden Anschlussfähigkeit politischer Kommunikation.
Das stimmt. Aber die Frage ist, wie einfach man es darstellen kann. Sind wir an einem Punkt, an dem es eigentlich hinreichend verständlich wäre? Oder noch nicht? Ich würde behaupten, eher ja.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Politische Kurskorrektur ist kein Widerspruch zur Verlässlichkeit – sie wird nur dann zum Problem, wenn sie nicht nachvollziehbar oder als opportunistisch wahrgenommen wird.
Da sind wir wieder bei der Wahrnehmung.

Wenn ich nicht verstehe, warum es eine Veränderung gibt - weil ich mich mit dem Thema nicht beschäftige - sehe ich nur die Veränderung. Und keiner kann mich dazu zwingen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. DAs mache ich nur, wenn ich das möchte. Wenn ich es spannend finde.
Am ehesten wäre eine Forderung sinnvoll, dass Menschen sich für Politik begeistern. Weil es Spaß macht, mitzumachen. Aber davon entfernen wir uns immer weiter. Menschen machen in vielen Bereichen nicht mehr mit (z.B. in Vereinen), weil es einfacher ist, sich anders zu beschäftigen.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

11.06.2025 um 19:13
@azazeel
Ich finde, du bringst wichtige Aspekte zur menschlichen Natur ins Spiel – aber du verlierst dich aus meiner Sicht zu sehr in deren Unveränderlichkeit.
Du betonst zurecht, dass evolutionäre Dispositionen wie Energiesparen, Mustererkennung, Sicherheitsstreben unser Denken stark prägen.
Aber genau deshalb ist es umso wichtiger, auf jene Faktoren zu schauen, die sich verändern lassen: Sprache, Kultur, Medien, Bildung, politische Kommunikation.

Denn ja – die menschliche Natur ändert sich über Jahrtausende kaum. Aber die Kultur drumherum kann sich in Jahrzehnten radikal wandeln.
Und das tut sie auch:
Wir leben heute in einem Informationsraum, der in seinen Strukturen fundamental anders funktioniert als noch vor 30 Jahren.
Politik wird zunehmend zur Symbolpolitik im postfaktischen Raum.
Komplexe Probleme werden medial verkürzt, emotional aufgeladen, polarisiert – und Populisten liefern genau die »Antworten«, die zu diesen Mechanismen passen.

Wenn du sagst:

»Menschen sind eben so – und deshalb funktioniert Demokratie nicht besser«

…dann ist das letztlich dieselbe argumentative Kapitulation, die den Populisten in die Hände spielt.
Denn die sagen:

»Menschen sind so – deshalb braucht es eine starke Hand, einen König, eine einfache Ordnung.«

Der Unterschied ist:
Ich sehe genau diese anthropologischen Konstanten – aber ich ziehe andere Schlüsse.
Gerade weil Menschen emotional urteilen, kognitiv verzerren und selektiv glauben, braucht es mehr kulturelle Gestaltung – nicht weniger.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Und dann? Was passiert dann?
Du setzt Dich mit jemandem hin, erforschst den Ursprung seiner kruden Thesen, verstehst den Ursprung - und dann holst Du ihn wie ab? Für diese Person ist die Herleitung ja gerade folgerichtig. Sie sieht darin keinen Fehler.
Dann kann ich zumindest den Weg nachzeichnen.
Das ist keine Garantie für Einsicht – aber es ist die Voraussetzung dafür, überhaupt einen Gesprächsraum zu schaffen.

Wer glaubt, mit Fakten gegen gefestigte Narrative anzukommen, unterschätzt die Tiefe von Weltbildern.
Deshalb braucht es Beziehungsarbeit, gemeinsame Referenzpunkte, emotionale Andockstellen.
Dazu gehört auch die Einsicht, dass viele Menschen Politik nicht verstehen wollen, solange sie sie nicht als relevant für ihr Leben erleben.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Zugang ist aber eine Voraussetzung. Und den gab es damals weit weniger. Oder nicht?
Dazu kommt dann das Verstehen - und da kann eine Informationsflut in der Tat auch gegenteilige Wirkung haben. Und dann kommt noch hinzu, dass man heute viel mehr bewerten muss, wie verlässlich eine Information ist. Heute kann ja jeder alles veröffentlichen.
Richtig – aber die Verfügbarkeit von Information ist nicht gleichbedeutend mit ihrer Anschlussfähigkeit.
Wir leben in einer Aufmerksamkeitsökonomie, nicht in einer Bildungsgesellschaft.
Das erzeugt ein Paradox: Alles ist da – aber nichts erreicht.
Was fehlt, ist das didaktische Element: Wie begleite ich Menschen beim Sortieren, Bewerten, Reflektieren?

Und genau deshalb ist Symbolpolitik so gefährlich:
Sie füllt das kulturelle Vakuum mit Inszenierung statt Orientierung.
Sie ersetzt rationale Vermittlung durch strategische Empörung.
Sie erzeugt Erwartungen, die keine Politik erfüllen kann – und damit genau die Enttäuschung, aus der Populismus lebt.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Wenn ich nicht verstehe, warum es eine Veränderung gibt - weil ich mich mit dem Thema nicht beschäftige - sehe ich nur die Veränderung. Und keiner kann mich dazu zwingen, mich mit dem Thema zu beschäftigen. DAs mache ich nur, wenn ich das möchte. Wenn ich es spannend finde.
Ja – aber dann liegt die Verantwortung nicht allein beim Bürger.
Politik muss sich auch daran messen lassen, ob sie verstanden werden will.
Nicht jeder wird sich freiwillig informieren. Deshalb muss Politik dahin, wo Menschen sind – sprachlich, emotional, kulturell.
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Am ehesten wäre eine Forderung sinnvoll, dass Menschen sich für Politik begeistern. Weil es Spaß macht, mitzumachen. Aber davon entfernen wir uns immer weiter. Menschen machen in vielen Bereichen nicht mehr mit (z.B. in Vereinen), weil es einfacher ist, sich anders zu beschäftigen.
Absolut.
Aber Begeisterung entsteht nicht durch Appelle – sondern durch erlebbare Selbstwirksamkeit, Teilhabe, Nähe.
Wenn Politik nur als Verwaltung abstrakter Prozesse erscheint, wird sie niemanden packen.
Wenn sie aber Erfahrungsräume bietet, Handlungsspielräume sichtbar macht – dann vielleicht schon.

Fazit:
Menschliche Natur ist die Ausgangsbedingung – aber nicht die Ausrede.
Wenn wir akzeptieren, dass Menschen so ticken, dann müssen wir Systeme bauen, die damit umgehen – und nicht solche, die genau davon leben, dass sie es ausnutzen.
Dann reden wir nicht über Utopie – sondern über politische Reife.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 09:09
Zitat von emzemz schrieb:Verlieren wir bei dem Hype um Fitzek aber nicht Strömungen wie die Reichsdeppentruppe um Prinz Reuß aus dem Blick.
Die funktionieren etwas anders.
Absolut richtiger Punkt.
Bei aller berechtigten Kritik an Fitzek und seinem „Königreich Deutschland“ darf man nicht übersehen, dass die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß eine ganz andere Qualität hat – sowohl ideologisch als auch strategisch.

Reuß hat sich nicht mit esoterischem Fantasiefürstentum begnügt – er hat aktiv einen Putsch vorbereitet.
Er war Gründer und Rädelsführer der sogenannten »Patriotischen Union« – einer Reichsbürgergruppe, die nach Angaben der Bundesanwaltschaft einen gewaltsamen Umsturz der Bundesrepublik plante.
Das war kein symbolischer Widerstand, sondern ein realer Versuch, mit Waffengewalt die staatliche Ordnung der Bundesrepublik zu stürzen.
Vgl. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/reichsbuerger-prinz-reuss-olg-frankfurt-am-main-prozess-malsack-winkemann-terror-gruppe?utm_source=chatgpt.com

Und das Erschreckende: Er hatte dafür Verbindungen ins Militär, in die Polizei und ins Justizsystem.
Teile des sogenannten »militärischen Arms« seiner Gruppe rekrutierten sich aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten und Sicherheitsbeamten.

Ideologisch beruft sich Reuß auf seine adelige Herkunft – verbunden mit der Vorstellung, von Geburt an zur Führung bestimmt zu sein.
Das ist keine schräge Nostalgie, sondern offen antidemokratisch.
In seinem Weltbild existieren keine demokratischen Institutionen, sondern ein hierarchisches Herrschaftsmodell mit ihm an der Spitze.

Im Gegensatz dazu ist Fitzeks Szene stärker auf Parallelstrukturen, Selbstverwaltung und esoterische Sinnangebote fixiert.
Gefährlich? Ja – vor allem in Bezug auf soziale Isolation und ideologische Radikalisierung.
Aber: Reuß wollte nicht nur ein Parallelreich – er wollte die Bundesrepublik abschaffen.

Dieser Unterschied ist zentral, wenn wir über Gefahren für die Demokratie sprechen.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 09:50
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:aber du verlierst dich aus meiner Sicht zu sehr in deren Unveränderlichkeit.
Meinst Du, die menschliche Natur ist grundlegend änderbar? Genau das denke ich nicht. Wir legen eine dünne Decke Zivilisation über uns.
Aber im Grunde sind wir faule und eigennützige Wesen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:die menschliche Natur ändert sich über Jahrtausende kaum
Über Jahrhunderttausende gar nicht. Das ist wirklich ein fixer Aspekt.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Aber die Kultur drumherum kann sich in Jahrzehnten radikal wandeln.
Ja, das kann sie. Aber die frage ist, wie das geschieht.
Man kann es (zu einem gewissen Grad) erzwingen. China geht so z.B. vor. Ein System, das gesellschaftlich nützliches Wohlverhalten" erzeugen soll. Der Preis dafür ist persönliche Unfreiheit.

Achtet man die persönliche Freiheit mehr, kann man nur mit Anreizen arbeiten. Allgemeinwohl wird durch persönliches Wohl erzeugt. Das funktioniert auch grundsätzlich - aber es hat seine Grenzen. Denn persönliches Wohl und Allgemeinwohl stehen oft in einem Konkurrenzverhältnis. Vor allem, wenn man das unmittelbare persönliche Wohl betrachtet. Und da haben Populisten den entscheidenden Vorteil: Sie bedienen unmittelbares persönliches Wohl (zu Lasten des langfristigen, viel größeren Wohls).
Was willst Du also als "aufrichtiger Demokrat" anbieten, das diese Sache schlägt?
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:braucht es mehr kulturelle Gestaltung – nicht weniger.
Vom Grundsatz her hast Du da auch recht. Aber Du kannst es nur fordern, es ist kaum umsetzbar. Welche Motivationen möchtest Du denn bereit stellen, dass die Leute sich dem zuwenden?
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Dazu gehört auch die Einsicht, dass viele Menschen Politik nicht verstehen wollen, solange sie sie nicht als relevant für ihr Leben erleben.
Diese Einsicht ist doch nicht das Problem. Das Problem ist, wie ich das praktisch ändern kann.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Nicht jeder wird sich freiwillig informieren.
Aber genau das ist Teil der Pflicht des Souveräns. Wer herrschen möchte, muss was leisten. Vielleicht muss man hier ansetzen.
Die Frage ist auch, was unmittelbare und mittelbare Lösungen sind. Mittelbar ist frühzeitige und umfassende politische Bildung (Schule) ein wichtiger Punkt. Aber das wird sich erst in Jahrzehnten auswirken. Was machen wir bis dahin? Wie viel einfacher kann man Inhalte zu den Menschen bringen?
Ich verstehe Deine Sichtweise völlig. Aber mir fehlt hier die praktische Umsetzung.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:aber nicht die Ausrede.
Das hat auch keiner so gesagt. Sie ist auch nicht nur die Ausgangsbedingung - sie ist der Rahmen. Es ist nicht wie ein Stück Ton, den man dauerhaft formen kann. Es ist wie eine Stahlfeder, die man stauchen und ziehen kann - die aber wieder in ihre Form zurück springt.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Und das Erschreckende: Er hatte dafür Verbindungen ins Militär, in die Polizei und ins Justizsystem.
Teile des sogenannten »militärischen Arms« seiner Gruppe rekrutierten sich aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten und Sicherheitsbeamten.
Und schon das zeigt, dass selbst Menschen, die potentiell sehr gut in der Lage sind, politisch teilhaben zu können, es einfach nicht wollen. Bei einer Richterin kann man kaum davon sprechen, dass irgendwelche kommunikativen Hürden zu hoch wären. Dass irgend eine Bringschuld nicht ausreichend erfüllt wäre. Es zeigt, wo das Problem wirklich liegt. Es liegt darin, dass persönliche und unmittelbare Vorteile sehr viel leichter zu triggern sind und dass daraus dann Entscheidungen erwachsen, die sowohl für die Gesellschaft als Ganzes, aber auch für die eigene mittelbare Entwicklung sehr schlecht sind.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 10:07
@azazeel
Ich finde dein Menschenbild ziemlich fatalistisch. Natürlich sind Menschen nicht perfekt – aber sie sind eben auch nicht nur triebgesteuerte Konsumenten unmittelbarer Vorteile. Wenn das so wäre, hätte sich nie eine stabile Demokratie, nie ein Sozialstaat, nie eine Zivilgesellschaft herausbilden können.

Klar: Die »Natur des Menschen« ändert sich langsam. Aber genau deshalb ist kulturelle Gestaltung so entscheidend.
Was sich schnell ändern kann – und auch verändert hat –, sind politische Rahmenbedingungen, Narrative und Bildungskonzepte.

Dass es aktuell so viele demokratiegefährdende Strömungen gibt – Reichsbürger, Esoterik-Autokraten, autoritäre Sehnsuchtsträger – hat weniger mit der menschlichen Natur zu tun als mit dem, was kulturell vernachlässigt wurde: politische Bildung, mediale Verantwortung, symbolische Integrationsangebote.

Gerade der Fall Reuß zeigt doch: Hier war keine »bildungsferne Schicht« am Werk, sondern ehemalige Polizisten, Soldaten, Richter. Also Menschen, die gelernt haben müssten, in Strukturen zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Dass sie dennoch einem autoritären Führungsanspruch folgten, zeigt: Es fehlt nicht an Zugang – sondern an Orientierung. Und das ist keine biologische, sondern eine kulturelle Leerstelle.

Wenn wir Demokratie erhalten wollen, dürfen wir uns nicht zurücklehnen und sagen: »So sind Menschen eben.«
Dann überlassen wir das Feld genau denen, die das gezielt instrumentalisieren.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 14:24
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Ich finde dein Menschenbild ziemlich fatalistisch.
Ich würde es als realistisch bezeichnen. Mit den Jahren ist mir etwas an Enthusiasmus abhanden gekommen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:ber sie sind eben auch nicht nur triebgesteuerte Konsumenten unmittelbarer Vorteile
In der Masse schon. Nicht im Einzelnen und nicht jederzeit - aber wenn zivilisatorische Regeln nicht mehr greifen (z.B. in der Anonymität der Masse), sind intuitive Entscheidungen, die primär das eigene Wohlbefinden verbessern sollen, schon die Realität.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Wenn das so wäre, hätte sich nie eine stabile Demokratie, nie ein Sozialstaat, nie eine Zivilgesellschaft herausbilden können.
Na doch, das geht schon. Menschen sind ja nicht nur triebgesteuert. Es findet ja durchaus eine rationale Bewertung statt - nur leider weit seltener, als wir das gerne wahrhaben wollen.
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:was kulturell vernachlässigt wurde: politische Bildung, mediale Verantwortung, symbolische Integrationsangebote.
Wurde das wirklich vernachlässigt? Wann war das je besser?
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Gerade der Fall Reuß zeigt doch: Hier war keine »bildungsferne Schicht« am Werk, sondern ehemalige Polizisten, Soldaten, Richter. Also Menschen, die gelernt haben müssten, in Strukturen zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Dass sie dennoch einem autoritären Führungsanspruch folgten, zeigt: Es fehlt nicht an Zugang – sondern an Orientierung. Und das ist keine biologische, sondern eine kulturelle Leerstelle.
Wo sind die Leute denn deiner Meinung nach falsch abgebogen? Da muss es ja Ereignisse gegeben haben, die ihre "kulturelle Orientierung" beschädigt haben. Warum ist es in Deinen Augen nicht folgerichtig, dass sie einfach einen Teil der dünnen Decke der zivilisatorischen Errungenschaften mehr abgestreift haben, als andere? Dass bei ihnen mehr vom "Tier" zutage tritt. Dass sie Rationalität mehr durch Bauchgefühl ersetzen?
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Wenn wir Demokratie erhalten wollen, dürfen wir uns nicht zurücklehnen und sagen: »So sind Menschen eben.«
Dann überlassen wir das Feld genau denen, die das gezielt instrumentalisieren.
Das will auch keiner.
Aber es hilft auch nicht, den Menschen Fähigkeiten anzudichten, die sie nicht haben. Wir müssen mit der Realität arbeiten, nicht mit einer Idealvorstellung des grundsätzlich rationalen Menschen, dem man nur gut genug erläutern muss, damit der versteht.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 14:37
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Natürlich sind Menschen nicht perfekt – aber sie sind eben auch nicht nur triebgesteuerte Konsumenten unmittelbarer Vorteile. Wenn das so wäre, hätte sich nie eine stabile Demokratie, nie ein Sozialstaat, nie eine Zivilgesellschaft herausbilden können.
Wenn es keine Besatzungsmacht nach verlorenem Krieg (nach vorheriger Abschaffung der Demokratie) gegeben hätte, wäre dies hier evtl. auch nicht so selbstverständlich, wobei diese "stabile Demokratie" anscheinend nicht mal in den USA stabil ist.


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12.06.2025 um 14:39
@azazeel
Ich verstehe Deine Resignation – aber gerade deshalb halte ich es für gefährlich, zu sehr auf das »Tier im Menschen« zu fokussieren.
Denn das produziert letztlich nur einen zivilisationsskeptischen Rückzug ins Fatalistische: Der Mensch ist halt so, kann man nix machen.
Doch das war noch nie der Grundsatz, auf dem Demokratie aufgebaut wurde.

Die Frage ist nicht, ob Menschen irrational sind – das sind sie. Sondern: Was tun wir gesellschaftlich, um diesen Anteil produktiv einzuhegen?
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Wurde das wirklich vernachlässigt? Wann war das je besser?
Gute Frage. Ich denke: Es war nie optimal, aber früher gab es mehr stabilisierende Zwischenräume – etwa Vereine, Gewerkschaften, Kirchengemeinden, selbst Parteien. Also Orte, an denen man Demokratie erleben und lernen konnte, jenseits von Schlagzeilen oder Wahlen.

Heute ist vieles davon weggebrochen – ersetzt durch eine digitale Öffentlichkeit, die emotionale Reflexe verstärkt, aber keine Orientierung bietet.

Dass Polizisten, Richter oder Ärzte heute einem bizarren Monarchen folgen, ist kein Zeichen biologischer Rückentwicklung, sondern ein Hinweis auf symbolischen Zerfall: Die Deutungsangebote staatlicher Institutionen erreichen nicht mehr alle. Und da springt die Reichsbürger-Esoterik eben ein – mit Sinn, Ordnung und Welterklärung.
Das ist nicht tierisch – das ist ideologisch orchestriert.

Was wir brauchen, ist kein blinder Glaube an Vernunft, sondern eine kluge Gestaltung irrationaler Bedürfnisse: durch Rituale, durch Zugehörigkeit, durch Narrative.
Demokratie funktioniert nicht, weil der Mensch rational ist – sondern weil sie seine Irrationalität institutionell umarmt, statt sie autoritären Rattenfängern zu überlassen.


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 14:47
@hidden
Stimmt – Demokratie hat sich bei uns nicht aus sich selbst heraus, sondern unter massivem äußeren Druck etabliert. Ohne das Scheitern von 1933 bis 1945 und die darauffolgende Besatzung durch Alliierte wäre ein Neustart in dieser Form kaum denkbar gewesen.

Die Vorstellung, der Mensch sei »von Natur aus« demokratiefähig, ist geschichtsvergessen. Es war ein pädagogisch-didaktisches Großprojekt, das durch Umerziehung, Strukturreformen und ökonomische Stabilität (Stichwort Marshallplan) überhaupt erst funktionieren konnte. Ich bin froh, dass das damals geleistet wurde.

Dass es selbst in den USA – mit über 200 Jahren demokratischer Tradition – heute wankt, zeigt: Demokratie ist kein stabiler Endzustand, sondern ein permanentes Kulturprojekt, das gepflegt, verteidigt und vermittelt werden muss.
Und genau hier wird’s gefährlich: Wenn symbolische Ordnung und politische Selbstwirksamkeit bröckeln, treten autoritäre Deutungsmuster und Verschwörungsmythen an ihre Stelle – ob nun bei Reuß, Fitzek oder anderen Akteuren, die das Framing des »tiefen Staates« bedienen.


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12.06.2025 um 14:50
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Ich verstehe Deine Resignation
Realismus hat ja nicht unbedingt etwas mit Resignation zu tun. Wenn man jünger ist, übersieht man gerne die Realität und ersetzt sie mit einem Wunsch. Was auch an sich schön ist, so kommen wir auch voran.
Aber wenn man die Realität ignoriert und eine Wunschvorstellung zur Basis seiner Handlungen macht, kommt oft Unsinn heraus. Dann hat man etwas, das in der Theorie (d.h. unter den unterstellten Rahmenbedingungen) toll klingt, das aber in der Umsetzung scheitert.

Du bleibst in Deinen Forderungen halt recht vage:
Zitat von WurstsatenWurstsaten schrieb:Was wir brauchen, ist kein blinder Glaube an Vernunft, sondern eine kluge Gestaltung irrationaler Bedürfnisse: durch Rituale, durch Zugehörigkeit, durch Narrative.
Das klingt toll - aber wie soll das gehen? Was sind hier konkrete Ansatzpunkte?


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Reichsbürgerbewegung - für wie gefährlich haltet ihr sie?

12.06.2025 um 14:56
Zitat von azazeelazazeel schrieb:Wenn man jünger ist, übersieht man gerne die Realität und ersetzt sie mit einem Wunsch.
Ich würde mich eher als Realist mit Erfahrung betrachten.
Wenn man nach 30 - 40 Jahren erkennen muß, das die Wünsche nunmehr darin bestehen, das erreichte wenigstens halten zu können, ist das nicht sehr optimistisch.
Bei anderen Themen, die als überwundet galten bin ich über die Geschwindigkeit und Leichtigkeit der Änderungen überrascht.


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